Wachstumstreiber chemisch-pharmazeutische Industrie
Mit seinen überdurchschnittlich hohen Wachstumsraten und dem bedeutenden Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung gehört die chemisch-pharmazeutische Industrie zu den leistungsfähigsten Branchen der Schweiz. Die Branchenstruktur hat sich in den letzten 20 Jahren stark in Richtung einer praktisch ausschliesslichen Spezialitätenproduktion mit internationaler Ausrichtung entwickelt. Heute werden nur noch etwa 5% der Produkte im Schweizer Heimmarkt abgesetzt. Die Schweiz ist jedoch ein bedeutender Produktions- und Forschungsstandort geblieben. Auch in Zukunft wird die Innovation der Schlüssel zum Erfolg sein. Um die erfreuliche Dynamik in der Branche langfristig aufrechterhalten zu können, sollten staatliche Regulierungen ein Vordringen in neue Wissensgebiete nicht verhindern und der Anteil hoch qualifizierter Erwerbstätiger weiter ausgebaut werden.
Die chemisch-pharmazeutische Industrie weist überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten und einen wachsenden Anteil der Branchenwertschöpfung an der gesamtwirtschaftlichen Leistung auf. Der Branche kommt somit zunehmend eine Rolle als Wachstumstreiber der Schweizer Volkswirtschaft zu. Die reale Bruttowertschöpfung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie hat in den letzten 25 Jahren um durchschnittlich 5,3% pro Jahr zugenommen (Gesamtwirtschaft: 1,5%). Sie steuerte 1980 2,6% zur nationalen Wertschöpfung bei; bis zum Jahr 2005 ist deren Anteil auf 3,8% angestiegen.
Strukturveränderungen innerhalb der Branche
Die Erhöhung der wertschöpfungsmässigen Bedeutung der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist zu einem grossen Teil auf Strukturveränderungen zurückzuführen. In den letzten 20 Jahren war zunehmend eine Spezialitätenstrategie zu beobachten. Der Anteil der Spezialitätenprodukte – meist Hochwertschöpfungsgüter – im Gesamtproduktportfolio beträgt zurzeit über 90%. Schweizer Unternehmen konnten mit diesen Produkten eine weltweite Präsenz und oft auch Marktführerschaft erreichen. Bei der Entwicklung der Erwerbstätigkeit in den letzten 25 Jahren zeigt sich ein anderes Bild. Der Anteil der Erwerbstätigen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie an der gesamten Zahl der Erwerbstätigen in der Schweiz reduzierte sich zwischen 1980 und 2005 von 2,1% auf 1,6%. Während im Jahr 1980 noch rund 69300 Personen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie tätig waren, sind es heute lediglich rund 66600. Der Rückgang der Anzahl Erwerbstätiger in der Chemie- und Pharmabranche war jedoch vor allem in den Jahren 1990 bis 2000 zu beobachten. In jüngster Zeit steigt die Zahl der Erwerbstätigen wieder an. Die gegenläufige Wertschöpfungs- und Erwerbstätigenentwicklung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie wurde durch eine Steigerung der Produktivität ermöglicht.
