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Schwedische Postmarktöffnung: Ein Modell für die Schweiz?

Schwedische Postmarktöffnung: Ein Modell für die Schweiz?

Der Bundesrat hat im Jahr 2006 eine Totalrevision der Postgesetzgebung in Auftrag gegeben. Ziel dieser Revision ist es, gleiche Rahmenbedingungen für die Schweizerische Post und private Anbieter zu schaffen, gleichzeitig die Grundversorgung und ihre Finanzierung zu sichern und allfällige weitere Öffnungsschritte im Briefmarkt festzulegen. In Schweden sind die Briefmärkte bereits seit längerem vollständig liberalisiert. Die schwedischen Erfahrungen zeigen, dass eine konsistente Neugestaltung des Postmarktes den Wettbewerb auch in der Schweiz beleben könnte, dass aber die Finanzierung der heutigen umfassenden Grundversorgung in Frage gestellt würde. Kleinkunden hätten tendenziell höhere Preise und eine tiefere Dienstleistungsqualität zu gewärtigen.

In Schweden wurde der Postmarkt 1993 vollständig geöffnet. Gemäss Andersson (2006) wurden die drei Hauptziele «Steigerung des Wirtschaftswachstums», «Gewährleistung des Universaldienstes» und «Vorteile für die Anbieter im Postsektor» mehrheitlich erreicht: Insgesamt habe sich die Liberalisierung positiv auf die Entwicklungen im schwedischen Postmarkt ausgewirkt, und der Universaldienst sei weiterhin problemlos gewährleistet. Die schwedische Regulierungsbehörde PTS stellt sich auf den gleichen Standpunkt; Ähnliches berichtet auch die schweizerische Regulierungsbehörde PostReg in ihrem letztjährigen Tätigkeitsbericht über Schweden.  So gut sich diese Folgerungen anhören, so wenig sollte das schwedische Modell unbesehen auf die Schweiz übertragen werden. Es zeigt sich, dass die Krux insbesondere in der Definition der Grundversorgung liegt. Zur Illustration zeigt das Foto 1 eine schwedische Poststelle. Es versteht sich von selbst, dass die Kostenstruktur hinter einem solchen Regal eine andere ist als diejenige einer schweizerischen Poststelle mit einer umfassenden Palette von Post- und Zahlungsverkehrdienstleistungen. Der Blick über die Grenze erfordert also eine breite Perspektive, um für die Schweiz die richtigen Schlüsse ziehen zu können.

