Wirkungen der arbeitsmarktlichen Massnahmenauf den schweizerischen Arbeitsmarkt
Wie beeinflussen die arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) die Stellensuchendenquote? Diese Frage wurde mittels eines ökonometrischen Modells erstmals für die Schweiz untersucht. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem vorübergehende Beschäftigung hilft, die Zahl der Stellensuchenden zu reduzieren. Wie bereits in vergleichbaren Studien für andere Länder festgestellt wurde, ist der empirisch nachweisbare Zusammenhang zwischen den AMM und der Quote der Stellensuchenden schwach. Die Konjunktur hat einen ungleich stärkeren Einfluss auf die Zahl der Stellensuchenden.
Arbeitsmarktliche Massnahmen wirken auf individueller Ebene. Dank eines Sprachkurses findet zum Beispiel die arbeitslose ehemalige Angestellte eines Reisebüros, Frau Müller, wieder eine neue Stelle. Dies ist eine beabsichtigte Wirkung der Massnahme «Sprachkurs». Auf aggregierter, makroökonomischer Ebene kann die Wirkung in diesem Beispiel anders beurteilt werden: Hätte Frau Müller keinen Sprachkurs absolviert, dann hätte das Reisebüro Herrn Meier eingestellt, welcher die geforderten sprachlichen Fähigkeiten auch ohne Kurs mitbringt. Dank der AMM «Sprachkurs» ist anstelle von Frau Müller nun Herr Meier arbeitslos. Der Sprachkurs wäre aus makroökonomischer Sicht letztlich wirkungslos – ein Nullsummenspiel, der die Arbeitslosigkeit nicht reduziert.
Gesamtwirkung schwierig messbar
Wenn arbeitsmarktliche Massnahmen auf der individuellen Ebene Wirkung zeigen, bedeutet dies also noch nicht, dass die Arbeitslosigkeit zurückgeht. Die Feststellung von positiven individuellen Wirkungen genügt der Arbeitsmarktpolitik nicht. Vielmehr muss sich diese fragen: Können AMM die Arbeitslosigkeit reduzieren? Die nachfolgenden Ausführungen basieren auf der Ecoplan-Studie «Makroökonomische Evaluation der Arbeitsmarktpolitik der Schweiz». Diese Studie ist Teil des «Follow-up» der Wirkungsevaluation der arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM). Das «Follow-up» orientiert sich an der «wirkungsorientierten Vereinbarung», die seit 2000 in Kraft ist und im Jahre 2003 einer grösseren Revision unterzogen worden ist. Es sei vorweggenommen, dass diese zentrale Frage für die Schweiz – wie auch für andere Länder – nicht abschliessend beantwortet werden kann. Datenprobleme und nur schwach messbare Zusammenhänge erschweren eine klare Antwort. Die Datenlage für die Schweiz lässt keine Wirkungsabschätzungen auf die eigentliche Zielgrösse der AMM – die Arbeitslosigkeit – zu. Dennoch lassen sich für die Schweiz einige interessante Auswirkungen arbeitsmarktlicher Massnahmen auf die Stellensuchendenquote empirisch erhärten.
Quote der Stellensuchendenals Zielgrösse
Wird einer AMM – z.B. basierend auf mikroökonomischen Studien – eine individuelle Wirkung zugesprochen, so ist dies keine hinreichende Voraussetzung für eine Reduktion der Stellensuchendenquote. Die individuell festgestellten Wirkungen dürfen nicht aggregiert werden, da nicht sicher ist, dass ein Stellensuchender weniger auch die Gesamtzahl der Stellensuchenden reduziert. Zwei der am meisten diskutierten Aggregationseffekte seien hier beispielhaft erwähnt: – Substitutionseffekt: Durch AMM geförderte Arbeitsuchende verdrängen solche, die nicht in den Genuss der Förderung gekommen sind. Die Stellensuchendenquote wird also nicht reduziert, sondern die Stellensuchenden werden lediglich «ausgetauscht». – Mitnahmeeffekt: Hätte ein geförderter Arbeitsuchender auch ohne AMM eine Stelle gefunden, so hätte sich die Stellensuchendenquote auf jeden Fall reduziert. Die Reduktion der Quote kann in diesem Falle also nicht ursächlich auf die AMM zurückgeführt werden. Beide Aggregationseffekte können dazu führen, dass die Programme auf makroökonomischer Ebene keine Erfolge haben und die Zahl der Stellensuchenden nicht abnimmt.
