Postmarkt Schweiz: Folgerungen aus dem schwedischen Beispiel und der ökonomischen Theorie
In der EU ist vorgesehen, die Postmärkte per 2009 vollumfänglich zu öffnen. Die «reservierten Dienste» werden aufgehoben und im Wettbewerb erbracht. Länder wie Schweden, Finnland, Estland oder Grossbritannien haben diesen Schritt schon vollzogen. Und Länder wie Deutschland und die Niederlande werden ihn demnächst umsetzen. Welches Vorgehen kann sich für die Schweiz als zielführend erweisen? Der folgende Artikel erörtert die Fragen der Marktmacht, der technischen Regulierungen sowie der Grundversorgung bei einer Postmarktöffnung auf Basis der ökonomischen Theorie.
Marktmacht-Regulierungen im Postbereich
Grundsätzlich sind im Rahmen einer Marktöffnung in Netzindustrien (Telekommunikation, Strom, Post etc.) dreierlei Typen von Regulierungsfragen zu lösen: Möglicher Marktmachtmissbrauch, technische Regulierungen sowie die Grundversorgung. Netze sind komplexe Systeme, die meistens aus Knoten (in der Stromversorgung beispielsweise den Unterwerken) und physischen Verbindungen (wie beispielsweise den Stromleitungen) bestehen. Im Gegensatz zu den Telekommunikationsoder den Stromnetzen bestehen die Postnetze lediglich aus Knoten (Verteilzentren, Poststellen, Briefkästen). Um festzustellen, ob im Postbereich Marktmachtprobleme zu lösen sind, die nicht bereits im Rahmen der Tätigkeit der Wettbewerbsbehörde behoben werden können, sind klare Kriterien anzuwenden. Aus ökonomischer Warte stellt sich die Frage, ob die etablierten Unternehmen im Vergleich zu den neuen von langfristigen Kostenvorteilen profitieren. Dies ist bei reinen Grössenvorteilen nicht der Fall, da hier der potenziell mögliche Wettbewerb zu einer Disziplinierung des etablierten Unternehmens führt. Anders präsentiert sich die Situation, wenn der Markteintritt zusätzlich zu den Grössenvorteilen durch irreversible Kosten erschwert wird. Bei irreversiblen Kosten handelt es sich vereinfacht um Investitionen, welche bei einem Marktaustritt nicht mehr – beispielsweise durch Verkäufe auf einem Zweitmarkt – rückgängig gemacht werden können. Irreversible Kosten gibt es faktisch in jeder kompetitiven Industrie. Für sich allein begründen sie noch keine Markteintrittsbarrieren. Wenn aber ein Unternehmen den Markt sowohl am kostengünstigsten beliefern kann (also Grössenvorteile aufweist) und seine Anlagen irreversible Kosten darstellen, liegt stabile Marktmacht vor. Wer nicht Zugang zu diesen «Flaschenhälsen» erhält, kann keine Kunden bedienen. Der Markteintritt für Wettbewerber ist blockiert, falls der Zugang dazu nicht reguliert wird.
