Soll der schweizerische Emissionshandel mit dem europäischen verknüpft werden?
Das Kyoto-Protokoll machte den Handel mit Emissionsrechten zu einem wichtigen Pfeiler der Klimapolitik und etablierte mehrere Treibhausgasmärkte. Neben diesen Emissionsmärkten entstanden verschiedene nationale und regionale Emissionshandelssysteme, von denen das grösste jenes der Europäischen Union (EU) ist. Es ist das Hauptinstrument der EU zur Reduktion von Treibhausgasemissionen. Mit der Verknüpfung ihres Systems mit anderen Systemen strebt die EU einen globalen Emissionsmarkt an. Erst auf diese Weise lassen sich Wettbewerbsverzerrungen aufgrund verschiedener CO2-Preise vermeiden. Für die Schweiz stellt sich die Frage, ob sie ihr System mit jenem der EU verknüpfen soll. Der folgende Artikel befasst sich aus wirtschaftlicher Sicht mit dieser Frage.
Die Schweiz wird parallel zur CO2-Abgabe ebenfalls ein Emissionshandelssystem (EHS) einführen. Damit stellt sich die Frage, ob es sinnvoll wäre, das schweizerische System mit jenem der EU zu verknüpfen. Mit einer Verknüpfung wird der Handel mit Emissionsrechten über die Grenzen der beiden EHS möglich. Voraussetzung dazu ist, dass die Schweiz und die EU ihre Emissionsrechte gegenseitig als den eigenen gleichwertig anerkennen. In einer Studie wurde festgestellt, dass die technischen Hindernisse einer Verknüpfung überwindbar sind. Vgl. Ecoplan/Natsource (2006). Es stellt sich nun die Frage, welche wirtschaftlichen Auswirkungen eine Verknüpfung hat. Vgl. Aeppli (2007).
Erwartete Resultate einer Verknüpfung aufgrund der ökonomischen Theorie
Eine Verknüpfung hebt die Marktgrenzen für Emissionsrechte zwischen der Schweiz und der EU auf. Die wirtschaftlichen Gewinne einer Verknüpfung können mit jenen einer Gütermarktliberalisierung verglichen werden. Wie die Liberalisierung von Gütermärkten zu tieferen Produktionskosten führt, senkt die Verknüpfung von EHS die Kosten zur Erreichung eines bestimmten Reduktionsziels. Die Kostensenkungen sind das Ergebnis von regional unterschiedlichen Kosten zur Vermeidung der gleichen Emissionsmenge: Emissionsreduktionen sind nicht überall gleich aufwendig. Eine Verknüpfung führt dazu, dass teurere Emissionsreduktionen im einen EHS durch günstigere Emissionsreduktionen im anderen EHS ersetzt werden. Je grösser die Differenz der Emissionsvermeidungskosten für weitere Reduktionen in den zu verknüpfenden EHS sind, desto grösser sind folglich die Kosteneinsparungen, welche durch eine Verknüpfung erzielt werden können; sie erhöht zudem die Anzahl Marktteilnehmer und damit die Marktliquidität. Dies senkt die Risiken für Unternehmer und die Transaktionskosten des Handels. Das Resultat ist ein effizienterer Markt. Bei gegebenen Reduktionszielen verän-dert eine Verknüpfung die Gesamtmenge der Emissionen in den EHS nicht, sondern führt nur zu einer örtlichen Verschiebung der Emissionen. Langfristig können aber die tieferen Kosten von Emissionsreduktionen zu höheren Reduktionszielen führen. Der politische Widerstand für ambitionierte neue Reduktionsziele ist bei tieferen Kosten geringer. Höhere Reduktionsziele werden in Zukunft notwendig sein, um auf einen vom Intergovernamental Panel on Climate Change (IPCC) aufgezeigten Emissionspfad zur Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre zu gelangen.
Werden durch den Kauf von Emissionsrechten tatsächlich Emissionen reduziert?
