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Arbeitsbedingungen in der Schweiz – ein sozialpartnerschaftlicher Diskurs

Die Vertreterin der Arbeitgeber wie die Vertreterin der Gewerkschaften ziehen im Gespräch eine insgesamt positive Bilanz hinsichtlich der Resultate der Schweiz, wie sie bezüglich Arbeitsbedingungen im Rahmen der «Dublin-Studie» im europäischen Ländervergleich ermittelt wurden. Wenn die Analysen und Kommentare der Sozialpartner zum Teil erstaunlich deckungsgleich sind, gibt es doch auch Bereiche, wo die Differenzen im Vordergrund stehen. Über die Dublin-Studie hinaus stehen im Gespräch u.a. allgemeine Fragen zur Verständigung unter den Sozialpartnern über Arbeitsbedingungen zur Diskussion, aber auch aktuelle Dossiers, wie die Verordnung über «Schutzalter 18 und Jugendarbeitsschutz» sowie die revidierte ASA-Richtlinie.

Die Volkswirtschaft: Welchen Stellenwert haben gute Arbeitsbedingungen für die Sozialpartner? Derrer: Für die Arbeitgeber haben gute Arbeitsbedingungen einen zentralen Stellenwert: Nur zufriedene und gesunde Arbeitnehmende erbringen die Arbeitsqualität, die der Standort Schweiz im globalen Wettbewerb braucht. Bianchi: Zur «Raison d’Être» der Gewerkschaften zählen sowohl das Einstehen für gute Arbeitsbedingungen wie die Vollbeschäftigung. Wir sind überzeugt, dass sich die beiden Hauptziele nicht ausschliessen, im Gegenteil.  Die Volkswirtschaft: Wo finden Arbeitgeber und Gewerkschaften im Bereich Arbeitsbedingungen am leichtesten eine gemeinsame Linie? Bianchi: Je fassbarer das Thema und je technischer der Ansatz ist, desto leichter ist die Verständigung, auch wenn es dazu etwas länger braucht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Revision der ASA-Richtlinie. Eine gemeinsame Linie erkenne ich häufig auch bei Fragen der Ausbildung sowie der Instruktion und Information der Arbeitnehmenden. Davon profitieren letztlich beide Seiten. Bei einigen Themen – wie etwa der Vereinbarkeit von Familie und Beruf – erleichtert das gesellschaftliche Bedürfnis nach einer Lösung die Verständigung unter den Sozialpartnern. Derrer: Einverstanden.  Die Volkswirtschaft: Wo ist für Sie die Konsensfindung am schwierigsten? Derrer: Schwieriger ist die Konsensfindung dort, wo man in guten Treuen unterschiedlicher Ansicht sein kann – wie etwa bei Lohnfragen, aber auch beim Fragenkomplex, den ich mit «Arbeitgeber als Reparaturwerkstätte für gesellschaftliche Probleme» betiteln möchte. Als Arbeitgeber hat man manchmal das Gefühl, alles richten zu müssen. Gerade im Zusammenhang mit der Gesundheit am Arbeitsplatz besteht die Gefahr, dass alle Gesundheitsprobleme als „Berufsassoziierte Gesundheitsstörungen“ bezeichnet werden. Bianchi: Wenn es um Arbeitszeit und Flexibilisierung geht, ist die Verständigung schwieriger. Obwohl möglicherweise niemand mit der geltenden Regelung glücklich ist, gestaltet sich die Konsensfindung oft schwierig, weil niemand genau weiss, wer von der vorgeschlagenen «Lösung» in welchem Masse profitieren würde.   Die Volkswirtschaft: Die Schweiz hat sich erstmals an der Umfrage über die Arbeitsbedingungen beteiligt, welche die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in Dublin durchgeführt hat. Wie sinnvoll finden Sie grundsätzlich solche Studien? Wo liegen für Sie Stärken und Schwächen der Studie? Bianchi: In der Schweiz besteht ein klarer Datenmangel bezüglich Arbeitsbedingungen im Allgemeinen sowie Arbeit und Gesundheit im Besonderen. Das ist denn auch der Grund, weshalb wir uns im Vorfeld für die Studie und die Finanzierung engagiert haben. Die Dubliner Studie bietet dazu einen guten Grundstock an Daten.  