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Selbstständig erwerbende Migrantinnen und Migranten: Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen?

Migrantinnen und Migranten sind aus dem schweizerischen Erwerbsleben nicht mehr wegzudenken. Das reine Gastarbeitermodell gehört jedoch der Vergangenheit an: Heute sind ausländische Erwerbstätige nicht mehr ausschliesslich in Angestelltenverhältnissen tätig, sondern auch als Unternehmer erfolgreich. Im folgenden Artikel wird die selbstständige Erwerbstätigkeit von Personen ausländischer Herkunft in der Schweiz untersucht. Im Zentrum des Interesses steht die Frage, wie sich das Unternehmertum der ersten und zweiten Generation unterscheidet und wie diese Unterschiede begründet werden können.

Die selbstständige Erwerbstätigkeit von Migrantinnen und Migranten hat in der Schweiz in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Im Rahmen des Forschungsprojekts «EthnicBusiness» wurde dieses Phänomen untersucht. Die zentralen Fragestellungen waren: Welche Gründe führen zur Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit von Personen ausländischer Herkunft? Und welche Konsequenzen ergeben sich aus dem Unternehmertum?  Als Teil des Nationalen Forschungsprogramms 51 zu «Integration und Ausschluss» (siehe

Kasten 1
Das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 51 «Integration und Ausschluss» thematisiert Schlüsselfragen von Staat und Gesellschaft in der Schweiz. Über hundert Forschende in 37 Projekten untersuchen anhand einer konkreten Fragestellung, wie gesellschaftliche, institutionelle, kulturelle und ökonomische Integrations- und Ausschlussmechanismen entstehen und sich durchsetzen. Die Forschenden des NFP 51 erarbeiten wissenschaftliche Grundlagen, um den Umgang der Schweiz mit Differenz kritisch zu reflektieren, Ausschlusstendenzen frühzeitig zu erkennen, die Toleranz im Umgang mit Minderheiten zu fördern und die Reintegration ausgegrenzter Individuen und sozialer Gruppen zu unterstützen. Die Forschungsprojekte gliedern sich in sechs thematische Module:- Soziale Arbeit und Sozialpolitik;- Schulpraxis und Bildungswege;- Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitsmodelle;- Erwerbstätigkeit und Existenzsicherung;- Konstruktionen von Identität und Differenz;- Öffentliche Räume und soziale Positionierung.Das NFP 51 plant im Jahr 2007 fünf thematische Publikationen, die als broschierte Bücher im Seismo-Verlag, Zürich, erscheinen. Die Beiträge der Forschenden und der Gastautorinnen und -autoren werden in der Originalsprache mit einer Zusammenfassung in der jeweils anderen Sprache (D oder F) publiziert. Informationen über das Erscheinen der Publikationen sind unter www.nfp51.ch/publikationen zu beziehen. Weitere Auskünfte: Wolfgang Wettstein, Umsetzungsbeauftragter NFP51, wwettstein@access.ch, 044 420 18 60.) lag unser Forschungsfokus auf der Rolle der selbstständigen Erwerbstätigkeit von Migrantinnen und Migranten. In diesem Beitrag konzentrieren wir uns auf jene Ergebnisse, die sich auf Unterschiede zwischen der ersten und der zweiten Generation beziehen. Insbesondere soll der Frage nachgegangen werden, weshalb in der zweiten Generation mehr Personen selbständig erwerbstätig sind als in der ersten (siehe

Kasten 2
Neben einer Sekundäranalyse der Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) 2003 wurden im Rahmen des Projekts biografisch-narrative Interviews mit 35 selbständig erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten sowie egozentrierte Netzwerkanalysen durchgeführt. Befragt wurden Frauen und Männer der ersten und der zweiten Ausländergeneration, die italienischer, türkischer, «ex-jugoslawischer» sowie tamilischer Herkunft sind, um Unterschiede nach Generationenzugehörigkeit und unterschiedlichem Einwanderungszeitpunkt zu erfassen. Ausgewählt wurden jene Wirtschaftsbranchen, in denen die meisten Personen der jeweiligen Gruppe tätig sind. Schliesslich wurde darauf geachtet, dass sich die Befragten in unterschiedlichen Phasen des Unternehmertums befanden: Befragt wurden nicht nur Personen, die zum Befragungszeitpunkt selbständig erwerbstätig waren, sondern auch solche, die beabsichtigten, sich selbständig zu machen, sowie Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews die selbstständige Erwerbstätigkeit wieder aufgegeben hatten.).