In der aktuellen politischen Diskussion wird oft die Frage gestellt, ob durch den Kauf von ausländischen Emissionsrechten tatsächlich auch die entsprechende Menge Emissionen im Ausland reduziert würde. Im Fall von europäischen Emissionsrechten kann diese Frage klar bejaht werden. Das europäische EHS teilt jedem beteiligten Unternehmen eine bestimmte Menge Emissionsrechte zu. Die Gesamtmenge der Emissionen ist damit festgelegt. Ein Unternehmen, welches Emissionsrechte verkauft, muss im selben Um-fang Emissionen reduzieren. Voraussetzungen sind eine zuverlässige Überwachung der Emissionen sowie hohe Sanktionen bei Verstössen, was in der Regel der Fall ist. Zudem führt der Kauf von europäischen Emissionsrechten zu Emissionsreduktionen in Industrieländern, was den Einsatz von modernsten Technologien notwendig macht. Dadurch wird die Entwicklung von neuen Technologien gefördert.
Wirtschaftliche Auswirkungen einer Verknüpfung
Der europäische Emissionsmarkt umfasst Emissionsrechte für ca. 2200 Mio. Tonnen CO2. Im Vergleich dazu ist der schweizerische Emissionsmarkt ein Minimarkt: Er wird voraussichtlich etwa 4 Mio. Tonnen CO2-Emissionen einschliessen (vgl. Tabelle 1). Eine Verknüpfung hat deshalb kaum Auswirkungen auf den europäischen Emissionsmarkt. Der schweizerische Markt würde hingegen tief greifende Veränderungen erfahren. Die wirtschaftlichen Gewinne einer Verknüpfung hängen weit gehend von der Differenz der Emissionsvermeidungskosten der beiden Systeme ab. Diese Kostenunterschiede zwischen der EU und der Schweiz sind beachtlich. Während die Stiftung Klimarappen Schweizer Unternehmen für die Reduktion einer Tonne CO2 im Zeitraum von 2008 bis 2012 70 Franken bezahlt, kosten heute europäische Emissionsrechte des Jahres 2008 für eine Tonne CO2 etwa 30 Franken. Die Preiserwartungen für europäische Emissionsrechte im Jahr 2012 liegen um 55 Franken.
Einsparpotenzial durch Wirtschaftsstruktur
Der Preisunterschied zwischen den europäischen und den schweizerischen Emissionsrechten ist einerseits auf die CO2-freie Stromproduktion und anderseits auf die schweizerische Wirtschaftsstruktur zurückzuführen. Die Schweiz hat einen starken Dienstleistungssektor, der typischerweise emissionsarm ist, verfügt aber nur über wenig Schwerindustrie, welche grosse Reduktionspotenziale birgt. Werden die EHS verknüpft, können schweizerische Unternehmen am EU-Emissionsmarkt mit tieferen Preisen partizipieren. Eine Verknüpfung kann dadurch den CO2-Preis in der Schweiz kurzfristig signifikant senken. Damit werden die Emissionsreduktionen von einem Industrieland mit hohen Reduktionskosten in ein Industrieland mit tieferen Reduktionskosten verschoben. In einer längeren Perspektive ist hingegen zu erwarten, dass sich in einem verknüpften Markt, wenn die relativ günstigeren Emissionsreduktionspotenziale in der EU ausgeschöpft sind, die Vermeidungskosten der beiden Systeme angleichen werden.
Steigerung der Markteffizienz
Neben diesen typischen Handelsgewinnen können in der Schweiz weitere Kostenreduktionen durch eine höhere Markteffizienz erzielt werden. Es wird erwartet, dass die Liquidität des schweizerischen Emissionsmarktes tief sein wird. Durch die geringe Nachfrage und das geringe Angebot von Emissionsrechten auf dem Schweizer Markt kann der Kauf oder Verkauf von schweizerischen Emissionsrechten schwierig sein; das gefragte Angebot bzw. die gesuchte Nachfrage ist nicht immer vorhanden. Daraus resultieren starke Preisschwankungen. Zudem sind in illiquiden Märkten die Kosten höher, die mit dem Kauf oder Verkauf von Emissionsrechten verbunden sind, da die Suche nach dem geeigneten Handelspartner aufwendig ist. Die Risiken und Kosten von illiquiden Märkten führen zu ineffizienten Marktergebnissen. So wird in einem illiquiden Markt unter Umständen ein Unternehmen seine Emissionsreduktionen selber bewerkstelligen, obwohl dies teurer ist als der Kauf von Emissionsrechten eines anderen Unternehmens. Anderseits wird ein Unternehmen, das günstig weitere Emissionsreduktionen erzielen könnte, mit der Umsetzung der Reduktionsmassnahmen zögern, da es nicht sicher ist, ob es die dadurch freigesetzten Emissionsrechte verkaufen kann. Zudem können hohe Handelskosten ein grundsätzlich gewinnbringendes Projekt unrentabel machen. Der europäische Emissionsmarkt weist aufgrund seiner Grösse eine hohe Liquidität auf. Mit der Verknüpfung des schweizerischen Emissionsmarktes mit dem europäischen würden die Liquiditätsengpässe auf dem schweizerischen Markt behoben. Seine Effizienz würde stei-gen – und damit sinken die Kosten zur Erreichung des gegebenen Reduktionszieles.
