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Folgeeffekte von Regulierungen auf Unternehmen: Einsatzbezogene Beurteilung der Messmethoden

Welche Methoden stehen zur Messung der Folgeeffekte von Regulierungen auf Unternehmen zur Verfügung? Welche Methode soll zu welchem Zweck eingesetzt werden? Diese beiden Kernfragen werden in diesem Beitrag behandelt. Dazu werden zuerst einsatzbezogene Anforderungen an Messmethoden aufgestellt. Anschliessend werden die Kosteneffekte von Regulierungen systematisiert und die dafür passenden Messmethoden erläutert und anhand von einsatzbezogenen Fragen zugeordnet. Abschliessend wird eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen in der Schweiz abgeleitet. Eine vollständige Literturliste kann beim Autor bezogen werden (cmueller@uni-hohenheim.de, christoph.mueller@unisg.ch).

Definition der Anforderungen


Zur einsatzbezogenen Beurteilung der Methoden sind – neben den Fragen zum Einsatzzweck, der Vorgehensweise und den Grenzen der Methoden – folgende allgemeinen Anforderungen zu erfüllen:  – Praktikabel: Eine Methode soll ohne grossen Schulungsoder Einarbeitungsaufwand einsetzbar sein und keine Interpretationsspielräume eröffnen, die eine Verständigung über die Ergebnisse erschweren. – Leicht verständlich: Beim Einsatz einer Methode soll nur mit Variablen gearbeitet werden, die akzeptiert sowie allgemein und leicht verständlich sind. Zudem sollen die Zahlen ohne grossen Aufwand beschafft beziehungsweise berechnet werden können und die Systematik der Methode rasch verständlich sein. – Akzeptiert von Bezugsgruppen: Alle beteiligten Bezugsgruppen wie Regierung, Verwaltung, Wirtschaft, Politik, Parteien, Öffentlichkeit, Medien und KMU sollen die Methode akzeptieren. – KMU-Bezug: Eine Methode hat die Charakteristika der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu berücksichtigen, speziell was den Umgang mit Regulierungen und administrativen Belastungen angeht.  – Methodisch fundiert: Die jeweilige Methode soll eine zugrunde liegende Systematik besitzen und verallgemeinerungsfähige Aussagen erlauben. – Effizienter Einsatz: Eine Methode soll den durch sie selbst ausgelösten Aufwand so gering wie möglich halten.  – Selektiv: Es sollen nur die Regulierungen/administrativen Belastungen erfasst und behandelt werden, die aller Voraussicht nach einen grossen Einfluss auf Unternehmen haben.  – Pragmatisch: Das Erreichen einer 100%-igen Genauigkeit der Messungen ist nicht das Ziel. Vielmehr wird eine hohe, aber keine perfekte Genauigkeit der Messungen angestrebt. Dadurch wird es möglich, mehrere Regulierungsalternativen durchzuprüfen, um relativ rasch zu einer Lösung zu gelangen. – Überprüfbar und transparent: Eine Methode soll von Regierung/Verwaltung oder von spezialisierten Externen durchgeführt werden können. Im Anschluss an diese Messungen soll eine einfache Überprüfbarkeit durch eine neutrale Stelle vorgenommen werden.  – Reliabel und valide: Anforderungen an wissenschaftliche Testverfahren müssen erfüllt sein. Die Anwendung sollte unabhängig von den durchführenden Stellen zum selben Ergebnis kommen. Zudem sollten die tatsächlich relevanten Grössen gemessen werden. – Einbindung in Regulierungsprozess: Die Methode darf nicht als losgelöstes Instrument verstanden werden. Sie steht in enger Verbindung mit der Politikstrategie und konkreten Politik der Regierung sowie der Ausgestaltung der sie ausführenden Institutionen.  – International anschlussfähig und vergleichbar: Die Methode soll mit international gebräuchlichen Methoden kompatibel sein. Dadurch wird z.B. der Einsatz internationaler Experten und damit ein Kompetenztransfer ermöglicht. – Leicht durchsetzbar: Die Messung von Regulierungseffekten kann mit Widerständen von Interessensgruppen einhergehen. Eine Methode soll deshalb einfach durchsetzbar sein und keine politischen Grundsatzdiskussionen auslösen.  – Kein Einfluss seitens der Interessenspolitik: Die Methode soll gegen Interventionen oder Unterwanderung seitens Interessensvertretern immun sein, die Messungen in ihrem Sinne manipulieren könnten.  – Anknüpfung an die Empfehlungen von OECD und Weltbank: Die Anforderungen an die Methoden sollen schliesslich in Einklang mit den Ergebnissen der aktuellen OECD/Weltbank-Evaluation des niederländischen Erfolgsmodells stehen. Dieses wurde als weltweit führend eingestuft. Steht ein Land wie die Schweiz erst am Anfang der Messungen, empfiehlt es sich, das eigene Projekt in diesen Kontext einzuordnen, um von den Erfahrungen zu profitieren.