Grundpfeiler des schwedischen Modells


Im Folgenden werden die Grundpfeiler des schwedischen Modells beschrieben. Zusammen ergeben sie ein konsistentes ökonomisches Marktmodell.  – Ein «Level Playing Field» für alle Anbieter, um faire Wettbewerbsbedingungen sicherzustellen: Dazu wurde ein Lizenzierungswesen eingeführt, das unter anderem die Zuverlässigkeit, Vertraulichkeit und Integrität von Briefen bezweckt, ohne als Markteintrittsbarriere zu wirken. Um gleiche Rahmenbedingungen zu garantieren, wurde die schwedische Post in eine AG überführt. Dabei verzichtet die Regierung als Eigentümerin weit gehend auf eine Einflussnahme in die Geschäftstätigkeiten der Posten AB. Bezüglich Arbeitsbedingungen gelten für alle Operatoren die gleichen Regeln. Entsprechend zahlen die Posten AB und ihre wichtigste Konkurrentin CityMail vergleichbare Löhne. Schliesslich besteht – wie in der Schweiz – keine Mehrwertsteuerverzerrung in der Form einer exklusiven Mehrwertsteuerbefreiung für den ehemaligen Monopolanbieter auch in geöffneten Marktsegmenten, wie sie in den europäischen Schlüsselmärkten Deutschland, Frankreich oder Grossbritannien zu beobachten ist.  – Marktkonforme Ausgestaltung der Grundversorgung im Sinne eines «Safety Net»: Die Grundversorgung wird der Posten AB direkt zugewiesen und durch den Staat abgegolten, falls diese nicht eigenwirtschaftlich erbracht werden kann. Dabei sind die Anforderungen an die schwedische Post sehr generell gehalten. Es bestehen nur minimale Bestimmungen, die den Zugang zu Grundversorgungsleistungen regeln. Posten AB geniesst weit gehende Freiheiten bezüglich der Produktgestaltung und Preissetzung, die Möglichkeit der Reduktion der Zustellfrequenz in ausgewählten Regionen sowie vergleichsweise tiefe Laufzeitvorgaben (85% für A-Post). – Finanzierung der Grundversorgung mittels staatlicher Abgeltungen, um die Verzerrungen im Markt zu minimieren: Angesichts der wenig bindenden Universaldienstauflagen kann die Posten AB diese heute grösstenteils eigenfinanziert erbringen. Abgeltungen fliessen nach Angaben der Posten AB für die Leistungen im Zahlungsverkehr, für gewisse Dienstleistungen in ländlichen Gebieten, für Dienstleistungen zuhanden Sehbehinderter und für die nationale Sicherheit.  – Konsequente Deregulierung mit weit gehenden kommerziellen Freiheiten aller Marktteilnehmer: Die sektorspezifische Regulierung vertraut auf die Kräfte des Marktes und beschränkt sich auf ein Minimum. Auf eine Netz-Zugangsregulierung wird mangels monopolistischer Engpässe verzichtet. Siehe u.a. SECO (2005). Jedoch wurden gewisse technische Regulierungen im Zusammenhang mit Postfächern, Nachsendeaufträgen und Postleitzahlensystemen eingeführt.

Auswirkungen der Marktöffnung in Schweden


Die konsequente Liberalisierung und Deregulierung in Schweden hat den Postmarkt und insbesondere die Posten AB tief greifend verändert. Um sich auf die Bedürfnisse und die Anforderungen des Marktes auszurichten, waren seitens Posten AB einschneidende Massnahmen nötig. Die Preise für A-Post-Einzelsendungen wurden nominal um 90% erhöht (vgl. Grafik 1). Die Preise für Geschäftskunden wurden stark differenziert und sind – abgesehen von mehrwertsteuerbedingten Preiserhöhungen – in der Tendenz stabil geblieben. Dies hat unter anderem zu einer massiven Veränderung der Sendungsstruktur geführt: Bei Einzelsendungen war ein dramatischer Rückgang zu verzeichnen. Dieser konnte nicht vollumfänglich durch eine Zunahme bei Massensendungen kompensiert werden, wie der Vergleich zur Schweiz zeigt (vgl. Grafik 2).  Weitere Massnahmen umfassen das Outsourcing von Zustelltouren sowie die Abschaffung der Samstagszustellung und des Poststellennetzes im klassischen Sinn. Letzteres wurde ersetzt durch drei neue Netze: Geschäftskunden können im logistischen Bereich auf spezialisierte Business-Center zurückgreifen, in denen gleichzeitig die Postfächer untergebracht sind. Für Privatkunden stehen Annahmestellen für Briefe und Pakete in Lebensmittelläden oder Tankstellen zur Verfügung. Der Zahlungsverkehr wird in einem separaten Filialnetz angeboten, in dem keine postalischen Produkte erhältlich sind. Dieser «Svensk Kassaservice» ist trotz beträchtlicher staatlicher Subventionszahlungen und mehrerer Rationalisierungen weiterhin defizitär und damit eines der grössten Sorgenkinder der schwedischen Post. Hier scheint der Weg, den die neuseeländische Post gegangen ist, besser zu sein; er bedingt aber eine hauseigene Bank (vgl.

