Unterschiedliche Strategien der RAV zur Arbeitsmarktintegration
Zwischen den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) gibt es erhebliche Unterschiede beim Vermittlungserfolg, welche vermutlich auf unterschiedliche Beratungs- und Vermittlungsstrategien zurückgehen. Welche Faktoren sind es, die den Vermittlungserfolg beeinflussen? In der vorliegenden Studie wurden die unterschiedlichen Strategien und deren Erfolgaussichten bei der Stellenvermittlung identifiziert. Weil eine flächendeckende Analyse zu aufwändig gewesen wäre, wurde die Untersuchung auf zwei Gruppen von Stellensuchenden beschränkt, welche die RAV vor besondere Herausforderungen stellen: die 15- bis 25-Jährigen mit niedriger Qualifikation sowie die 50- bis 60-Jährigen mit guter Qualifikation.
Welche Beratungs- und Vermittlungsstrategien führen zu einer erfolgreichen Arbeitsmarktintegration? Die RAV verfügen über verschiedenste Möglichkeiten zur Förderung der Vermittlungsfähigkeit der Arbeitslosen und bestimmen zudem wesentlich den Zeitpunkt der Massnahmen. Durch eine vertiefte Analyse der Beratungs- und Vermittlungsstrategien der RAV mit quantitativen und qualitativen Erhebungsverfahren wurden verschiedene Strategien ermittelt und anschliessend deren Effekte zur Arbeitsmarktintegration untersucht.
Indikatoren und Vorgehen
Neben der persönlichen Beratung und Vermittlung steht der öffentlichen Arbeitsvermittlung mit den arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) eine breite Palette von Möglichkeiten zur Auswahl, welche die rasche und nachhaltige Arbeitsmarktintegration der Stellensuchenden zum Ziel haben. Im weiteren Sinn können auch der Zwischenverdienst sowie die Sanktionen als Mittel zur Erreichung dieser Zielsetzung gezählt werden. Insgesamt konnten wir anhand von sieben Indikatoren den Einsatz von verschiedenen Beratungsstrategien für über hundert RAV statistisch analysieren (vgl. Tabelle 1). Erfasst wurde die erste länger als fünf Kontrolltage dauernde Massnahme nach der Anmeldung auf dem RAV. Nicht zielgruppenspezifische, kürzere Basisangebote wie etwa Informationstage wurden dadurch aus den Analysen ausgeschlossen. Dabei sind wir in drei Schritten vorgegangen: – Im ersten Schritt wurde eine beschreibende Auswertung dieser Indikatoren erstellt. Diese zeigte erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen RAV Die detaillierte Diskussion der Daten ist im Schlussbericht der Studie (www.seco.admin.ch) zu finden.. – Mit Hilfe von multivariaten statistischen Analysemethoden wurden in einem zweiten Schritt Gruppen (so genannte Cluster) von RAV gebildet, welche sich bezüglich ihrer Strategien innerhalb der selben Gruppe möglichst ähnlich und im Vergleich zu anderen Gruppen möglichst unterschiedlich verhalten. Es zeigte sich, dass sich die Strategien der RAV hauptsächlich bezüglich der Häufigkeit (Indikator 1), des Zeitpunkts (Indikator 4) und der Art der AMM (Indikator 2) unterscheiden. Insgesamt konnten auf der Basis der erwähnten drei Indikatoren fünf unterschiedliche Muster identifiziert werden. – Die quantitativ-statistische Analyse zum Zusammenhang der Cluster mit den Wirkungsindikatoren gab zwar Hinweise, war aber aufgrund der Datenlage nicht aussagekräftig. Der Frage nach besonders wirksamen Strategien zur Arbeitsmarktintegration wurde deshalb in einem dritten Schritt vertieft mit einer qualitativen Datenerhebung nachgegangen. Auf der Basis der Hinweise, welche die quantitative Auswertung bezüglich der unterschiedlichen Strategien lieferte, wurden zehn RAV für vertiefte qualitative Analysen ausgewählt. Bei diesen wurden insgesamt 29 persönliche Interviews mit der Leitung sowie RAV-Beraterinnen und -Beratern geführt.
Welche Beratungs- und Verfügungsstrategien lassen sich erkennen?
Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews zeigt, dass die RAV bei den älteren Stellensuchenden hauptsächlich mit zwei Gruppen konfrontiert sind: Kaderpersonen oder Personen mit sehr spezifischer Fachqualifikation und langjährige Angestellte mit einer mehr oder weniger vertikalen Karriere. In beiden Fällen legen die RAV besonderen Wert auf die Unterstützung der Betroffenen bei der beruflichen Standortbestimmung, der Definition des Stellensuchfeldes und der Suchstrategie sowie auf die Unterstützung bei psychosozialen Problemen im Zusammenhang mit der Arbeitslosigkeit. Bezüglich der Beratungs- und Verfügungsstrategien wurden die folgenden drei Unterschiede erkannt: – Ein Teil der RAV versteht ihre Aufgabe vornehmlich in der Abklärung und der Vermittlung zu geeigneten spezifischen AMM zur Unterstützung der Stellensuche. Andere RAV betrachten es hingegen als ihre Aufgabe, diese Gruppe von Stellensuchenden bei den genannten Themenstellungen auch im Rahmen der Beratungsgespräche zu unterstützen. – Ein weiterer Unterschied zeigt sich bezüglich des Zeitpunkts der ersten grösseren Massnahme. Entweder wird die Strategie verfolgt, dass bei Bedarf frühzeitig eine Massnahme zur Unterstützung bei der Standortbestimmung und der Suchstrategie zugewiesen wird, oder die Strategie ist eher geprägt durch Abwarten. – Schliesslich unterscheidet sich das Angebot an persönlichkeitsorientierten Kursen zur beruflichen Standortbestimmung und zur Suchstrategie in den Kantonen. Ein Teil der untersuchten Kantone hat funktionsspezifische Angebote, zum Beispiel für Kader oder spezifische Fachgebiete. Andere Kantone setzen eher auf Angebote, bei welchen der Teilnehmerkreis nicht über die Funktion, sondern über das Alter definiert wird (meist ab 50 Jahren). Auch bei den jungen, gering qualifizierten Personen lassen sich zwei Gruppen mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen erkennen: Auf der einen Seite die Schulabgängerinnen und -abgänger, die im Verlauf der obligatorischen Schulzeit keine Lehrstelle gefunden haben, die jedoch eine Lehre absolvieren möchten, auf der anderen Seite junge Stellensuchende mit einer beruflichen Grundausbildung (Anlehre) oder ohne beruflichen Abschluss. Die deutlich am häufigsten verfügte Massnahme bei den Schulabgängern sind Motivationssemester. Die vertiefte qualitative Analyse der Beratungs- und Verfügungsstrategien hat zudem gezeigt, dass Jugendliche in der Regel durch spezialisierte Personalberatende der RAV unterstützt werden. Die strategischen Unterschiede beziehen sich auf die folgenden drei Aspekte: – Erstens bearbeiten die RAV die Schnittstelle zum Bildungssystem sehr unterschiedlich. Etliche RAV kooperieren systematisch mit den relevanten Stellen des Bildungssystems (berufsberatende Abklärungen oder Information während des 9. Schuljahres über die Lehrstellensuche und das Motivationssemester). Andere RAV sind diesbezüglich zurückhaltender. – Zweitens legen einzelne RAV bei jungen Stellensuchenden grossen Wert auf die Nachqualifizierung. Andere RAV wollen diese Gruppe schnell wieder eingliedern. Dort legt man primär Wert auf den Erhalt der Arbeitsmarktfähigkeit über Zwischenverdienste oder Beschäftigungsmassnahmen. – Drittens unterscheiden sich die RAV in der Konsequenz der Kontrolle der Arbeitsbemühungen bei jungen Stellensuchenden.
Welche Strategien für ältere Stellensuchende mit guter Qualifikation?
Als massgebliche Einflussfaktoren der Arbeitsintegration von älteren, gut qualifizierten Stellensuchenden haben sich die personenbezogenen Faktoren Qualifikation, psychosoziale Situation und Suchstrategie sowie die Ausgangslage auf der Seite des Arbeitsmarktes erwiesen: – Qualifikation: Die älteren, gut qualifizierten Stellensuchenden verfügen auf Grund der meist langjährigen Tätigkeit in derselben Institution oft über einseitige (zu betriebsspezifische oder zu spezialisierte) Qualifikationen. Häufig sind sich die Betroffenen dieses Sachverhalts nicht bewusst. – Psychosoziale Situation: Die Statuseinbusse, die zwischen der bisherigen beruflichen Stellung und dem Status als arbeitslose Person besteht, wird von vielen Betroffenen als gravierend wahrgenommen. – Suchstrategie: Da sich die Betroffenen meist jahrelang nicht mehr auf dem Arbeitsmarkt bewegt haben, verfügen sie kaum über aktuelle Erfahrungen mit der Stellensuche. – Ausgangslage auf Seite des Arbeitsmarkts: Die Gruppe der älteren, gut qualifizierten Stellensuchenden entspricht in der Regel nicht dem Wunschprofil der Ausschreibungen der Firmen.