Hohe Hürden für wirtschaftliche Selbständigkeit


Bis Mitte der Sechzigerjahre erlebte die Schweiz einen Wirtschaftsboom, der die Rekrutierung zusätzlicher ausländischer Arbeitskräfte als «Gastarbeiter» nötig machte. Bei der Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen standen immer wirtschaftliche Interessen im Vordergrund: Die ausländischen Arbeitnehmenden waren «konjunkturelle Stossdämpfer», die eine zeitlich beschränkte Aufenthaltsbewilligung erhielten, damit sie wieder weggeschickt werden konnten, wenn man sie nicht mehr brauchte. Die Gastarbeiter wurden somit als Arbeitnehmende angeworben; eine selbstständige Erwerbstätigkeit war prinzipiell nicht vorgesehen.  Noch heute ist die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit im Prinzip Schweizer Staatsbürgern und ausländische Personen mit einer Niederlassungsbewilligung vorbehalten. Piguet (1999) hebt in seiner Arbeit hervor, dass das schweizerische Ausländerrecht hauptsächlich darauf ausgerichtet ist, die selbstständige Erwerbstätigkeit zu begrenzen. Personen aus Nicht-EU- und Nicht-Efta-Staaten ohne Niederlassungsbewilligung ist eine selbstständige Erwerbstätigkeit nur in besonderen Ausnahmefällen erlaubt. Die übrigen Ausländer ohne Niederlassungsbewilligung – unter anderem die EU-Bürger – müssen eine Ausnahme mit einem ausführlich begründeten schriftlichen Gesuch beantragen. Im Vordergrund steht hier das volkswirtschaftliche Interesse des Kantons.

Unternehmertum von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz


In der Schweiz hat die Zahl der selbstän-dig erwerbstätigen Personen ausländischer Herkunft in den letzten Jahren markant zugenommen. 1990 waren erst 4,7% Quelle: BFS, Volkszählung 1990 und 2000. der erwerbstätigen Ausländerinnen und Ausländer selbständig (weniger als 35000 Personen); 10 Jahre später waren es bereits 8% (über 65000 Personen). Zum Vergleich: 1990 betrug der Anteil der selbständig erwerbstätigen Schweizerinnen und Schweizer 12% und im Jahr 2000 14,7%. Der Anteil der selbständig erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten hat sich innerhalb von 10 Jahren beinahe verdoppelt.  Der Anteil der Selbstständigen variiert je nach Herkunftsgruppe: Während die Italienerinnen und Italiener sowie die Deutschen tendenziell viele Selbstständige aufweisen, sind andere Gruppen – wie z.B. die Portugiesinnen und Portugiesen – bei den Selbstständigen eher unterrepräsentiert (siehe Tabelle 1). Das Unternehmertum von Migrantinnen und Migranten präsentiert sich sehr heterogen. Zu den privilegierten Selbstständigen gehören Personen aus Nord- und Westeuropa sowie aus den USA. Sie verfügen im Vergleich zu den anderen (auch den Schweizer Selbstständigen) über höhere Ausbildungsabschlüsse, verdienen mehr und arbeiten in Branchen, die mit einem vergleichsweise hohen Berufsprestige verbunden sind. Zu den nicht privilegierten Selbstständigen gehören hauptsächlich Personen aus Süd- und Osteuropa. Sie arbeiten in Branchen mit geringerem Prestige (wie etwa Handel- und Reparaturgewerbe, verarbeitendes Gewerbe und Industrie sowie Baugewerbe) als die anderen Selbstständigen, verdienen weniger als diese und weisen in der Regel tiefere Ausbildungsabschlüsse auf.

