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Bleibt uns die Zeit, um mit marktwirtschaftlichen Mitteln das Klimaproblem zu entschärfen?

Bleibt uns die Zeit, um mit marktwirtschaftlichen Mitteln das Klimaproblem zu entschärfen?

Heute stösst die Menschheit pro Jahr rund 30 Gigatonnen CO2 aus. Um das Klima zu stabilisieren, müssen die Emissionen unter rund 10 Gigatonnen CO2 pro Jahr sinken. Dies entspricht etwa der Menge, welche die Ozeane und das Festland aus der Atmosphäre absorbieren können. Wenn man von rund 10 Mrd. Menschen im Jahr 2050 ausgeht, dann darf jede Person pro Jahr nur etwa eine Tonne CO2 verursachen. Der Energieverbrauch selbst ist aber nicht beschränkt, wenn die Energie treibhausgasfrei produziert wurde. Falls im Laufe der Zeit aufgrund neuer Erkenntnisse ein abgeschwächtes Reduktionsziel tolerierbar werden sollte, so ändert dies kaum etwas an der Dringlichkeit der heute einzuleitenden Massnahmen. Die im Folgenden dargelegten Fakten zeigen, dass ein Zuwarten, bis die grossen Auswirkungen auch tatsächlich eintreffen, sehr gravierende Folgen hätte.

CO2-Emissionen stammen hauptsächlich aus Industrieländern


Europa stösst mit rund 7 Tonnen pro Person und Jahr etwa sieben Mal zu viel CO2 aus. Die Schweiz liegt etwas unter dem europäischen Schnitt, da sie kaum noch Schwerindustrie hat und den Strom praktisch CO2-frei erzeugt. Eine Studie des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) zeigt indes, dass die Herstellung aller importierten Güter in der Schweiz den CO2-Ausstoss um 70% erhöhen würde. Ein Ersatz der Kernkraftwerke durch modernste Gaskraftwerke würde eine weitere Erhöhung um 20% bedeuten. Die EU anderseits kann mit einer Substitution ihrer alten Kohlekraftwerke durch Gaskraftwerke den Ausstoss beträchtlich reduzieren. Doch auch dies ist eine kurzsichtige Massnahme, denn bei der Vorgabe von 1 Tonne CO2 pro Person und Jahr ist fossile Energie zu wertvoll, um bloss für die Erzeugung von Wärme verschwendet zu werden.  Von allen Kontinenten stösst nur Afrika weniger als eine Tonne CO2 pro Person und Jahr aus. Das bevölkerungsreiche Indien erfüllt diese Zielgrösse heute knapp, wobei die Emissionen rasch wachsen und in den Agglomerationszentren schon weit über der Zielgrösse liegen. Chinas Emissionen sind bereits heute drei Mal zu hoch.

Klimaerwärmung ist unabwendbar


Die EU fordert eine Stabilisierung der mittleren Temperatur auf plus 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellen Zeiten. Die erwartete Temperaturerhöhung wäre allerdings über dem Festland bedeutend höher – mit steigenden Werten gegen den Norden. Um aber dieses Ziel zu erreichen, darf die Menschheit über alle Zeiten nur noch 600 Gigatonnen CO2 mehr als die erlaubten 10 Gigatonnen pro Jahr ausstossen. Bei heutigem Verbrauch wäre der CO2-Kredit in 30 Jahren ausgeschöpft. Auch bei einer Zieltemperatur von plus 5 Grad dürfen die bekannten fossilen Reserven in den nächsten mehreren hundert Jahren nicht verbrannt werden. Gegenwärtig bestehen noch kaum Erfahrungen mit der langfristigen und sicheren Speicherung von CO2 in geologischen Kavernen oder in den Weltmeeren. Zudem ist die CO2-Abscheidung gerade beim Transport und im Flugverkehr kaum realisierbar. Die grosstechnische CO2-Speicherung ist in naher Zukunft daher keine Lösung des Problems. Die Menschheit wird sich an die Klimaänderung anpassen müssen, denn wir haben unseren Lebensstil auf die klimatischen Verhältnisse der vergangenen Jahrhunderte eingestellt. Zu denken ist dabei an den Wasserverbrauch, die Sturmfestigkeit und Hitzetauglichkeit der Gebäude sowie an unseren Umgang mit Naturgefahren.

Die Industrieländer müssen ihre Verantwortung wahrnehmen


Die Industrieländer werden die primär durch sie verursachten Anpassungskosten an der Klimaänderung selbst tragen müssen. Die meisten Länder Afrikas und viele Entwicklungsländer verursachen keine überhöhten CO2-Emissionen. Die Entwicklungs- und Schwellenländer spüren bereits jetzt die Konsequenzen der bisher kumulierten Emissionen, welche zu 75% von 20% der Weltbevölkerung stammen.  Auch die Schweiz wird nicht darum herumkommen, ihre eigenen CO2-Emissionen drastisch zu verringern. Neben marktwirtschaftlichen Instrumenten werden normative Instrumente unumgänglich sein. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Dekarbonisierung unseres Energieverbrauchs erscheinen die Instrumente der Kyoto-Verpflichtungsperiode wie Spielzeuge; es genügt nicht, nur die billigen CO2-Emissionen zu vermindern. Die Unterstützung der Schwellen- und Entwicklungsländer mit den Kyoto-Instrumenten zielt zudem ins Leere, wenn diese Länder nicht selbst alles daran setzen, dass der Energiehunger ihrer rasant wachsenden Grossstädte minimiert wird. Damit sie beginnen, ihre Verantwortung wahrzunehmen, werden die Verursacher der heutigen Klimaänderung nicht umhin kommen, die Folgen ihrer historischen Treibhausgasemissionen abzugelten. Der Vorschlag von Bundesrat Leuenberger, diese Kosten mit einer an der Quelle erhobenen Abgabe zu begleichen, sollte daher weiterverfolgt werden.

Zitiervorschlag: Christoph Ritz (2007). Bleibt uns die Zeit, um mit marktwirtschaftlichen Mitteln das Klimaproblem zu entschärfen. Die Volkswirtschaft, 01. September.