Erfolgreiche Strategien
Die Analysen haben deutlich gemacht, dass sich Zwischenverdienste, persönlichkeitsorientierte Kurse zur beruflichen Standortbestimmung und Suchstrategie sowie Fachkurse zur Aktualisierung der Qualifikationen als besonders wirksame Massnahmen zur beruflichen Integration von älteren, gut qualifizierten Stellensuchenden erwiesen haben: – Zwischenverdienst: Der Zwischenverdienst erweist sich für ältere, gut qualifizierte Stellensuchende als wirkungsvoll, um den Zugang zum Arbeitsmarkt zu öffnen. – Auch persönlichkeitsorientierte Kurse sind in Bezug auf die Arbeitsmarktintegration wirkungsvoll, falls eine stellenlose Person bei der beruflichen Standortbestimmung, der Suchfelddefinition und der Suchstrategie Unterstützung benötigt und diese gezielt und frühzeitig erfolgt. – Gezielte Fachkurse zur Aktualisierung der bestehenden Qualifikationen haben ebenfalls oft Erfolg gezeigt, da nicht mehr aktualisierte Qualifikationen ein zentrales Problemfeld der untersuchten Gruppe darstellen. – Die Analysen haben zudem gezeigt, dass die Beratungsgespräche bei älteren, gut qualifizierten Stellensuchenden eine wichtige Triagefunktion zu einer geeigneten Massnahme haben. Hingegen eignen sie sich nur bedingt für die Unterstützung bei Standortbestimmung und Suchstrategie sowie beim Umgang mit der Arbeitslosigkeit. Die qualitativen Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Anzahl der verfügten Massnahmen die Wirksamkeit der Arbeitsmarktintegration nicht beeinflusst. Hingegen gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Zeitpunkt der Massnahme und der beruflichen Integration. RAV, welche ihre Funktion bei der untersuchten Gruppe eher in der Abklärung und der Triage als in der Beratung sehen, verfügen in der Praxis eher früher Massnahmen und scheinen erfolgreicher zu sein.
Welche Strategien für junge Stellensuchende mit niedriger Qualifikation?
Auch bei den jungen Stellensuchenden mit niedriger Qualifikation lassen sich die massgeblichen Einflussfaktoren für die Strategien der RAV in ähnlicher Weise gruppieren: – Qualifikation: Die Gruppe der jungen, gering qualifizierten Personen weist oft schulische Lücken und nicht selten Sprachdefizite in der Landessprache der Wohnregion auf. Hinzu kommen in vielen Fällen Schwächen im Bereich der sozialen Kompetenzen – wie beispielsweise mangelnde Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit und Anpassungsfähigkeit – sowie hinsichtlich Ausdauer und Umgangsformen. – Psychosoziale Situation: Bei Schulabgängern/-innen, welche bei ihrer Lehrstellensuche erfolglos geblieben sind, zeigt sich oft, dass sie bei ihrem Berufswahlprozess vom familiären Umfeld kaum Unterstützung erhalten haben. Sowohl bei Schulabgängern/-innen als auch bei jungen Stellensuchenden besteht oft kein wirtschaftlicher Druck, falls sie noch von den Eltern unterstützt werden. Zudem kommt das Fehlen einer Tagesstruktur dem Peergruppenverhalten dieser Altersgruppe entgegen und ist für die Betroffenen oft keine unangenehme Lebensweise. – Suchstrategie: Ein häufiges Problem von Schulabgängern/-innen, die keine Lehrstelle finden, ist einerseits eine sehr enge Ausrichtung ihrer Berufswünsche und anderseits das Überschätzen der eigenen Qualifikationen. – Schul- und Berufsbildungssystem: Im Rahmen der obligatorischen Schulzeit werden Jugendliche mit den genannten erschwerten Ausgangsbedingungen bei der Lehrstellensuche meist nicht speziell begleitet. Hingegen dient ein mehr oder weniger ausgebautes Angebot an Brückenangeboten des Bildungs- und Berufsbildungssystems der Berufsvorbereitung. Zusätzlich stehen den Jugendlichen kantonale und städtische Berufs- und Informationszentren zur Verfügung, welche den Prozess der Berufswahl unterstützen. – Arbeitsmarkt: Um ein realistisches Bild der Arbeitswelt zu erhalten und ihre Berufswahl vornehmen zu können, sind Schulabgänger/-innen auf die Möglichkeit angewiesen, Schnupperlehren oder Praktika absolvieren zu können. Für junge Personen ohne Berufsabschluss ist die Stellensuche besonders schwierig. Arbeitgeber bevorzugen Personen mit Berufserfahrung.
