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Vereinfachung der Mehrwertsteuer: Grundlinien und Auswirkungen

Seit ihrer Einführung 1995 hat sich die Mehrwertsteuer (MWST) als wichtigste Einnahmequelle des Bundes etabliert: Mit Einnahmen von 19 Mrd. Franken finanzierte sie im Jahr 2006 ein gutes Drittel der Bundesausgaben von 52,4 Mrd. Franken. Für die steuerpflichtigen Unternehmen jedoch, welche die Steuer bei den Konsumenten erheben und an die Eidg. Steuerverwaltung (ESTV) abliefern, hat sie sich zusehends zu einem teuren, risikoreichen und schwer verständlichen bürokratischen Gebilde entwickelt. Der Bundesrat hat daher das Eidg. Finanzdepartement (EFD) beauftragt, die Reform der Mehrwertsteuer voranzutreiben.

Ziel und Inhalt der Reform


Das umfangreiche Programm zur Vereinfachung der Mehrwertsteuer umfasst mehrere Stufen. Zunächst hat die ESTV bereits 2005 zahlreiche Vereinfachungen ihrer Praxis vorgenommen. Per 1. Juli 2006 hat der Bundesrat sodann die Verordnung zum Mehrwertsteuergesetz (MWSTGV) SR 641.201. in mehreren Punkten geändert, um formalistische Hürden abzubauen. In einer dritten Etappe wird nun das Mehrwertsteuergesetz (MWSTG) SR 641.20. total revidiert.  Ziel dieser Reform sind eine radikale Vereinfachung des Systems, die Gewährung grösstmöglicher Rechtssicherheit für die Steuerpflichtigen, die Erhöhung der Transparenz sowie eine verstärkte Kundenorientierung der Verwaltung. Damit soll erreicht werden, dass Steuerpflichtige ihren Aufwand zur Abrechnung der MWST signifikant reduzieren können, dass die Rechtslage klarer und transparenter wird, der Umgang mit der Verwaltung unkompliziert und speditiv vonstatten geht und systembedingte Verzerrungen zu Lasten der Konsumenten und der Volkswirtschaft insgesamt abgebaut werden können.

Vernehmlassung mit drei Modulen


Vor Kurzem hat der Bundesrat die von der ESTV gemeinsam mit externen Experten erarbeitete Reformvorlage in die Vernehmlassung geschickt (siehe Kasten 1 Das Vernehmlassungsverfahren bezweckt die Beteiligung der Kantone, der politischen Parteien und der interessierten Kreise an der Meinungsbildung und Entscheidfindung des Bundes. Es soll Aufschluss geben über die sachliche Richtigkeit, die Vollzugstauglichkeit und die Akzeptanz eines Vorhabens des Bundes. Der Bundesrat hat die Vernehmlassung zur Reform des Mehrwertsteuergesetzes am 14. Februar 2007 eröffnet. Sie dauert bis Ende Juli 2007. Die vollständigen Vernehmlassungsunterlagen können im Internet bezogen werden unter: www.admin.ch , «Dokumentation», «Vernehmlassungen», «Laufende Vernehmlassungen», «Eidgenössisches Finanzdepartement».). Aufgrund des Umfangs und der thematischen Vielschichtigkeit der Reformen ist die Vernehmlassungsvorlage modular aufgebaut. Dies soll es ermöglichen, verschiedene Lösungsansätze zu vergleichen und eine Auswahl zu treffen. Die Vorlage besteht im Wesentlichen aus drei Modulen: dem Grundmodul «Steuergesetz», dem Modul «Einheitssatz» und dem Modul «Zwei Sätze».

Grundmodul «Steuergesetz»