Schätzverfahren
Mit ökonometrischen Panel-Modellen wird untersucht, wie die Teilnahme an einzelnen Massnahmen die Stellensuchendenquote beeinflusst. Als Datengrundlage dienen Monatsdaten von Januar 2000 bis Dezember 2004. Aus Grafik 2 geht deutlich hervor, dass diese Quote – und damit die Zahl der Stellensuchenden – im Zeitablauf grossen Schwankungen unterliegt. Mit den vorliegenden Modellen wird untersucht, inwiefern die AMM diese Schwankungen beeinflussen. Dafür werden insgesamt fünf verschiedene AMM unterschieden (siehe Kasten 1 – Basiskurse sind Massnahmen, die der Standortbestimmung von Individuen und dem Erarbeiten einer Ausbildungsstrategie dienen. Ausserdem vermitteln sie Basiswissen für die Stellensuche, wie z.B. Bewerbungsbriefe zu verfassen. – Sprachkurse vermitteln Kenntnisse in einer der Landessprachen und ermöglichen so eine erfolgreiche Bewerbung. Wenn es zum näheren Berufsumfeld des Stellensuchenden passt, werden einem Erwerbslosen auch Fremdsprachenkurse zugewiesen. Dies kann zum Beispiel bei Reisebüro-Mitarbeitenden zutreffen.- Allgemeine Informatikkurse umfassen eine Einführung und Vertiefung für Anwender. Dabei werden die Anwender mit dem Grundwissen eines PCs vertraut gemacht und in die geläufigen Programme zur Textverarbeitung (Word), Tabellenkalkulation (Excel), Arbeit mit Datenbanken (Access) und Erstellung von Grafiken eingeführt.- Programme zur vorübergehenden Beschäftigung bezwecken, die dauerhafte und möglichst rasche berufliche (Wieder-)Eingliederung der Versicherten zu erleichtern. Dies kann einerseits durch berufsnahe Tätigkeiten erfolgen, welche der Ausbildung und den Fähigkeiten der Versicherten sowie der Arbeitsmarktlage bestmöglich entsprechen. Damit wird die Arbeitsmarktfähigkeit erhalten oder verbessert. Andererseits wird die Wiedereingliederung durch integrierte Bildungsanteile gefördert, die auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes sowie der versicherten Personen ausgerichtet sind. Programme zur vorübergehenden Beschäftigung können in öffentlichen und privaten, nicht gewinnorientierten Institutionen ausgeübt werden.- In der Kategorie Übrige Kurse werden Bildungsmassnahmen wie Übungsfirmen, Ausbildungspraktika sowie Kurse in den Bereichen Gastgewerbe, Hauswirtschaft, Raumpflege und dem Gesundheits- und Sozialbereich zusammengefasst. Aufgrund geringer Fallzahlen haben wir auch fachspezifische Informatikkurse sowie berufliche Weiterbildung (kaufmännische Weiterbildung, handwerkliche und technische Weiterbildung) in diese Kategorie eingereiht.). Neben den AMM wird auch der konjunkturelle Einfluss auf die Stellensuchendenquote im Modell berücksichtigt.
Zwei Modelle
Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene werden zwei Modelle geschätzt: – Modell 1: Effekt der Massnahmen auf die Veränderung der Stellensuchenden (der Netto-Effekt aus Zu- und Abgängen aus der Stellensuche). Für dieses Modell spricht die deutlich verlässlichere Datengrundlage. – Modell 2: Effekt der Massnahmen auf die Zahl der Stellensuchenden, welche eine Stelle gefunden haben. Dieses Modell hat den Vorteil, dass es direkter den interessierenden Zusammenhang misst.
Vorübergehende Beschäftigung als wirkungsvollste Massnahme
Die Analyse der Auswirkungen von AMM auf die Stellensuchenden zeigt, dass die Effekte nur teilweise signifikant sind (siehe Tabelle 1). Von den untersuchten AMM schneidet die vorübergehende Beschäftigung am besten ab. Die Ergebnisse können wie folgt zusammengefasst werden: – Den beabsichtigten Effekt finden wir bei der vorübergehenden Beschäftigung: In beiden Modellen ist auf aggregierter Ebene statistisch nachweisbar, dass die Massnahme «vorübergehende Beschäftigung» die Quote der Stellensuchenden reduziert. – Keinen Effekt finden wir bei den Basisprogrammen und den Sprachkursen: In beiden Modellen zeitigen diese AMM keine dauerhaften Effekte auf die Quote der Stellensuchenden. – Widersprüchliche Effekte sind bei den Informatikkursen bzw. den übrigen Kursen feststellbar: Die beiden Modelle liefern jeweils gegensätzliche Ergebnisse.
