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Der Schweizer Bankensektor – eine Erfolgsstory mit Risiko

Der Bankensektor ist mit einem Anteil von fast 10% am Bruttoinlandprodukt (BIP) eine zentrale Branche für die Schweizer Wirtschaft. Dank kräftigen Produktivitätssteigerungen hat seine Bedeutung seit den Achtzigerjahren stark zugenommen. Entscheidend dafür waren die Entwicklungen der Neunzigerjahre: Die neuen Technologien, die tief greifenden Umstrukturierungen in der Branche und die als Folge des Booms der Börsen hohen Erträge in der Vermögensverwaltung haben ein massives Wertschöpfungswachstum verursacht. Der harte Start ins 21. Jahrhundert mit massiven Kursverlusten an den Börsen und mehrjährigem Rückgang der Wertschöpfung im Bankensektor zeigt die Notwendigkeit, mit innovativen Instrumenten und Prozessen die Dienstleistungsqualität ständig weiter auszubauen.

Tragende Säule der Schweizer Wirtschaft


Der Bankensektor umfasst Banken, Leasinginstitutionen, Anbieter von Konsumkrediten sowie Holdinggesellschaften und gehört zu den wichtigsten Branchen der Schweizer Wirtschaft. Im Jahr 2005 stammte fast 10% des BIP aus dem Bankensektor. Damit ist diese Branche der zweitgrösste Sektor der Privatwirtschaft hinter dem Handel (Gross- und Detailhandel zusammen erwirtschaften rund 12% des BIP). Ausserdem stellen die Banken eine zentrale Exportbranche dar. Als Arbeitgeber spielt der Bankensektor mit einem Anteil von rund 3% an der gesamten Zahl der Erwerbstätigen eine bescheidenere Rolle. Gemessen am durchschnittlichen Stundenlohn sind die Banken allerdings die attraktivsten Arbeitgeber der Schweiz. Die rund 130000 Personen, die in der Schweiz im Bankensektor tätig sind, haben daher eine beträchtliche volkswirtschaftliche Bedeutung, sowohl durch ihre Steuer- und Zahlungskraft als auch durch ihr hohes Qualifikationsniveau. Ausserdem sind die Banken wichtige indirekte Arbeitgeber, beispielsweise für die Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnologie-Dienstleistungen.  Der Bankensektor hat in den letzten 25 Jahren seine Bedeutung für die Schweizer Volkswirtschaft mehr als verdoppelt (siehe Grafik 1): Dessen Wertschöpfungsanteil am BIP stieg von lediglich 4% im Jahr 1980 auf fast 10% im Jahr 2005 an. Anderseits hat der Anteil der im Bankensektor Beschäftigten nur marginal von 2,6% im Jahr 1980 auf 3,1% im Jahr 2005 zugenommen. Diese Eckdaten deuten klar darauf hin, dass in dieser Periode grosse strukturelle Veränderungen stattgefunden haben, die zu einer erheblichen Produktivitätssteigerung führten. Vor allem im Verlauf der Neunzigerjahre hat sich die Bankenlandschaft dramatisch verändert: Einerseits wurden die Abläufe im Bankengeschäft durch die Einführung von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien schneller und effizienter; gleichzeitig lösten die Fusionen und Übernahmen bei den Grossbanken umfangreiche Umstrukturierungen aus (in dieser Bankengruppe verringerte sich die Zahl der Beschäftigten seit 1995 um einen Viertel).

Hohe Bedeutung der Grossbanken und des Kommissionsgeschäfts


Der Bankensektor besteht in der Schweiz gemäss Beschäftigtenzahlen der Betriebszählung zu 94% aus Banken und nur zu 6% aus Leasinginstitutionen, Anbietern von Konsumkrediten und Holdinggesellschaften. Die gewichtige Branche der Banken Hier sind die «Banken» wie in der Statistik der Nationalbank «Die Banken in der Schweiz» definiert, d.h. ohne Leasinginstitutionen, Anbieter von Konsumkrediten und Holdinggesellschaften. setzt sich in der Schweiz aus verschiedenen Bankengruppen zusammen:  – Die grösste Gruppe sind die zwei Grossbanken, die im Jahr 2005 zusammen rund 50% der Erträge erwirtschafteten und 40% der Arbeitsplätze anboten.  – An zweiter Stelle finden wir die Auslands- und die Kantonalbanken mit 16% bzw. 13% der Erträge und je rund 16% der Beschäftigten. – Die übrigen 20% der Erträge und 30% der Beschäftigten verteilen sich auf Privat-, Raiffeisen- und Regionalbanken.  Insgesamt sind die Schweizer Banken stärker als in anderen Ländern in der Vermögensverwaltung spezialisiert. Der Erfolg aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft, der hauptsächlich auf die Vermögensverwaltung zurückzuführen ist, macht insgesamt gut 40%, bei den Auslandsbanken und den Privatbanken sogar zwei Drittel des Erfolgs aus. Das klassische Bankengeschäft ist eindeutig weniger profitabel. Es ist aber weiterhin die zweitbedeutendste Ertragsquelle für die Schweizer Banken (ca. ein Drittel der Erträge) und stellt für die Kantonal-, Regional- und Raiffeisenbanken bei weitem die wichtigste Geschäftssparte dar. Der Erfolg aus der dritten Ertragssparte, dem Handelsgeschäft, ist stark von der Entwicklung der Finanzmärkte abhängig; dessen Anteil am Gesamterfolg der Banken schwankt über die Zeit markant zwischen 8% und 18%. Die Hauptakteure in diesem Geschäft in der Schweiz sind die Grossbanken.

