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Wege zur Reduktion der überdurchschnittlich hohen Erwerbslosigkeit von Ausländerinnen und Ausländern

Ausländerinnen und Ausländer sind stärker von Erwerbslosigkeit betroffen als Schweizerinnen und Schweizer. Sie finden auch weniger häufig und weniger rasch wieder eine neue Stelle. Die durchgeführten quantitativen und qualitativen Untersuchungen zeigen, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss. Die Phänomene sind zudem nicht nur durch die durchschnittlich schlechtere Bildung bzw. durch Sprachprobleme zu erklären. Will man die Problematik ernsthaft angehen, so müssen Instrumente und Einzelmassnahmen in der Migrations-, Bildungs-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik sowie der Arbeitslosenversicherung (ALV) eingesetzt und aufeinander abgestimmt werden.

Der Anteil der Ausländerinnen und Ausländer an den Erwerbspersonen in der Schweiz beträgt 22%; das sind rund 800000 Menschen. Demgegenüber machen ausländische Erwerbslose 43% (d.h. rund 80000 Personen) aller Erwerbslosen aus. Mit 15% besonders hoch ist die Quote ausländischer Erwerbsloser bei Jugendlichen (Durchschnitt 4,4%). Die Arbeitsgemeinschaft des Büros für arbeits- und sozialpolitische Studien (Büro Bass) und des Büros für arbeits- und organisationspsychologische Forschung und Beratung (Büro A&O) führte im Rahmen der «Wirkungsevaluation der arbeitsmarktlichen Massnahmen» des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) ein Projekt durch, um folgende drei Fragenkomplexe zu analysieren:  – Weshalb sind Ausländerinnen und Ausländer überproportional vom Risiko betroffen, erwerbslos zu werden? – Welche Faktoren begünstigen den Ausstieg aus der Erwerbslosigkeit? – Wo liegen die Ansatzpunkte zur Reduktion des überproportional hohen Erwerbslosigkeitsrisikos bzw. zur Erhöhung ihrer Chance, die Erwerbslosigkeit wieder zu verlassen?

Methoden und Daten


Die aufgeworfenen Fragestellungen wurden quantitativ und qualitativ untersucht. Im Rahmen der quantitativen Analyse wurde statistisch-ökonometrisch untersucht, welche Faktoren bei ausländischen Personen die Wahrscheinlichkeit bestimmen, erwerbslos zu werden bzw. die Erwerbslosigkeit verlassen zu können. Dabei wurde mit zwei Datenquellen gearbeitet: einerseits mit der Volkszählung 2000 (VZ), welche alle Aufenthalts- und Einbürgerungsstatistiken sowie die Sprachkenntnisse erfasst; andererseits mit den Jahrgängen 1992 bis 2004 der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake). Letztere enthält reichhaltige Angaben zur Arbeitsmarktsituation ausländischer Staatsangehöriger und wurde im Jahr 2003 mit 15000 ausländischen Personen gezielt aufgestockt.  Um die Wahrscheinlichkeit der Erwerbslosigkeit zu schätzen, wurden für neun Personengruppen mit vier verschiedenen Datensätzen multivariate, logistische Regressionen vorgenommen. Im zweiten Analyseschritt wurden mit der Sake drei unterschiedlich spezifizierte multinomiale Modelle geschätzt, um die Wahrscheinlichkeit des Verlassens der Erwerbslosigkeit zu bestimmen.  Zur Analyse des Einflusses des Beratungsprozesses in den Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) wurde eine qualitative Untersuchung durchgeführt. 30 zufällig ausgewählte Ausländerinnen und Ausländer wurden bis im Sommer 2005 zu ihrem Weg in die Erwerbslosigkeit, ihrer Wahrnehmung des RAV-Beratungsprozesses sowie ihrem Weg aus der Erwerbslosigkeit befragt. Gleichzeitig wurden auch die für sie zuständigen RAV-Beraterinnen und -Berater interviewt. Dies erlaubte es, die Erfahrungen der ersten Gruppe zu kontrastieren. Durch die Befragung dieser beiden Gruppen konnten von den unmittelbar Betroffenen Informationen aus erster Hand gesammelt werden. Um auch die Metaebene der strategischen Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik zu berücksichtigen, wurden in neun Interviews zwölf Expertinnen und Experten mit dem Fokus Arbeitsmarkt bzw. Migration aus Forschung, Verwaltung und Praxis befragt.