Kasten 1
Neuseeland ist das Musterbeispiel einer weit gehenden Deregulierung im Postmarkt. 1987 wurde die neuseeländische Post aus der öffentlichen Verwaltung in eine privatrechtliche Gesellschaft, die New Zealand Post Limited, ausgegliedert. Sie verblieb jedoch vollständig in Staatseigentum. Das Monopol für Briefsendungen wurde erst elf Jahre später vollständig aufgehoben. Diese Zeit nutzte die neuseeländische Post für Umstrukturierungen. Bis 1993 wurde über ein Drittel und bis 1997 mehr als 40% des Personals abgebaut. Das Poststellennetz wurde ab 1988 tief greifend umgebaut. Die Anzahl selbst betriebener Poststellen wurde von 1262 im Jahr 1985 innerhalb von acht Jahren auf knapp 240 reduziert. Heute umfasst das Poststellenetz noch 142 selbst betriebene Poststellen (vor allem Filialen der unternehmenseigenen Kiwibank), 181 Franchise-Agenturen sowie 672 Verkaufspunkte für die postalischen Grunddienstleistungen. Diese Verkaufspunkte werden von Partnern betrieben, welche Postdienstleistungen als Ergänzung zum eigenen Kerngeschäft unter Nutzung entsprechender Verbundseffekte betreiben («Post im Dorfladen»). Die Zustellung im ländlichen Raum wird durch 540 Subunternehmer sichergestellt, die gleichzeitig für andere Unternehmen tätig sein können (und damit ebenfalls Verbundseffekte erzielen können).Das Land hat gösstenteils auf sektorspezifische Regulierung verzichtet; es gibt keine Regulierungsbehörde für den Postmarkt. Der «Universaldienst» ist in bemerkenswert groben Zügen in einem «Deed of Understanding» zwischen der New Zealand Post und dem zuständigen Ministerium festgeschrieben. Die unternehmerischen Einschränkungen hieraus sind gering und umfassen im Wesentlichen ein Minimum von 240 Poststellen mit Vollangebot, die nahezu flächendeckende Zustellung sowie die Vorgabe, einen Standardbrief anzubieten. Die Preisregulierung beschränkt sich auf das Verbot der Wiedereinführung einer jährlichen Anschlussgebühr für abgelegene Haushaltungen/Regionen («rural delivery fee»). Bezüglich Netzzugangsregulierung gilt einzig das Gebot der Nichtdiskriminierung.Neuseeland ist damit ein eindrückliches Beispiel einer konsequenten Deregulierung, bei der weit gehend auf Marktmechanismen vertraut wurde mit einer entsprechend minimalen, marktkonformen Auslegung des Universaldienstes (d.h. Pflicht zur flächendeckenden Zustellung von B-Post). Der Wettbewerb in Neuseeland kann als wirksam bezeichnet werden. Trotz nach wie vor grossen Marktanteils ist es der neuseeländischen Post nicht gelungen, ein höheres Preisniveau durchzusetzen, obwohl dies der zwischenzeitlich geltende Price-Cap ermöglicht hätte. Stattdessen sah sich die neuseeländische Post gezwungen, kostenbasierte Preise mit entsprechenden Preisdifferenzierungen zwischen Stadt und Land sowie zwischen Gross- und Kleinkunden einzuführen.). Insgesamt gingen bei Posten AB als Folge der Marktöffnung ungefähr ein Drittel der Arbeitsplätze verloren. Diese konnten durch neue Anbieter bei weitem nicht kompensiert werden.

Ein Modell für die Schweiz?


