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Energie- und Wasserindustrie – eine regional gebundene, international kompetitive Branche

Energie- und Wasserindustrie - eine regional gebundene, international kompetitive Branche

Die Bedeutung der Energie- und Wasserindustrie in der Schweiz ist grösser, als ihr Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Bruttowertschöpfung auf den ersten Blick vermuten lässt. Als wichtige Vorleistungsbranche ermöglicht sie überhaupt erst ein wirtschaftliches Handeln. Das gegenwärtig hohe Nachfragepotenzial an den Infrastrukturleistungen dieser Branche wird wohl auch zukünftig bestehen bleiben. Kapazitätserweiterungen im grossen Stil werden in der Schweiz jedoch durch komplexe Bewilligungsverfahren erschwert. Der Regulierungsgrad – ein bedeutender Erfolgsfaktor für die Branche – ist in der Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch. Eine der Folgen davon ist, dass die Strompreise beim Endverbraucher höher sind als im Durchschnitt der europäischen OECD-Länder.

Die Energie- und Wasserindustrie ist – oberflächlich betrachtet – eine relativ unbedeutende Branche der Schweizer Volkswirtschaft. Der Anteil der nominalen Bruttowertschöpfung der Branche lag 1995 bei 3% und ist bis zum Jahr 2005 auf 2% gefallen. Auch der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtwirtschaft zeigt ein bescheidenes Bild: Insgesamt beschäftigen die Unternehmen dieser Branche nur gerade 0,6% der Erwerbstätigen der Schweizer Volkswirtschaft. Der Anteil fiel im Zeitraum 1995-2005 sogar um einen halben Prozentpunkt.  Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Energie- und Wasserindustrie geht jedoch weit über ihren Anteil an der gesamtwirtschaftlichen Leistung der Schweiz hinaus, sind doch alle anderen Branchen in hohem Masse von der Verfügbarkeit und Qualität des Outputs dieser Vorleistungsbranche abhängig. Auch unter dem Aspekt des internationalen Vergleichs relativiert sich die oberflächlich betrachtet geringe Bedeutung der Branche: Der durchschnittliche Anteil der Energie- und Wasserindustrie am nominellen Bruttoinlandprodukt (BIP) der Schweiz über die Jahre 1990 bis 2005 befindet sich im Vergleich mit Westeuropa und den USA auf einem relativ hohen Niveau. Deutlich unter den Wachstumsraten von Westeuropa liegt in der Schweiz hingegen das durchschnittliche jährliche Wachstum der realen Bruttowertschöpfung der Branche. So liefert beispielsweise dieser Industriezweig in Österreich, wo er einen ähnlich hohen Anteil wie in der Schweiz aufweist, einen 7-mal höheren Wachstumsbeitrag pro Jahr an die Gesamtwirtschaft als in der Schweiz.

Wachstumsraten im Bereich der Gesamtwirtschaft


Das durchschnittliche Wachstum der realen Bruttowertschöpfung der Schweizer Energie- und Wasserindustrie lag von 1980 bis 2005 mit 1,4% etwa im Bereich der Gesamtwirtschaft (1,5%). Über die Jahre betrachtet verlief die Wertschöpfungsentwicklung jedoch deutlich unterschiedlich: So wuchs die Energie- und Wasserindustrie in den Jahren 1990-2000 deutlich dynamischer als die Gesamtwirtschaft, hatte in den folgenden fünf Jahren aber ein Negativwachstum zu verkraften. Insgesamt ist die reale Bruttowertschöpfung der Branche seit 1980 um 43% gestiegen. Mit diesem Wertschöpfungswachstum ging auch eine Beschäftigungszunahme einher: 1980 waren rund 20000 Personen in der Energie- und Wasserindustrie tätig; heute sind es rund 25000. Somit ist bei den Erwerbstätigen ein durchschnittliches Wachstum von 0,9% pro Jahr und 25% insgesamt zu verzeichnen, was ebenfalls beinahe den Wachstumsraten der Gesamtwirtschaft entspricht.