Beispiel eines Zustellsystems
Nun kann im gesamten Postnetz kein Fall eines stabilen «monopolistischen Flaschenhalses» festgestellt werden. Das wird exemplarisch deutlich am sogenannten «Bronner Fall», bei dem es um die Frage ging, ob ein Hauszustellsystem für Zeitungen eine wesentliche Einrichtung darstellt, um Kunden zu bedienen. Das Unternehmen Mediaprint hatte für den Vertrieb seiner Tageszeitungen mit grosser Auflagenhöhe in Österreich ein landesweites Hauszustellungssystem aufgebaut, das eine direkte Auslieferung der Zeitungen an die Abonnenten in den frühen Morgenstunden ermöglicht. Das Unternehmen Bronner erstrebte die Aufnahme seiner Tageszeitung mit geringer Auflagenhöhe in das Hauszustellungsverteilersystem der Mediaprint. Dieses Begehren wurde vom Europäischen Gerichtshofs abgelehnt, insbesondere mit folgender Begründung: EuGH, Rs. C-7/97, Urteil vom 26.11.1998, Ziffer 45; siehe insbesondere auch: Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs v. 28. 5. 1998 (veröffentlicht unter http://curia.europa.eu/jurisp). «Dass die Schaffung eines solchen Systems keine realistische potenzielle Alternative darstelle und daher der Zugang zum bestehenden System unverzichtbar sei, ist nicht schon mit der Behauptung dargetan, dass die Schaffung eines solchen Systems wegen der geringen Auflagenhöhe der zu vertreibenden Zeitung oder Zeitungen unrentabel sei.» Selbst wenn also der Aufbau eines spezialisierten Zustellsystems die Voraussetzungen eines natürlichen Monopols erfüllen würde, folgt daraus noch nicht die Eigenschaft eines monopolistischen Flaschenhalses. Dies impliziert für die Schweiz, dass das Wettbewerbsrecht genügen könnte, um Missbräuche aus temporär möglichen Marktmachtkonstellationen zu ahnden.
Technische Regulierungen
Postleitzahlensystem, Adressdatenbanken, Postfächer, öffentliche Briefkästen, Informationsmodi zur Adressänderung, Postumleitungsdienste usw. sind keine monopolistischen Flaschenhälse. Es handelt sich vielmehr um technische Funktionen der Marktkoordination. Eine Aktualisierung von Postadressen ist mit hohen Netzexternalitäten verbunden, die eine Verpflichtung zum Datenaustausch für alle Postunternehmen als sinnvoll erscheinen lassen. So waren in Schweden Zugangsregulierungen zu ausgewählten Postinfrastrukturen – wie das Postleitzahlensystem und der Zugang zu Postfächern – Teil einer Gesetzesrevision. Die Schwedische Post ist heute verpflichtet, Wettbewerbern zu den Zahlenserien von Postleitzahlen Zugang zu gewähren. Zum Management von Adressdateien haben die Schwedische Post and CityMail sogar ein Joint Venture gegründet. Postfächer kennen keine positiven Netzeffekte. Bereits bei einer kleinen Kundenbasis sind Verbundvorteile ausgeschöpft. Der Bau von parallelen Postfächern von verschiedenen Postunternehmen wäre ökonomisch zumutbar. Da jedoch gewisse Lock-in-Wirkungen beobachtbar sind, wird in Schweden die nicht diskriminierende Ablage in Postfächern preisreguliert. Das Wettbewerbsrecht erwies sich als zu schwerfällig, um Missbrauche innert nützlicher Frist zu ahnden. Übrigens empfiehlt auch die Europäische Kommission, nützliche technische Koordinationsfunktionen im Postmarkt zu regulieren. Für die Schweiz stellt sich die Frage, ob die sektorspezifischen Regulierungen technischer Koordinationsfunktionen ex ante oder ex post angewendet werden sollen. Insbesondere um die Etablierung des Wettbewerbs zu beschleunigen, wäre eine Festlegung ex ante möglich. Im Fall einer Ex-post-Regulierung stellt sich die Frage, wie eine allfällige Verzögerung von regulatorischen Eingriffen über den Gang zu Gerichten verhindert werden kann. Zu denken wäre beispielsweise an die Aufhebung der aufschiebenden Wirkung von regulatorischen Entscheiden. Ein pragmatischer Weg ist anzustreben, wobei das Kosten-Nutzen-Verhältnis anvisierter Markteingriffe umsichtig abzuwägen ist.
