Liberalisierung der Briefmärkte in Europa
Die EU-Richtlinien sehen vor, die Gewichtsgrenzen des Briefmonopols schrittweise abzusenken. In den meisten EU-Staaten hat die Absenkung der Gewichtsgrenzen zu keinerlei Wettbewerb geführt. Einige Briefmärkte wurden schneller liberalisiert: Schweden hat den Briefmarkt 1993 und Grossbritannien 2006 vollständig geöffnet. In den Niederlanden wurden Werbesendungen liberalisiert und in Deutschland so genannte «höherwertige Leistungen». Doch selbst in diesen Ländern konnten die etablierten Betreiber Marktanteile von über 90% behaupten.
2007 ist ein wichtiges Jahr für die europäische Postpolitik. Im Herbst 2006 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für die Anpassung der bestehenden Postrichtlinie veröffentlicht. Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität, geändert durch Richtlinie 2002/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Juni 2002 zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG im Hinblick auf die weitere Liberalisierung des Marktes für Postdienste in der Gemeinschaft; Europäische Kommission (2006), Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Änderung der Richtlinie 97/67/EG über die Vollendung des Binnenmarktes für Postdienste, KOM/2006/0594 (endg.). Kernelement des Richtlinienvorschlags ist die vollständige Öffnung der nationalen Briefmärkte innerhalb der Europäischen Union (EU) auf den 1.1.2009. Damit würde der schrittweise Marktöffnungsprozess, der mit Inkrafttreten der Postrichtlinie Anfang 1998 angestossen wurde, zum Abschluss gebracht (siehe Tabelle 1). Vor diesem Hintergrund widmet sich dieser Artikel der Frage, wie sich die bisherige Marktöffnung auf den Wettbewerb in den nationalen Briefmärkten ausgewirkt hat.
Stand der Marktöffnung in den EU-Ländern und Norwegen
Die Vorgaben der Postrichtlinie zum Umfang des reservierten Bereichs stellen Maximalvorgaben dar, welche die Mitgliedstaaten nicht überschreiten dürfen. Es ist ihnen aber erlaubt, die Postmärkte in einem stärkeren Umfang zu öffnen. Gegenwärtig dürfen allenfalls Briefsendungen bis zu 50 Gramm reserviert werden; dies entspricht ca. 72% des gesamten Briefaufkommens in der EU. Siehe WIK-Consult (2006). Tabelle 2 gibt einen Überblick zum aktuellen Stand der Marktöffnung in den EU-Mitgliedstaaten und Norwegen. Alle Mitgliedstaaten haben den letzten Marktöffnungsschritt, der zum 1. Januar 2006 in Kraft trat, umgesetzt. Dabei wurden die Spielräume, welche die Richtlinie vorgibt, in unterschiedlichem Umfang genutzt. Zehn Mitgliedstaaten haben den Spielraum voll ausgeschöpft und drei haben ihre Märkte bereits vollständig für Wettbewerber geöffnet. In acht Staaten unterliegt die Beförderung und Zustellung von adressierten Werbesendungen nicht dem Monopol. In einzelnen Ländern gibt es weitere Ausnahmen vom reservierten Bereich. So ist in Spanien die Zustellung von Sendungen innerhalb von Städten für Wettbewerber erlaubt. In Deutschland können Postdienstleister so genannte «höherwertige» Briefdienstleistungen – z.B. mit garantierter Übernachtzustellung – anbieten. In Deutschland und Grossbritannien sind darüber hinaus die etablierten Betreiber (Incumbents) verpflichtet, Wettbewerbern Zugang zum eigenen Zustellnetz zu gewähren. Dies ermöglicht so genannten Konsolidierern, in den Bereichen der Einsammlung, Sortierung und Beförderung tätig zu werden. Trotz der teilweisen Liberalisierung haben die etablierten Betreiber in allen Mitgliedstaaten der EU und Norwegen nach wie vor einen Marktanteil von deutlich über 90%. In der Mehrzahl dieser Länder bedienen diese nahezu 100% des Briefmarktes. Im Folgenden wird auf die Wettbewerbsentwicklung in Deutschland, Finnland, Grossbritannien, den Niederlanden und Schweden eingegangen. Diesen fünf Mitgliedstaaten ist gemeinsam, dass sie ihre nationalen Briefmärkte stärker als von der Postrichtlinie gefordert geöffnet haben und entsprechend mehr Wettbewerb zu erwarten ist als in den übrigen Mitgliedstaaten.