Unterschiede nach Geschlechts- und Generationenzugehörigkeit


Frauen mit Migrationshintergrund waren als Unternehmerinnen – im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen – lange zahlenmässig untervertreten. Dies überrascht kaum, da Frauen insgesamt in der Schweiz weniger oft selbständig erwerbstätig sind als Männer. Der Anteil an selbständig Erwerbstätigen ist darüber hinaus bei den Ausländerinnen etwas geringer als bei den Schweizerinnen: Gemäss Schweizerischer Arbeitskräfteerhebung (Sake) 2003 sind knapp 36% der ausländischen Selbstständigen Frauen, gegenüber 41% bei den Schweizer Selbstständigen. In den letzten zwei Jahrzehnten ist die selbstständige Erwerbstätigkeit von Migrantinnen stärker angestiegen als diejenige der Migranten: In den jüngeren Altersklassen nimmt der Anteil der Frauen generell stark zu (siehe Tabelle 2). Dieser Effekt ist mit der unterschiedlichen Altersstruktur der untersuchten Bevölkerungsgruppen zu erklären: Im Durchschnitt ist die ausländische Bevölkerung jünger als die Schweizer Bevölkerung und Frauen ausländischer Herkunft sind jünger als Männer.  Obwohl es in der Migrationsforschung üblich ist, zwischen Angehörigen der ersten und der zweiten Generation zu unterscheiden, wird in Studien zu «Immigrant Entrepreneurs» erst in neueren Untersuchungen der unterschiedlichen Generationenzugehörigkeit Aufmerksamkeit geschenkt. Interessant ist, dass gemäss Sake 2003 Angehörige der ersten und der zweiten Ausländergeneration praktisch zu gleichen Teilen selbständig erwerbstätig sind, nämlich 12,8% bzw. 13,3%. Da die zweite Generation im Durchschnitt wesentlich jünger ist als die erste und die Wahrscheinlichkeit, sich selbständig zu machen, mit zunehmendem Alter steigt, macht sich die zweite Generation de facto häufiger selbständig als die erste.  Die selbstständige Erwerbstätigkeit der zweiten Generation weist zudem andere Charakteristika auf als jene der ersten Generation. Angehörige der zweiten Generation haben im Durchschnitt eine höhere Ausbildung absolviert als Personen der ersten Generation (dieser Sachverhalt gilt vor allem für Personen aus Süd- und Osteuropa). Die zweite Generation arbeitet nicht mehr in den traditionellen Branchen (Handel- und Reparaturgewerbe), in welchen die erste Generation tätig war, sondern findet sich vermehrt in Bereichen wie Informatik, Immobilien und Vermietung, die ein vergleichsweise hohes kulturelles und ökonomisches Kapital erfordern. Im Vergleich zur ersten Generation hat die zweite Generation somit in der selbstständigen Erwerbstätigkeit eine soziale Mobilität vollzogen.

Gründe und Folgen der selbstständigen Erwerbstätigkeit


Wie unsere biografisch-narrativen Interviews gezeigt haben, finden sich Unterschiede nach Geschlecht Vgl. Hettlage (2005). und Generationenzugehörigkeit auch bei den Motiven und Folgen der selbstständigen Erwerbstätigkeit. Grundsätzlich lässt sich festhalten, dass die erste Generation die wirtschaftliche Selbständigkeit mit Negativ-Reaktionen auf den Migrationsstatus verbindet. Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, blockierte Mobilität und fehlende soziale oder formelle Anerkennung – zum Beispiel durch die konkrete Aberkennung von formalisierter Ausbildung – verstärken den Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung und Autonomie und können als Motive für den Schritt in die Selbständigkeit interpretiert werden. Auch in der zweiten Generation findet sich der Wunsch nach Autonomie und sozialer Anerkennung, und auch die zweite Generation kennt Stigmatisierungsoder Ausschlusserfahrungen. Vgl. Juhasz (2005). Allerdings entsteht hier das Unternehmertum oft auf der Basis von besonderen Möglichkeiten, Marktlücken und speziellen Fähigkeiten, die im eigenen Unternehmen am besten umgesetzt werden können. In der zweiten Generation wird vielfach eine Strategie gefahren, die sich am Mainstream orientiert, um den Diskriminierungen zu entkommen (siehe