Regulatorische Rahmenbedingungen als entscheidender Erfolgsfaktor der Energieindustrie


Für das Wachstumspotenzial der Energieindustrie in der Schweiz und die Ausnutzungschancen spielen die regulatorischen Rahmenbedingungen eine entscheidende Rolle. Im regulatorischen Umfeld sind eine Reihe von relevanten treibenden Faktoren zu beachten, wie die Organisation der (natürlichen) Monopole, die Liberalisierung oder der Marktöffnungsgrad. In der Schweiz werden Abgaben wie Wasserzinse und CO2-Lenkungsabgaben erhoben. Darüber hinaus gibt es einen Emissionshandel, Förderbeiträge vom Bund und allfällige Steuerbefreiungen, welche eine asymmetrische Wirkung im Standortwettbewerb entfalten. Die CO2-Lenkungsabgabe wird auf Basis des CO2-Gesetzes erhoben, welches zum Ziel hat, den CO2-Ausstoss um 10% unter das Niveau von 1990 zu senken. Mit dieser Lenkungsabgabe werden die Gestehungskosten der Gasturbinen- und der Kombikraftwerke erhöht, was der Kernenergie und der Wasserkraft einen komparativen Vorteil verschafft.  Als bedeutendes Entwicklungshemmnis für die Stromerzeugung durch Wasserkraft hat sich die Verteuerung durch erhöhte Wasserzinse erwiesen, betrug doch im Jahr 2000 die mittlere Belastung durch Abgaben und Steuern etwa 20% bis 30% der Gestehungskosten. Als nachteilig ist auch die Erhöhung der Restwassermengen zu sehen, da dies zu einer Energieminderproduktion führt, die von Experten für das Jahr 2020 auf zwischen 900 und 1400 Gigawattstunden (GWh) geschätzt wird. Als weiteres Entwicklungshemmnis sind die komplexen Bewilligungsverfahren zu nennen. Gerade im gegenwärtigen konjunkturellen Umfeld sind die Hemmnisse für die Erweiterung der Produktionskapazitäten besonders folgenschwer, weil die Schweizer Stromindustrie momentan am Limit produziert. Dasselbe lässt sich auch über den Ausbau des Stromnetzes sagen. Der Grad der Regulierung der Energie- und Wasserbranche in der Schweiz ist im Vergleich zum Vereinigten Königreich, welches seit 1980 seinen Elektrizitätsmarkt komplett liberalisiert hat, sehr hoch. Vergleicht man die nominale Stundenproduktivität der beiden Länder im Jahr 2005, zeigt sich, dass sie im Vereinigten Königreich 47% höher ist als in der Schweiz, die Produktivität der Gesamtwirtschaft jedoch um 18% geringer. Bemerkenswerterweise liegt in Spanien die Produktivität der Energie- und Wasserindustrie um 31% tiefer als in der Schweiz, obwohl der von der OECD gemessene Regulierungsgrad von einem hohen Niveau im 1980 auf einen sehr tiefen Wert im Jahr 2003 gefallen ist. Gemessen an ihrem Regulierungsgrad zeigt sich die Energiebranche also im internationalen Vergleich sehr produktiv. Die Schweiz ist zurzeit daran, den Strommarkt zu liberalisieren und den Marktzutritt zu erleichtern. Aktuell ist eine Strommarktöffnung in zwei Schritten im Gange, die für die Verbraucher mit einer Nachfrage grösser als 100 Megawattstunden (MWh) seit 2007 gilt und 2012 für alle Verbraucher realisiert werden soll. Dies soll national und international wettbewerbsfähige Elektrizitätspreise herbeiführen und der Elektrizitätswirtschaft Chancengleichheit mit dem Ausland bieten, um sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich behaupten zu können.