Risiko, erwerbslos zu werden


Die Ergebnisse der statistischen Analysen mit den verschiedenen Datensätzen weisen darauf hin, dass die Variablen «Branchen» (Sake), «ausgeübte Berufsgruppen» (Sake) und die «Sprachkompetenzen» (VZ) bei der Erklärung des Erwerbslosigkeitsrisikos von herausragender Bedeutung sind. An zweiter Stelle steht die potenziell diskriminierende Variable «Nationalität» bzw. der «Integrationsgrad». Eingebürgerte Personen der zweiten Generation haben – unter Berücksichtigung aller individueller und struktureller Unterschiede – gegenüber den gebürtigen Schweizerinnen und Schweizern eine um 33% erhöhte Wahrscheinlichkeit, erwerbslos zu werden. Bei Angehörigen der ersten Generation ist die Wahrscheinlichkeit um 35% erhöht. Ausländische Personen mit tiefem Integrationsgrad haben eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit. Ein höherer Integrationsgrad reduziert also das Erwerbslosigkeitsrisiko; aber auch ein sehr lang andauernder Aufenthalt in der Schweiz (u.U. sogar mit dem Besuch aller Schulen in der Schweiz) führt nicht zu einer Gleichstellung mit den gebürtigen Schweizerinnen und Schweizern.  Besondere Erwähnung muss die Variable «Höchste abgeschlossene Ausbildung» finden. Werden Berufs- und Brancheninformationen integriert, so sinkt die Bedeutung des Bildungsabschlusses stark. Die Gefahr, erwerbslos zu werden, ist demnach stärker mit Berufen und Branchen zu erklären. Dort trifft es auch Menschen mit guten Ausbildungen. Die Ausbildung alleine schützt somit weniger stark als erwartet gegen die Erwerbslosigkeit. Die Interviews bestätigen diese Ergebnisse. Insbesondere wird auf die teilweise schwierigen Biografien hingewiesen, die ausländische Staatsangehörige durchlebt haben. Diese können sich erschwerend auf die Arbeitsbeziehungen und die Leistungsfähigkeit auswirken.

Wahrscheinlichkeit, die Erwerbslosigkeit verlassen zu können


Die statistischen Ergebnisse zeigen deutliche Unterschiede in der Wichtigkeit der Einflussfaktoren auf den Austritt aus der Erwerbslosigkeit zwischen den Personen mit Schweizer und solchen mit ausländischem Pass. Bei schweizerischen Stellensuchenden erklären die fünf wichtigsten Faktoren («Alter», «Ausbildung», «Zivilstand», «Dauer der Erwerbslosigkeit» und «Bereitschaft umzuziehen») rund 62% der Varianz. Davon gehören drei («Alter», «Ausbildung», «Dauer der Erwerbslosigkeit») zur Gruppe der individuellen Faktoren und je einer zu den Haushaltscharakteristiken («Zivilstand») bzw. zu den suchbezogenen Faktoren («Bereitschaft umzuziehen»). Stützt man sich auf diese wichtigsten Faktoren, entscheiden vor allem Merkmale der individuellen Kompetenzen darüber, ob der Austritt früher oder später erfolgt. Bei den ausländischen Stellensuchenden sind folgende fünf Variablen zentral: «Nationalität», «Geschlecht», «Ausgeübte Berufsgruppe», «Ausbildung» und «Alter». Sie erklären gemeinsam 57,5% der Varianz. Zwar spielen die individuellen Faktoren «Alter» und «Ausbildung» auch eine Rolle, aber erst nach zwei potenziell diskriminierenden Faktoren («Nationalität», «Geschlecht») und einem strukturellen Faktor («Ausgeübte Berufsgruppe»). Stützen wir uns auch hier auf die fünf wichtigsten Variablen, so zeigen sich zwischen ausländischen und schweizerischen Erwerbslosen deutliche Unterschiede. «Nationalität» und «Geschlecht» wirken unabhängig von den individuellen Merkmalen als negative Signale und behindern den Austritt aus der Erwerbslosigkeit. Die Zuweisung von Ausländerinnen und Ausländern zu bestimmten Arbeitsmarktsegmenten und Berufen, die von einem erhöhten Risiko der Erwerbslosigkeit betroffen sind, behindert auch den Austritt aus der Erwerbslosigkeit.