Kasten 3
Carla Astorina wird als Tochter italienischer Eltern in der Schweiz geboren. Nach ihrem Sekundarschulabschluss arbeitet sie zunächst ein paar Jahre als Temporärangestellte und holt danach ihre Matura nach. Ihr anschliessendes Studium finanziert sie sich durch verschiedene Jobs als Desktop-Publisherin. Dabei ist sie in ihrer beruflichen Tätigkeit so erfolgreich, dass sie schliesslich diese zweite Schiene weiterverfolgt und nach dem Studium als Webmasterin vollberuflich einsteigt. Neben ihrer Arbeit als Angestellte bei einer Wochenzeitung übernimmt sie zunehmend auch Aufträge auf selbstständiger Basis und geht schliesslich graduell eine berufliche Selbständigkeit ein.Carla Astorina beschreibt ihren Weg in das Unternehmertum einerseits als logischen Pfad («Es hat sich so ergeben»), andererseits auch als Wunsch nach Autonomie («frei bestimmen zu können, für wen man arbeitet»). Sie betont, dass sie in ihrem Angestelltenverhältnis eigentlich glücklich gewesen sei, dass sie jedoch in ihrer Selbständigkeit mehr Selbstverwirklichungspotenzial gesehen habe.b Obwohl sie Diskriminierungserfahrungen nicht im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Laufbahn erwähnt, sind diese dennoch ein Thema. Besonders als Kind und Jugendliche ist sich Carla Astorina ihres Status als Italienerin unter Schweizern sehr bewusst und sie leidet unter dem Anderssein. Dies geht so weit, dass sie das Italienische als Jugendliche ablehnt und sich beispielsweise weigert, zu Hause italienisch zu sprechen oder die italienische Sonntagsschule zu besuchen. Erst im Erwachsenenalter kann sie ihrer italienischen Herkunft einen Platz einräumen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sie aufgrund der Branche (IT-Bereich) nun plötzlich ihr Geschlecht als Hürde erlebt, während ihre italienischen Wurzeln keine Rolle mehr spielen. Der Kampf um Anerkennung, der sie als Ausländerin und Frau begleitet, ist zwar kein einfacher, jedoch erfolgreich: «Es hat drei Etappen gegeben in meinem Leben, von denen ich das Gefühl habe, dass sie sehr gut waren für mein Selbstwertgefühl: Als junger Mensch war mein Selbstwertgefühl, weil ich Seconda bin, nicht so gut. Ich habe für meinen Platz, für die Anerkennung, kämpfen müssen. Dann mit der Matur habe ich ganz klar gespürt, dass ich mich viel besser, sicherer fühle. Anschliessend kam das Studium, und ich denke, auch die Selbständigkeit wirkt sich positiv auf das Selbstwertgefühl aus.»). Die wirtschaftliche Selbständigkeit findet demnach nicht mehr in Nischen statt, die Ausländern vorbehalten sind, sondern unterscheidet sich kaum mehr von einer Selbständigkeit der Schweizer. Die ausländische Herkunft äussert sich in diesen Fällen höchstens noch als Ethnomarketing oder symbolische Ethnizität.  Gleichzeitig lässt sich eine Verbindung zwischen den Generationen ausmachen. So ist bei Angehörigen der zweiten Generation das Motiv der Selbständigkeit als Weg zu sozialer Mobilität oft als Fortsetzung eines elterlichen Mobilitätsprojekts zu interpretieren. Weil der ersten Generation die soziale Mobilität in der Schweiz nicht geglückt ist, wird dieses Projekt an die zweite Generation delegiert. Der zweiten Generation gelingt nun aufgrund ihrer Integration in die Aufnahmegesellschaft und der besseren Position im sozialen Raum der erfolgreiche berufliche Aufstieg, was ihren Eltern aufgrund von formalen und informellen Diskriminierungen nicht offen stand. In anderen Worten: Die Selbständigkeit liess sich gewissermassen erst im Generationenzusammenhang realisieren; sie ist in manchen Fällen ein Generationenprojekt.  Was die Folgen der Selbständigkeit angeht, zeigen die Interviews, dass aus dem Schritt in die Selbständigkeit für die Unternehmerinnen und Unternehmer soziale Anerkennung und Autonomie resultieren und die Selbständigkeitsprojekte oft eigentliche Emanzipationsprozesse sind. Dies kann selbst – und zum Teil erst recht – dann beobachtet werden, wenn die unternehmerische Tätigkeit aus ökonomischer Sicht nicht besonders erfolgreich verläuft.

