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Jugend und Arbeit: Eine afrikanische Perspektive

Jugend und Arbeit: Eine afrikanische Perspektive

Die Jugendarbeitslosigkeit in Afrika südlich der Sahara (Sub-Sahara Afrika) gehört mit 21% zu den weltweit höchsten. Hält man sich den Anteil der Jugendlichen in Afrikas Bevölkerung vor Augen, bedeutet dies ein beträchtliches ungenutztes Potenzial. Hohe Jugendarbeitslosigkeit verursacht sowohl für die betroffenen Individuen als auch für die Gesellschaft hohe Kosten. Zu den Ursachen, die Jugendliche auf dem ohnehin kargen Arbeitsmarkt benachteiligen, gehören eine schwache wirtschaftliche Entwicklung, der Mangel an relevanter Bildung und Arbeitserfahrung sowie zum Teil schlechte Gesundheit.

Im Jahr 2003 wurde die Anzahl junger Menschen – definiert als die Altersklasse der 15- bis 24-Jährigen – in Sub-Sahara Afrika auf 138 Millionen geschätzt. Davon waren 28,9 Millionen oder 21% arbeitslos. Verglichen mit anderen Regionen war die Jugendarbeitslosigkeit in dieser Zone am zweithöchsten (siehe Grafik 1). Eine höhere Jugendarbeitslosigkeit kannte nur die Region Mittlerer Osten und Nordafrika mit 25,6%. Die Jugendarbeitslosigkeit in Sub-Sahara Afrika liegt also wesentlich höher als der globale Durchschnitt, der 14,4% betrug.  Die Jugendarbeitslosigkeit war 2003 südlich der Sahara 3,5-mal höher als die Arbeitslosigkeit unter Erwachsenen. Das Verhältnis ist seit 1993 nur unmerklich gesunken, als die Jugendarbeitslosigkeit 3,6-mal höher lag. Die Partizipation der Jugendlichen im Arbeitsmarkt nahm weltweit zwischen 1993 und 2003 von 58,8% auf 54,9% ab. Diese Entwicklung ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass Jugendliche länger in Ausbildung sind. In Sub-Sahara Afrika hingegen stieg die Partizipationsrate von 64,4% auf 65,4%. Die meisten Jugendlichen werden aber nicht vom formellen Arbeitsmarkt absorbiert, sondern müssen sich im informellen Sektor mit schlecht bezahlten Jobs und ohne jegliches Netz sozialer Sicherheit durchschlagen. Eine weitere Eigenschaft des Arbeitsmarkts in Sub-Sahara Afrika besteht in einem generell erheblichen Unterschied zwischen städtischer und ländlicher Arbeitslosigkeit. In den Städten ist die Arbeitslosigkeit höher als auf dem Land. Die niedrigere Arbeitslosigkeit auf dem Land kaschiert aber weit verbreitete Unterbeschäftigung in familieneigenen landwirtschaftlichen Kleinstbetrieben. So ist die Arbeitslosigkeit in Ländern mit einer ausgeprägten kommerziellen Landwirtschaft in ländlichen Gebieten wesentlich grösser, wie die Beispiele Kenias sowie Sao Tome und Principes zeigen. Merkliche Unterschiede gibt es auch bei den Arbeitslosenzahlen junger Männer und Frauen. Die Arbeitslosigkeit ist bei jungen Frauen geringer als bei jungen Männern. So sind in Sub-Sahara Afrika 18,4% der jungen Frauen arbeitslos, verglichen mit 23,1% der jungen Männer. Andererseits ist die Erwerbsquote junger Frauen niedriger als diejenige junger Männer. Junge Frauen üben häufig Tätigkeiten im Haushalt aus, die in keiner Statistik erscheinen. Und selbst wenn sie Arbeit suchen wollen, werden sie oft durch kulturelle Normen und Rollenmodelle in ihrer Wahl eingeschränkt. Wäre der Zugang für Frauen und Männer zum Arbeitsmarkt vergleichbar, würde die niedrigere Arbeitslosigkeit der Frauen aller Wahrscheinlichkeit nach verschwinden.

Tief liegende Ursachen


Die Ursachen für die hohe und andauernde Jugendarbeitslosigkeit in Sub-Sahara Afrika gründen tief. Zu den Ursachen, die Jugendliche auf dem Arbeitsmarkt benachteiligen, gehören eine geringe Nachfrage aufgrund der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung, der Mangel an relevanter Bildung und Arbeitserfahrung sowie zum Teil schlechte Gesundheit.