Resultate nach Wirtschaftsklassen
Tabelle 2 fasst die Massnahmen-Effekte auf die Stellensuchendenquoten in den vier Wirtschaftsklassen «Bau», «Gastgewerbe», «Metallverarbeitende Industrie, Maschinenbau und Elektrotechnik» sowie «Dienstleistungen in den Bereichen Immobilien und Beratung» zusammen. Die Analyse auf Stufe dieser vier Wirtschaftsklassen bestätigt die Ergebnisse der gesamtwirtschaftlichen Analyse weitgehend: – Analog zu den Ergebnissen auf der gesamtwirtschaftlichen Ebene zeigt die vorübergehende Beschäftigung am deutlichsten die erwünschten Wirkungen. Mit Ausnahme der Wirtschaftsklasse «Metallverarbeitende Industrie, Maschinenbau und Elektrotechnik» reduziert diese Massnahme die Verweildauer in der Stellensuche und senkt somit die Stellensuchendenquote dauerhaft. – Basisprogramme und Sprachkurse (Ausnahme: Dienstleistungen in den Bereichen Immobilien und Beratung) haben auf der Ebene der vier betrachteten Wirtschaftsklassen kaum Auswirkungen auf die Stellensuchendenquote. Ebenfalls geringe Auswirkungen haben die übrigen Kurse (Ausnahme: Gastgewerbe). – Bei den Informatikkursen zeigt sich kein einheitliches Bild: Die Auswirkungen sind je nach Wirtschaftsklasse unterschiedlich.
Insgesamt nur schwach messbarer Einfluss der Massnahmen
Die Erkenntnisse und möglichen Aussagen lassen sich wie folgt zusammenfassen: – Die Massnahme «vorübergehende Beschäftigung» hilft, die Zahl der Stellensuchenden zu reduzieren. Dieses Ergebnis wird in allen getesteten Modellen bestätigt. – Die Zusammenhänge zwischen den AMM und der Stellensuchendenquote sind schwach. Dementsprechend sind auch die Ergebnisse wenig robust. Dieses Problem deckt sich mit den Erfahrungen makroökonomischer Evaluationen von AMM in anderen Ländern. Das robusteste Ergebnis ist der oben erwähnte Effekt der vorübergehenden Beschäftigung. – Die Analyse beschränkt sich darauf, den Zusammenhang zwischen AMM und Stellensuchendenquote zu untersuchen. Auf dieser Basis können jedoch keine Aussagen zum Kosten-Nutzen-Verhältnis der AMM getroffen werden.
Grafik 1 «Untersuchungsgegenstand: Arbeitsmarktliche Massnahmen und ihre Wirkung auf die Stellensuchendenquote»
Grafik 2 «Entwicklung der Stellensuchendenquote, Januar 2000 bis Dezember 2004»
Tabelle 1 «Effekte der AMM auf die Stellensuchendenquote nach Modell»
Tabelle 2 «Effekte der AMM auf die Stellensuchendenquoten nach Wirtschaftsklassen»
Kasten 1: Fünf Kategorien der untersuchten AMM – Basiskurse sind Massnahmen, die der Standortbestimmung von Individuen und dem Erarbeiten einer Ausbildungsstrategie dienen. Ausserdem vermitteln sie Basiswissen für die Stellensuche, wie z.B. Bewerbungsbriefe zu verfassen. – Sprachkurse vermitteln Kenntnisse in einer der Landessprachen und ermöglichen so eine erfolgreiche Bewerbung. Wenn es zum näheren Berufsumfeld des Stellensuchenden passt, werden einem Erwerbslosen auch Fremdsprachenkurse zugewiesen. Dies kann zum Beispiel bei Reisebüro-Mitarbeitenden zutreffen.- Allgemeine Informatikkurse umfassen eine Einführung und Vertiefung für Anwender. Dabei werden die Anwender mit dem Grundwissen eines PCs vertraut gemacht und in die geläufigen Programme zur Textverarbeitung (Word), Tabellenkalkulation (Excel), Arbeit mit Datenbanken (Access) und Erstellung von Grafiken eingeführt.- Programme zur vorübergehenden Beschäftigung bezwecken, die dauerhafte und möglichst rasche berufliche (Wieder-)Eingliederung der Versicherten zu erleichtern. Dies kann einerseits durch berufsnahe Tätigkeiten erfolgen, welche der Ausbildung und den Fähigkeiten der Versicherten sowie der Arbeitsmarktlage bestmöglich entsprechen. Damit wird die Arbeitsmarktfähigkeit erhalten oder verbessert. Andererseits wird die Wiedereingliederung durch integrierte Bildungsanteile gefördert, die auf die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes sowie der versicherten Personen ausgerichtet sind. Programme zur vorübergehenden Beschäftigung können in öffentlichen und privaten, nicht gewinnorientierten Institutionen ausgeübt werden.- In der Kategorie Übrige Kurse werden Bildungsmassnahmen wie Übungsfirmen, Ausbildungspraktika sowie Kurse in den Bereichen Gastgewerbe, Hauswirtschaft, Raumpflege und dem Gesundheits- und Sozialbereich zusammengefasst. Aufgrund geringer Fallzahlen haben wir auch fachspezifische Informatikkurse sowie berufliche Weiterbildung (kaufmännische Weiterbildung, handwerkliche und technische Weiterbildung) in diese Kategorie eingereiht.
Zitiervorschlag: Marti, Michael; Osterwald, Stephan (2006). Wirkungen der arbeitsmarktlichen Massnahmenauf den schweizerischen Arbeitsmarkt. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.