Aussenhandel mit zunehmender Bedeutung
Durch die weltweite Vermarktung von spezialisierten Produkten hat der Aussenhandel an Bedeutung gewonnen. Der schweizerische Binnenmarkt für die Produkte der Chemie- und Pharmabranche ist sehr klein: Nur rund 5% der Produktion werden im Inland abgesetzt. Die Umsätze der Unternehmen fallen vorwiegend im Ausland an. Im Jahr 2006 wurden rund 63 Mrd. Franken über den Aussenhandel erwirtschaftet, was etwa 36% der gesamten Schweizer Exporterlöse entspricht. Damit ist die chemisch-pharmazeutische Industrie zurzeit die wichtigste Aussenhandelsbranche in der Schweiz. Die wertmässigen Exporte sind in den letzten 15 Jahren um durchschnittlich 8% pro Jahr angestiegen. Das entspricht einer Zunahme von knapp 200% über den Zeitraum von 1990 bis 2005. Dies widerspiegelt die zunehmende Exportorientierung der Unternehmen in der Chemie- und Pharmabranche. Wegen der starken konzerninternen internationalen Verflechtungen sind ein grosser Teil der Exporte Lieferungen multinationaler Unternehmen an ihre Tochtergesellschaften. Die in der Schweiz hergestellten Zwischenprodukte werden an die konzerneigenen ausländischen Gesellschaften verkauft und dort fertig verarbeitet. So können die Skalenerträge optimal ausgenutzt und die Endprodukte vor Ort den lokalen Bestimmungen angepasst werden. Dank dem hohen Spezialisierungsgrad ist es aber nicht nur den grossen multinationalen Unternehmen in der Branche möglich, ihre Produkte ins Ausland zu verkaufen. Auch viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) führen eine erfolgreiche Nischenstrategie, welche ihnen den Zugang zum Weltmarkt ermöglicht. Betrachtet man die Exportentwicklungen in den Unterbranchen, fällt vor allem die überdurchschnittliche Entwicklung der Pharmazeutika, Vitamine und Diagnostika auf. In den letzten 15 Jahren konnte der Aussenhandel bei diesen Produkten um rund 400% gesteigert werden. Der Anteil an den Gesamtexporten der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist von 44% im Jahr 1990 auf 73% im Jahr 2005 angestiegen. In anderen Bereichen – wie Roh- und Grundstoffe (+74%), agrochemische Erzeugnisse (+6%) und Farbkörper (+4%) – sind die Exporte über die letzten 15 Jahre bei Weitem nicht so stark angestiegen wie in der Pharmaindustrie. Dies zeigt unter anderem ihre stark wachsende Bedeutung innerhalb der Chemie- und Pharmabranche auf. Durch die grosse Bedeutung des Aussenhandels wird die Wertschöpfungsentwicklung der schweizerischen chemisch-pharmazeutischen Industrie auch durch internationale Konjunkturschwankungen beeinflusst. Gerade die Chemie profitiert zurzeit von international guten konjunkturellen Rahmenbedingungen. Die Pharmaindustrie ist durch ihre enge Bindung an das Gesundheitswesen nur bedingt von internationalen Konjunkturschwankungen abhängig.
Hohe Produktivität führt zu überdurchschnittlichem Wachstum
Da die Produkte der Schweizer Chemie- und Pharmabranche vorwiegend im Ausland verkauft werden, müssen sich die Unternehmen auch der internationalen Konkurrenz stellen. Die internationale Wettbewerbsfähigkeit hat somit eine zentrale Bedeutung. Ein Indikator zur Messung der Wettbewerbsfähigkeit einer Branche in einem Land ist die Stundenproduktivität, also die pro Arbeitsstunde generierte Wertschöpfung. Ein internationaler Vergleich mit den wichtigen europäischen Konkurrenten und den USA zeigt auf, dass die Schweizer Chemie- und Pharmabranche eine überdurchschnittliche nominale Stundenproduktivität aufweist. Ein Schweizer Arbeitnehmer erzielte im Jahr 2005 eine Wertschöpfung von 147 Franken pro Stunde; das sind rund 43% mehr als im Durchschnitt der westeuropäischen Länder. Eine Erklärung für die hohe Produktivität in der Schweiz ist die konsequente Ausrichtung der Unternehmen auf wertschöpfungsstarke Spezialitätenprodukte. Grundsätzlich liegt die Stundenproduktivität in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in fast allen Ländern über der Produktivität der Gesamtwirtschaft. Die hohe Produktivität der Branche ist eine der Grundlagen für das mit rund 7% pro Jahr ausserordentlich dynamische Wertschöpfungswachstum zwischen 1990 und 2005. Im internationalen Vergleich erreicht die Schweizer chemisch-pharmazeutischen Industrie damit sowohl einen vergleichsweise hohen Anteil am Bruttoinlandprodukt (BIP) als auch ein überdurchschnittliches reales Wachstum. Diese beiden Faktoren zeigen sich im Wachstumsbeitrag zur gesamtwirtschaftlichen Leistung. Der durchschnittliche jährliche Wachstumsbeitrag liegt in der Schweiz zwischen 1990 und 2005 bei rund 0,2 Prozentpunkten. In den anderen westeuropäischen Ländern sowie in den USA ist der Wachstumsbeitrag an das jeweilige nationale BIP deutlich geringer.