Erfolgsstory in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre …


Trotz unterschiedlicher Entwicklung haben alle Geschäftssparten positiv zum Wachstum des Bankensektors in den letzten Jahrzehnten beigetragen. Wenn die Bewegung der realen Wertschöpfung der Banken mit derjenigen der übrigen Gesamtwirtschaft verglichen wird (siehe Grafik 2), sticht das starke Wachstum dieser Schweizer Branche ins Auge. Die reale Wertschöpfung nahm von 1980 bis 2005 durchschnittlich um 3,5% pro Jahr zu, während der Rest durchschnittlich lediglich um 1,3% pro Jahr wuchs. Interessant ist vor allem die Entwicklung der Wertschöpfung im Bankensektor seit Mitte der Neunzigerjahre.  Nach Schwierigkeiten im Kreditgeschäft 1994 und an den Finanzmärkten 1995 legten die Geschäfte der Banken so stark zu, dass von 1995 bis 2000 die reale Wertschöpfung im Durchschnitt um fast 11% pro Jahr kletterte. Diese Erfolgsstory wurde vor allem von der Vermögensverwaltung und vom Handelsgeschäft getragen, die stark vom Boom der New Economy und von der weltweiten rasanten Steigerung der Aktienwerte profitieren konnten. Das Interesse für Aktientitel und Aktienfonds hat sich damals sowohl bei privaten als auch bei institutionellen Anlegern schnell verbreitet, was eine markante Nachfragesteigerung in der Vermögensverwaltung und im Asset Management bedeutete. Die Welle von Börsengängen sowie von Fusionen und Übernahmen brachte auch für das Investment Banking satte Erfolge.

… mit einzigartigem Produktivitätszuwachs


Trotz der blühenden Geschäfte ging die Beschäftigung bei den Banken in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre kontinuierlich zurück. Innerhalb von 5 Jahren waren über 9000 Personen weniger im Bankensektor erwerbstätig (durchschnittlich -1,4% pro Jahr). Die Gründe dafür wurden bereits erwähnt. Eine Folge dieser Entwicklung ist ein markanter Zuwachs der Arbeitsproduktivität: Pro Stunde kletterte diese von 107 Franken im Jahr 1995 auf 193 Franken im Jahr 2000, was einer durchschnittlichen Steigerung von 12,5% pro Jahr entspricht. Keine andere Branche erlebte in der Zeit einen derartigen Aufschwung. Das vergangene Jahrhundert hätte für die Banken kaum besser zu Ende gehen können.