Die Stärken der Studie liegen in der thematischen Breite und der methodischen Sicherheit. Die Resultate dürfen aber nicht als Länderranking im Stil einer Hitparade benutzt werden. Dass dies gemacht werden kann, erachten wir als Schwäche. Eine methodische Schwäche ist auch, dass die Befragung erhebliche Anforderungen an die Sprachkompetenz stellt. Für ausländische Arbeitnehmende war es schwierig, an der Studie teilzunehmen. Im Fall der Schweiz mit ihrem hohen Anteil an ausländischen Arbeitnehmenden kann das leicht zu verzerrten Resultaten führen. Derrer: Die Arbeitgeber begrüssen grundsätzlich die Teilnahme an der Studie. Den Vergleich mit den europäischen Ländern erachten wir als sinnvoll, solange dieser nicht isoliert erfolgt. Interessant sind für uns die Daten vor allem in der Zeitreihe, weil man da beobachten kann, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln. Vorsicht ist bei der Interpretation der Daten vor allem dort geboten, wo Bruchteile von Prozenten über das Ranking entscheiden. Aufgrund der Fragestellung kommen da und dort erstaunliche Resultate zustande. Wir sollten uns bei der Auswertung auf die wichtigen Fragen konzentrieren, die uns in der Diskussion weiterbringen. Ich bin deshalb froh, dass die Auswertung der Studie in der Hand der Fachhochschule liegt und die nötige wissenschaftliche Sorgfalt gewährleistet ist. Die Volkswirtschaft: Wie stark werden Ihrer Meinung nach die Resultate dieser Studie die Politik der Sozialpartner beeinflussen?  Bianchi: Die Studie ist eine von verschiedenen Analysen, die den Handlungsbedarf in gewissen Bereichen aufzeigt; sie kann als Argumentationsgrundlage dienen. Aber ich denke nicht, dass aufgrund dieser Studie jetzt konkrete Massnahmen anvisiert werden.  Derrer: Die Studie bestätigt, dass wir über die richtigen Dinge diskutieren. Dass wir uns nun gegenseitig die Zahlen der Studie um die Ohren zu schlagen beginnen, nehme ich nicht an. Das wäre auch nicht der Sinn der Sache. Bianchi: In Bereichen, die vor allem für die Zukunft unseres Arbeitsmarktes von Bedeutung sein werden – etwa bei der Arbeitsmarktfähigkeit oder bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie -, wird die Studie am genauesten aufgeschlüsselt. Die Detailanalyse kann hier wichtige Elemente für eine Arbeitsmarktpolitik liefern. Derrer: Die Frage der Arbeitsmarktfähigkeit wird auch für uns in Zukunft zentral sein.   Die Volkswirtschaft: Waren Sie vom insgesamt guten Abschneiden der Schweiz überrascht oder nicht? Und worauf führen Sie es zurück? Derrer: Die Studie bestätigt, dass die gute sozialpartnerschaftliche Auseinandersetzung zu vernünftigen Arbeitsbedingungen führt. Wir sind zwar selten die absoluten Musterschüler, fallen aber auch nirgends völlig ab. Konstanz in allen Bereichen ist wesentlich wertvoller, als wenn wir in einigen Bereichen absolute Spitzenreiter, aber in den anderen Bereichen zuhinterst platziert wären. Bianchi: Das gute Abschneiden der Schweiz, das uns nicht überrascht hat, ist weit gehend das Resultat der Wirtschaftsstruktur, aber auch der guten Beschäftigungslage. Das zeigt sich besonders bei der Arbeitszufriedenheit. Länder, die hier ähnlich gut abschneiden wie wir, haben alle eine stabile Beschäftigung. In der differenzierten Analyse ist das Abschneiden der Schweiz allerdings nicht mehr ganz so positiv.   Die Volkswirtschaft: Besonders gut waren die Resultate der Schweiz im Bereich Arbeitsautonomie. Wie erklären Sie dieses Abschneiden? Derrer: Die Branchenstruktur erklärt auch hier einiges: Verglichen mit unseren Nachbarländern ist der Anteil des tertiären Sektors bei uns am grössten und jener des sekundären Sektors am kleinsten. Im sekundären Sektor gibt es deutlich mehr Abläufe, die durch Maschinen und Automaten vorgegeben sind, als dies im Dienstleistungssektor der Fall ist.  