Starke Präsenz in der Nordwestschweiz
Ein Blick auf die regionale Verteilung der chemisch-pharmazeutischen Industrie in der Schweiz zeigt, dass die Industrie in der Nordwestschweiz die deutlich stärkste Präsenz aufweist. Rund die Hälfte der Beschäftigten ist in dieser Region tätig, und es werden 58% der nationalen Branchenwertschöpfung in der Nordwestschweiz generiert. Im Kanton Basel-Stadt sind rund 25% aller Beschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie der Schweiz tätig. Auch in Bezug auf die Wertschöpfung ist die Branche im Kanton Basel-Stadt sehr bedeutend. Zurzeit werden dort 27,5% der kantonalen Bruttowertschöpfung in der Branche generiert. Dieser sehr hohe Anteil wird zu einem grossen Teil durch die beiden in Basel angesiedelten multinationalen Grosskonzerne verursacht. In deren Umfeld leisten aber auch zahlreiche KMU wichtige Beiträge zur regionalen Wirtschaftsstärke. Die Kantone Basel-Landschaft und Aargau weisen ebenfalls eine überdurchschnittlich hohe Anzahl der Beschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie auf. In beiden Kantonen liegen zudem die Anteile der in der Branche generierten Wertschöpfung an der gesamten kantonalen Wertschöpfung mit 12,2% (Basel-Landschaft) und 4,3% (Aargau) über dem Durchschnitt. Die zweitwichtigste Grossregion in der Schweiz ist die Genferseeregion. Während in der Nordwestschweiz vor allem Unternehmen mit der Haupttätigkeit im Bereich Pharma angesiedelt sind, ist die Produktion von chemischen Roh- und Grundstoffen hauptsächlich im Kanton Wallis zu finden.
Innovation als Schlüssel zum Erfolg
Zurzeit durchlebt die chemisch-pharmazeutische Industrie weltweit einen gewaltigen Umbruch. Einerseits verändert die technologische Revolution in der Bio- und Gentechnologie sowie in der Kommunikation und der Informatik das wirtschaftliche Umfeld. Andererseits wird der globale Wettbewerb durch das Aufstreben neuer Wettbewerber – insbesondere Asien und Osteuropa – zusätzlich verstärkt. Um in diesem neuen wirtschaftlichen Umfeld erfolgreich zu bestehen, ist eine ausgeprägte Innovationsfähigkeit unabdingbar. Der wirtschaftliche Erfolg dieser Branche ist stark von technisch-wissenschaftlichen Innovationen abhängig. Forschung und Entwicklung (F&E) wird in dieser Industrie auch in Zukunft von grosser Bedeutung sein. Die Schweizer chemisch-pharmazeutische Industrie weist im internationalen Vergleich bereits heute eine hohe Forschungsintensität (Anteil der Ausgaben für Forschung und Entwicklung am Umsatz) auf. Die Schweiz ist damit nicht nur als wichtiger Produktions-, sondern auch als bedeutender Forschungsstandort der Branche zu sehen. Damit technisch-wissenschaftliche Innovationen auch in Zukunft den Erfolg der Schweizer Chemie- und Pharmabranche sichern können, sind geeignete staatliche Rahmenbedingungen notwendig. Ein offenes Klima für das Vordringen in neue Wissensgebiete und Technologien ist gerade zu Zeiten der immer wichtiger werdenden Biotechnologie ein entscheidendes Kriterium für langfristig anhaltenden Erfolg. Ein weiterer wichtiger Inputfaktor für den Innovationsprozess ist das Humankapital. Die Ausbildungsstruktur der Erwerbstätigen in einer Branche ist unter anderem entscheidend für deren Innovationsfähigkeit. Da Innovation heute nicht nur bei Produkten und Herstellverfahren, sondern