Das Modul «Steuergesetz» enthält ein vollständig überarbeitetes MWSTG und legt damit das Fundament der Steuerreform. Forderungen der Wirtschaft, zahlreiche parlamentarische Vorstösse sowie die Ergebnisse der Berichte «10 Jahre Mehrwertsteuer» und «Expertengruppe Spori» (siehe Kasten 2 Der jetzt vorliegenden Vernehmlassungsvorlage sind umfangreiche Vorarbeiten vorausgegangen. Gestützt auf die Ergebnisse einer breit angelegten Umfrage der ESTV bei Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Steuerpraxis veröffentlichte der Bundesrat im Januar 2005 den Bericht «10 Jahre Mehrwertsteuer», welcher aufzeigt, wo in der Mehrwertsteuer Reformbedarf herrscht (www.estv.admin.ch , «Dokumentation», «Zahlen und Fakten», «Berichte», «Bericht des Bundesrates über Verbesserungen der Mehrwertsteuer»). Anfang November 2005 beauftragte Bundesrat Hans-Rudolf Merz sodann den Steuerexperten Peter Spori damit, die Bedürfnisse und Möglichkeiten zu einer umfassenden Reform der MWST in Zusammenarbeit mit der ESTV zu sondieren und zu prüfen, welche Reformen möglich, sinnvoll und machbar sind, um das MWST-System radikal zu vereinfachen. Im Mai 2006 legte Peter Spori die Ergebnisse seiner Abklärungen vor (www.efd.admin, «Dokumentation», «Zahlen und Fakten», «Berichte», «Bericht des Beauftragten P. Spori in Sachen Mehrwertsteuerreform»). In der Folge arbeitete die ESTV unter Beizug verwaltungsexterner Experten die Vernehmlassungsvorlage aus. Nach der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden und dem Parlament eine entsprechende Botschaft unterbreiten.) werden berücksichtigt. Das Gesetz erhält eine einfachere Systematik und eine inhaltliche Revision in über 50 Punkten. Damit wird ein erhöhtes Mass an Rechtssicherheit erreicht, indem beispielsweise die Steuerpflichtigen nach erfolgter Kontrolle einen einsprachefähigen Entscheid erhalten, ein Anspruch auf rechtsverbindliche Auskünfte der ESTV eingeführt oder die heute umfassende Solidarhaftung bei der Gruppenbesteuerung eingeschränkt wird. Ferner soll auch die absolute Verjährungsfrist um einen Drittel auf 10 Jahre verkürzt werden. Vereinfachungen werden die Steuerpflichtigen dahingehend erfahren, dass beispielsweise die Umsatzgrenze, welche die Steuerpflicht auslöst, auf 100000 Franken vereinheitlicht wird, die Option für eine freiwillige Steuerpflicht an keine Mindestumsatzgrenze mehr gebunden sein wird, die Saldosteuersatzmethode eine Ausweitung erfährt oder der Nachweis für steuermindernde Tatsachen von den Steuerpflichtigen grundsätzlich ohne formelle Vorschriften erbracht werden kann. Das Modul «Steuergesetz» trägt dadurch wesentlich zum Abbau des oft gerügten Formalismus bei.

Modul «Einheitssatz»


Das Modul «Einheitssatz» geht über das Modul «Steuergesetz» hinaus. Der vorgesehene einheitliche Steuersatz von 6% sowie die Abschaffung von über 20 der heute bestehenden 25 Steuerausnahmen führen die Vereinfachung der MWST konsequent weiter. Die unterschiedlichen Steuersätze führen zum Beispiel in der Hotellerie zu aufwendigen und komplexen Abgrenzungsproblemen: Ein Vollpensions-Arrangement muss für die MWST-Abrechnung aufgeteilt werden in einen Preis für Übernachtung und Frühstück, welcher mit 3,6% zu versteuern ist, und einen Essenspreis, der dem Normalsatz von 7,6% unterliegt. Auch die heute in Art. 18 MWSTG enthaltenen zahlreichen Ausnahmen führen zu Problemen. So sind zwar Kurse, Vorträge und andere Veranstaltungen wissenschaftlicher und bildender Art grundsätzlich von der Steuer ausgenommen. Dieser Grundsatz gilt aber nur dann, wenn das verfolgte Ziel in erster Linie die Vermittlung von Wissen ist. Entsprechend zahlreich sind die Unklarheiten. Nach dem Reformvorschlag sollen daher nur dort Ausnahmen bestehen bleiben, wo der administrative Aufwand entweder in keinem Verhältnis zum Ertrag steht oder wo es heute technisch nicht möglich ist, die Steuerbemessungsgrundlage korrekt zu bestimmen. Dies ist der Fall bei Bankdienstleistungen, Versicherungsdienstleistungen, Vermietung und Verkauf von Immobilien, landwirtschaftlichen Leistungen und den so genannten hoheitlichen Leistungen (z.B. Erteilen einer Baubewilligung). Mit der konsequenten Reduktion der Ausnahmen kann der Entrichtungs- und Erhebungsaufwand für die Steuerpflichtigen und die Verwaltung stark reduziert werden. Zudem wird die Transparenz über die Steuerbelastung erhöht. Die radikale Vereinfachung reduziert nämlich die bestehende Schattensteuer (Taxe occulte), wodurch die Volkswirtschaft von einem merklichen Wachstumsimpuls profitiert. Der Eintritt in die Steuerpflicht für heute steuerbefreite Branchen wird durch die Möglichkeit der Einlageentsteuerung abgefedert. In einer Variante «Gesundheitswesen» ist sodann – zusätzlich zu den oben genannten Ausnahmen – das Gesundheitswesen weiterhin unecht von der Steuer befreit. «Unechte Befreiung»: Leistungen, die nicht der MWST unterliegen, jedoch auch nicht zum Vorsteuerabzug auf den eingekauften Leistungen berechtigen. Beispiele: Leistungen im Gesundheits- und Sozialwesen, Vermietung und Kauf/Verkauf von Immobilien ohne Option, Leistungen im Finanzbereich. Bei dieser Variante beläuft sich der Einheitssatz auf 6,4%.

