Die Postmarktöffnung ist ohne Gegengeschäfte nicht zu haben!
Als anzustrebende Ziele von Marktöffnungen werden vielfach genannt: mehr Markt, mehr Konkurrenz, mehr Wettbewerb, mehr Produktivität. Als Vorteile für die Anbieter werden höhere Gewinne und für die Kunden sinkende Preise in Aussicht gestellt. Also nieder mit den Schranken – freier Postmarkt für alle! Doch ganz so einfach wird es nicht gehen; zu divergierend sind die Interessen. Für die Gewerkschaft transfair stehen im Vordergrund ein qualitativ hoch stehender Service public und Anstellungsbedingungen auf gutem Niveau, die in einem branchenübergreifenden Gesamtarbeitsvertrag zu regeln sind.
Vorauszuschicken ist, dass die Schweiz mit der Postmarktöffnung nicht bei null beginnt. Der Paketmarkt ist seit 2004 vollständig liberalisiert. Per 1.April 2006 ist die Monopolgrenze bei der Briefpost auf 100 Gramm gesenkt worden. Die Frage lautet also nicht: Postmarktöffnung ja oder nein? Die Frage lautet: Zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang? Nun kann man sich als Liberalisierungs-Turbo outen und alle Schranken niederreissen. Oder man kann sich als Robin Hood der Liberalisierungsgegner gebärden und die guten alten Postzeiten beschwören. Man kann natürlich auch das Richtige tun.
Augenmass ist gefragt
Das Richtige zu tun heisst für transfair, Augenmass zu bewahren und – im Sinne gut schweizerischer Konsenslösungen – pragmatisch vorzugehen. So wie das Bundesrat und Parlament bereits im Jahr 2002 anlässlich einer «Gesamtschau Post» getan haben. Herausgeschaut hat damals zwar auch ein Ja zur Marktöffnung, aber eine verantwortungsbewusste Marktöffnung mit Bedacht und ohne Gefährdung der flächendeckenden postalischen Grundversorgung. Denn es muss darum gehen, den schweizerischen Postmarkt weiterzuentwickeln, Innovationen zu fördern und Auslandsengagements zu vereinfachen, ohne die Grundversorgung als Garanten des sozialen und regionalen Zusammenhalts der Schweiz zu zerschlagen. Dieses Augenmass gilt es gerade mit Blick auf eine weitere Marktöffnung zu bewahren.
Über die Rahmenbedingungen entscheidet der Souverän
Es ist kein Geheimnis: Die Geschäftskunden tragen gut 80% zum Umsatz der Schweizerischen Post bei. Die Geschäftskunden würden denn auch in erster Linie von einer gänzlichen Marktöffnung und sinkenden Preisen profitieren. Aber es sind die Privatkunden, die letztendlich die Weiterentwicklung des Postmarktes in der Schweiz an der Urne entscheiden. Deshalb darf es auch den vehementesten Befürwortern einer Marktöffnung nicht egal sein, unter welchen Rahmenbedingungen der Postmarkt liberalisiert wird. Eine dieser Rahmenbedingungen ist eine qualitativ hoch stehende Grundversorgung. Die Schweiz ist in diesem Bereich führend. Denn unter Grundversorgung verstehen die Schweizerinnen und Schweizer nicht nur eine flächendeckende Versorgung mit Postdienstleistungen, die nach gleichen Grundsätzen, in guter Qualität und zu angemessenen Preisen zu erbringen sind. Zur Grundversorgung gehören auch eine gut ausgebaute Infrastruktur (Poststellennetz) sowie Dienstleistungen des Zahlungsverkehrs. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Schweizerinnen und Schweizer Abstriche in der Grundversorgung tolerieren werden, nur weil der Postmarkt liberalisiert werden soll.
Grundversorgung muss finanziert sein
Kein anderer Postdienstleister als die Schweizerische Post wird heute und auch morgen in der Lage sein, die Grundversorgung in der Schweiz im geforderten Umfang und in gewohnter Qualität anzubieten. Deshalb muss die Schweizerische Post für diesen Dienst an der Bevölkerung auch abgegolten werden. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Die einfachste und sicherste Finanzierungsart ist es, eine Monopolgrenze beizubehalten. Wir plädieren für Beibehaltung der 100 Gramm. Allenfalls könnte die Monopolgrenze im Sinne eines Kompromisses auf 50 Gramm gesenkt werden. Diese «letzte Meile» des Postmarktes ist jedoch zwingend beizubehalten.
Branchen-GAV
Voraussetzung für eine weitere Postmarktöffnung sind für transfair zudem faire Anstellungsbedingungen, die branchenweit in einem Gesamtarbeitsvertrag geregelt sind. Der Massstab ist durch die Schweizerische Post gesetzt. Die Konkurrenten müssen ihre Anstellungsbedingungen auf dieses Niveau anheben. Lohn- und Sozialdumping wird nicht geduldet. Das ist der Preis für die Postmarktöffnung.
Zitiervorschlag: Gerber, Hugo (2007). Die Postmarktöffnung ist ohne Gegengeschäfte nicht zu haben! Die Volkswirtschaft, 01. Mai.