Geringe Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt


Die Nachfrage nach qualifizierten wie auch unqualifizierten Arbeitskräften ist gering. Dies ist die Folge der schwachen wirtschaftlichen Verfassung vieler Volkswirtschaften in Sub-Sahara Afrika. Schwache wirtschaftliche Aktivität schlägt sich in niedrigen Investitionsraten nieder. Eine schleppende wirtschaftlich Entwicklung führt – zusammen mit einem starken Bevölkerungswachstum – zu einer Knappheit an neuen Stellen. Dies wiederum veranlasst Arbeitgeber, bei der Anstellung von Personal stärker nach Ausbildung und Erfahrung zu selektieren. Dies sind aber genau die Bereiche, in denen Jugendliche Mühe haben, sich zu beweisen. So sind die Jugendlichen meist die letzten, die angestellt und – im Falle einer Rezession – die ersten, die entlassen werden. Häufig werden Jugendliche durch eine lange und erfolgslose Arbeitssuche entmutigt. So gaben in einer Umfrage in Südafrika 47,1% der Jugendlichen an, dass sie die Jobsuche aufgegeben haben, da es in ihrer näheren Umgebung keine Stellen gab. 23,5% sagten, dass sie es sich nicht leisten konnten, ein allfälliges Busticket zu kaufen, um sich vorstellen zu gehen. Nur gerade 6,9% haben sich beim Arbeitsamt oder bei einer Gewerkschaft als arbeitslos eingeschrieben. In vielen Ländern Sub-Sahara Afrikas ist der Arbeitsmarkt wenig ausgereift. So ist es für Arbeitssuchende schwierig zu wissen, wo es offene Stellen gibt. Andererseits fällt es Firmen schwer, für offene Stellen angemessen qualifizierten Arbeitskräfte zu finden. Dadurch entstehen sowohl für die Arbeitgeber wie auch die Arbeitnehmenden erhebliche Kosten bei der Stellenausschreibung respektive bei der Stellensuche.

Bevölkerungswachstum


Die prekäre Situation auf dem Jugendarbeitsmarkt wird weiter durch das starke Bevölkerungswachstum verschärft. Zwischen 2003 und 2015 wird die Anzahl der Jugendlichen in Sub-Sahara Afrika um 28,2% zunehmen. Dieses Wachstum ist bedeutend höher als das in Südostasien mit 3,8%. In den industrialisierten Ländern wird es während des gleichen Zeitraums gar zu einer Schrumpfung der Anzahl Jugendlicher von 3,1% kommen. Das starke Bevölkerungswachstum verschärft nicht nur die Situation auf dem Arbeitsmarkt für Jugendliche, sondern strapaziert auch die Bildungssysteme, die schon häufig mit niedrigen Einschulungsraten und Kapazitätsproblemen kämpfen.

Mängel in den Bildungssystemen


Für die erfolgreiche Integration Jugendlicher in den Arbeitsmarkt sind Schulbildung und Berufsbildung von zentraler Bedeutung. Das Bildungsniveau in Sub-Sahara Afrika ist – verglichen mit den anderen Weltregionen – niedrig. So ist zum Beispiel die Jugendalphabetisierungsrate mit 76,8% wesentlich tiefer als in Lateinamerika und der Karibik (94,8%) oder in Ostasien (98%), um nur einen Indikator zu nennen. Ein weiteres Problem ist die niedrige Einschulungsrate in Primarschulen. Die Situation wird zusätzlich durch hohe Durchfallquoten und Späteinschulungen verschärft. Späteinschulungen erhöhen den Druck auf die Schüler, vor Ende der offiziellen Schulzeit die Schule zu verlassen, um ein eigenes Auskommen zu finden. Weiter gibt es Hinweise darauf, dass in den letzten Jahren die private Rendite der Grundausbildung abgenommen hat. Dies und die schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt nach abgeschlossener Ausbildung veranlassen viele Jugendliche, die Schulen vorzeitig zu verlassen. Dazu kommt, dass das Bildungssystem in vielen Ländern Sub-Sahara Afrikas hauptsächlich auf die Bedürfnisse des öffentlichen Sektors ausgerichtet ist. Die Anforderungen der Privatwirtschaft an die Bildung werden vernachlässigt. Es ist daher wichtig, Rückkopplungsmechanismen in die Bildungssysteme einzubauen, die es der Privatwirtschaft erlauben, ihre Bedürfnisse an die Ausbildung in die Lehrpläne einzubringen. Berufslehren und Weiterbildung sind eine Möglichkeit, Jugendlichen mit oder ohne Schulabschluss die Möglichkeit zu geben, auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Fähigkeiten zu erlernen. In diesem Bereich gibt es Beispiele aus Kenia, Nigeria und Südafrika: Diese Länder haben erfolgreich Lehren von kurzer Dauer eingeführt, die gemeinsam von Institutionen des öffentlichen und des privaten Sektor entworfen und umgesetzt wurden. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, die Aufnahme einer selbstständigen Beschäftigung junger Arbeitsloser zu fördern. Gemäss einer Studie Zitiert in Leibbrandt und Mlatsheni (2004). stammt weltweit ein erheblicher Anteil erfolgreicher Neuunternehmer aus der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen.