Modul «2 Sätze»


Das Modul «2 Sätze» ist als Alternative zum Modul «Einheitssatz» zu verstehen. Es besteht aus einer Satzdifferenzierung zwischen dem Normalsatz von 7,6% und dem reduzierten Satz von 3,4% auf Produkten in den Bereichen Nahrungsmittel, Kultur, Sport, Bildung, Beherbergung, Gastgewerbe und Gesundheitswesen. Gleich wie das Modul «Einheitssatz» werden auch im Modul «2 Sätze» über 20 der 25 heutigen Steuerausnahmen aufgehoben. Die erwähnten Bereiche werden aus sozialpolitischen Gründen dem reduzierten Steuersatz unterstellt. Das vorgeschlagene Zweisatzsystem nimmt gegenüber dem Modul «Einheitssatz» eine erhöhte Komplexität und einen höheren Satz in Kauf, um bestimmte Produkte und Leistungen zu einem reduzierten Satz besteuern zu können. Aufgehoben wird der heute bestehende dritte Satz für Beherbergungsleistungen.

Weitere Reformmöglichkeiten


Ferner werden in der Vorlage verschiedene weitere Reformmöglichkeiten zur Diskussion gestellt. Es handelt sich um grundsätzliche Fragen oder um noch nicht umsetzungsreife Massnahmen. Dazu gehören beispielsweise die mehrwertsteuerliche Behandlung von Subventionen und Spenden – ein Thema, das schon bei der Einführung der MWST 1995 für heisse Köpfe gesorgt hat. Ebenfalls werden die Möglichkeiten einer Steuerveranlagung durch die ESTV oder das Ausrichten einer Bezugsprovision für die steuerpflichtigen Unternehmen diskutiert. Je nach Ergebnis der Vernehmlassung können diese Massnahmen während der Ausarbeitung der Botschaft noch in den Gesetzesentwurf aufgenommen werden.

Auswirkungen des Moduls «Einheitssatz»

Herleitung des Einheitssatzes


Die geplante Reform der MWST muss aufkommensneutral ausfallen; d.h. sie soll weder Mehrnoch Mindererträge zur Folge haben. Für die Berechnung des Steuersatzes im Einheitssatz-Modell lässt sich die Reform gedanklich in zwei Reformschritte gliedern. Im ersten Schritt werden die bisherigen drei Sätze – ohne jegliche Änderung der Bemessungsgrundlage – haushaltsneutral durch einen Einheitssatz ersetzt, der auf 6,5% zu stehen kommt. Im zweiten Schritt werden bisher unecht befreite Umsätze der Steuer unterstellt. Die damit verbundene Ausweitung der Steuerbasis ermöglicht es, den Einheitssatz haushaltsneutral auf 6,0% abzusenken (siehe Tabelle 1).