Struktur und Preise der Stromindustrie


Von den etwa 2300 Kraftwerken der Schweiz produzieren die 25 grössten etwa 60% des Stroms. Gerade 1% der Stromerzeugung machen die etwa 800 Kleinwasserkraftwerke, 450 Kombikraftwerke und 600 Photovoltaik- und Windkraftwerksinstallationen aus. Die sechs Unternehmen Atel, Axpo/NOK, BKW, CKW, EGL und EOS dominieren mit einem Anteil von ungefähr 80% des gesamten Grosshandelsmarktes das schweizerische Energiegewerbe. Um gemeinsame Interessen zu vertreten, wurde die Industrievereinigung Swisselectric gebildet. Für den Betrieb des Hochspannungsnetzes und als Verhandlungspartner gegenüber ausländischen Netzbetreibern existiert die gemeinsame Netzgesellschaft Swissgrid. Die sechs Unternehmen bilden zusammen ein homogenes Angebotsoligopol. So erstaunt es nicht, dass die vertikale Integration der Stromindustrie in der Schweiz im internationalen Direktvergleich seit 1980 laut OECD bis heute sehr hoch geblieben ist. Im Kontext mit einem seit längerer Zeit bestehenden Oligopol findet in der Schweiz die Produktion und die Transmission von Strom tendenziell unter einer einheitlichen Unternehmensführung statt.  Der Markteintritt in den schweizerischen Elektrizitätsmarkt wurde gemäss OECD seit 1980 nicht nennenswert erleichtert. Demgegenüber haben die europäischen Nachbarländer, das Vereinigte Königreich, Spanien, die Niederlande, Schweden und die USA die Markteintrittsbarrieren praktisch abgeschafft. Direkte Folge der Marktabschottung ist ein erhöhender Effekt auf den Strompreis und eine Stärkung des Oligopols im Stromangebot: Obwohl der Grossteil des Stroms von Kern- und Wasserkraftwerken mit relativ kleinen Grenzkosten erzeugt wird, sind die Preise beim Endverbraucher höher als im Durchschnitt der europäischen OECD-Länder und variieren regional beträchtlich. Der Preis für Hochspannungselektrizität wird durch den Swiss Electricity Price Index (Swep) repräsentiert. Der Swep bezeichnet den Preis für kurzfristig gehandelten Strom (Spotmarkt) und wurde 1998 von Atel und EGL gegründet; mittlerweile haben sich viele weitere Firmen daran beteiligt. Seit seiner Existenz ist der Swep pro Jahr um durchschnittlich 17% gestiegen, und das Indexniveau lag 2005 bei 213%. Im gleichen Zeitraum sanken beispielsweise die Strompreise im Vereinigten Königreich mit seinem liberalen Elektrizitätsmarkt.

Regionale Verteilung vor allem von der Topografie abhängig


Abhängig von der Topografie, ist die Energie- und Wasserindustrie sehr unterschiedlich in den verschiedenen Gebieten der Schweiz vertreten. Erwartungsgemäss ist der Anteil der Bruttowertschöpfung in Kantonen mit Kernkraftwerken oder grösseren Wasserressourcen im Vergleich zu anderen Kantonen relativ hoch. So sticht der Kanton Aargau – Standort der Kernkraftwerke Beznau I&II und Leibstadt – mit einem Anteil der nominellen Bruttowertschöpfung von 4,75% an der Gesamtwirtschaft des Kantons besonders heraus. Auch die Kantone Glarus, Wallis und Graubünden mit ihren zahlreichen Wasser- und Speicherkraftwerken weisen einen relativ hohen Anteil auf. Mit 7,2% auffällig hoch ist der Anteil an der Bruttowertschöpfung im Kanton Uri. Dort sind 13 grosse Kraftwerke ansässig, welche 60% der produzierten Strommenge als Bahnstrom für die SBB veräussern und unter anderem die Versorgung der Gotthardlinie gewährleisten. Ein hoher Anteil des produzierten Stroms wird zudem exportiert, weshalb die produzierte Energiemenge im Vergleich zu anderen Kantonen sehr hoch ist.