Deutschland: Wettbewerb vor allem bei höherwertigen Dienstleistungen
In Deutschland begann die schrittweise Öffnung des Briefmarktes im Jahr 1998 mit einer Reduzierung des Briefmonopols auf Sendungen bis zu 200 Gramm bzw. bis zum 5-fachen des Standard-Portos. Die vollständige Liberalisierung war im Postgesetz von 1998 für 2003 vorgesehen. Das Monopol wurde jedoch später durch eine Gesetzesänderung um fünf Jahre verlängert (bis Dezember 2007). Jeweils zu Jahresbeginn 2003 und 2006 wurden die Preis- und Gewichtsgrenzen entsprechend der Postrichtlinie abgesenkt. Als sehr bedeutsam für die Marktentwicklung in Deutschland erwies sich, dass schon 1998 so genannte «höherwertige Dienstleistungen» Vgl. § 51 Abs. 1 Nr. 4 Postgesetz: «Dienstleistungen, die von Universaldienstleistungen trennbar sind, besondere Leistungsmerkmale aufweisen und qualitativ höherwertig sind.» gezielt vom Monopol ausgenommen wurden, auch wenn sie unterhalb der Preis- und Gewichtsgrenzen des Monopols liegen. Auf dieser Grundlage wurden Lizenzen an Unternehmen vergeben, die etwa ihren Kunden die Übernachtzustellung garantieren oder Sendungsverfolgung anbieten. Schritt für Schritt haben sich seit 1998 zumeist relativ kleine, lokal tätige Anbieter als Konkurrenten der Deutschen Post AG etablieren können. Nur innerhalb kleiner Regionen konnten die strengen Lizenzanforderungen hinsichtlich höherwertiger Qualität erfüllt werden. Die lokalen Zusteller arbeiten zumeist für Kunden, die viel Post für regionale Empfänger haben, wie etwa kommunale Behörden, Verbände, Krankenkassen oder Versorgungsunternehmen. Daneben hat sich in weiteren Nischenmärkten Ein Beispiel dafür ist die Zustellung von Gerichtspost (so genannte Postzustellungsaufträge, PZA). Wettbewerb entwickelt. Die Aussicht auf die vollständige Liberalisierung im kommenden Jahr bewirkt derzeit eine Marktkonsolidierung. Durch Unternehmenskäufe und Kooperationen betreiben vor allem TNT Post Deutschland und die Pin AG den Aufbau bundesweiter Zustellnetze. Der Marktanteil der Deutschen Post hat sich langsam verringert und lag 2006 bei 90,3%. Der genannte Marktanteil für 2006 ist eine Prognose des Regulators. In den Vorjahren belief sich der Marktanteil der Deutschen Post AG auf 97,2% (2002), 96,3% (2003), 94,6 % (2004) bzw. 93,3% (2005). Siehe Jahresberichte der Bundesnetzagentur. Ihre Wettbewerber nahmen im Jahr 2006 insgesamt über 1,5 Mrd. Euro ein. Dabei entfielen die grössten Umsatzanteile der Wettbewerber auf höherwertige Dienstleistungen. Bei schweren Sendungen – über der Gewichtsgrenze des Monopols – hat sich hingegen nur in sehr geringem Umfang Wettbewerb entwickelt. Zusätzlich zur Marktöffnung für Zustellunternehmen hat der Regulator der Deutschen