Administrative Vereinfachungen


Der Abbau der unechten Befreiungen erhöht die Zahl der Steuerpflichtigen um höchstens 30000. Auf der anderen Seite ergeben sich für rund 50000 bisherige Steuerpflichtige, die heute mit zwei oder gar drei Steuersätzen abrechnen, administrative Vereinfachungen. Vereinfacht wird die Handhabung der Mehrwertsteuer auch für die bis zu 38000 bisherigen Steuerpflichtigen, die nebst steuerbaren Umsätzen auch von der Steuer ausgenommene Einnahmen erzielen und deshalb heute den Vorsteuerabzug kürzen müssen.

Auswirkungen auf Ebene des Bundes…


Das Modul «Einheitssatz» ist in Bezug auf die MWST ertragsneutral ausgestaltet. Es wirkt sich aber insofern positiv auf den Bundeshaushalt aus, als alle Bezüge von Dienstleistungen und Gegenständen statt mit dem Normalsatz von 7,6% nur noch mit 6,0% MWST belastet sind. Negativ wirkt sich hingegen die Unterstellung der Leistungen des Gesundheitswesens unter die MWST aus, weil die damit einhergehenden höheren Prämien der obligatorischen Krankenversicherung im Rahmen der individuellen Prämienverbilligungen durch den Bund mitfinanziert werden. Die positiven Effekte überwiegen allerdings.

…und auf Ebene der Kantone und Gemeinden


Die Kantone und Gemeinden sind von der Aufhebung der Ausnahmen im Gesundheits-, Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich negativ betroffen. Diese Branchen waren bisher in der Regel nur mit der Taxe occulte auf den Vorleistungen und Investitionen belastet. Neu wird nun auch die Wertschöpfung besteuert. Können die Preise nicht entsprechend angehoben werden, ist mit steigenden Defiziten und infolgedessen mit einem zusätzlichen Bedarf an Defizitdeckung durch die Kantone und Gemeinden zu rechnen. Die Unterstellung der Leistungen des Gesundheitswesens führt bei den Kantonen ausserdem zu Mehrausgaben von rund 68 Mio. Franken pro Jahr zur Finanzierung der individuellen Prämienverbilligungen.  Die Kantone und Gemeinden sind jedoch auch Nutzniesser eines Einheitssatzes, der deutlich unter dem aktuellen Normalsatz liegt. So sind beispielsweise Bauleistungen, aber auch Käufe von Computern, Büromöbeln, Kommunalfahrzeugen usw. statt mit 7,6% nur noch mit 6,0% MWST belastet. Diese Entlastung beträgt sowohl für die Kantone als auch für die Gemeinden je rund 150 Mio. Franken.

Mehrwertsteuer wird teilweise «exportiert»


Rund 10% der MWST-Einnahmen der Schweiz werden durch im Ausland ansässige Personen getragen. Es handelt sich dabei einerseits um Steuern auf den Konsum von Tourismusleistungen und auf Käufen von Gegenständen im Inland, andererseits um Taxe occulte, die im Rahmen von ins Ausland erbrachten Leistungen überwälzt wird.  Im Modul «Einheitssatz» wird weniger Mehrwertsteuer ins Ausland «exportiert». Dies ist insbesondere darauf zurückzuführen, dass die Vorleistungen der Banken nur noch mit 6,0% statt mit 7,6% belastet sind. Infolgedessen überwälzen die Banken weniger Taxe occulte auf ihre Kunden im Ausland.