Aus ökonomischer Sicht gibt es kaum Gründe, dass das schwedische Modell nicht auch in der Schweiz funktionieren könnte. Die Herausforderungen, die sich daraus ergeben, sind eher politischer Natur und münden in die Frage, ob es möglich sei, die heute in der Schweiz geltende Grundversorgung sowie weitere Auflagen rechtzeitig anzupassen. Das schwedische Modell auf die Schweiz anzuwenden, würde heissen, dass der erst im Jahr 2004 in Kraft getretene Infrastrukturauftrag Nach Auslegung von PostReg müssen 90% der Bevölkerung eine Poststelle mit Vollangebot (d.h. inklusive Zahlungsverkehr) in 20 Minuten zu Fuss oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. an die Schweizerische Post wieder abgeschafft werden müsste. Weiter wäre der eben erst beschlossene gesetzliche Auftrag an die Post, flächendeckend Arbeitsplätze anzubieten, wieder zu streichen. Konsequenterweise müsste die Post überdies in eine AG überführt werden, und bezüglich Arbeitsbedingungen müssten gleiche Voraussetzungen geschaffen werden. Dies würde u.a. eine Ablösung der Post vom Bundespersonalgesetz bedingen. Bezüglich der Preissetzung wäre der Post neben der Einführung neuer Produktstufen (20 Gramm, 50 Gramm) die vollständige Freiheit bei den Geschäftskundensendungen zu gewähren. Eine kräftige Erhöhung der Listenpreise von Einzelsendungen wäre unumgänglich. Dass die Gewährung preissetzerischen Spielraums keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt aktuell der Hintergrund der indirekten Presseförderung. Bevor ein solcher für schweizerische Verhältnisse radikaler und angesichts der direktdemokratischen Mittel schwierig zu realisierender Weg als Ziel gesetzt wird, ist das schwedische Modell mit dem aktuellen Status quo in der Schweiz zu vergleichen. Die ökonomische Konsistenz des schwedischen Modells alleine reicht nicht, um es zu einem attraktiven Vorbild für die Schweiz zu machen. Das Modell muss auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zu einer Verbesserung führen. Hierzu sind die volkswirtschaftlichen Wohlfahrtseffekte zu analysieren sowie die Performance der beiden stark unterschiedlich regulierten Märkte in den letzten 15 Jahren zu vergleichen.

Wohlfahrtseffekte und Performance liberalisierter Postmärkte


Im Zug der EU-weiten Marktöffnungsschritte sind eine Fülle von Prospektivstudien erstellt worden, welche die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Briefmarktliberalisierung anhand von industrieökonomischen Markteintrittsmodellen untersuchen. Dabei gehen Studien führender Ökonomen mehrheitlich in die gleiche Richtung: Wettbewerb bedingt eine unternehmensexterne Finanzierung für den Universaldienst. Der Finanzierungsbedarf ist umso höher, je einschränkender die Universaldienstauflagen sind. So kommt auch eine auf die Schweiz übertragene EU-Studie Vgl. PWC, 2006. zum Schluss, dass eine Marktöffnung in der Schweiz ohne eine Anpassung des Universaldienstes nicht möglich ist. Bezüglich der Wohlfahrtswirkungen sind die Ergebnisse weniger eindeutig. Gleichwohl kommen in fast allen Simulationen Monopollösungen besser weg als Szenarien mit vollständiger Marktöffnung. Insbesondere das amerikanische Modell, welches auf einem rigiden Briefmonopol basiert, schneidet dabei gut ab (vgl.