Strukturelle Variablen verlieren an Aussagekraft


Im Vergleich zur Erklärung der Wahrscheinlichkeit, erwerbslos zu werden, verlieren die strukturellen Variablen – vor allem für die Schweizer Stellensuchenden – an Erklärungskraft. Der Anteil der zwei Variablen «Branche» und «Ausgeübte Berufsgruppe» beträgt für die Erklärung der Erwerbslosigkeitswahrscheinlichkeit rund 40%, für die Austrittswahrscheinlichkeit aber lediglich 7,3% bei den Schweizer und 17,3 bei den ausländischen Erwerbslosen.  In der Sake werden die Erwerbslosen nach den verschiedenen Suchkanälen für eine neue Erwerbsarbeit gefragt. Dabei finden Erwerbslose, die angeben, auch über das RAV bzw. das Arbeitsamt gesucht zu haben, nicht schneller aus der Erwerbslosigkeit heraus als andere ohne diesen Kanal. Weiter wird danach gefragt, ob und welche Weiterbildungskurse besucht worden sind. Auch hier zeigt sich kein messbarer Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, die Erwerbslosigkeit zu verlassen. Dies betrifft auch Weiterbildungen, die von RAV mitfinanziert worden sind. Für ausländische Erwerbslose können die sozialen Netzwerke die Suche nach einer Erwerbsarbeit erleichtern.  Die Dauer der Erwerbslosigkeit ist bei den ausländischen Stellensuchenden – im Gegensatz zu den schweizerischen – ohne Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, die Erwerbslosigkeit zu verlassen. Dies unterstreicht die Bedeutung der potenziell diskriminierenden Faktoren. Der Umstand, Ausländer/-in zu sein, überlagert individuelle Eigenschaften. Für Massnahmen der RAV kann dieser Umstand aber positiv gedeutet werden: Es eröffnen sich zusätzliche Spielräume für nachhaltige Bildungsmassnahmen, weil der Zeitfaktor bei den ausländischen Stellensuchenden weniger kritisch ist. Aus den Interviews lassen sich zum Ausstieg aus der Erwerbslosigkeit folgende Punkte festhalten: Der Vollzug soll grundsätzlich alle gleich behandeln, damit Rechtsgleichheit herrscht. Bei ausländischen Stellensuchenden sind ungenügende Sprachkenntnisse, kulturelle Unterschiede und daraus resultierende Haltungen, Einstellungen und Verhaltensweisen, mangelnde Qualifikationen (oder ungenügende Nachweisbarkeit resp. Anerkennung), aber auch das Verhalten der Arbeitgeber die wichtigsten erschwerenden Problembereiche. Das gilt sowohl bei der Stellensuche als auch im Beratungsprozess selber. Die Fälle der 30 befragten ausländischen Personen machen deutlich, dass – bei allen Versuchen, übergeordnete Ansatzpunkte herauszuarbeiten – jeder Fall seine ganz besonderen Eigenheiten aufweist, die es in der Beratung zu berücksichtigen gilt. In der Praxis ist neben unterstützender Begleitung in einzelnen Fällen jedoch auch eine gewisse Resignation oder eine Unklarheit in den Strategien – bis hin zu Passivität und Hilflosigkeit – anzutreffen. Neben den eigentlichen arbeitsmarktlichen Massnahmen (AMM) könnte der Beratung im engeren Sinne eine wichtige Bedeutung zukommen, da vielfach eine psychologische Begleitung auf persönlicher Ebene – und allenfalls im Umfeld – angezeigt wäre. Doch gerade im Beratungsverständnis und in den -kompetenzen sind Unterschiede zwischen den RAV-Beratenden festzustellen. Das betrifft sowohl die persönliche Auslegung und Gestaltung als auch die Vorgaben und Forderungen aus dem übergeordneten Umfeld (im Sinne der Umsetzung der wirkungsorientierten Vereinbarung) sowie die vorhandene institutionelle Unterstützung und Förderung. Den bestehenden aktiven AMM wird im Allgemeinen eine gewisse Wirksamkeit attestiert. Es wird jedoch auf die Notwendigkeit der inhaltlichen, methodischen, zeitlichen und organisatorischen Angepasstheit hingewiesen. Im Speziellen werden zu Sprachkursen, Qualifizierungsmassnahmen oder Beschäftigungsprogrammen einzelne Einschränkungen und Ansatzpunkte herausgestrichen. Der Zyklus zur Evaluation, Planung und Steuerung des Angebotes an kollektiven Massnahmen scheint in einzelnen RAV oder Kantonen nicht optimal zu funktionieren, da verschiedentlich Mangel an Plätzen beklagt wird.

