Bildung für alle – eine lohnende Investition
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) setzt sich für eine Erhöhung des BFI-Kreditrahmens 2008 bis 2011 auf 8% bis 10% ein. Der anfängliche bundesrätliche Vorschlag, der eine Erhöhung um nur 4,5% vorsah, wurde auf breiten politischen Druck hin korrigiert. Die jetzt gehandelten 6% bedeuten nur den Status quo. Keine vom Parlament beschlossene bildungspolitische Reform kann damit finanziert werden. Alle Bildungs- und Forschungsinstanzen haben ihren Investitionsbedarf überzeugend begründet. Die Politik hat allen Grund, diese Argumente nicht leichtfertig in den Wind zu schlagen. Sowohl historisch angelegte Vergleichsstudien als auch die neuere Humankapitaltheorie beweisen: Investitionen in Bildung, Lehre und Forschung lohnen sich wirtschaftlich und demokratiepolitisch sowohl für die Gesellschaft als auch für die Bildungsnutzerinnen und -nutzer.
Professor Stefan Wolter hat anlässlich der Bürgenstockkonferenz 2005 gesagt: «Wenn sich die ganze Bevölkerung um ein standardisiertes Schuljahr länger bilden würde, dann gibt es empirische Studien der Wachstumstheorie, welche eine Steigerung des BIP um 15% vorhersagen. Die individuellen Löhne steigen aber bei einem Schuljahr mehr nur 7%-9% (internationaler Durchschnitt). Somit muss die Differenz als soziale Rendite von Bildung aufgefasst werden.» Entscheidend für die Bildungsinvestitionen ist, dass der soziale Nutzen grösser ist als der individuelle. Investitionen ins Bildungssystem werden damit nicht zu einem Fass ohne Boden. Das Suchen nach allfälligen Effizienzsteigerungen kann und darf zusätzliche Bildungsinvestitionen nicht aushebeln.
Komplexere Arbeit braucht mehr Bildung
Produktivitätssteigerung ist nur mittels komplexerer Arbeit und diese wiederum nur über erweiterte Bildungs- und Forschungsanstrengungen realisierbar. Was die EU-Kommission und Teile der Bildungsforschung seit einigen Jahren euphemistisch als «Wissensgesellschaft» bezeichnen, verdeckt, dass «Wissen» allein kein selbstständiger Produktionsfaktor sein kann. Wissen ist an die mehrwertschöpfende «Kopfarbeit» gebunden. Entscheidend ist deshalb, dass in der Schweiz auch in Zukunft nicht exklusiv auf Elite- und Exzellenzförderung und -forschung gesetzt, sondern auch die Berufsbildung und die angewandte Forschung intensiv gefördert werden. Ebenso wichtig für die Kompetitivität der Wirtschaft und für das demokratische Funktionieren der Schweiz ist der jüngste Beschluss der Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK), dass 95% der Volksschulabgänger im Jahr 2015 über einen Sekundarstufen-II-Abschluss verfügen sollen. Die Weiterentwicklung der höheren Berufsbildung, die Einführung von Masterabschlüssen an den Fachhochschulen, die Stärkung des universitären und des FH-Mittelbaus, bessere Betreuungsverhältnisse an Universitäten und eidgenössischen Hochschulen sowie der Ausbau der Grundlagenforschung über den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) sind alles gleichwertige Aufgaben. Bleibt die Politik bei einer nur 6%-igen Investitionsrate, werden die verschiedenen Bildungs- und Forschungsgefässe gegeneinander zu lobbyieren beginnen (müssen) – der «Worst Case» für die Entwicklung unseres gesamten Bildungs- und Forschungssystems. Davon würde in erster Linie die immer stärker wuchernde Bildungsbürokratie profitieren, die die Leistungsaufträge und Akkreditierungen zu kontrollieren oder Drittmittel zu akquirieren hätte.
Chancengleichheit und Gleichstellung jetzt
Seit 1993 haben die Stipendien trotz steigender Studierendenzahl um einen Viertel abgenommen. Mehr Studierende mussten deshalb Teilzeitjobs zur Mitfinanzierung des Studiums verrichten; der Elite-Charakter der Unis wurde stärker. Die Frauen haben bis und mit Studiumsbeginn zwar massiv aufgeholt. Doch beim wissenschaftlichen Personal sind sie nur mit 22%, auf Professorenstufe gar nur mit 7% vertreten, was auch im internationalen Vergleich gering ist. Wenn die Investitionsrate nicht mehr als 6% ausmacht, wird sich in den kommenden Jahren auch im Equity-Bereich nichts verbessern.
Neuer Schub notwendig
Obwohl die Lernendenzahlen auf jeder Bildungsstufe anstiegen, stagnierten die öffentlichen Bildungsinvestitionen während der Neunzigerjahre und provozierten damit einen Nachholbedarf. Dieser ist jetzt umso grösser, als der von vielen vorgeschobene Demografieknick sich auf den oberen (teureren) Bildungsstufen noch lange nicht abzeichnet, und weil die Politik ihre Rahmenkreditbeschlüsse der BFT-Botschaft 2004-2007 der Sparpolitik unterstellte und damit Wortbruch beging. Eine Wiederholung dieses «Hüst und Hott» im Rahmen der BFI-Botschaft 2008-2011 provozierte nicht nur Planungsunsicherheit bei den Bildungsinstitutionen. Der SGB zögerte nicht, gemeinsam mit den Lernenden, den Lehrenden und ihren Organisationen, den Bildungsinstitutionen und gemeinsam mit den Kantonen gegen eine Bundespolitik des Vertrauensbruchs anzutreten.
Zitiervorschlag: Sigerist, Peter (2007). Bildung für alle – eine lohnende Investition. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.