Kasten 2
In den USA hat der mehr als zehnjährige Prozess einer Postgesetzrevision Ende 2006 zu einer Bestätigung des wahrscheinlich rigidesten Briefmonopols der Welt geführt. Das Monopol ist der staatlichen United States Postal Service (USPS) zugeteilt. Es umfasst sowohl einen reservierten Bereich von 350 Gramm als auch sämtliche Briefkästen im Land. Bemerkenswert ist, dass in den USA – trotz der gegenwärtigen Liberalisierung in Europa – eine Marktöffnung nie zur Debatte stand bzw. von breiten Kreisen verworfen wurde. Der Hauptgrund dürfte sein, dass der amerikanische Briefmarkt, der ungefähr die Hälfte des weltweiten Briefmarktes ausmacht, im internationalen Vergleich bestechend abschneidet. Bezüglich Preis, Leistung (insbesondere Laufzeiten) und Innovationen kann insbesondere der europäische Binnenmarkt nicht mithalten. Gemessen am Pro-Kopf-Briefvolumen kommt lediglich die Schweiz auf vergleichbare Werte (je nach Statistik schneidet die Schweizerische Post gar besser ab). Gemäss Cohen et al. (2002) hat hierzu insbesondere das «Worksharing»-Programm der USPS beigetragen. Dieses ist im Wesentlichen ein Outsourcing-Programm, bei welchem Privaten finanzielle Anreize zur Erbringung von Vorleistungen gewährt werden. Dabei ist gesetzlich festgelegt, dass die gewährten Vorleistungsvergütungen nicht höher sein dürfen als die direkten Einsparungen der USPS hierdurch («Avoided Costs»).). Vgl. auch Dietl et al., 2005, und Jaag, 2007.  Bezüglich Performance des schwedischen Modells im Vergleich zur Schweiz können kaum wissenschaftlich erhärtete Aussagen gemacht werden. Bislang scheint sich das Monopolmodell Schweiz (bzw. das «Restmonopol» der Post) besser gegenüber den neuen Substituten wie E-Mail, Internetplattformen oder SMS behauptet zu haben. So werden heute in der Schweiz rund 10% mehr Briefe als 1993 verschickt, während in Schweden das Volumen je nach Quelle bis zu 10% geschrumpft ist (vgl. Grafik 2). Dies erstaunt, da von einem liberalisierten Markt tiefere Preise, bessere und innovativere Dienstleistungen und somit eine vergleichsweise bessere Mengenentwicklung zu erwarten gewesen wäre. Entgegen der Theorie enttäuscht der schwedische Briefmarkt denn auch bezüglich Innovation. Andersson 2006: «The Swedish market is not significantly more innovative than other modern postal markets». Darüber hinaus schneidet die Posten AB bezüglich der Kundenzufriedenheit schlecht ab: Die Schweden sind im europäischen Vergleich am wenigsten/zweitwenigsten zufrieden mit ihrer Post und vertrauen dieser kaum. Vgl. Andersson 2006. Von 29 Unternehmungen liegt Posten AB nur auf Platz 26. Die Preise der Posten AB für Massensendungen sind vergleichbar mit denjenigen der Schweizerischen Post; jedoch sind die Listenpreise für Einzelsendungen rund 50% höher. Vgl. NZZ, 2006.  Die überraschend gute Performance des schweizerischen Postmarktes im internationalen Vergleich kann unter anderem auf zwei Gründe zurückgeführt werden:  – Die Schweizerische Post sieht sich im Briefmarkt auch ohne direkte Konkurrenz einem nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsdruck gegenüber. Stimmt das Preis-Leistungs-Verhältnis eines Briefes nicht, weichen Kunden auf elektronische Alternativen wie E-Mail aus. Entsprechende ökonometrische Analysen zeigen denn auch, dass die Preiselastizität der Briefnachfrage in den letzten Jahren stetig gestiegen ist. Vgl. Trinkner et al., 2006.  – Eine Liberalisierung führt zwingend zu parallelen Infrastrukturen. Da insbesondere die Briefzustellung mit signifikanten Skaleneffekten charakterisiert ist, Vgl. Farsi et al., 2006. müssten vor der Liberalisierung sehr grosse Ineffizienzen vorhanden sein, damit die Stückkosten trotz schlechterer Auslastung nicht ansteigen.

Fazit


Das schwedische Modell ist ein in sich konsistentes Modell, welches für die Liberalisierung des schweizerischen Briefmarktes nur dann als Vorbild dienen kann, wenn es konsequent umgesetzt werden kann. Allerdings ergibt sich das Problem der politischen Umsetzung, welche in der Schweiz schnell zu einem Flickwerk führen könnte, wenn der Markt zwar geöffnet wird, die nötigen Anpassungen bezüglich der Ausgestaltung des Universaldienstes und der unternehmerischen Freiheiten der Schweizerischen Post aber nicht mehrheitsfähig sind. In einem solchen Szenario würde der Post ein starres politisches Geschäftsmodell aufgezwungen – mit entsprechenden Risiken.  Unklar bleibt die Frage, ob eine vollständige Liberalisierung des Briefmarktes aus volkswirtschaftlicher Sicht überhaupt wünschenswert wäre. Die ökonomische Fachliteratur lässt darüber eher Zweifel aufkommen. Überdies vermag die Performance des heutigen regulierten Restmonopols in der Schweiz im direkten Vergleich mit Schweden zu überzeugen.  Das Beispiel Schweden zeigt, dass die anstehende Liberalisierungsdebatte eng verknüpft mit einer Debatte über den Umfang des Universaldienstes geführt werden sollte. Ist der Umfang des Universaldienstes einmal festgelegt, kann die Frage angegangen werden, ob es für seine Finanzierung nachhaltige Alternativen zum heutigen Restmonopol gibt.