Soziale Regulierungen
Sozialpolitische Erwägungen begründen die Notwendigkeit zur postalischen Grundversorgung. Im Hinblick auf eine volle Marktöffnung in der Schweiz empfiehlt sich outputseitig die Beschränkung von Grundversorgungsauflagen auf die Postdienste. Inputseitig sollten Produktionsbedingungen, Anzahl Poststellen usw. aus ökonomischer Sicht nicht mehr Teil der politischen Auflage sein. Entsprechen «Inputregulierungen» weiterhin dem politischen Willen, sollten sie über alternative Kanäle (z.B. über Gemeindesteuern) geregelt werden. Mit den politisch geforderten Marktleistungen (Qualitätsvorgaben etc.) versehen, sollte der Inhalt der Grundversorgung national oder regional ausgeschrieben und nach Möglichkeit durch ein Auktionsverfahren vergeben werden können, so wie dies bereits in der Telekommunikation üblich ist. Um zu vermeiden, dass Quersubventionen zwischen Grundversorgungsdiensten und anderen Wettbewerbsdiensten stattfinden, ist die Vorgabe gewisser (Kosten-)Standards zu erwägen, die u.a. sicherstellen, dass aus dem Grundversorgungsmandat kein kostenmässiger Vorteil gezogen werden kann und damit einhergehend der Wettbewerb verzerrt wird.
Kasten 1: Literatur – Andersson, P. (2006), The Liberalisation of Postal Services in Sweden – Goals, Results and Lessons for Other Countries, Linköping.- Baumol, W.J., Koehn, M.F., Willig, R.D. (1987), How Arbitrary is «Arbitrary» or, Toward the Deserved Demise of Full Cost Allocation, Public Utilities Fortnightly 3, S. 16-21.- De Bijl, P.W., van Damme, E., Larouche, P. (2006), Regulating Access to Stimulate Competition in Postal Markets? in Crew, M.A., Kleindorfer, P.R. (eds.), Progress toward Liberalisation of the Postal and Delivery Sector, Berlin, Heidelberg.- European Commission (2005), Report from the Commission to the Council and the European Parliament on the application of the Postal Directive (Directive 97/67/EC as amended by Directive 2002/39/EC, Brussels, 23.03.2005, COM(2005) 102 final.- Kilger, W. (1985), Flexible Plankostenrechnung und Deckungsbeitragsrechnung, Wiesbaden.- Knieps, G. (2006), Does the System of Letter Conveyance Constitute a Bottleneck Resource? in Kulenkampff, G., Niederprüm, A. (eds.): Contestability and Barriers to Entry in Postal Markets, Bad Honnef.- Moriarty, R., Smith, P. (2005), Barriers to Entry in Post and Regulatory Responses, in Crew, M.A., Kleindorfer, P. R. (eds.), Regulatory and Economic Challenges in the Postal and Delivery Sector, Boston.- Monopolkommission (2005), Wettbewerbsentwicklung bei der Post 2005, Beharren auf alten Privilegien, Sondergutachten der Monopolkommission gemäss §44 Postgesetz in Verbindung mit §81 Telekommunikationsgesetz a.F.- PWC (2006), The Impact on Universal Service of the Full Market Accomplishment of the Postal Internal Market in 2009, Final Report, Study commissioned by the European Commission, Brussels.- Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 97/67/EC.- Stigler, G.J. (1968), Barriers to Entry, Economies of Scale, and Firm Size, in: G.J. Stigler, The Organization of Industry, Irwin, Homewood, Ill., S. 67-70.- Vaterlaus, S., Worm, H., Wild, J. und Telser, H. (2003), Liberalisierung und Performance in Netzsektoren: Vergleich der Liberalisierungsart von einzelnen Netzsektoren und deren Preis-Leistungs-Entwicklung in ausgewählten Ländern, Strukturberichterstattung Nr. 22 des SECO, Bern.- WIK (2005), Main Developments in the Postal Sector (2004-2006), Final Report, Study for the European Commission, DG Internal Market, Contract No. ETD/2005/IM/E4/63, Bad Honnef.
Zitiervorschlag: Zenhäusern, Patrick; Vaterlaus, Stephan (2007). Postmarkt Schweiz: Folgerungen aus dem schwedischen Beispiel und der ökonomischen Theorie. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.