Harter Start ins neue Jahrhundert


Die hohe Nachfrage und die hervorragenden Marktbedingungen motivierten die Banken, ab 2001 wieder Personal einzustellen. Das neue Jahrhundert begann allerdings in unerwartet harter Art, mit gravierenden Folgen für die Anleger und auch für den Bankensektor. Das Platzen der Blase der New Economy und die markanten Kursverluste an den Aktienmärkten haben viele überrascht und eine mehrjährige Krise für den ganzen Sektor verursacht. Die Nachfrage nach Aktien und Fonds brach ein, und die Anzahl der Unternehmen, die sich noch einen Börsengang trauten, halbierte sich von Jahr zu Jahr (Tiefpunkt 2003 mit nur 2 IPO in der ganzen Schweiz).  2001 und 2002 gingen die Erträge in allen Geschäftssparten des Bankensektors zurück. Am stärksten sanken der Erfolg aus dem Kommissions- und Dienstleistungsgeschäft und der Erfolg aus dem Handelsgeschäft. Im Jahr 2003 erholte sich dank tiefen Zinsen und hoher Hypothekennachfrage das Zinsdifferenzgeschäft, was aber nicht genügte, um die gesamten Erträge der Banken ins Plus zu holen. Dank der Erholung der Finanzmärkte seit Mitte 2003 verbesserte sich allmählich auch die Lage in der Vermögensverwaltung und im Handelsgeschäft, jedoch verringerten sich die Margen im Zinsdifferenzgeschäft, und die Konkurrenz verschärfte sich deutlich. Insgesamt war 2004 eine positive Trendwende für die gesamten Erträge der Banken zu erkennen. Gleichzeitig ging die Zahl der Erwerbstätigen im Bankensektor – nach starken Zuwächsen 2001 und 2002 – von 2003 bis 2005 jedes Jahr zurück.  Die reale Wertschöpfung des Bankensektors ging von 2000 bis 2005 um durchschnittlich 2,2% pro Jahr zurück, wobei im Schockjahr 2001 ein Rückgang um 14,5% hingenommen werden musste. 2005 kam die verbesserte Ertragslage endlich mit einem realen Wertschöpfungswachstum von gut 10% zum Ausdruck. Da die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt von 2000 bis 2005 zunahm (+0,8% pro Jahr), ging die reale Arbeitsproduktivität wieder zurück: Pro Stunde lag sie 2005 bei 169 Franken. Allerdings lassen die anhaltend hervorragenden Marktbedingungen darauf hoffen, dass der Aufschwung 2005 eine Trendwende bedeutete und sich die Bankenjahre 2006 und 2007 weiter positiv entwickeln.

Regionale Konzentration in den Bankenplätzen


Wenn bisher der Schweizer Bankensektor geografisch auf eine Einheit reduziert wurde, darf nicht vergessen werden, dass sich diese Branche sehr ungleich über das Land verteilt. Schon immer waren in den Städten mehr Banken zu finden als auf dem Land. Die rasante Entwicklung in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre war aber auch mit einer strategischen Zunahme der Konzentration der Banken in den Zentren verbunden. Heute wird 45% der nationalen Bankenwertschöpfung im Kanton Zürich erwirtschaftet, 15% in Genf und 7% im Tessin. Damit sind zwei Drittel der Wirtschaftskraft des Bankensektors an diesen drei Bankenplätzen konzentriert (siehe Grafiken 3a und b).  Entsprechend gross ist die Bedeutung des Bankensektors für die Gesamtwirtschaft dieser Kantone. Fast 20% des BIP der Kantone Genf und Zürich sowie 15% des Tessiner BIP werden von den Banken erwirtschaftet. Noch höher ist der Anteil des Bankensektor am BIP in diesen Finanzzentren in einer kleinräumigeren Betrachtung auf Ebene der MS-Regionen: in Zürich rund 30%, in Genf 22% und in Lugano 20%. Die Konzentration in den drei grössten Bankenplätzen bewirkt positive Synergien und ist vor allem für die Attraktivität des Schweizer Finanzplatzes im Ausland sehr wichtig. Grosse Plätze werden international besser wahrgenommen; sie sind ein Zeichen der Spezialisierung in der Branche und können der Konkurrenz aus dem Ausland besser trotzen. Das ist insbesondere wichtig, wenn es sich um das Anwerben ausländischer Kundschaft handelt, welche rund die Hälfte der in der Schweiz verwalteten Vermögen besitzt.