Höhere Belastung der inländischen Haushalte


Da die Mehrwertsteuerreform ertragsneutral ausfallen soll und der Anteil der ausländischen Haushalte an den Mehrwertsteuereinnahmen sinkt, ergibt sich eine leichte Mehrbelastung der inländischen Haushalte. Für den durchschnittlichen inländischen Haushalt beträgt sie 6.30 Franken pro Monat oder 0,07% des Bruttoeinkommens. Für die Berechnung der Auswirkungen der MWST-Reform auf die einzelnen Einkommensklassen und Haushaltstypen (siehe Grafik 2) wird die Einkommens- und Verbrauchserhebung (EVE) des Bundesamtes für Statistik (BFS) herangezogen. Allerdings enthält diese Statistik nicht alle Ausgaben der Haushalte. So fehlen insbesondere die gewichtigen Ausgaben für Bau, Kauf und Renovation von Häusern und Wohnungen, welche vom niedrigeren Einheitssatz profitieren. Dies führt dazu, dass die mit Hilfe der EVE berechneten Auswirkungen ein zu negatives Bild zeigen. So berechnet sich auf diese Weise für den durchschnittlichen Haushalt nämlich eine Mehrbelastung von 9 Franken pro Monat statt der bereits erwähnten effektiven Mehrbelastung von 6.30 Franken. Es zeigt sich, dass insbesondere die unteren Einkommensklassen eine Mehrbelastung gegenüber dem Status quo erfahren. Obwohl die Auswirkungen gering sind, sieht der Bundesrat ein Modell zur Kompensation dieser Auswirkungen ausserhalb des Mehrwertsteuersystems vor (siehe Kasten 3 Reduzierte Steuersätze stellen ein ineffizientes Mittel dar, um sozialpolitische Ziele zu erreichen (vgl. Kasten 4 Da die Mehrwertsteuer leicht degressiv wirkt, wird ein reduzierter Mehrwertsteuersatz oft als sozialpolitisch zwingende Notwendigkeit dargestellt. Allerdings stellt sich die Frage nach der Effizienz der Satzdifferenzierung. Dieser Frage sei am Beispiel der Ausgaben der Haushalte für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke (ohne Ausgaben im Gastgewerbe oder Take Away) nachgegangen. Prozentual betrachtet profitieren die unteren Einkommensschichten deutlich stärker vom reduzierten Satz als die oberen. Diese «Subventionierung» des Steuersatzes erweist sich allerdings als sehr ineffizient. Für jeden Franken nämlich, mit welchem der Bund die Steuerlast des einkommensschwächsten Fünftels der Haushalte reduziert (vgl. Grafik 4, Differenz zwischen den zwei Balken), subventioniert er das einkommensstärkste Fünftel der Haushalte mit gut zwei Franken.). Deshalb schlägt der Bundesrat für das Modul «Einheitssatz» eine andere Methode vor, um den leicht degressiven Charakter der Mehrwertsteuer zu entschärfen. Das sozialpolitische Korrektiv soll ausserhalb des Mehrwertsteuersystems die Auswirkungen der MWST-Reform abfedern und zielgerichtet Haushalte mit niedrigen Einkommen unterstützen. Dazu wird der Einheitssatz von 6 % zeitlich befristet um 0,1 Prozentpunkt erhöht und die damit erzielten Mehreinnahmen über das System der individuellen Krankenkassen-Prämienverbilligung gezielt an die zwei einkommensschwächsten Fünftel der Haushalte verteilt. Dadurch wird die Mehrbelastung bei rund 30% der Bevölkerung eliminiert. Bei der Variante «Gesundheitswesen» sowie beim Modul «2 Sätze» sind die Verteilungswirkungen so gering, dass auf das sozialpolitische Korrektiv verzichtet werden kann.).

Langfristig spürbare Wohlfahrtsgewinne


Langfristig ergeben sich im Einheitssatz-Szenario aus gesamtwirtschaftlicher Sicht gegenüber dem Status quo Wohlfahrtsgewinne. Diese stammen einerseits aus dem Abbau der unechten Befreiungen und anderseits aus der höheren Besteuerung der tendenziell eher unelastischen Konsumgüter (wie zum Beispiel Nahrungsmittel) beziehungsweise der niedrigeren Besteuerung der elastischer reagierenden Konsumgüter.

Variante «Gesundheitswesen»


Bei dieser Variante beträgt der Einheitssatz 6,4%. Die Zahl der Steuerpflichtigen erhöht sich nur um rund 8700. Für die bisherigen Steuerpflichtigen ergeben sich bei dieser Variante ebenfalls administrative Vereinfachungen, wenn auch etwas weniger ausgeprägt als im Modul «Einheitssatz». Bei dieser Variante reduziert sich die ins Ausland «exportierte» Mehrwertsteuer weniger stark als im Modul «Einheitssatz». Dies hat zur Folge, dass die Belastung der inländischen Haushalte weniger zunimmt. Die Auswirkungen auf die einzelnen Haushaltstypen und Einkommensklassen verlaufen ähnlich wie im Modul «Einheitssatz», aber auf einem deutlich niedrigen Niveau (siehe Grafik 3). Entsprechend ist hier kein Korrektiv erforderlich. Wie beim Modul «Einheitssatz» werden auch bei der Variante «Gesundheitswesen» aus den erwähnten Gründen die Auswirkungen zu negativ dargestellt.