Grafik 1 «Nominelle Preisentwicklung Einzelsendungen, 1993-2006a»

Grafik 2 «Entwicklung Gesamtmarkt addressierte Sendungen, 1993-2005»

Kasten 1: Postmarktöffnung in Neuseeland: Konsequente Deregulierung
Neuseeland ist das Musterbeispiel einer weit gehenden Deregulierung im Postmarkt. 1987 wurde die neuseeländische Post aus der öffentlichen Verwaltung in eine privatrechtliche Gesellschaft, die New Zealand Post Limited, ausgegliedert. Sie verblieb jedoch vollständig in Staatseigentum. Das Monopol für Briefsendungen wurde erst elf Jahre später vollständig aufgehoben. Diese Zeit nutzte die neuseeländische Post für Umstrukturierungen. Bis 1993 wurde über ein Drittel und bis 1997 mehr als 40% des Personals abgebaut. Das Poststellennetz wurde ab 1988 tief greifend umgebaut. Die Anzahl selbst betriebener Poststellen wurde von 1262 im Jahr 1985 innerhalb von acht Jahren auf knapp 240 reduziert. Heute umfasst das Poststellenetz noch 142 selbst betriebene Poststellen (vor allem Filialen der unternehmenseigenen Kiwibank), 181 Franchise-Agenturen sowie 672 Verkaufspunkte für die postalischen Grunddienstleistungen. Diese Verkaufspunkte werden von Partnern betrieben, welche Postdienstleistungen als Ergänzung zum eigenen Kerngeschäft unter Nutzung entsprechender Verbundseffekte betreiben («Post im Dorfladen»). Die Zustellung im ländlichen Raum wird durch 540 Subunternehmer sichergestellt, die gleichzeitig für andere Unternehmen tätig sein können (und damit ebenfalls Verbundseffekte erzielen können).Das Land hat gösstenteils auf sektorspezifische Regulierung verzichtet; es gibt keine Regulierungsbehörde für den Postmarkt. Der «Universaldienst» ist in bemerkenswert groben Zügen in einem «Deed of Understanding» zwischen der New Zealand Post und dem zuständigen Ministerium festgeschrieben. Die unternehmerischen Einschränkungen hieraus sind gering und umfassen im Wesentlichen ein Minimum von 240 Poststellen mit Vollangebot, die nahezu flächendeckende Zustellung sowie die Vorgabe, einen Standardbrief anzubieten. Die Preisregulierung beschränkt sich auf das Verbot der Wiedereinführung einer jährlichen Anschlussgebühr für abgelegene Haushaltungen/Regionen («rural delivery fee»). Bezüglich Netzzugangsregulierung gilt einzig das Gebot der Nichtdiskriminierung.Neuseeland ist damit ein eindrückliches Beispiel einer konsequenten Deregulierung, bei der weit gehend auf Marktmechanismen vertraut wurde mit einer entsprechend minimalen, marktkonformen Auslegung des Universaldienstes (d.h. Pflicht zur flächendeckenden Zustellung von B-Post). Der Wettbewerb in Neuseeland kann als wirksam bezeichnet werden. Trotz nach wie vor grossen Marktanteils ist es der neuseeländischen Post nicht gelungen, ein höheres Preisniveau durchzusetzen, obwohl dies der zwischenzeitlich geltende Price-Cap ermöglicht hätte. Stattdessen sah sich die neuseeländische Post gezwungen, kostenbasierte Preise mit entsprechenden Preisdifferenzierungen zwischen Stadt und Land sowie zwischen Gross- und Kleinkunden einzuführen.