auch bei Produktionsabläufen, Organisationsstrukturen und der Vermarktung neuer Produkte von grosser Bedeutung ist, wird die Innovation immer mehr von der Qualifikationsstruktur aller Erwerbstätigen in einer Unternehmung – und nicht mehr nur vom Ausbildungsniveau einzelner Spitzenforscher – bestimmt. In der Schweizer chemisch-pharmazeutischen Industrie weisen rund 83% der Erwerbstätigen mindestens einen sekundären Bildungsabschluss auf, was etwas mehr ist als in der Gesamtwirtschaft (80%). Ein internationaler Vergleich zeigt auf, dass die Schweiz damit einen ähnlich hohen Anteil hoch qualifizierter Erwerbstätiger aufweist wie die Niederlande, das Vereinigte Königreich und Deutschland. Einzig in Schweden und in den USA ist dieser Anteil etwas höher. Die Zukunftschancen für die Schweizer chemisch-pharmazeutische Industrie sind angesichts der technologischen Entwicklungen und der anhaltenden Gesundheitsnachfrage sicher vorhanden. Verbesserungsmöglichkeiten bei den staatlichen Rahmenbedingungen und bei der Lebensqualität der hoch qualifizierten Erwerbstätigen müssen aber wahrgenommen werden.
Grafik 1 «Anteil der chemisch-pharmazeutischen Industrie an der Gesamtwirtschaft, 1980 und 2005»
Grafik 2 «Entwicklung der realen Bruttowertschöpfung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (ohne Chemie/Pharma), 1980-2005»
Grafik 3 «Anteil der Bruttowertschöpfung der chemisch-pharmazeutischen Industrie an der Gesamtwirtschaft in den Schweizer MS-Regionen, 2005»
Grafik 4 «Verteilung der nominalen Bruttowertschöpfung in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in den Schweizer MS-Regionen, 2005»
Grafik 5 «Exporte der Schweizer chemisch-pharmazeutischen Industrie, 1990-2005»
Grafik 6 «Wachstumsbeitrag der chemisch-pharmazeutischen Industrie an die Gesamtwirtschaft pro Jahr, 1990-2005»
Grafik 7 «Nominale Stundenproduktivität der chemisch-pharmazeutischen Industrie und der Gesamtwirtschaft, 2005»
Grafik 8 «Anteil Hochqualifizierter in der chemisch-pharmazeutischen Industrie im internationalen Vergleich, 2005»
Kasten 1: Chemisch-pharmazeutische Industrie Die chemisch-pharmazeutische Industrie (Noga 24) besteht im Wesentlichen aus zwei Bereichen, der Chemie und der Pharma. Das primäre Tätigkeitsfeld der Unternehmen in der Chemie ist die Herstellung von chemischen Roh- und Grundstoffen, agrochemischen Erzeugnissen und Farbkörpern. Die Unternehmen im Bereich Pharma sind in der Entwicklung und Herstellung von pharmazeutischen Grundstoffen und Präparaten tätig. Von den rund 1000 Unternehmen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie sind ungefähr ein Viertel im Bereich Pharma tätig. Die Beschäftigten in der chemisch-pharmazeutischen Industrie teilen sich etwa hälftig auf die Bereiche Chemie und Pharma auf.
Kasten 2: Quellen – BAK Basel Economics (2006): CH-PLUS – Analysen und Prognosen für die Schweizer Wirtschaft, Basel.- BAK Basel Economics (2006): International Benchmarking Report 2006, Basel.- Bundesamt für Statistik (2002): Noga, Amtliche Systematik der Wirtschaftssystematik, Neuenburg.- SGCI Chemie Pharma Schweiz (2006): Schweizerische chemische und pharmazeutische Industrie, Zürich.
Zitiervorschlag: Ryser, Nina (2007). Wachstumstreiber chemisch-pharmazeutische Industrie. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.