Fazit


Migrantinnen und Migranten der ersten Generation erwägen eine wirtschaftliche Selbständigkeit vor allem als Reaktion auf Push-Faktoren, während die zweite Generation eher Pull-Faktoren nennt. Die Selbständigkeit der zweiten Generation scheint stärker freiwillig zu sein als diejenige der ersten, weil sich die Secondos und Secondas an einer besseren Position im sozialen Raum befinden und dadurch über andere Ressourcen (höhere Ausbildung, ein heterogeneres Netzwerk, bessere Sprachkompetenz, mehr unternehmensrelevantes Wissen) verfügen als die erste Generation. Die Selbständigkeit der zweiten Generation beruht daher auf anderen Opportunitätsstrukturen als die der Elterngeneration.  Gleichzeitig gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Generationen. Bei Unternehmerinnen beider Generationen ist häufig der Wunsch nach einer Work-Life-Balance als Motiv für die Unternehmensgründung auszumachen. Die egozentrierte Netzwerkanalyse zeigte zudem, dass die befragten Selbstständigen vergleichsweise viele Kontakte zu Schweizerinnen und Schweizern unterhalten und von ihnen soziale und/oder finanzielle Unterstützung sowie Know-how erhalten, die für die unternehmerische Tätigkeit wichtig sind. Ausländische Selbstständige übernehmen gleichzeitig selber Unterstützungsfunktionen für andere Migrantinnen und Migranten, indem sie ihnen Zugang zu Informationen und oft auch Arbeitsplätzen vermitteln. Sie nehmen somit eine Art Scharnierposition im sozialen Raum ein, die eine wichtige Rolle in Integrationsprozessen spielt. Insgesamt verdeutlichen die hier präsentierten Ergebnisse, dass es sich bei den «Immigrant Entrepreneurs» um eine heterogene Gruppe handelt. Die Unterschiede zwischen Migranten und Schweizern sind daher nicht bedeutsamer als jene, die sich innerhalb der Gruppe der Migranten finden. Darüber hinaus zeigen die Analysen der Sake, dass nicht die migrationsbzw. herkunftsspezifischen Variablen an sich mit der Selbständigkeit in einem engen Zusammenhang stehen, sondern dass diese weit gehend durch strukturelle Faktoren (insbesondere Humankapital, materielle Situation und Wirtschaftssektor) erklärt werden können. Zudem sind der Besitz der Schweizer Staatsbürgerschaft und die Ehe mit einem Schweizer Partner für die Selbständigkeit von Migranten in der Schweiz von entscheidender Bedeutung. Zukünftige Forschungen und politische Massnahmen müssen demzufolge dem Unterschied zwischen den Generationen und der spezifischen Situation der potenziell selbständig Erwerbstätigen Rechnung tragen. Für die erste Generation ist vor allem der Zugang zu «schweizerischen Ressourcen» – z.B. unternehmensrelevante Informationen, wichtige Beziehungsnetzwerke und Kapital – zu vereinfachen. Die zweite Generation kann hingegen bereits von allgemeinen, nicht ausländerspezifischen Förderprogrammen profitieren. Angesichts der Tatsache, dass kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in der Schweiz eine grosse volkswirtschaftliche Bedeutung haben und insbesondere selbstständige Migrantinnen und Migranten durch ihre Scharnierfunktion eine wichtige integrative Leistung erbringen, sollte mittels Initiativen zur Verbesserung des unternehmerischen Umfelds die selbstständige Erwerbstätigkeit generell weiter gefördert werden.