Post auferlegt, ihren Kunden und Wettbewerbern Netzzugang zu gewähren, d.h. spezielle Rabatte einzuräumen, wenn sie ihre Sendungen vorsortiert und in grossen Mengen in den Briefzentren einliefern. Bis zum Sommer 2005 stand dieser Netzzugang nur Endkunden zur Verfügung. Seither können auch gewerbliche Konsolidierer diese Rabatte der Deutschen Post nutzen und damit Produkte für ihre Kunden entwickeln. Der vom Regulator seit 1999 angeordnete Netzzugang war für Sendungen innerhalb der Preis- und Gewichtsgrenzen der Exklusivlizenz zunächst lediglich für Endkunden verfügbar. Mit einem dem Beschluss des Bundeskartellamts (BKartA, der deutschen Wettbewerbsbehörde) vom 11.2.05 wurde die DPAG verpflichtet, die Zugangsleistungen auch ihren Wettbewerbern unabhängig von den Preis- und Gewichtsgrenzen anzubieten. Die Entscheidung wurde faktisch erst wirksam, nachdem eine Klage der Deutschen Post AG gegen den BKartABeschluss am 13. Juli 2005 vom zuständigen Gericht abgewiesen wurde. In der Folge hat sich der Markt für Konsolidierung sprunghaft entwickelt: Im Jahr 2006 haben die Konsolidierer etwa 500 Mio. Briefe bearbeitet.
Finnland: Kein Wettbewerb wegen abschreckender Lizenzauflagen
Obgleich in Finnland der reservierte Bereich im gleichen Jahr wie in Schweden abgeschafft wurde (1993), hat sich bis heute kein Wettbewerber im finnischen Briefmarkt etabliert. Als 1995 ein weiteres Unternehmen eine Lizenz zur Briefbeförderung beantragt hatte, entfachte sich eine Diskussion über eine potenzielle Gefährdung des Universaldienstes durch den Wettbewerb. Wesentliches Resultat dieser Debatte war ein im Jahr 1997 verabschiedetes Gesetz, das in Abhängigkeit der Bevölkerungsdichte der Versorgungsgebiete eines Wettbewerbers eine zusätzliche Umsatzsteuer von 5%-20% erhebt. Act on the Fee Collected for Securing the Provision of Postal Services on Sparsely Populated Areas («Postal Fee Act»), 1997. Darauf basierend müsste ein Anbieter, der nur im Grossraum Helsinki zustellt, den maximalen Steuersatz von 20% auf erzielte Umsätze entrichten. Weist das Gebiet eine Dichte von weniger als 250 Einwohner pro Quadratkilometer auf, fällt diese Steuer nicht an. Gleichwohl müsste ein Dienstleister gemäss den Vorgaben des Postgesetzes mindestens an fünf Tagen pro Woche zustellen. 1997 wurde dem Unternehmen «Suomen Suoramainonta Oy» eine Lizenz für die Zustellung von adressierten Briefsendungen im Grossraum Helsinki erteilt. Das Unternehmen stellt traditionell nicht adressierte Sendungen sowie Zeitungen und Zeitschriften zu. Vgl. OECD (2003), Regulatory Reform in Finland: Marketisation of Government Services – State-Owned Companies, S. 44. Suomen Suoramainonta hat bis heute das Briefzustellgeschäft nicht gestartet.