Bianchi: Bei der Arbeitsautonomie sind wir sogar bei den Benchmark-Ländern. Im Bericht wird erklärt, dass die höchste Arbeitsautonomie im Finanzsektor vorhanden ist, und der ist bekanntlich bei uns stark vertreten. Weniger positiv ist, dass die Schweiz auch bezüglich Arbeitstempo und Zeitdruck sehr weit vorne anzutreffen ist. Das muss auch erwähnt werden, wenn man die hohe Arbeitsautonomie der Schweizer Arbeitnehmenden hervorhebt.  Die Volkswirtschaft: Erfreulich, aber doch eher überraschend ist die sehr hohe Zustimmung der befragten Schweizer Erwerbstätigen bei der Frage «Vereinbarkeit von Arbeitszeiten mit familiären oder sozialen Verpflichtungen». Wie werten Sie dieses Resultat?  Derrer: Die Fragestellung lautete hier nicht etwa: «Erachten Sie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als genügend?», sondern: «Wie gut lassen sich Ihre Arbeitszeiten im Allgemeinen mit Ihren familiären oder sozialen Verpflichtungen ausserhalb des Berufs vereinbaren?». Wie diese Frage beantwortet wird, hängt wiederum mit der Arbeitsorganisation und -autonomie zusammen. Wenn ein Telefon kommt, dass das Kind krank sei, kann man an vielen Arbeitsplätzen in der Schweiz schnell nach Hause gehen oder die Arbeit mitnehmen. Das ist nicht möglich, wenn in Schichten gearbeitet wird oder das Laufen von Maschinen direkt von einzelnen Personen abhängt. Schliesslich hat die Schweiz hohe Werte, wenn es um gleitende Arbeitszeit geht. Deshalb auch die hohe Zustimmung. Mit der eigentlichen Vereinbarkeit von Beruf und Familie hat dies aber nur am Rande etwas zu tun. Bianchi: Für mich ist dieser Wert der Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem ein Abbild unserer hohen Teilzeitquote. Eine Frau, die 40% arbeitet, kann sich eher hinter eine Aussage stellen, dass Familienleben und Arbeit gut vereinbar seien. Die Volkswirtschaft: Gibt es für Sie weitere positive Resultate, die Sie herausstreichen möchten? Bianchi: Was auf den ersten Blick sehr positiv daherkommt, ist die hohe Weiterbildungsquote der Schweiz, wo wir quasi an der Spitze liegen: Rund 45% der Befragten kommen in den Genuss einer bezahlten Weiterbildung. Ein hoher Anteil der Befragten ist in qualifizierten Berufen tätig. Wir zählen aber auch zu den Ländern mit den höchsten Raten an Arbeitnehmenden, die eine Weiterbildung aus eigener Tasche berappen. Für die Zukunft des Arbeitsmarktes ist es wichtig, dass die Unqualifizierten Zugang zu bezahlter Weiterbildung haben. Und in dieser Beziehung sind die Werte der Schweiz lange nicht so positiv.  Derrer: Wir könnten nun eine breite Diskussion darüber führen, wessen Aufgabe es ist, die Arbeitsmarktfähigkeit der unqualifizierten Arbeitnehmenden zu gewährleisten. Doch das ist hier nicht das Thema.  In Sachen Weiterbildung ist die Schweiz auf einem guten Weg – auch wenn noch nicht alles perfekt ist und es nach wie vor einiges zu tun gibt. Als weiteres positives Resultat der Studie erachten wir, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse der Arbeitspsychologie in den Betriebsalltag Eingang gefunden haben.   Die Volkswirtschaft: Unbefriedigend schneidet die Schweiz bezüglich Vertretung von Frauen in Kaderpositionen ab. Was ist für Sie der Weg, um die Vertretung von Frauen in den oberen Etagen der Wirtschaft in der Schweiz zu verbessern? Derrer: In der Schweiz ist es oft so, dass Frauen einen vielversprechenden Start der Berufskarriere haben, sich aber an einem gewissen Punkt selbstständig machen oder andere Prioritäten in den Vordergrund stellen. Das ist sehr bedauerlich. Offenbar messen Frauen in der Schweiz dem rein beruflichen Fortkommen keinen so hohen Stellenwert bei. Solange dieses Muster besteht, werden wir Mühe haben, die Vertretung von Frauen in Kaderpositionen zu verbessern. Bianchi: Für mich liegen zwei Faktoren im Vordergrund, welche