Kasten 2: Neues Postgesetz in den USA: Festhalten am Briefmonopol
In den USA hat der mehr als zehnjährige Prozess einer Postgesetzrevision Ende 2006 zu einer Bestätigung des wahrscheinlich rigidesten Briefmonopols der Welt geführt. Das Monopol ist der staatlichen United States Postal Service (USPS) zugeteilt. Es umfasst sowohl einen reservierten Bereich von 350 Gramm als auch sämtliche Briefkästen im Land. Bemerkenswert ist, dass in den USA – trotz der gegenwärtigen Liberalisierung in Europa – eine Marktöffnung nie zur Debatte stand bzw. von breiten Kreisen verworfen wurde. Der Hauptgrund dürfte sein, dass der amerikanische Briefmarkt, der ungefähr die Hälfte des weltweiten Briefmarktes ausmacht, im internationalen Vergleich bestechend abschneidet. Bezüglich Preis, Leistung (insbesondere Laufzeiten) und Innovationen kann insbesondere der europäische Binnenmarkt nicht mithalten. Gemessen am Pro-Kopf-Briefvolumen kommt lediglich die Schweiz auf vergleichbare Werte (je nach Statistik schneidet die Schweizerische Post gar besser ab). Gemäss Cohen et al. (2002) hat hierzu insbesondere das «Worksharing»-Programm der USPS beigetragen. Dieses ist im Wesentlichen ein Outsourcing-Programm, bei welchem Privaten finanzielle Anreize zur Erbringung von Vorleistungen gewährt werden. Dabei ist gesetzlich festgelegt, dass die gewährten Vorleistungsvergütungen nicht höher sein dürfen als die direkten Einsparungen der USPS hierdurch («Avoided Costs»).

Kasten 3: Literatur
– Andersson P. (2006), «The Liberalisation of Postal Services in Sweden – Goals, Results, and Lessons for Other Countries», Studie zuhanden des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO).- Cohen R. H., W. W. Ferguson, J. D. Waller und S. S. Xenakis (2002), The Impact of Using Worksharing to Liberalize a Postal Market. In: Liberalisation of Postal Markets, Hrsg. G. Kulenkampff und H. Smith. Rheinbreitbach: Druckerei Plump KG. – Dietl H., U. Trinkner und R. Bleisch (2005), Liberalization and Regulation of the Swiss Letter Market. In: Regulatory and Economic Challenges in the Postal and Delivery Sector. Hrsg. M. Crew and P. Kleindorfer, Kluwer.- Farsi M., M. Filippini und U. Trinkner (2006), Economies of Scale, Density and Scope in Swiss Post’s Mail Delivery. In: Liberalization of the Postal and Delivery Sector. Hrsg. M. A. Crew und P. R. Kleindorfer. Edward Elgar.- Jaag C. (2007), Liberalization of the Swiss Letter Market and the Viability of Universal Service Obligations, Arbeitspapier.- NZZ (2006): «Die Post mit guten Karten: Briefsendungen sind in vielen Kategorien preiswert». Neue Zürcher Zeitung vom 25. 7. 2006, S. 23.- PostReg (2006), Tätigkeitsbericht 2005, S. 25.- PWC (2006), The Impact on Universal Service of the Full Market Accomplishment of the Postal Internal Market in 2009. Studie zuhanden der Europäischen Kommission.- PWC (2006), Evaluating the Impact of a Full Market Opening on Swiss Post. Studie zuhanden der Schweizerischen Post.- SECO (2005), Bericht zur Dienstleistungsliberalisierung in der Schweiz im Vergleich zur EU. Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO).- Trinkner U. und M. Grossmann (2006), Forecasting Swiss Mail Demand. In: Progress toward Liberalization of the Postal and Delivery Sector. Hrsg. M. Crew und P. Kleindorfer, Springer.

Zitiervorschlag: Urs Trinkner (2007). Schwedische Postmarktöffnung: Ein Modell für die Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.