Grossbritannien: Wettbewerber nutzen «letzte Meile» der Post
Die Liberalisierung des britischen Briefmarktes war in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich: – zum einem, weil dort der Gesetzgeber den Regulator (Postal Services Commission, Postcomm) ermächtigt hat, selbst über die Marktöffnung zu entscheiden; – zum anderen, weil Postcomm anschliessend eine Marktöffnungsstrategie umgesetzt hat, die sich erheblich vom EU-Fahrplan – d.h. der schrittweisen Reduktion der Gewichtsgrenzen des Monopols – unterscheidet. Im Jahr 2002 kündigte Postcomm einen Liberalisierungsfahrplan an, bei dem gezielt Massensendungen für den Wettbewerb geöffnet werden sollten. Dieses Marktsegment erschien für Wettbewerber als besonders interessant. Ab April 2002 durften Wettbewerber Sendungen befördern, die zu mindestens 4000 Stück eingeliefert werden; dies entsprach 30% des Briefmarktes. Ab April 2005 sollten weitere 30% des Marktes durch Absenkung der Mindesteinlieferungsmenge liberalisiert werden; 2007 sollte das Postmonopol vollends aufgehoben werden. Zu Jahresbeginn 2005 entschied Postcomm in Anbetracht der bislang unbefriedigenden Wettbewerbsentwicklung, die zweite Stufe der Liberalisierung zu überspringen und das Postmonopol schon ab Januar 2006 vollständig zu beseitigen. Trotz der vollständigen Marktöffnung hat sich in Grossbritannien bisher nahezu kein Wettbewerb in der Zustellung etabliert: Der Marktanteil der Wettbewerber von Royal Mail, die selbst zustellen, lag in den letzten beiden Jahren «Financial years» 2004/05 und 2005/06. jeweils bei 0,2%. Aus Kundensicht hat sich mittlerweile dadurch etwas Wettbewerb entwickelt, dass Royal Mail Netzzugangsprodukte anbietet. Der erste Netzzugangsvertrag zwischen Royal Mail und UK Mail kam im Februar 2004 auf Druck des Regulators zustande. Seitdem bietet Royal Mal sowohl Grossversendern als auch Wettbewerbern sehr attraktive Rabatte für Vorsortierung und Transportleistungen an. Im Geschäftsjahr 2005/06 hatten Zugangsdienste einen Marktanteil von 2,8%. Davon entfielen jedoch nur 1,3% auf Konsolidierer, während 1,5% der gesamten Sendungsmenge direkt von Endkunden mittels «Zugangsverträgen» eingeliefert wurden. Vgl. Postcomm (2006).
Niederlande: Wettbewerb bei Werbesendungen
In den Niederlanden hat der Gesetzgeber ebenfalls eine stärkere Marktöffnung als in der Postrichtlinie umgesetzt: Zum einen unterliegt die Beförderung und Zustellung von inhaltsgleichen Sendungen (Werbesendungen) nicht dem Monopol; zum anderen wurde bereits im Jahr 2000 die Gewichtsgrenze für Briefsendungen auf 100 g reduziert (statt 350 g, wie in der Richtlinie als Maximalwert vorgesehen). In Abhängigkeit des Marktöffnungsprozesses in Deutschland werden die Niederlande ihren Briefmarkt vermutlich Anfang 2008 vollständig für den Wettbewerb öffnen. Im geöffneten Marktsegment – insbesondere bei der Zustellung von Werbesendungen – hat sich bereits spürbarer Wettbewerb eingestellt. Zwei Wettbewerber haben nahezu flächendeckende parallele Zustellnetzwerke aufgebaut: Sandd (im Eigentum einer Wagniskapitalgesellschaft) und Selektmail (Deutsche Post). Beide Unternehmen stellen in der Regel nur an zwei Wochentagen zu, was deutlich geringere Zustellkosten nach sich zieht. Daneben gibt es einige regionale Zustellunternehmen sowie Nischenanbieter, die z.B. Business-to-Business-Post befördern und ausschliesslich in Postfächer zustellen. Vgl. Ministerie van Economische Zaken (2004) sowie Ecorys (2005). Daneben sind einige Verlage in der Zustellung aktiv. Bis heute hat der niederländische Incumbent TNT Post einen Marktanteil von über 90%.