Rahmenbedingungen betreffen. Zum Ersten: Die Schweiz ist eines der Länder, das bewusst auf Teilzeitarbeit für Frauen gesetzt hat. Jetzt zeigt sich, dass Frauen in Teilzeitstellen nicht die Karriereentwicklung haben, die man von ihnen erwartet hätte. Zum Zweiten: Um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht es bei uns schlecht. Solange Kinderbetreuung hierzulande als Privatsache betrachtet wird und Frauen mit dem Taschenrechner ermitteln, wie viele Stellenprozente sie arbeiten müssen, damit die Betreuungskosten noch im Rahmen sind, wird sich kaum etwas ändern.  Derrer: Solche Überlegungen sind interessanterweise nur von Frauen zu hören, selbst wenn das Salärniveau beider Partner in etwa gleich hoch ist. Ich habe noch nie von einem Mann gehört, der seine Arbeitszeit um 20% reduziert, weil die Frau 20% mehr arbeitet. Da meinte ich, dass wir Frauen uns noch ein Stück weit emanzipieren sollten und wir die Frage des familiären Engagements nicht allein zu unserer Sache machen müssten.   Die Volkswirtschaft: Wenig erfreulich ist auch, dass 31% der Schweizer Erwerbstätigen ihre Gesundheit durch die Arbeit gefährdet sehen. In Anbetracht der guten Werte bezüglich Gesundheitsbeschwerden eigentlich überraschend. Wie deuten Sie diese Konstellation?  Bianchi: Diesbezüglich sind wir in der Tat nur Mittelmass. Handlungsbedarf ist auch in Sachen Arbeitsmarktfähigkeit im Alter angezeigt. Der Zusammenhang von Arbeit und Gesundheit ist generell stärker zu berücksichtigen. Derrer: Auch hier sind Fragestellungen und mögliche Antworten noch genauer anzuschauen, bevor Schlüsse daraus gezogen werden können.  Die Volkswirtschaft: Bei den nächsten Fragen geht es um Arbeitsbedingungen in der Schweiz im Kontext mit aktuellen Dossiers. Wie interpretieren Sie die Resultate, die sich auf die physischen Gesundheitsrisiken beziehen, vor dem Hintergrund der kürzlich revidierten ASA-Richtlinie? Bianchi: Es zeigt sich, dass es auch bei uns noch unzählige Arbeitsplätze gibt, die ein erhöhtes Berufsunfalloder Krankheitsrisiko beinhalten. In diesen Risikobranchen zahlt sich eine verstärkte Prävention aus. Sehr positiv finde ich vor allem, dass die Arbeitnehmenden in der Schweiz über die Gesundheitsrisiken gut informiert sind. Das ist wohl auch der Grund, weshalb die Anzahl Beeinträchtigungen trotz hoher Risiken nicht höher liegt.  Derrer: Die Frage, ob eine Arbeit das Tragen von Schutzkleidung oder -ausrüstungen erfordert, sagt nichts über den effektiven Schutz aus. Dass viele Personen bei der Arbeit Umgang oder Hautkontakt mit chemischen Substanzen haben, ist angesichts der vergleichsweise grossen chemischen Industrie, die wir haben, evident. Wichtiger ist vielmehr, wie hoch die Sicherheitsstandards sind. Das kommt in der Umfrage nicht heraus.   Die Volkswirtschaft: Frau Derrer, sind Sie bei der Revision der ASA-Richtlinie mit dem Erreichten zufrieden? Derrer: Aus Sicht der Arbeitgeber können wir mit dem Resultat zufrieden sein. Der administrative Aufwand wurde reduziert, ohne dabei die Sicherheit der Mitarbeitenden abzubauen. Die Volkswirtschaft: Und Sie, Frau Bianchi, aus der Sicht der Gewerkschaft? Bianchi: Die Diskussion um die ASA-Richtlinie wurde aus einer gewissen Polemik heraus gestartet, dass der administrative Aufwand bei der Durchführung zu gross sei, zumal ja in vielen Betrieben keine Risiken bestehen würden. Die Studie zeigt nun, dass viele Arbeiten durchaus mit Risiken behaftet sind, die man vielleicht auf den ersten Blick nicht unbedingt als solche wahrnimmt. Daher ist es notwendig, dass sich ein Betrieb vorab vergewissert, ob Risiken bestehen und wie damit umzugehen ist. Dazu ist die ASA-Richtlinie da. Sie wurde so revidiert, dass sie einfacher anwendbar ist, auch für Leute, die keine Sicherheitsspezialisten sind. Die Lesefreundlichkeit hat sich verbessert; und man hat sie auf wesentliche Risikoaspekte reduziert, was schlussendlich den Arbeitnehmenden wie auch den Arbeitgebern zugute kommt.  