Systematisierung der Regulierungseffekte


Um die geeignete Methode zur Messung der Folgeeffekte von Regulierungen auf Unternehmen zu bestimmen, sind zuerst die einzelnen Effekte der Regulierungen auf Unternehmen zu systematisieren, bevor die passenden Messmethoden zugeordnet werden können. Müller/Nijsen (2006) schlagen hierzu als Ausgangspunkt der Überlegungen den Normadressaten vor. Darunter wird diejenige Person oder Institution verstanden, auf die eine Regulierung im Kern inhaltlich abzielt.  Die Regulierungseffekte lassen sich in primäre (direkte) und sekundäre (indirekte) Befolgungseffekte (Kosteneffekte) unterteilen. Die direkten Befolgungseffekte unterteilen sich in inhaltliche Pflichten, mit denen die politischen Ziele erreicht werden sollen (Regulierungskosten), sowie in Informationspflichten (Bürokratiekosten bzw. administrative Lasten des mit einer Regulierung ausgelösten Informationstransfers). Zu den inhaltlichen Pflichten werden hier die direkten finanziellen Kosten, die Kosten des Informationstransfers an Dritte (welche beide in der internationalen Literatur und Praxis teilweise weggelassen bzw. den Informationskosten zugeordnet werden) und die Kosten für Investitionen oder Änderungen im Produktionsprozess gezählt. Unter die sekundären Befolgungseffekte fallen der Einfluss auf Innovationen und Wettbewerbsfähigkeit sowie die makro- und sozialökonomischen Effekte, die auch als psychologische bzw. Irritationskosten bezeichnet werden. In Grafik 1 sind diese Effekte zusammen mit der geeigneten Messmethode dargestellt.

Zuordnung der Messmethoden


Den einzelnen Befolgungseffekten lassen sich die verschiedenen Messmethoden zuordnen. Die Befolgungseffekte in Summe werden von der Gesetzesfolgen- oder Regulierungsfolgenabschätzung erfasst. Diese lässt sich als Kosten-, Kosten-Nutzen- oder Kosten-Effektivitäts-Analyse durchführen. Die Kostenanalyse erfasst nur die aufgeführten, kostenrelevanten primären und sekundären Effekte. Hierzu zählen international das Regulatory Impact Assessment (RIA) Vgl. Better Regulation Executive (2005). oder das Business Impact Assessment (BIA) mit Unternehmen als Ausgangspunkt der Messungen. Das BIA ist eine neue Methode des Forschungsinstituts EIM und der niederländischen Ministerien für Wirtschaft, Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Umwelt sowie Justiz. Vgl. Nijsen, van der Hauw, Regter (2007) sowie Ministerien für Wirtschaft, Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Umwelt sowie Justiz (2003). Es soll dabei ermittelt werden, in welcher Höhe einer bestimmten Normadressatengruppe Kosteneffekte infolge der Regulierung entstehen. Dazu sind die einzelnen Kosteneffekte – wie oben aufgezeigt – systematisch zu erfassen. Dadurch können ex ante unverhältnismässige Belastungen aufgedeckt und ex post die tatsächlichen Belastungen ermittelt sowie Gegenmassnahmen eingeleitet werden. Hierbei werden die Nutzeneffekte ausgeblendet. Die Kosten-Nutzen-Analyse als umfassendstes Instrument versucht deshalb die Nutzeneffekte einer Regulierung den Kosteneffekten gegenüberzustellen. Damit kann der Nettowohlfahrtsgewinn einer Regulierung ermittelt werden. Die hier nicht näher betrachtete Kosten-Effektivitäts-Analyse bestimmt die relativen Kosten zum Grad der Zielerreichung.