Auswirkungen im Modul «2 Sätze»


Steuerbar zum reduzierten Satz von 3,4% sind im Modul «2 Sätze» einerseits ein Teil der bereits heute reduziert besteuerten Leistungen und andererseits der Grossteil der bisher ausgenommenen und neu steuerbaren Leistungen. Für die bisher unecht befreiten Leistungen – wie Gesundheitswesen, Bildungswesen, Sport und Kultur – ergibt sich in diesem Modul keine oder nur eine geringfügige Mehrbelastung; denn die nunmehr auf dem Umsatz geschuldete Steuer von 3,4% dürfte in etwa der wegfallenden Taxe occulte entsprechen. Für die privaten Haushalte ist insgesamt keine spürbare Mehrbelastung zu erwarten. Auch in diesem Modul kann auf ein sozialpolitisches Korrektiv verzichtet werden.

Fazit


Unabhängig davon, welches Modul letztlich realisiert wird, bringt die Reform der Mehrwertsteuer eine wesentliche Vereinfachung, mehr Rechtssicherheit und eine stärkere Kundenorientierung. Das Modul «Steuergesetz» bildet die Basis, auf welcher die dringendsten Probleme gelöst werden. Nachhaltige Verbesserungen und Entlastungen für die Steuerpflichtigen sowie spürbare Wohlfahrtsgewinne können mit dem Modul «Einheitssatz» erzielt werden. Dass ein einheitlicher Steuersatz keine Utopie ist, beweist Dänemark mit einem Einheitssatz von 25%. Ein Einheitssatz hätte Signalwirkung über die Landesgrenzen hinaus und festigte das Bild der Schweiz als modernes, innovatives Land und ausgezeichneten Wirtschaftsstandort.

Grafik 1 «MWST-Reform – Übersicht der Module»

Grafik 2 «Mehr- und Minderbelastung der Haushalte durch Modul «Einheitssatz» von 6,0% gegenüber Status quo bei vollständiger Überwälzung»

Grafik 3 «Mehr- und Minderbelastung der Haushalte bei Variante «Gesundheitswesen» mit Einheitssatz von 6,4% gegenüber Status quo bei vollständiger Überwälzung»

Grafik 4 «Belastung der Haushalte durch die MWST auf Lebensmitteln und alkoholfreien Getränken»

Tabelle 1 «Herleitung des Einheitssteuersatzes»

Kasten 1: Vernehmlassungsverfahren Das Vernehmlassungsverfahren bezweckt die Beteiligung der Kantone, der politischen Parteien und der interessierten Kreise an der Meinungsbildung und Entscheidfindung des Bundes. Es soll Aufschluss geben über die sachliche Richtigkeit, die Vollzugstauglichkeit und die Akzeptanz eines Vorhabens des Bundes. Der Bundesrat hat die Vernehmlassung zur Reform des Mehrwertsteuergesetzes am 14. Februar 2007 eröffnet. Sie dauert bis Ende Juli 2007. Die vollständigen Vernehmlassungsunterlagen können im Internet bezogen werden unter: www.admin.ch , «Dokumentation», «Vernehmlassungen», «Laufende Vernehmlassungen», «Eidgenössisches Finanzdepartement».

Kasten 2: Verlauf der Gesetzesrevision Der jetzt vorliegenden Vernehmlassungsvorlage sind umfangreiche Vorarbeiten vorausgegangen. Gestützt auf die Ergebnisse einer breit angelegten Umfrage der ESTV bei Vertretern der Wirtschaft, der Wissenschaft und der Steuerpraxis veröffentlichte der Bundesrat im Januar 2005 den Bericht «10 Jahre Mehrwertsteuer», welcher aufzeigt, wo in der Mehrwertsteuer Reformbedarf herrscht (www.estv.admin.ch , «Dokumentation», «Zahlen und Fakten», «Berichte», «Bericht des Bundesrates über Verbesserungen der Mehrwertsteuer»). Anfang November 2005 beauftragte Bundesrat Hans-Rudolf Merz sodann den Steuerexperten Peter Spori damit, die Bedürfnisse und Möglichkeiten zu einer umfassenden Reform der MWST in Zusammenarbeit mit der ESTV zu sondieren und zu prüfen, welche Reformen möglich, sinnvoll und machbar sind, um das MWST-System radikal zu vereinfachen. Im Mai 2006 legte Peter Spori die Ergebnisse seiner Abklärungen vor (www.efd.admin, «Dokumentation», «Zahlen und Fakten», «Berichte», «Bericht des Beauftragten P. Spori in Sachen Mehrwertsteuerreform»). In der Folge arbeitete die ESTV unter Beizug verwaltungsexterner Experten die Vernehmlassungsvorlage aus. Nach der Auswertung der Vernehmlassungsergebnisse wird der Bundesrat über das weitere Vorgehen entscheiden und dem Parlament eine entsprechende Botschaft unterbreiten.