Welchen Schweizer Branchen hilft eine Verknüpfung?
Von einer Verknüpfung profitieren die energieintensiven Branchen spürbar und die Branchen mit mittlerem Energiebedarf geringfügig. Hingegen bleiben Branchen mit geringem Energiebedarf unberührt. Es ist davon auszugehen, dass keine Branche negativ von einer Verknüpfung beeinflusst wird. Je höher der Anteil der CO2-Kosten an den Produktionskosten ist, desto stärker senkt eine Verminderung des CO2-Preises die Kosten eines Unternehmens und desto mehr stärkt dies seine Wettbewerbsfähigkeit. Deshalb erzielen die energieintensiven Branchen durch eine Verknüpfung am meisten Vorteile. Insbesondere profitieren energieintensive Industrien, deren Konkurrenten vorwiegend in Europa liegen, wie z.B. die Zementproduzenten. Für sie ist ein einheitlicher CO2-Preis in der EU und der Schweiz besonders hilfreich, da er ihnen die gleichen Kosten garantiert wie jene der europäischen Konkurrenz. Auch die erhöhte Flexibilität durch den liquiden europäischen Emissionsmarkt ist für energieintensive Betriebe wichtig. Sie verringert die Risiken und Transaktionskosten des Handels mit Emissionsrechten. Betriebe mit mittlerem Energiebedarf profitieren höchstens geringfügig. Die Emissionskosten beeinflussen ihre Gesamtkosten nur begrenzt. Momentan sind für sie die Flexibilitäten des CH-EHS ausreichend. Längerfristig könnten jedoch weitere innerbetriebliche Emissionsreduktionen kostspielig und der Kauf von europäischen Emissionsrechten eine attraktive Option werden. Unberührt bleiben Betriebe mit geringem Energiebedarf, die – wie z.B. jene des Dienstleistungssektors – vom EHS nicht erfasst werden. Im heutigen Regime bezahlen sie die CO2-Abgabe.
Welche Gewinne fallen vor 2012 an?
Die Reduktion von CO2-Emissionen bedingt Investitionen in die Produktionstechnik, deren Umsetzung Zeit erfordert. Deshalb haben die meisten Schweizer Unternehmen die Investitionsentscheide zur Erfüllung ihrer Reduktionsverpflichtung bis 2012 bereits getroffen und zum Teil auch umgesetzt. Die Substitution von schweizerischen Emissionsreduktionen durch günstigere europäische ist in diesem Zeitraum nur begrenzt möglich. Eine Verknüpfung begünstigt die Schweizer Wirtschaft bis 2012 deshalb nur durch die geringeren Risiken und die erhöhte Flexibilität des Handels mit Emissionsrechten. Dies kommt vor allem den energieintensiven Betrieben zugute. Den Betrieben mit mittlerem Energiebedarf genügt der schweizerische Emissionsmarkt, um ihre Risiken abzufedern. Die zusätzliche Flexibilität einer Verknüpfung ist für sie nicht relevant.
Welche Gewinne sind nach 2012 zu erwarten?