Schweden: Etablierter Betreiber hält über 90% Marktanteil
Schweden hat lange vor Inkrafttreten der Postrichtlinie seinen Postmarkt vollständig geöffnet. Das staatliche Monopol wurde zum 1. Januar 1993 abgeschafft. 1994 trat mit dem Postgesetz ein sektorspezifischer Regulierungsrahmen in Kraft. Zeitgleich wurde eine unabhängige Regulierungsbehörde etabliert. Vgl. Andersson, (2006). Gleichzeitig mit der Marktöffnung wurden Postdienstleistungen mehrwertsteuerpflichtig. Die schwedische Posten AB hat heute einen Marktanteil von knapp über 90%. Der bedeutendste Wettbewerber im schwedischen Briefmarkt ist CityMail, eine Tochter des norwegischen Postunternehmens. CityMail erreichte 2005 einen Marktanteil von 7,9%. Das Unternehmen wurde Mitte der Neunzigerjahre gegründet. Das Geschäftsmodell füllte eine Marktlücke: Es bot die Zustellung vorsortierter Sendungen in dicht besiedelten Regionen in Südschweden an, zu Beginn nur in Stockholm, später kamen weitere Städte hinzu. Heute hat CityMail einen Abdeckungsgrad von ca. 45% der schwedischen Haushalte. Die Zustellung erfolgt zweimal pro Woche. Mit diesem Geschäftsmodell muss CityMail zum einen keine Investitionen in aufwendige Sortiertechnologie tätigen, zum anderen wurden die Kosten der Zustellung durch die geringeren wöchentlichen Zustelltage begrenzt. Trotz der kostengünstigen Dienstleistungserstellung stand das Unternehmen mehrfach vor grossen finanziellen Schwierigkeiten. Diese waren u.a. auch Folge des wettbewerbswidrigen Verhaltens des schwedischen Incumbent, der beispielsweise gezielt seine Preise für solche Versender reduzierte, die schon von CityMail bedient wurden. Diese Probleme konnten bis Ende der Neunzigerjahre von der Wettbewerbsbehörde weit gehend bereinigt werden. Es ist nicht damit zu rechnen, dass weitere grosse Wettbewerber in den schwedischen Markt eindringen werden. Die Marktöffnung selbst hat nicht dazu geführt, dass der schwedische etablierte Betreiber grosse Teile seines Geschäftes verloren hat.
Schlussfolgerungen
In der europäischen Postpolitik hat sich weit gehend die Auffassung durchgesetzt, dass eine Liberalisierung der Postmärkte volkswirtschaftlich sinnvoll ist. Sie veranlasst die ehemaligen Monopolisten, effizienter und kundenorientierter zu werden, und führt tendenziell zu Produktinnovationen und sinkenden Preisen. Trotzdem wurde die Liberalisierung eher zurückhaltend betrieben: In der EU wurde der Ansatz gewählt, maximale Gewichtsgrenzen für die Postmonopole einzuführen, um sie dann schrittweise abzusenken. Die Erfahrungen im europäischen Ausland zeigen, dass sich Wettbewerb in Briefmärkten nur sehr langsam entwickelt – selbst dann, wenn die Märkte vollständig liberalisiert werden. Auch in stärker oder vollständig liberalisierten Briefmärkten konnten die etablierten Betreiber bisher Marktanteile von über 90% behaupten. Das wesentliche Motiv für eine schrittweise Liberalisierung war es, den ehemaligen Postverwaltungen eine Schonfrist zur Vorbereitung auf den Wettbewerb zu geben. In der Retrospektive erscheint diese Vorsichtsmassnahme unbegründet, weil die etablierten Betreiber ihre Position auch dort behaupten konnten, wo Briefmärkte vollständig liberalisiert wurden. Die schrittweise Liberalisierung mittels Gewichtsgrenzen erscheint daher heute eher als unglücklicher politischer Kompromiss denn als sachgerechte Übergangslösung. Wer Wettbewerb im schweizerischen Briefmarkt schaffen will, sollte ihn ohne weitere Zwischenschritte vollständig liberalisieren.