Die Volkswirtschaft: Ein weiteres aktuelles Dossier aus dem Bereich «Arbeitsbedingungen» ist jenes bezüglich «Schutzalter 18 und die Jugendarbeitsschutzverordnung». Sind Sie hier mit dem Erreichten zufrieden? Bianchi: Die Gewerkschaften haben an der Herabsetzung des Jugendschutzalters auf 18 Jahre überhaupt keine Freude. Nun haben wir das Gesetz. Jetzt geht es darum, mit der Verordnung die Arbeitnehmenden unter 18 Jahren besonders gut zu schützen. Die vorgeschlagene Stossrichtung ist noch nicht ganz geglückt. Nachtarbeit für unter 18-Jährige soll nur erlaubt sein, wenn es für das Erlernen des Berufs unentbehrlich ist. Derrer: Wir sind grundsätzlich mit der Stossrichtung zufrieden. Uns scheint es wichtig zu sein, dass junge Leute in den Berufsausbildungen die nötige Flexibilität erhalten; mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf ist das erfüllt. Dass eine gewisse Flexibilität erforderlich ist und Nachtarbeit wo nötig möglich sein soll, sehen wir in der IT-Branche, wo Neuerungen oft über Nacht oder über das Wochenende implementiert werden müssen. Hier die Lernenden unter 18 Jahren, die an den Planungsarbeiten beteiligt waren, grundsätzlich von den interessanten Erfahrungen der Implementierung auszuschliessen, ist mit der Motivation der betroffenen Jugendlichen nicht vereinbar. Dasselbe gilt bezüglich Umgang mit Gefahrenpotenzial. Auch da zählt die Erfahrung.   Die Volkswirtschaft: Sind verbesserte Arbeitsbedingungen in der Schweiz angesichts des verschärften globalen Wettbewerbs überhaupt realistisch? Derrer: Es wird in Zukunft zentral sein, attraktive Arbeitsplätze mit guten Arbeitsbedingungen anbieten zu können; dies schon deshalb, weil wir mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung weiterhin darauf angewiesen sind, Leute aus dem Ausland anwerben zu können. Gute Arbeitsbedingungen sind aber nicht Selbstzweck, sondern sie müssen in einem globalen Umfeld gesehen werden und auch wirtschaftlich sein. Es macht keinen Sinn, perfekte Arbeitsbedingungen für eine Berufsgruppe zu haben, wenn die Kosten dafür so hoch sind, dass die Produktion ins Ausland verlagert wird und dann dort zu sehr viel schlechteren Arbeitsbedingungen produziert wird. Bianchi: Etwas, das sich die Arbeitgeber sicher leisten können und auch sollten, ist die Investition in die Arbeitsmarktfähigkeit der Leute, d.h. in die Weiterbildung. Wir sind auf gutem Weg für das Kaderpersonal. Es gibt noch andere Arbeitnehmende, die es nicht zu vergessen gilt. Auch diese müssen Gelegenheit erhalten, sich an neue Bedingungen anzupassen. Besonders unqualifizierte Arbeitnehmende müssen entsprechend geschult werden. Ein weiteres zukunftsweisendes Thema sind die Förderung der Karrieremöglichkeit der Frauen und das Ausschöpfen des vorhandenen Potenzials. Als dritten Punkt sehen wir das Vereinbaren einer gesunden Lebensführung mit der Arbeit, die in einem doch hohen Arbeitstempo und unter starkem Zeitdruck bewältigt werden muss. Es gilt, dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmenden dadurch nicht gesundheitlich belastet werden. Das können wir uns langfristig auch volkswirtschaftlich nicht leisten. Die Volkswirtschaft: Meine Damen, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Gesprächsleitung und Redaktion: Geli Spescha, Chefredaktor «Die Volkswirtschaft»

Aufzeichnung des Gesprächs: Simon Dällenbach, Redaktor «Die Volkswirtschaft».

Zitiervorschlag: Doris Bianchi, Ruth Derrer Balladore, (2007). Arbeitsbedingungen in der Schweiz – ein sozialpartnerschaftlicher Diskurs. Die Volkswirtschaft, 01. April.