Standardkostenmodelle


Die Messung der direkten finanziellen Effekte der Regulierung kann durch direkte Messungen der Höhe der Kosten aus dem Regulierungstext oder indirekt – z.B. durch Anwendung eines Steueroder Gebührensatzes auf ein typisches Unternehmen – gemessen werden.  Die Messmethode SKM Info steht für das Standardkostenmodell zur Messung der Informationspflichten. Vgl. Bertelsmann-Stiftung (2006a); Kay, Nijsen (2006a und b); Thielbeer (2006); Boog, van der Linden, Regter (2005); Ministry of Finance (2004) sowie SCM Network (2004). Dabei erfolgt eine Messung der Kosten aufgrund der Informationspflichten einer Regulierung anhand der Analyse des Gesetzestextes. Dazu existieren neben der niederländischen auch zwei deutsche und eine internationale Methode. Im Kern wird jeweils mit standardisierten Kostengrössen gearbeitet. Damit kann die Methode SKM Info als Teil der Regulierungsfolgenabschätzungen (RFA) eingeordnet werden Vgl. Rohn (2006) und Maurer (2006)., beschränkt sich aber auf die Kosten der Informationspflichten. SKM Info kann in Form eines Schnelltests – SKM Quick Scan – durchgeführt werden. Vgl. Kay (2005). Dieses Vorgehen ist geeignet, um festzustellen, welche Gesetze die Hauptverursacher von administrativen Lasten innerhalb einer politischen Einheit sind. Hinzu kommt neu die Ex-ante-Schätzung aus den Niederlanden (ebenfalls von EIM). Diese ist ein Spezialtyp der SKM-Info-Messungen und kann als einfache oder als komplexe Methode angewendet werden. Die Wahl des Komplexitätsgrades hängt vor allem von der Erfahrung der Verwaltung sowie der Verfügbarkeit von Datenbanken mit SKM- und gesetzesspezifischen Daten ab. Für ein Land ohne Erfahrung in SKM-Messungen und Datenbanken empfiehlt sich die komplexe Ex-ante-Schätzung als Alternative zu einer präzisen SKM-Messung. Die zu ermittelnden Grössen sind dabei ähnlich wie bei SKM Info zu erheben, nur wird ein pragmatischeres Vorgehen gewählt. Unter SKM Inhaltliche Pflichten Vgl. Müller, Nijsen (2006). wird eine weitere Messmethode aus den Niederlan-den verstanden, die sich auf die bisher noch nicht standardisiert gemessenen Kosten der Normadressaten durch die Befolgung der inhaltlichen Verpflichtungen einer neuen Regulierung richtet. Dabei werden Regulierungskosten als Mehrkosten einer neuen Regulierung für die Normadressaten betrachtet. Bestehende Regulierungen bleiben in der Regel ausser Acht, da deren Anforderungen erfahrungsgemäss bereits von den Unternehmen internalisiert wurden. Die Ergeb-nisse der Messung erlauben es, alternative Lösungen zu überdenken, ohne das politische Ziel zu gefährden.

Methoden für sekundäre Befolgungseffekte


Die sekundären Befolgungseffekte, hier der Einfluss auf Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, lassen sich mit Befragungen oder Experimenten mit Unternehmern zu ihrem Entscheidungsverhalten ermitteln. Allerdings gibt es dazu ausser zu den Befragungen wenig Erfahrungen. Die makro- und sozialökonomischen Befolgungseffekte lassen sich mittels volkswirtschaftlicher Simulationsmodelle errechnen. Im Bereich der Befragungen existieren schwedische Erfahrungen mit der Messung der gesamten Kosten von Regulierungen für Unternehmen. Vgl. Hedström (2007). Als Ausprägung der Befragungsmethode ist der KMU-Verträglichkeitstest des Bundes Vgl. www.seco.admin.ch mitsamt aufgeführten Kurzberichten. anzusehen, der in zehn bis zwölf gezielt ausgewählten KMU Interviews durchführt mit dem Ziel, primäre und sekundäre Kosteneffekte sowie drohende Probleme im Vollzug zu ermitteln. Hierzu sind zehn Einzelschritte erforderlich. Der Test soll erste Hinweise auf die Auswirkungen des staatlichen Handelns liefern. Dabei werden aber nur «Megatrends» ermittelt, die aufgrund einer kleinen Stichprobe erhoben werden, was gewisse Defizite hinsichtlich Systematik, Verallgemeinerungsfähigkeit, Akzeptanz und Einfluss von Interessenspolitik bewirkt.