Tabelle 1 «Marktöffnungsfahrplan der europäischen Postrichtlinie»
Tabelle 2 «Umfang der reservierten Bereiche in den Mitgliedstaaten der EU und Norwegen (Stand: März 2007)»
Kasten 1: Wesentliche Elemente der europäischen Postrichtlinie Die europäische Postrichtlinie legt die wesentlichen Elemente für die Gestaltung und Regulierung des Post-Universaldienstes und den Marktöffnungsprozess fest. Darüber hinaus verlangt sie die Implementierung unabhängiger Regulierungsbehörden. Die Richtlinie macht in sehr allgemeiner Form Mindestvorgaben zur Qualität des Post-Universaldienstes, z.B. zum flächendeckenden Zugang, zur Zustellung an mindestens fünf Tagen pro Woche, zu Laufzeitzielen und ihrer Messung. Daneben gibt es noch Regeln zum Verbraucherschutz, insbesondere zum Beschwerdemanagement. Dem Subsidiaritätsgedanken folgend, können die Mitgliedstaaten die Vorgaben zum Post-Universaldienst entsprechend ihrer nationalen Belange konkretisieren. Die Mitgliedstaaten sollen ein (oder mehrere) Postunternehmen zur Erbringung des Universaldienstes verpflichten. Diese Postunternehmen unterliegen weiteren regulatorischen Anforderungen hinsichtlich Kostenrechnung, Preisen und Qualität. Die konkrete Ausgestaltung der Preis- und Qualitätsregulierung obliegt den Mitgliedstaaten. Soweit es für die Aufrechterhaltung des Universaldienstes notwendig ist, dürfen die Mitgliedstaaten den von ihnen bestimmten Postunternehmen (Universaldienstleistern) ein Teilmonopol (reservierter Bereich) für die Zustellung von Briefsendungen einräumen. Der Umfang des maximal reservierbaren Bereichs wurde seit Inkrafttreten der Postrichtlinie Anfang 1998 schrittweise reduziert. Den Mitgliedstaaten wird die Möglichkeit eingeräumt, den Zugang zu den Postmärkten über Allgemeinoder Einzelgenehmigungen zu regulieren.
Kasten 2: Literatur – Andersson, Peter (2006), The liberalisation of postal services in Sweden – goals, results and lessons for other countries ( www.seco.admin.ch ).- Bundesnetzagentur (2007), Jahresbericht 2006, Bonn.- Bundesnetzagentur (2006), Neunte Marktuntersuchung für den Bereich der lizenzpflichtigen Postdienstleistungen, Bonn.- Cohen, Robert; Jonsson, Per; Robinson, Matthew; Selander, Sten; Waller, John und Xenakis, Spyros (2006), The impact of competitive entry into the Swedish postal market. Beitrag zum 10th Königswinter Postal Seminar, Februar 2007 ( www.wik.org ).- Ecorys (2005), Development of Competition in European postal markets, Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (ec.europa.eu/internal_market/post)- Europäische Kommission (2006), Bericht an den Rat und das Europäische Parlament zur Anwendung der Postrichtlinie (Richtlinie 97/67/EC wie geändert durch Richtlinie 2002/39/EC).- Ministerie van Economische Zaken (2004), Postal Memorandum, Januar 2004.- Ministerie van Economische Zaken (2004), Supplemental information to the Postal Services Policy Memorandum, 27.9.2004.- OECD (2003), Regulatory Reform in Finland: Marketisation of Government Services – State-Owned Enterprises, Paris.- Postcomm (2006), 2006 Competitive Market Review, London.- Postcomm (2004), Promoting Effective Competition in UK Postal Services through Downstream Access – Observations on the Agreement between Royal Mail and UK Mail Ltd. On Access to Royal Mail’s Delivery Network, London, March 2004.- Postcomm (2002), Promoting Effective Competition in UK Postal Services, A Decision Document, London.- PTS (Post et Telestyrelsen) (2006), Service och konkurrens 2006, April 2006.- WIK-Consult (2006), Main Developments in the Postal Sector (2004-2006), Studie im Auftrag der Europäischen Kommission (ec.europa.eu/internal_market/post).
Zitiervorschlag: Dieke, Alex; Niederpruem, Antonia (2007). Liberalisierung der Briefmärkte in Europa. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.