Tabelle 1 «Selbstständig Erwerbstätige in der Schweiz – Anzahl und Anteile ausgewählter Herkunftsgruppen»

Tabelle 2 «Selbstständige nach Generationszugehörigkeit, Geschlecht und Altersklasse Gewichtete Daten (Angaben zu n ungewichtet), ohne Landswirtschaftssektor, in %»

Kasten 1: NFP 51 «Integration und Ausschluss»
Das Nationale Forschungsprogramm (NFP) 51 «Integration und Ausschluss» thematisiert Schlüsselfragen von Staat und Gesellschaft in der Schweiz. Über hundert Forschende in 37 Projekten untersuchen anhand einer konkreten Fragestellung, wie gesellschaftliche, institutionelle, kulturelle und ökonomische Integrations- und Ausschlussmechanismen entstehen und sich durchsetzen. Die Forschenden des NFP 51 erarbeiten wissenschaftliche Grundlagen, um den Umgang der Schweiz mit Differenz kritisch zu reflektieren, Ausschlusstendenzen frühzeitig zu erkennen, die Toleranz im Umgang mit Minderheiten zu fördern und die Reintegration ausgegrenzter Individuen und sozialer Gruppen zu unterstützen. Die Forschungsprojekte gliedern sich in sechs thematische Module:- Soziale Arbeit und Sozialpolitik;- Schulpraxis und Bildungswege;- Gesundheitsvorstellungen und Gesundheitsmodelle;- Erwerbstätigkeit und Existenzsicherung;- Konstruktionen von Identität und Differenz;- Öffentliche Räume und soziale Positionierung.Das NFP 51 plant im Jahr 2007 fünf thematische Publikationen, die als broschierte Bücher im Seismo-Verlag, Zürich, erscheinen. Die Beiträge der Forschenden und der Gastautorinnen und -autoren werden in der Originalsprache mit einer Zusammenfassung in der jeweils anderen Sprache (D oder F) publiziert. Informationen über das Erscheinen der Publikationen sind unter www.nfp51.ch/publikationen zu beziehen. Weitere Auskünfte: Wolfgang Wettstein, Umsetzungsbeauftragter NFP51, wwettstein@access.ch, 044 420 18 60.

Kasten 2: Untersuchungsanlage
Neben einer Sekundäranalyse der Daten der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung (Sake) 2003 wurden im Rahmen des Projekts biografisch-narrative Interviews mit 35 selbständig erwerbstätigen Migrantinnen und Migranten sowie egozentrierte Netzwerkanalysen durchgeführt. Befragt wurden Frauen und Männer der ersten und der zweiten Ausländergeneration, die italienischer, türkischer, «ex-jugoslawischer» sowie tamilischer Herkunft sind, um Unterschiede nach Generationenzugehörigkeit und unterschiedlichem Einwanderungszeitpunkt zu erfassen. Ausgewählt wurden jene Wirtschaftsbranchen, in denen die meisten Personen der jeweiligen Gruppe tätig sind. Schliesslich wurde darauf geachtet, dass sich die Befragten in unterschiedlichen Phasen des Unternehmertums befanden: Befragt wurden nicht nur Personen, die zum Befragungszeitpunkt selbständig erwerbstätig waren, sondern auch solche, die beabsichtigten, sich selbständig zu machen, sowie Personen, die zum Zeitpunkt des Interviews die selbstständige Erwerbstätigkeit wieder aufgegeben hatten.