BIA als zusammenfassende Methode


Als zusammenfassende Methode kommt das vorne erwähnte BIA in Frage. Damit sollen die beabsichtigten und nicht beabsichtigten Auswirkungen geplanter Regulierungen auf Unternehmen gemessen werden. Dabei sind folgende acht Fragen zu klären:  1. Für welche Normadressaten/Unternehmenskategorien sind Effekte zu erwarten? 2. Wie viele KMU werden mit dem Regulierungsentwurf konfrontiert? 3. Welches sind mit höchster Wahrscheinlichkeit Art und Umfang der Kosten (und Nutzen) des Regulierungsentwurfs für die betroffenen KMU? Welche Kosten der inhaltlichen Verpflichtungen und der Informationsverpflichtungen fallen an?  4. Wie verhalten sich Kosten (und Nutzen) zur Leistungsfähigkeit der KMU? 5. Wie stellen sich die Effekte im Vergleich mit KMU aus Wettbewerbsländern der Schweiz dar?  6. Führt die Regulierung zu zusätzlichen Pflichten auf übergeordnete Regeln? 7. Welche Auswirkungen hat die Regulierung auf das Funktionieren des Marktes? 8. Welches sind die sozialökonomischen Effekte wie Arbeitsplätze oder Lohnkosten durch die Regulierung?  Die aktuelle Diskussion zielt vor allem auf die entstehenden Kosteneffekte ab. Die vergleichbar zu systematisierenden Nutzeneffekte von Regulierungen werden hingegen mehr pauschal betrachtet und in keinen engen Zusammenhang mit den Kosteneffekten gebracht. In der Tabelle 1 werden die Methoden für die Messung der Befolgungseffekte zusammenfassend beurteilt. Die Beurteilung der Anforderungen erfolgt dabei (subjektiv nach Einschätzung des Autors) anhand einer Fünferskala.

Empfehlungen für neue Messprojekte


Bei der Durchführung der Messungen bestehen Wahlmöglichkeiten hinsichtlich der einzusetzenden Messmethoden und der Reihenfolge deren Einsatzes. Hierzu bietet sich ein Blick auf die Erkenntnisse der Rotterdamer Tagung des niederländischen Finanzministeriums vom März 2007 an. Vgl. www.administrative-burdens.com, www.administratievelasten.nl oder Müller (2007). Einen Überblick über die aktuellen SKM-Projekte in der EU bietet Bertelsmann-Stiftung (2006b), speziell zu Deutschland die Messberichte von Ramboll Management (2006) sowie Kluge (2007). Zudem spielt die jeweilige politische Regulierungstradition eine wichtige Rolle. Eine Reihe von Ländern arbeitet sich ausgehend von SKM-Info-Messungen zu den komplexeren Methoden vor, andere haben langjährige Erfahrung mit RIA und führen jetzt zusätzlich SKM-Messungen ein. Abgeleitet aus den internationalen Erfahrungen sollte ein abgestuftes und der Ausgangssituation angemessenes Vorgehen zum Einsatz kommen. Folgende Schritte sind für eine Messung vorzusehen:  – Ermittlung der Bedürfnis- und Problemlage; – Selektion der tatsächlich belastenden Regulierungen und ihrer Urheber; – Ermittlung der Informationspflichten/administrativen Lasten; – Ermittlung der inhaltlichen Pflichten; – Ermittlung der sekundären Folgekosten und Kosten-Nutzen-Dimensionen.   Dieses stufenweise Vorgehen bietet sich an, wenn noch keine einschlägigen Messerfahrungen vorhanden sind. Zu Beginn muss ein Überfrachten der Messungen mit politischen Zieldiskussionen vermieden werden, um ein Scheitern des Projektes zu vermeiden. Frick (2006) fasst zudem vier Dimensionen moderner Regulierung zusammen, die beachtet werden sollten: Inhalt (Good Policy); Regulierungsqualität (Better Regulation); Vollzugsqualität (Good Administration); Prozess/Struktur (Good Governance). Schneider (2006) bietet den Bezug zu SKM-Messungen in der Schweiz. Die Konzeption und Durchführung geplanter Messungen sollte somit auf dem Erfahrungswissen der bekannten und zurzeit sich neu in Entwicklung befindenden Messmethoden für Regulierungs-Befolgungseffekte sowie den internationalen Erfahrungen mit solchen Messungen aufbauen. Entscheidend ist dabei eine systematische, transparente und pragmatische Vorgehensweise, um die Messungen mit einem vernünftigen Aufwand-Nutzen-Verhältnis durchführen zu können. Dadurch lassen sich die gestellten Anforderungen an eine Messmethode erfüllen.

Fazit


Die aufgezeigte Konzeption ist als Diskussionsgrundlage zu verstehen, um im Rahmen konkreter Projekte die verschiedenen Optionen für die Auswahl der Messinstrumente sowie der Reihenfolge ihres Einsatzes zu prüfen. Gleichwohl bietet sich eine Vorgehensweise an, die von einfachen zu komplexeren, von gesicherten zu innovativeren Methoden und von unpolitischen zu politisch diskussionswürdigeren Inhalten im Zeitablauf übergeht.

Grafik 1 «Befolgungseffekte und ihre passenden Messmethoden»

Tabelle 1 «Bewertung der Messmethoden»

Zitiervorschlag: Christoph Mueller (2007). Folgeeffekte von Regulierungen auf Unternehmen: Einsatzbezogene Beurteilung der Messmethoden. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.