Die Gewinne einer Verknüpfung fallen vor allem in einer längerfristigen Perspektive nach 2012 an. Die Investitionsentscheide werden dann unter Berücksichtigung eines einheitlichen CO2-Preises in der Schweiz und der EU, den geringeren Risiken und den tieferen Transaktionskosten gefällt. Gegenüber europäischen Konkurrenten wird ein Wettbewerb mit gleich langen Spiessen möglich. Werden von den Unternehmen mit mittlerem Energiebedarf weitere Emissionsreduktionen gefordert, profitieren auch sie beträchtlich von einer Verknüpfung der EMS. Ihre günstigen Reduktionspotenziale werden bis 2012 weit gehend ausgeschöpft sein. Der Kauf von europäischen Emissionsrechten wird für sie eine attraktive Option. Günstigere Emissionsreduktionen können sich auch positiv auf die Umwelt auswirken. Sind die Kosten für Emissionsreduktionen gering, ist die Wirtschaft bereit, höhere Reduktionsforderungen zu akzeptieren. Damit könnte eine Verknüpfung die Reduktionsverpflichtung der Schweiz für die Zeit nach 2012 erhöhen.
Fazit
Aus einer Verknüpfung des schweizerischen und europäischen EHS kann die Schweiz wirtschaftliche Vorteile erzielen. Da die Weichen für die Reduktionen bis 2012 bereits gestellt sind, sind die Gewinne einer Verknüpfung bis dahin noch gering und beschränken sich weit gehend auf die Verminderung von Risiken. Ab 2012 werden dann die Investitionsentscheide unter Einbezug der Möglichkeit des Handels mit Emissionsrechten mit der EU getroffen. Dies senkt die Kosten der Erreichung des Reduktionsziels spürbar. Weiterhin werden sich auch die geringeren Risiken dämpfend auf die Kosten auswirken. Zudem ermöglicht der einheitliche CO2-Preis energieintensiven schweizerischen Industrien mit ihren europäischen Konkurrenten einen Wettbewerb mit gleich langen Spiessen. Ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit wird gestärkt. Branchen mit mittlerem Energiebedarf werden kurzfristig von einer Verknüpfung kaum beeinflusst. Werden von ihnen aber nach 2012 weitere Reduktionen gefordert, ist auch ihnen die Verknüpfung dienlich. Da sich Betriebe mit geringem Energiebedarf nicht am Emissionshandel beteiligen, bleiben sie von einer Verknüpfung unberührt. Für keine Branche sind nachteilige Auswirkungen festzustellen. Der europäische Emissionsmarkt verändert sich durch eine Verknüpfung kaum. Die EU wird deshalb weder spürbar positiv noch spürbar negativ beeinflusst. Aus Schweizer Sicht ist aufgrund der positiven ökonomischen und ökologischen Auswirkungen eine Verknüpfung der Emissionshandelssysteme anzustreben.
Tabelle 1 «Vergleich des schweizerischen und des europäischen Emissionsmarktes»
Kasten 1: CO2-Reduktion weiterhin auch im Inland Es ist davon auszugehen, dass auch in einem verknüpften Markt Emissionsreduktionen im Inland erzielt werden. Reduzieren die Unternehmen CO2-Emissionen, arbeiten sie normalerweise energieeffizienter und können Energiekosten einsparen. Deshalb zahlen sich Investitionen in Emissionsreduktionen weiterhin aus. Es wird ausserdem erwartet, dass die Energiepreise in den nächsten Jahren deutlich steigen werden. Damit werden die Anreize für innerbetriebliche Reduktionen verstärkt, und heute unrentable Investitionen könnten sich bereits in einigen Jahren auszahlen. Der Aufbau eines grünen Images ist ein weiterer Grund für Unternehmen, die Emissionen im eigenen Betrieb zu reduzieren, anstatt Emissionsrechte zu kaufen. Ökologische Unternehmensführung gehört heute zum guten Ton. Selbst die Börsen reagieren auf die Umweltpolitik eines Unternehmens. Zudem fordert der Bundesrat in der Energiestrategie weitere Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz in der Schweiz. Die Ausarbeitung der Massnahmen ist im Gang und soll noch vor Ende Jahr verabschiedet werden.
Kasten 2: Literaturhinweise – Aeppli Damaris (2007), Wirtschaftliche Auswirkungen einer Verknüpfung des schweizerischen und europäischen Emissionshandelssystems. Bezug der elektronischen Fassung auf Anfrage bei margaritha.marques@seco.admin.ch. – Ecoplan/Natsource (2006), Linking domestic Emission Trading Schemes to the EU ETS. Tetris Deliverable, Bern/London.
Zitiervorschlag: Aeppli, Damaris (2007). Soll der schweizerische Emissionshandel mit dem europäischen verknüpft werden? Die Volkswirtschaft, 01. September.