Vom Stromexporteur zum -importeur


Grundsätzlich ist die Schweizer Stromversorgung sowohl auf Importe wie auch auf Exporte angewiesen, da die internationale Stromnachfrage im Winter höher ist als im Sommer, während das Gegenteil für die einheimische Stromerzeugung zutrifft. Entsprechend wird im Allgemeinen die Überschussstromerzeugung im Sommer exportiert und die fehlende Energie im Winter – vor allem von französischen Kernkraftwerken – importiert. Der Stromhandel ist für die schweizerischen Unternehmen ein lukratives Geschäft, da die Schweiz eine bedeutende Stromdrehscheibe inmitten Europas ist. Zu den wichtigsten Handelspartnern zählen Deutschland, Frankreich und Italien. Die Stromproduktion der Schweiz ist gut an den Konsum angepasst. Nukleare und thermische Kraftwerke liefern die Basis an Strom, und die Wasserkraftwerke – vor allem die Staudämme und Pumpkraftwerke – nehmen sich der täglichen Schwankungen und des Exportüberschusses an. So ermöglichen die zahlreichen Speichermöglichkeiten ein strategisches Verhalten der Stromunternehmen, welche ein Importieren von günstigem Strom in Nebenlastzeiten und ein flexibles Exportieren in Spitzenlastzeiten erlaubt.  In der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre entstand ein Überangebot in der Schweiz, was auch im Zusammenhang mit der Öffnung der europäischen Strommärkte in dieser Zeit zu sehen ist. Seit ein paar Jahren ist aber eine Trendwende zu beobachten: Einerseits wurden ältere Grossanlagen vom Netz genommen; anderseits nimmt die Energienachfrage – vor allem konjunkturbedingt – wieder vermehrt zu. Mittlerweile können die inländischen Kapazitäten den Strombedarf der Schweiz nicht mehr decken. Der Handlungsbedarf wurde erkannt: Aktuell wird wieder mehr in die Energieproduktion investiert. Mehrere Grossprojekte sind in Planung; bis zu deren Realisierung werden allerdings noch etliche Jahre vergehen. Zurzeit werden einige kleinere Kraftwerke mit maximal 110 MW Leistung gebaut.  Über die letzten 25 Jahre blieben bei der Energie die Anteile der Verbrauchergruppen Haushalte (29%), Industrie (19%), Dienstleistungen (17%) und Verkehr (34%) am Energieverbrauch der Schweiz beinahe konstant. Beim wichtigsten Energieträger Strom beträgt der Anteil der Schweizer Unternehmen rund 60% des gesamten Stromendverbrauchs der Schweiz. Die fünf stromhungrigsten Branchen in den letzten drei Jahren waren Papier/Druck (Anteil am Stromverbrauch der gesamten Wirtschaft 7,2%), Chemie/Pharma (9,6%), Metall/Geräte (5,6%), Handel (12,5%) und Gastgewerbe (7,5%). Mit Ausnahme der schrumpfenden Papier- und Druckbranche haben diese Branchen langfristig intakte Wachstumsperspektiven. Aufgrund ihres gegenüber anderen Branchen erhöhten Strombedarfs lässt sich auf ein längerfristig hohes Stromnachfragepotenzial der Schweizer Wirtschaft schliessen.

Grafik 1 «Anteil der Energie- und Wasserversorgung an der Gesamtwirtschaft, 1980 und 2005»

Grafik 2 «Entwicklung der realen Bruttowertschöpfung der Energie- und Wasserversorgung im Vergleich zur Gesamtwirtschaft (ohne Energie- und Wasserversorgung), 1980-2005»

Grafik 3 «Anteil der Bruttowertschöpfung der Energie- und Wasserversorgung an der Gesamtwirtschaft in den Schweizer MS-Regionen, 2005»

Grafik 4 «Verteilung der nominalen Bruttowertschöpfung in Energie- und Wasserversorgung in den Schweizer MS-Regionen, 2005»

Grafik 5 «Stand der Regulierung im Elektrizitätssektor nach OECD»

Grafik 6 «Wachstumsbeitrag der Energie- und Wasserversorgung an die Gesamtwirtschaft pro Jahr, 1990-2005»

Grafik 7 «Nominale Stundenproduktivität in der Energie- und Wasserversorgung und der Gesamtwirtschaft, 2005»

Kasten 1: Quellen
– Bundesamt für Statistik (2002): Noga, Amtliche Systematik der Wirtschaftssystematik, Neuenburg.- Bundesamt für Statistik (2006): Eidgenössische Betriebszählung 2005, Neuenburg.- Bundesamt für Energie (2007): Energieverbrauch in der Industrie und im Dienstleistungssektor, Bern.- Conway, P., and Nicoletti, G. (2006): Product market regulation in non-manufacturing sectors in OECD countries: measurement and highlights, OECD Economics Department Working Paper.

Zitiervorschlag: Jan Baumann (2007). Energie- und Wasserindustrie – eine regional gebundene, international kompetitive Branche. Die Volkswirtschaft, 01. September.