Schlechte Gesundheit und HIV/Aids


Der Gesundheitszustand ist ein weiterer grundlegender Faktor für die Beschäftigungschancen Jugendlicher in Sub-Sahara Afrika. Schlechte Gesundheit macht das Lernen wie auch gute Leistung im Beruf schwierig. Mit niedriger Lebenserwartung sinkt auch die erwartete Rendite, die Bildung für den Einzelnen abwirft. Gleichzeitig wird dadurch die Bildung kostspieliger für den Staat. Die HIV/Aids-Epidemie hat riesige Auswirkungen auf die produktivsten Altersklassen. Grafik 2 zeigt die Verteilung nach Regionen von Jugendlichen, die mit HIV/Aids leben. So ist der Anteil HIV-positiver junger Frauen in Sub-Sahara Afrika 1,7-mal grösser als in der am zweitschwersten betroffenen Region. Junge Frauen sind 3-mal häufiger von HIV/Aids betroffen als junge Männer. Zusätzlich fällt die Aufgabe, für kranke Familienmitglieder zu sorgen, meist auf die Frauen und zwingt sie, bezahlte Arbeit aufzugeben.

Folgen der erhöhten Jugendarbeitslosigkeit


In der Hoffnung auf ein besseres Leben mit mehr beruflichen Chancen und grösseren gesellschaftlichen Möglichkeiten wandern Jugendliche aus ländlichen Gebieten in die Städte. Dies führt zu schnell wachsenden Städten mit einer damit verbundenen Erhöhung der Nachfrage nach öffentlichen Dienstleistungen und einem Anstieg der Arbeitsuchenden. Die Städte können meist mit dem hohen Rhythmus der Zuwanderung nicht mithalten. In den Städten angekommen, finden sich die Jugendlichen häufig ohne Arbeit und mit einem beschränkten sozialen Netzwerk. Sie sehen sich oft gezwungen, informelle Arbeit anzunehmen. Um zu überleben, wenden sich einige auch anderen Aktivitäten zu, wie zum Beispiel dem Drogenhandel, der Kriminalität oder der Sexindustrie. Die Kosten, die durch Jugendarbeitslosigkeit dem Individuum wie auch der Gesellschaft entstehen, sind hoch. Der Volkswirtschaft geht durch das Nicht-Einbinden Jugendlicher in die produktiven Prozesse der Wirtschaft ein grosses Potenzial verloren. Der Staat verliert potenzielle Einnahmen von Einkommens- und Konsumsteuern. Arbeitslosigkeit kann auch zu schlechter Gesundheit und riskanterem Verhalten führen. Dies schlägt sich in höheren Gesundheitskosten und HIV/Aids-Infektionenraten nieder. Gemäss einer Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) hat HIV/Aids zum Beispiel das jährliche Pro-Kopf-Wachstum zwischen 1992 und 2000 in 33 Ländern Sub-Sahara Afrikas um 0,7 Prozentpunkte pro Jahr reduziert. Weiter erhöhen junge männliche Arbeitslose das Risiko ziviler Unruhe. Jugendliche Arbeitslose sind die Rekrutierungsbasis für extreme politische Bewegungen und für bewaffnete Gruppierungen. Eine Studie schätzte, dass ein Anstieg um 10 Prozentpunkte in der Einschulungsrate für die Sekundarschule die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkriegs um 4 Prozentpunkte verringert. Erhöhte Kriminalität stellt ein Problem für die Entwicklung der Wirtschaft dar. So nannten zum Beispiel ausländische Investoren Kriminalität als wichtigsten abschreckenden Faktor bei ihrer Investitionsentscheidung in Südafrika.

Lösungsansätze


Jugendarbeitslosigkeit ist ein Problem, das ganzheitlich angegangen werden muss. Ein erster Schritt zur Lösung ist, dass Jugendliche als Potenzial und nicht als Last für die Gesellschaft wahrgenommen werden. Dazu müssen sie in den politischen Prozess miteinbezogen werden. Jugendliche haben in vielen Bereichen Bedürfnisse, die sich von denen der Erwachsen klar unterscheiden. Es ist daher wichtig, dass bei der Ausarbeitung von Armutsbekämpfungsstrategien den Jugendlichen spezielle Beachtung geschenkt wird. Wird Armut im frühen Alter erkannt und bekämpft, gibt es gute Chancen, dass eine lebenslange Veränderung herbeigeführt werden kann. Weiter müssen auch Arbeitsmarktinterventionen auf die Bedürfnisse der Jugendlichen angepasst werden. Ein wichtiger Teil sind die obenerwähnten Massnahmen im Bildungssystem. Für die Privatwirtschaft relevante Kenntnisse und Fähigkeiten müssen vermehrt bereits in der Schule erworben werden. Die Möglichkeit von Berufslehren und Kurzberufslehren sollte wo immer angemessen in Betracht gezogen werden.

Grafik 1 «Jugendarbeitslosigkeit nach Regionen, 2003»

Grafik 2 «Anteil Jugendlicher mit HIV-Infektion nach Regionen, Ende 2003»

Kasten 1: Literatur
– International Labour Organization (ILO) 2004, Global Employment Trends for Youth, Genf.- Joint United Nations Programme on HIV/AIDS (UNAIDS) 2004, Report of the Global AIDS Epidemic, Genf.- Leibbrandt M. and C. Mlatsheni 2004, Youth in Sub-Saharan Labor Markets.

Zitiervorschlag: Reto Thoenen (2006). Jugend und Arbeit: Eine afrikanische Perspektive. Die Volkswirtschaft, 01. September.