Erfolgreiche Strategien
Die Analysen haben deutlich gemacht, dass sich insbesondere die Motivationssemester für Schulabgänger/-innen sowie – je nach Ausgangslage – Beschäftigungsprogramme und Fachkurse für junge, gering qualifizierte Stellensuchende neben den Beratungs- und Kontrollgesprächen als geeignete Massnahmen zur beruflichen Integration erweisen: – Bei Schulabgänger/-innen werden hauptsächlich Motivationssemester eingesetzt. Diese bieten eine intensive Begleitung beim Berufswahlprozess und können schulische und sprachliche Defizite verringern und soziale Kompetenzen fördern. – Jugendliche Stellensuchende profitieren vor allem von Beschäftigungsprogrammen. Diese gewährleisten eine Tagesstruktur, erhalten die Arbeitsmarktfähigkeit und ermöglichen die Aneignung von weiterer Berufserfahrung. Für die Gruppe der jungen Stellensuchenden ohne Berufsabschluss erweist sich eine berufliche Zertifizierung im Rahmen einer Teilnahme an einem Kursangebot als Erfolg versprechend. Temporäre Stellen erweisen sich dann als effiziente Möglichkeit zur Integration junger Stellensuchenden, wenn diese auf Berufserfahrung und Referenzen angewiesen sind. – Die Beratungsgespräche und die Kontrolle der Arbeitsbemühungen haben sowohl für die Schulabgänger/-innen als auch für die jungen Stellensuchenden im Hinblick auf die Arbeitsmarktintegration eine grosse Bedeutung. Regelmässige Beratungsgespräche im Abstand von zwei bis vier Wochen haben sich als wirksame Unterstützung für diese Personengruppe sowohl bei der Suche von Lehrstellen oder Arbeitsstellen als auch bei der Bewältigung von Problemen auf der psychosozialen Ebene erwiesen. Im Umgang mit allen Jugendlichen sind konkrete Zielsetzungen bezüglich der Arbeitsbemühungen beziehungsweise der Lehrstellensuche und deren konsequente Kontrolle wichtig. Die Kontrolle ermöglicht es, trotz fehlendem wirtschaftlichem und sozialem Druck Arbeitsbemühungen zur Arbeitsmarktintegration einzufordern.
Fazit
Die Untersuchung hat einerseits gezeigt, dass für die Arbeitsmarktintegration der untersuchten Gruppen Erfolg versprechende Massnahmen zur Verfügung stehen und sich auch gewisse Abläufe bewährt haben. Andererseits konnte aufgezeigt werden, dass erhebliche Differenzen bei der strategischen Ausrichtung der Arbeitsmarktintegration für die beiden untersuchten Gruppen existieren. Damit diese noch exakter bestimmt und mit den Werten der Wirkungsindikatoren in Verbindung gesetzt werden können, braucht es in Zukunft jedoch eine differenziertere statistische Erfassung der AMM, welche den spezifischen Inhalten und Zielen der Massnahmen gerecht wird. Viele Angebote lassen sich heute nicht mehr bloss als Beschäftigungsoder Bildungsmassnahme einordnen, sondern enthalten sowohl praktische als auch qualifizierende Elemente. Vgl. dazu: Bieri et al. (2004): Übersicht über die Professionalisierung der arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) seit 1997. Download unter www.treffpunkt-arbeit.ch/downloads/studien/seco. Persönlichkeitsorientierte Kurse stellen eine eigene Kate-gorie mit unterschiedlichen Inhalten dar. Viele Angebote definieren zudem den Teilnehmerkreis explizit zielgruppenspezifisch (z.B. Bildungsniveau, Fachbereich). Mit einer genaueren Kategorisierung der AMM und den entsprechenden Auswertungen könnten den RAV Informationen zur Verfügung gestellt werden, damit diese effiziente und effektive Beratungs- und Verfügungsstrategien umsetzen können.
Grafik 1 «Anteil der jungen Stellensuchenden mit einer AMM»
Grafik 2 «Anteil der älteren Stellensuchenden mit einer AMM»
Tabelle 1 «Indikatoren zur Erfassung unterschiedlicher Strategien»
Zitiervorschlag: Bieri, Oliver; Bachmann, Ruth; Bodenmueller, Daniela (2006). Unterschiedliche Strategien der RAV zur Arbeitsmarktintegration. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.