Mögliche Massnahmen innerhalb und ausserhalb der ALV


Aus den Ergebnissen unserer Untersuchungen lassen sich Ansatzpunkte für Instrumente und Einzelmassnahmen ableiten. Die wichtigste Feststellung betrifft den Umstand, dass Interventionen im Rahmen der ALV kaum ausreichen dürften, um die Situation nachhaltig zu verbessern. Besondere Bedeutung kommt der Migrations- und der Bildungspolitik zu (vgl. Kasten 2 Ausserhalb der Arbeitslosenversicherung kommt der Migrations- und Bildungspolitik eine besondere Bedeutung für die Stellung der ausländischen Personen auf dem Arbeitsmarkt zu:

Migrationspolitik

Seit der Einführung der bilateralen Verträge mit der EU liegt das Schwergewicht der Migrationspolitik im Bereich der Nicht-EU-Länder. Ganz generell wird von den im Projekt Befragten gefordert, dass im Rahmen der Migrationspolitik Instrumente eingeführt und Massnahmen ergriffen werden, um die Diskriminierung zu bekämpfen.

Nach Ansicht vieler RAV-Beratenden sollte im übergeordneten politischen Rahmen der frühzeitigen sozialen und bildungsmässigen Integration mehr Gewicht beigemessen werden. Dies könnte auf längere Sicht dazu führen, dass die ausländischen Stellensuchenden mit dem schweizerischen Arbeitsmarkt besser vertraut sind, die kulturelle Distanz abbauen und über bessere Netzwerke verfügen. All diese Faktoren wären bei der Stellensuche und für eine nachhaltige berufliche Integration förderlich. Weiter wird auf die besondere Bedeutung der Sprachkompetenzen verwiesen. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Verständigung und die soziale, berufliche und kulturelle Integration. Im Unterschied zum Ausland wird bisher in der Schweiz bei der Immigration wenig unternommen, um die Sprachkompetenzen aufzubauen, zu fördern bzw. zu erhalten.

Bildungspolitik

Entscheidend ist die Abgrenzung der Bildungspolitik zur ALV. Der Bundesrat verweist darauf, dass weitergehende Qualifizierungsmassnahmen nicht Gegenstand der ALV sein können. Die ALV solle sich auf die rasche Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren. Präventive Bildungsmassnahmen zur Reduktion des Erwerbslosigkeitsrisikos seien im Rahmen der Bildungspolitik zu ergreifen. Solange die notwendigen Investitionen in der Bildungspolitik aber nicht vorgenommen werden, sollte überlegt werden, ob in der ALV entsprechende Ersatzinvestitionen vorgenommen werden sollten.). Welche möglichen Massnahmen sehen die verschiedenen Akteure im Bereich der Arbeitslosenversicherung? Über die eigentlichen aktiven AMM hinaus wird in den Gesprächen mit den RAV-Beratenden der hohe Stellenwert der Beratung an sich (psychologische Begleitung) betont – ganz im Gegensatz zur Fokussierung, wie sie in der Wirkungsvereinbarung und ihrer Umsetzung gefordert wird. Beispiele und Hinweise der Befragten legen nahe, dass weniger die Massnahmen als vielmehr die begleitenden Fortschritte in der Beratung selbst eine nachhaltige Wirkung in Richtung beruflicher (und sozialer) Integration zeitigen können. Anstatt bei schwierigen Haltungen und unklaren Motivlagen mit Druck und Sanktionen vorzugehen, scheint ein Arbeiten an wichtigen Teilaspekten (Geschlechterfragen, Vorstellungen und Einschätzungen der eigenen Situation, Einstellung gegenüber Einsatz und Leistung, Wirkung von Verhaltensweisen, Einsicht in den Sinn gewisser Massnahmen usw.) mehr Erfolg zu versprechen. Von verschiedenen Experten und RAV-Beratenden wird empfohlen, die Leistungsprozesse der RAV zu spezialisieren (z.B. in Arbeitgeberkontakten, Stellenvermittlung und Beratung), die psychologischen Aspekte der Beratung weiter zu professionalisieren und unterstützende institutionelle Gefässe zu etablieren bzw. auszubauen. Es werden Beispiele mit Modellcharakter aufgeführt: Sensibilisierungsoder Schulungsmassnahmen im Bereich des interkulturellen Verständnisses, Rekrutierung von Personalberatenden aus der zweiten Generation sowie regelmässige Supervisionen und kollegiale Fallbesprechungen (Intervisionen). Nach Auffassung der Experten sind spezifisch auf ausländische Personen zugeschnittene Massnahmen nicht notwendig. Die Experten regen an, bestehende interessante Modelle auszuweiten oder neue auszuprobieren: Genannt werden Übungsfirmen, Lohnmitfinanzierungsmodelle für Niedriglohnarbeit, Finanzierung von Teilzeitstellen kombiniert mit Weiterbildung, Stafettenmodelle, Altersteilzeit oder schweizweiter Zusammenzug für spezifisches Integrationscoaching.  Die Sprachkompetenzen und die Bildung sind wichtige individuelle Ressourcen, die den Weg aus der Erwerbslosigkeit erleichtern können. Wie erwähnt sollten in den vorgelagerten Bereichen der Migrations- und Bildungspolitik entsprechende Investitionen getätigt werden. Bei vielen ausländischen Erwerbslosen der ersten Generation wurden diese aber nicht vorgenommen. Es muss daher die Frage untersucht werden, ob die ALV die unterlassenen Interventionen durchführen soll.