Kasten 3: Carla Astorinaa – Unternehmerin, Seconda
Carla Astorina wird als Tochter italienischer Eltern in der Schweiz geboren. Nach ihrem Sekundarschulabschluss arbeitet sie zunächst ein paar Jahre als Temporärangestellte und holt danach ihre Matura nach. Ihr anschliessendes Studium finanziert sie sich durch verschiedene Jobs als Desktop-Publisherin. Dabei ist sie in ihrer beruflichen Tätigkeit so erfolgreich, dass sie schliesslich diese zweite Schiene weiterverfolgt und nach dem Studium als Webmasterin vollberuflich einsteigt. Neben ihrer Arbeit als Angestellte bei einer Wochenzeitung übernimmt sie zunehmend auch Aufträge auf selbstständiger Basis und geht schliesslich graduell eine berufliche Selbständigkeit ein.Carla Astorina beschreibt ihren Weg in das Unternehmertum einerseits als logischen Pfad («Es hat sich so ergeben»), andererseits auch als Wunsch nach Autonomie («frei bestimmen zu können, für wen man arbeitet»). Sie betont, dass sie in ihrem Angestelltenverhältnis eigentlich glücklich gewesen sei, dass sie jedoch in ihrer Selbständigkeit mehr Selbstverwirklichungspotenzial gesehen habe.b Obwohl sie Diskriminierungserfahrungen nicht im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Laufbahn erwähnt, sind diese dennoch ein Thema. Besonders als Kind und Jugendliche ist sich Carla Astorina ihres Status als Italienerin unter Schweizern sehr bewusst und sie leidet unter dem Anderssein. Dies geht so weit, dass sie das Italienische als Jugendliche ablehnt und sich beispielsweise weigert, zu Hause italienisch zu sprechen oder die italienische Sonntagsschule zu besuchen. Erst im Erwachsenenalter kann sie ihrer italienischen Herkunft einen Platz einräumen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sie aufgrund der Branche (IT-Bereich) nun plötzlich ihr Geschlecht als Hürde erlebt, während ihre italienischen Wurzeln keine Rolle mehr spielen. Der Kampf um Anerkennung, der sie als Ausländerin und Frau begleitet, ist zwar kein einfacher, jedoch erfolgreich: «Es hat drei Etappen gegeben in meinem Leben, von denen ich das Gefühl habe, dass sie sehr gut waren für mein Selbstwertgefühl: Als junger Mensch war mein Selbstwertgefühl, weil ich Seconda bin, nicht so gut. Ich habe für meinen Platz, für die Anerkennung, kämpfen müssen. Dann mit der Matur habe ich ganz klar gespürt, dass ich mich viel besser, sicherer fühle. Anschliessend kam das Studium, und ich denke, auch die Selbständigkeit wirkt sich positiv auf das Selbstwertgefühl aus.»

Kasten 4: Literatur
– Handschin, Martin (2006): Kultur der Selbständigkeit. Beruflich selbstständige Secondas als Unternehmerinnen ihrer selbst. In: Soz:mag 9 (2006), S. 22-25. – Hettlage, Raphaela (2005): Von Gastarbeiterinnen zu Gründerinnen: Migrantinnen als Unternehmerinnen in der Schweiz. In: Michaela Fenske und Tatjana Eggeling (Hg.): Geschlecht und Ökonomie: Beiträge der 10. Arbeitstagung der Kommission für Frauen- und Geschlechterforschung der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde Göttingen 2004. Göttingen: Schmerse-Verlag, S. 97-118.- Juhasz, Anne (2005): Autonomie und Risiko statt Unsicherheit. Die selbstständige Erwerbstätigkeit als Weg zur Bearbeitung biographischer Unsicherheiten in der Migration. In: Sozialersinn 6 (2005), 1, S. 93-109.- Piguet Etienne (1999): Les migrations créatrices (préface de Georges Tapinos). Paris: L’Harmattan.- Suter, Christian, Renate Schubert, Anne Juhasz und Raphaela Hettlage (2006): Der Weg zur Integration? Die Rolle der selbstständigen Erwerbstätigkeit von Migrantinnen und Migranten in der Schweiz. Schlussbericht zuhanden des Schweizerischen Nationalfonds, Bern.

Zitiervorschlag: Raphaela Hettlage, Anne Juhasz, Renate Schubert, Christian Suter, (2007). Selbstständig erwerbende Migrantinnen und Migranten: Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.