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Grounding der Swissair – Zwang zu ökonomischer Vernunft

Grounding der Swissair - Zwang zu ökonomischer Vernunft

Im Swissair-Prozess wird nach strafrechtlich Schuldigen am Debakel der nationalen Championne der Lüfte gesucht. Das zur Zeit der Drucklegung noch ausstehende Urteil ist von grossem medialem Interesse. Wichtiger wäre aber eine Antwort auf die Frage, welche wirtschaftspolitischen Einflüsse zu Strukturen, Verhaltensweisen und Ergebnissen geführt haben, die fast zwangsläufig in dieses Debakel mündeten. Marktversagen kann dafür nicht ursächlich sein, denn einen echten Markt gab es lange Zeit nicht. Vieles deutet darauf hin, dass wirtschaftspolitische Fehler die Hauptrolle gespielt haben. Mit der Übernahme der Kontrolle von Swiss durch die Lufthansa wurde nun der Politik die ökonomische Vernunft vom Markt aufgezwungen.

Die Swissair, bis zum Grounding im Jahr 2001 Mass aller Dinge in der kommerziellen schweizerischen Luftfahrt, wurde 1931 gegründet und erweiterte in der Folge ihre Flotte und Flugverbindungen bis nach dem Zweiten Weltkrieg kontinuierlich auf rein privates Risiko. 1947 erhöhte die Swissair ihr Aktienkapital, um Langstreckenflüge anbieten zu können. Dabei beteiligte sich der Bund mit 30% am Aktienkapital, gewährte Darlehen, übernahm Bürgschaften und leistete später zudem Beiträge an die Pilotenausbildung. Bundesbeschluss über die Hilfeleistung des Bundes an die Swissair vom 10. April 1951 (BBl 1951 I 899). Im Luftfahrtgesetz vom 21. Dezember 1948 (LFG, SR 748.0) wurde die Swissair zum wichtigsten luftfahrtpolitischen Instrument erklärt und wie ein Service public reguliert. Die Anbindung der Schweiz an die ausländischen Zentren wurde fortan einzig und direkt mit der Swissair sichergestellt. Es herrschten monopolartige Zustände, die bis weit in die Neunzigerjahre Bestand hatten. Für eine kompakte Darstellung und Analyse der Zusammenhänge von Regulierungen und Strukturwandel vgl. Vaterlaus/Saurer/Spielmann/Worm/Zenhäusern, Staatliche sowie private Regeln Strukturwandel. Strukturberichterstattung Nr. 28, Studienreihe des Staatssekretariats für Wirtschaft, 2005. Insofern ist die Charakterisierung dieser Politik im offiziellen Bericht über die Luftfahrtpolitik – als mehrheitlich liberal sowie vom Vertrauen in die Fähigkeiten der privatwirtschaftlichen Marktteilnehmer geprägt – schwer nachvollziehbar. Vgl. Bericht über die Luftfahrtpolitik der Schweiz vom 10. Dezember 2004 (BBl 2005 – 0197 1781).

Steigflug zur «fliegenden Bank»


Ab den Sechzigerjahren war die Erzielung hoher Gewinne für die Swissair eine simple Sache: Dank Globalisierung der Wirtschaft und des Freizeitverkehrs stiess sie auf eine stark wachsende Nachfrage, die mangels alternativer Angebote preisunelastisch war. Die Swissair war im Inland durch ihre parastaatliche Stellung und im Ausland durch Abreden und Staatsverträge vor Konkurrenz geschützt. In den wichtigsten Destinationsländern agierten ebenfalls «nationale Champions», die unter sich allumfassende Preis- und Leistungsabsprachen für den internationalen Verkehr getroffen hatten (Iata-Kartell). Dieses Kartell war bis in die Neunzigerjahre wirksam und wurde von den betroffenen Staaten mitgetragen. So erreichte Swissair trotz hoher Kosten – die Pilotensaläre waren weltweit Spitze, und auch die «Hoflieferanten» dürften stark profitiert haben – gute bis sehr gute Ergebnisse. Die Gewinne wurden zu einem guten Teil in immer weiter vom Flugbetrieb entfernte Annexbetriebe wie Bodenabfertigung, Flugzeugwartung, Catering, Duty-free-Shops, Ticketservices und sogar in Hotels im In- und Ausland investiert. Auf diese Weise wurde aus der Swissair ein flugverkehrsbezogenes weltweit tätiges Konglomerat, das spöttisch als «fliegende Bank» bezeichnet wurde. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Swissair.