Empfehlungen


Das vom Seco in Auftrag gegebene Projekt konzentriert sich auf die Arbeitslosenversicherung. Unsere Empfehlungen beschränken sich daher auf diesen Bereich, auch wenn die politisch vorgelagerten Bereiche ebenso zentral sind. Die Bekämpfung der Diskriminierung von Ausländerinnen und Ausländern ist eine übergeordnete Querschnittsaufgabe. Allerdings können und sollen auch Massnahmen im Rahmen der ALV ergriffen werden. Dazu gehören:  – Durchführung von Aufklärungs- und Sensibilisierungsmassnahmen bei den Arbeitgebern;  – Prüfung von Modellen, die für Arbeitgeber (finanzielle) Anreize schaffen, ausländische Personen bei der Einstellung bzw. Entlassung nicht zu diskriminieren;  – RAV-interne Massnahmen: Vor dem Hintergrund der Wirkungsvereinbarung ist zwar nachvollziehbar, wenn RAV-Beratende bei der Vermittlung den diskriminierenden Auflagen von Arbeitgebern Folge leisten; aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist dies jedoch problematisch.   In der ALV sollte die Möglichkeit eingeführt werden, für (geeignete) ausländische Erwerbslose weitergehende Qualifizierungen – im Sinne von Nachholbildungen – sowie Kurse zum Aufbau von Sprachkompetenzen durchzuführen. Die Finanzierung könnte über Bundessteuern erfolgen, da es sich um Kompensationen von unterlassenen Massnahmen der Migrations- und Bildungspolitik handelt. Ergänzend ist auch die Einführung von neuen Massnahmen zu prüfen, z.B. Ausbildungsdarlehen oder Bildungsgutscheinen. Da der Beratungsprozess für den Erfolg der Beratung besonders wichtig ist, sollen die psychologischen Aspekte der Beratung und ihre organisationale Unterstützung weiter professionalisiert werden. Dies kann u.a. durch eine Höhergewichtung dieser Kompetenzen in den Anforderungsprofilen für RAV-Beratende erreicht werden, was bei der zukünftigen Personalrekrutierung (z.B. Bildungsvoraussetzungen) und bei der Aus- und Weiterbildung zu berücksichtigen wäre. Dazu gehört ebenfalls die Institutionalisierung von geeigneten Gefässen zur Reflexion und Weiterentwicklung des Rollenverständnisses, zur Verbesserung der Massnahmenzuweisung und Optimierung der Beratungsstrategien, wie z.B. regelmässige Interoder Supervisionen, allenfalls unter punktuellem Beizug von Experten für interkulturelle Aspekte. Um den Beratungsprozess der ausländischen Stellensuchenden wirkungsvoller zu gestalten, wird die gezielte Rekrutierung von RAV-Beratenden aus der zweiten Generation empfohlen. Zudem sind spezifische interkulturelle Weiterbildungen vorzusehen. In Pilotprojekten sollte die Wirkung von weitergehenden Spezialisierungen innerhalb der Leistungsprozesse eines RAV – z.B. in Arbeitgeberpflege, Arbeitsvermittlung und Beratung – erprobt und evaluiert werden.