Überdurchschnittliche Bedeutung im internationalen Vergleich


Angesichts der zentralen Rolle der Auslandsnachfrage ist die Positionierung des Schweizer Bankensektors im internationalen Vergleich äusserst wichtig. Verglichen mit anderen europäischen Ländern und den USA (siehe Grafik 5) ist die relative Bedeutung des Bankensektors in der Schweiz am grössten: Zwischen 1990 und 2005 betrug sein Anteil am BIP durchschnittlich fast 10%, während dieser Anteil in den anderen Ländern zwischen 2% in Schweden und 6% im Vereinigten Königreich lag. Der Unterschied erklärt sich mit der überdurchschnittlichen Spezialisierung der Schweizer Banken im hochproduktiven Private Banking und der hohen Auslandsnachfrage in diesem Bereich. Hinter diesem Erfolg stehen vermutlich auch die liberale Regulierung und das Bankkundengeheimnis, das sowohl bei den inländischen als auch bei den ausländischen Kunden geschätzt wird. Weniger erfreulich aus Schweizer Sicht ist der Vergleich der durchschnittlichen Wachstumsraten der realen Wertschöpfung von 1990 bis 2005. Hier schneidet die Schweiz mit einem Wachstum von 2,6% pro Jahr mittelmässig ab. Erfolgreicher waren in diesem Zeitraum Schweden, das Vereinigte Königreich und die Niederlande. In den wichtigen Nachbarländern Deutschland, Frankreich und Italien fiel das Wachstum dagegen geringer aus als in der Schweiz. Kombiniert mit einem kleineren Anteil des Bankensektors am BIP in diesen Ländern ergibt dies einen deutlich tieferen Wachstumsbeitrag als in der Schweiz. Nur der Bankensektor im Vereinigten Königreich, das von der Krise der Finanzmärkte 2001-2003 schwächer betroffen wurde, erreichte einen ähnlichen Beitrag zum BIP-Wachstum wie der Schweizer Bankensektor. Damit ist das Vereinigte Königreich ohne Zweifel ein starker Konkurrent. Es darf aber nicht vergessen werden, dass auch die Gesamtwirtschaft im Vereinigten Königreich doppelt so schnell gewachsen ist wie in der Schweiz, was das starke Wachstum des Bankensektors ein bisschen relativiert.  Beim Vergleich der Stundenproduktivität im Jahr 2005 (siehe Grafik 6) hat der Schweizer Bankensektor eindeutig die Leadership, was aufgrund des erfolgreichen Private Banking nicht überrascht. Mit Abstand an zweiter Stelle kommen das Vereinigte Königreich, die Niederlande und Schweden. Überraschend tief ist die Produktivität in den USA, wobei nicht zu vergessen ist, dass die USA sehr gross sind und vergleichsweise wenige Finanzplätze aufweisen. Wenn man die Schweiz mit dem Bundesstaat New York vergleichen würde, wäre der Produktivitätsunterschied kleiner. Ähnlich weist der Bankenplatz London eine höhere Produktivität auf als das ganze Vereinigte Königreich.

Abhängigkeit von Aktienmärkten und Auslandsnachfrage: Erfolgsoder Risikofaktor?


Aus der bisherigen Analyse stellen sich die Aktienmärkte und die Auslandsnachfrage als wichtige Einflussfaktoren für die Entwicklung des Bankensektors dar. Wie Grafik 7 zeigt, entwickelt sich das Geschäft mit den ausländischen Kunden (Kommissionen aus dem Ausland) sehr ähnlich wie der SPI-Index (als Beispiel für die internationalen Aktienmärkte) und Börsenumsätze. Offensichtlich reagieren auch die ausländischen Kunden negativ auf eine negative Bewegung der Aktienmärkte. Letztere und die Aktivität der Anleger spielen für die Banken eine entscheidende Rolle, insbesondere in der Vermögensverwaltung, aber natürlich auch im Investment Banking und im Handelsgeschäft. Daher überrascht nicht, dass die Entwicklung der Wertschriften in Kundendepots ebenfalls stark mit der Bewegung an den Aktienmärkten korreliert.  Ob die seit Mitte der Neunzigerjahre gestiegene Abhängigkeit der Banken in der Schweiz von der Entwicklung der Aktienmärkte eher ein Erfolgsoder ein Risikofaktor ist, wird vermutlich je nach Börsenstimmung anders beantwortet. In der Tat kann diese Abhängigkeit sowohl Chance als auch Risiko sein. Unbestritten ist, dass der Schweizer Bankenplatz die Qualität seiner Dienstleistungen ständig pflegen und mit innovativen Instrumenten und Prozessen verbessern muss, um attraktiv zu bleiben und weiter zu wachsen. Die Qualität der Dienstleistung ist insbesondere für die Nachfrage aus den Nachbarländern sehr wichtig.

Grafik 1 «Anteil der Bruttowertschöpfung und der Zahl der Erwerbstätigen im Bankensektor an der Gesamtwirtschaft, 1980-2005»

Grafik 2 «Entwicklung der realen Bruttowertschöpfung im Bankensektor im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (ohne Bankensektor), 1980-2005»

Grafik 3a «Anteil der Bruttowertschöpfung vom Bankensektor an der jeweiligen Gesamtwirtschaft in den Schweizer MS-Regionen, 2005»

Grafik 3b «Verteilung der nominalen Bruttowertschöpfung des Bankensektors in den Schweizer MS-Regionen, 2005»

Grafik 4 «Nettoerträge der Banken nach Geschäftsbereichen, 1994-2005»

Grafik 5 «Wachstumsbeitrag des Bankensektors an die Gesamtwirtschaft pro Jahr, 1990-2005»

Grafik 6 «Nominale Stundenproduktivität des Bankensektors und der Gesamtwirtschaft, 2005»

Grafik 7 «Indikatoren zur Entwicklung des Geschäfts in der Vermögensverwaltung»

Zitiervorschlag: Martina Schriber (2007). Der Schweizer Bankensektor – eine Erfolgsstory mit Risiko. Die Volkswirtschaft, 01. April.