Kasten 3: Sozialpolitisches Korrektiv Reduzierte Steuersätze stellen ein ineffizientes Mittel dar, um sozialpolitische Ziele zu erreichen (vgl. Kasten 4 Da die Mehrwertsteuer leicht degressiv wirkt, wird ein reduzierter Mehrwertsteuersatz oft als sozialpolitisch zwingende Notwendigkeit dargestellt. Allerdings stellt sich die Frage nach der Effizienz der Satzdifferenzierung. Dieser Frage sei am Beispiel der Ausgaben der Haushalte für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke (ohne Ausgaben im Gastgewerbe oder Take Away) nachgegangen. Prozentual betrachtet profitieren die unteren Einkommensschichten deutlich stärker vom reduzierten Satz als die oberen. Diese «Subventionierung» des Steuersatzes erweist sich allerdings als sehr ineffizient. Für jeden Franken nämlich, mit welchem der Bund die Steuerlast des einkommensschwächsten Fünftels der Haushalte reduziert (vgl. Grafik 4, Differenz zwischen den zwei Balken), subventioniert er das einkommensstärkste Fünftel der Haushalte mit gut zwei Franken.). Deshalb schlägt der Bundesrat für das Modul «Einheitssatz» eine andere Methode vor, um den leicht degressiven Charakter der Mehrwertsteuer zu entschärfen. Das sozialpolitische Korrektiv soll ausserhalb des Mehrwertsteuersystems die Auswirkungen der MWST-Reform abfedern und zielgerichtet Haushalte mit niedrigen Einkommen unterstützen. Dazu wird der Einheitssatz von 6 % zeitlich befristet um 0,1 Prozentpunkt erhöht und die damit erzielten Mehreinnahmen über das System der individuellen Krankenkassen-Prämienverbilligung gezielt an die zwei einkommensschwächsten Fünftel der Haushalte verteilt. Dadurch wird die Mehrbelastung bei rund 30% der Bevölkerung eliminiert. Bei der Variante «Gesundheitswesen» sowie beim Modul «2 Sätze» sind die Verteilungswirkungen so gering, dass auf das sozialpolitische Korrektiv verzichtet werden kann.

Kasten 4: Reduzierte Sätze sind ineffizient Da die Mehrwertsteuer leicht degressiv wirkt, wird ein reduzierter Mehrwertsteuersatz oft als sozialpolitisch zwingende Notwendigkeit dargestellt. Allerdings stellt sich die Frage nach der Effizienz der Satzdifferenzierung. Dieser Frage sei am Beispiel der Ausgaben der Haushalte für Lebensmittel und alkoholfreie Getränke (ohne Ausgaben im Gastgewerbe oder Take Away) nachgegangen. Prozentual betrachtet profitieren die unteren Einkommensschichten deutlich stärker vom reduzierten Satz als die oberen. Diese «Subventionierung» des Steuersatzes erweist sich allerdings als sehr ineffizient. Für jeden Franken nämlich, mit welchem der Bund die Steuerlast des einkommensschwächsten Fünftels der Haushalte reduziert (vgl. Grafik 4, Differenz zwischen den zwei Balken), subventioniert er das einkommensstärkste Fünftel der Haushalte mit gut zwei Franken.

Zitiervorschlag: Beat Spicher, Claudio Fischer, (2007). Vereinfachung der Mehrwertsteuer: Grundlinien und Auswirkungen. Die Volkswirtschaft, 01. April.