Grafik 1 «Entwicklung der Erwerbslosenquote für schweizerische und ausländische Personen, 1991-2004»

Kasten 1: Forschungsprojekt Das Forschungsprojekt besteht aus fünf Teilberichten, die unter www.buerobass.ch heruntergeladen werden können:

– Spycher Stefan, Patrick Detzel, Jürg Guggisberg, Michael Weber, Marianne Schär Moser und Jürg Baillod (2006): Ausländer/innen, Erwerbslosigkeit und Arbeitslosenversicherung. Synthese eines Forschungsprojektes im Rahmen der Wirkungsevaluation der aktiven Arbeitsmarktmassnahmen der Arbeitslosenversicherung.

– Detzel Patrick, Jürg Guggisberg und Stefan Spycher (2005): Ausländer/innen, Erwerbslosigkeit und Arbeitslosenversicherung. Teilbericht 1: Eine Analyse der Daten aus der Volkszählung 2000 und aus der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 1992 bis 2003.

– Detzel Patrick und Stefan Spycher (2005): Ausländer/innen, Erwerbslosigkeit und Arbeitslosenversicherung. Teilbericht 2: Eine statistische Untersuchung der Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung 1992 bis 2004.

– Weber Michael und Marianne Schär Moser (2005): Ausländer/innen, Erwerbslosigkeit und Arbeitslosenversicherung. Teil-bericht 3: Einschätzung von Experten/ innen mit dem Fokus Arbeitsmarkt und Migration.

– Weber Michael (2006): Ausländer/innen, Erwerbslosigkeit und Arbeitslosenver-sicherung. Teilbericht 4: Einschätzungen von betroffenen Ausländern/innen und ihren zuständigen RAV-Personalberater/ innen.

Kasten 2: Massnahmen ausserhalb der ALV Ausserhalb der Arbeitslosenversicherung kommt der Migrations- und Bildungspolitik eine besondere Bedeutung für die Stellung der ausländischen Personen auf dem Arbeitsmarkt zu:

Migrationspolitik

Seit der Einführung der bilateralen Verträge mit der EU liegt das Schwergewicht der Migrationspolitik im Bereich der Nicht-EU-Länder. Ganz generell wird von den im Projekt Befragten gefordert, dass im Rahmen der Migrationspolitik Instrumente eingeführt und Massnahmen ergriffen werden, um die Diskriminierung zu bekämpfen.

Nach Ansicht vieler RAV-Beratenden sollte im übergeordneten politischen Rahmen der frühzeitigen sozialen und bildungsmässigen Integration mehr Gewicht beigemessen werden. Dies könnte auf längere Sicht dazu führen, dass die ausländischen Stellensuchenden mit dem schweizerischen Arbeitsmarkt besser vertraut sind, die kulturelle Distanz abbauen und über bessere Netzwerke verfügen. All diese Faktoren wären bei der Stellensuche und für eine nachhaltige berufliche Integration förderlich. Weiter wird auf die besondere Bedeutung der Sprachkompetenzen verwiesen. Sie ist eine wichtige Voraussetzung für die Verständigung und die soziale, berufliche und kulturelle Integration. Im Unterschied zum Ausland wird bisher in der Schweiz bei der Immigration wenig unternommen, um die Sprachkompetenzen aufzubauen, zu fördern bzw. zu erhalten.

Bildungspolitik

Entscheidend ist die Abgrenzung der Bildungspolitik zur ALV. Der Bundesrat verweist darauf, dass weitergehende Qualifizierungsmassnahmen nicht Gegenstand der ALV sein können. Die ALV solle sich auf die rasche Reintegration in den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren. Präventive Bildungsmassnahmen zur Reduktion des Erwerbslosigkeitsrisikos seien im Rahmen der Bildungspolitik zu ergreifen. Solange die notwendigen Investitionen in der Bildungspolitik aber nicht vorgenommen werden, sollte überlegt werden, ob in der ALV entsprechende Ersatzinvestitionen vorgenommen werden sollten.

Zitiervorschlag: Stefan Spycher, Patrick Detzel, Michael Weber, Juerg Baillod, (2006). Wege zur Reduktion der überdurchschnittlich hohen Erwerbslosigkeit von Ausländerinnen und Ausländern. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.