Wende als Folge politischer Fehlleistung


Mit der Liberalisierung des Luftverkehrs, die um 1980 ausgehend von den USA immer weitere Kreise zog und schliesslich 1991 Europa erfasste, war das Ende dieser Gemütlichkeit in der internationalen Luftfahrt keine Überraschung, auf die man sich nicht hätte vorbereiten können. Die Netze der Iata-Kartellisten umfassten zu viele direkte Verbindungen und zu wenig Drehscheiben (Hubs), in denen Verkehr gebündelt wurde. Der Verkehr erfolgte in zu hoher Qualität (Direktflüge mit hoher Frequenz in oft halb leeren Flugzeugen) zum hohen Kartellpreis. Klar war, dass mit dem Zerfall des Kartells eine stärkere Bündelung des Verkehrs und mit den so generierten Effizienzgewinnen eine Erosion der Preise einsetzen würde. Ebenso klar war, dass diese Optimierung den Abbau von Überkapazitäten aus der Kartellzeit erfordern würde, was die Preise der Inputs (inklusive Pilotensaläre) unter Druck bringen würde. Es zeichnete sich auch klar ab, dass kleinere Fluggesellschaften im Hinblick auf diese Veränderungen auf internationale Allianzen oder Kooperationen angewiesen sein würden, wenn sie im entstehenden Wettbewerbsmarkt verbleiben wollten. Die Manager der Swissair wiesen im Umfeld der EWR-Abstimmung vom Dezember 1992 mit Nachdruck darauf hin, dass sich diese Zukunftsrisiken sowie volks- und betriebswirtschaftlichen Sachzwänge mit einer Ablehnung des EWR noch verschärfen würden. Sie bereiteten im Stillen eine Fusion der Swissair mit der holländischen KLM, der skandinavischen SAS und der österreichischen AUA vor (Projekt Alcázar). Das Fanal für die Wende setzten in der Folge die Politiker, indem Alcázar 1993 am politischen Widerstand in der Schweiz und den anderen beteiligten Ländern scheiterte. Die «aufgeblasene», aber durchaus noch rentable Swissair verdeckte den Politikern offenbar die Sicht auf die ein Überleben gefährdende Ineffizienz des Unternehmens in den immer weniger adäquaten Rahmenbedingungen. Die Mehrheit glaubte, das luftfahrtpolitische Instrument Swissair nicht aus der Hand geben zu müssen, und leitete damit gerade deren Zerstörung ein.

Absturz mit schlechten Risiken


Gewiss hätte es andere erfolgversprechende Allianzen gegeben. Erschwerend war allerdings der Verlust an Glaubwürdigkeit der Swissair und der schweizerischen Politik, die bei potenziellen Partnern mit dem politischen Veto gegen Alcázar sicher grossen Schaden erlitten hatten. Das Vorgehen des Swissair-Managements war in der Folge strategisch zweifelsohne ungeschickt. Es wurde aber durch die Gefahr weiterer unreflektierter politischer Einflüsse auch geradezu in die riskante Hunterstrategie gezwängt, in welcher die Swissair bzw. die 1997 daraus entstandene SAir Group durch Zukäufe und Beteiligungen «auf eigene Faust» die für die Zukunft nötige kritische Grösse erreichen wollte. Damit hat sich die «fliegende Bank» aber schlechte betriebliche und zusätzliche politische Risiken (z.B. mit Sabena) eingehandelt, die ihre grossen Reserven dann auch in der Tat innert kürzester Zeit aufzehrten und zum Niedergang des Unternehmens führten. Die anfängliche finanzielle Potenz dürfte die Konzernspitze zu Unvorsicht verleitet haben, während für Zukäufe und Beteiligungen im Zuge der Entwicklung von Markt und Wettbewerb nurmehr immer schlechtere Risiken zur Verfügung standen.

Phönix wird sogleich wieder zu Asche


Die Geschehnisse seit dem Grounding dürften noch sehr präsent sein: Politiker, die es verpassten, zeitgemässe Rahmenbedingungen durchzusetzen (was auch einen nicht mehr politisch zusammengesetzten Verwaltungsrat der SAir Group bedingt hätte), wollten nun die Leiche reanimieren. Sie erwirkten mit fragwürdigen Methoden rund vier Milliarden Franken von Bund, Kantonen, aber auch von Banken und anderen Privaten, mit denen aus den Überresten der Swissair die Swiss gegründet und in Betrieb gesetzt werden konnte (Projekt Phönix). Dabei war der Anschluss der Schweiz an die Welt nicht gefährdet. Seit dem Grounding wurden praktisch alle Relationen von ausländischen Unternehmen sehr gut und günstiger als vorher von der Swissair bedient. Glaubhafter erschien das Ziel, die Beschäftigten der SAir Group nicht arbeitslos werden zu lassen.  Also wurde nun im Parlament die «optimale» Betriebsstruktur festgelegt und die Swiss in enger Verbindung mit der Finanzverwaltung des Bundes geführt. So musste unweigerlich kommen, wovor eine Gruppe von Ökonomen eindringlich gewarnt hatte: Ein eigenwirtschaftlicher Betrieb der Swiss wurde nicht erreicht. Innert dreier Jahre waren die Mittel aufgebraucht, und ein erneutes Grounding war nicht auszuschliessen. Diese Entwicklung brachte die Mehrheit der Politiker endlich auf die Seite der ökonomischen Vernunft und dazu, die Übernahme der Kontrolle der Swiss durch die Lufthansa nicht weiter zu verhindern. So erfolgte 2005 nach einer weltweit beispiellosen politischen Irrfahrt ein Schritt, der sich höchstwahrscheinlich ohne Interventionen des Bundes – bei einem «ordentlichen Konkurs» der Swissair – unmittelbar nach dem Grounding 2001 ergeben hätte.

Fazit


Ob im Swissair-Prozess Schuldsprüche gefällt werden oder nicht, eines darf nicht vergessen werden: Auf die Mehrheit der wirtschaftspolitischen Akteure entfällt eine grosse Verantwortung für den Untergang der Swissair. Bis zur Einkehr der ökonomischen Vernunft in der Luftfahrtpolitik wurde ein Lehrgeld in Milliardenhöhe bezahlt, das sich in Zukunft auszahlen soll: Die anstehenden Liberalisierungen von Elektrizität, Post, Postfinance, Eisenbahn sowie – last but not least – die Privatisierung der Swisscom müssen davon profitieren.

Zitiervorschlag: Markus Saurer (2007). Grounding der Swissair – Zwang zu ökonomischer Vernunft. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.