Hotellerie und Landwirtschaft – eine Schicksalsgemeinschaft ?
Mit der Agrarpolitik 2011 werden die in den Neunzigerjahren eingeleiteten Reformanstrengungen in der Landwirtschaft fortgeführt. Die Anpassungen sollten aber – bei allem Verständnis für die Sozialverträglichkeit – entschieden konsequenter erfolgen. Die Verhandlungen im Rahmen der WTO stehen unter einem unglücklichen Stern. Vorstösse auf bilateraler Ebene zur Öffnung der Grenzen sind deshalb von grosser Bedeutung. Leider konnte die Möglichkeit eines Freihandelsabkommens mit den USA nicht genutzt werden. Umso wichtiger ist nun ein solcher Vorstoss im Agrar- und Lebensmittelbereich auf EU-Ebene.
Landwirtschaft und Tourismus sind zwei wirtschaftlich eng miteinander verbundene Sektoren. Gerade in Randregionen stiften sie einen bedeutenden regionalwirtschaftlichen Nutzen. Dennoch prallen mit der Hotellerie – der Leitbranche des Tourismus – und der Landwirtschaft zwei höchst ungleiche Branchen aufeinander: auf der einen Seite die hoch subventionierte und vom Weltmarkt abgeschottete Landwirtschaft, auf der anderen Seite der im internationalen Konkurrenzkampf stehende Tourismus als standortgebundene Exportbranche. Wie die Landwirtschaft durchläuft auch die Schweizer Hotellerie seit Jahren einen notwendigen und teils schmerzhaften Strukturanpassungsprozess. Seit 35 Jahren geht die Zahl der Hotelbetriebe im Durchschnitt jährlich um 1% zurück.
Hohe Preise schaden der Hotellerie und der Landwirtschaft
Die Hotellerie ist in der Wertschöpfungskette eine der Landwirtschaft nachgelagerte Branche. Sie ist deshalb von den hohen Preisen, die für landwirtschaftliche Produkte bezahlt werden müssen, direkt betroffen. Ein durchschnittliches Schweizer Hotel gibt für Nahrungsmittel zwischen 30% und 60% mehr aus als ein vergleichbarer Betrieb in Österreich. Untersuchungen von Avenir Suisse haben ergeben, dass die Nahrungsmittel, die der gastgewerbliche Sektor bezieht, im europäischen Ausland rund 2 Mrd. Franken günstiger bezogen werden könnten. Unter den hohen Kosten leidet aber auch die Landwirtschaft. Sie muss Vorleistungen wie Futtermittel und Maschinen im Vergleich zur EU zu überhöhten Preisen beziehen. Während sich allerdings die Produktionsmittelpreise seit Mitte der Neunzigerjahre nur geringfügig verändert haben, ist die Spanne zwischen Produzenten- und Konsumentenpreisen in der gleichen Zeitperiode stetig gestiegen. Dies sind Hinweise für Marktstrukturen, die schlecht funktionieren oder am Funktionieren gehindert werden. Der Tourismus als einzige standortgebundene Exportindustrie ist von der Diskrepanz zwischen tiefen internationalen Preisen und hohen inländischen Produktionskosten besonders stark betroffen. Der internationale touristische Konkurrenzkampf führt dazu, dass längerfristig nur wettbewerbsfähige und -willige Betriebe überleben können. Oberste Priorität hat dabei die Qualität. Nur durch Produkte und Dienstleistungen, die den heutigen Kundenbedürfnissen entsprechen, können sich der Tourismus im Allgemeinen und die Hotellerie im Speziellen von internationalen Konkurrenten abheben und das höhere Preisniveau im Markt durchsetzen. Die verstärkte internationale Konkurrenz zwingt auch die Landwirtschaft, ihre Strukturen und Produkte anzupassen. Wie das Beispiel der österreichischen Landwirtschaft zeigt, kann verstärkter Wettbewerb durchaus befruchtend sein. Qualität und Innovation sind auch hier richtungweisend. Durch die Ausnützung von Nischen und die Konzentration auf Qualitätserzeugnisse kann die Landwirtschaft international gefragte und marktfähige Produkte anbieten. Die Schweiz hat mit der Öffnung des Käsemarktes mit der EU einen ersten Schritt in die richtige Richtung getan. Weitere müssen folgen.
Zukunftsperspektiven
Weder die Landwirtschaft noch der Tourismus können sich dem verstärkten internationalen Wettbewerb entziehen. Dabei dürfen nicht nur die Gefahren, sondern es müssen auch die Chancen, die sich durch den Abbau von protektionistischen Schranken bieten, gesehen werden. Staatliche Unterstützungen unterbinden oft Eigeninitiativen und wirken den Marktmechanismen entgegen. Der Abbau von Subventionen und die Öffnung der Grenzen wird unternehmerisches Handeln fördern. Damit Eigeninitiativen auf fruchtbaren Boden stossen, müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. Im Kampf gegen die Hochpreisinsel Schweiz sind deshalb entsprechende Massnahmen zu ergreifen. Neben der Zulassung von Parallelimporten für Güter, die den Marktmechanismen unterworfen sind, der Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips und dem damit zusammenhängenden Abbau von technischen Handelshemmnissen gilt es auch, den landwirtschaftlichen Sektor entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu liberalisieren.
Zitiervorschlag: Juen, Christoph (2006). Hotellerie und Landwirtschaft – eine Schicksalsgemeinschaft ? Die Volkswirtschaft, 01. September.