Suche

Abo

Klimaneutrale Schweiz – eine Option für die schweizerische Klimapolitik nach 2012?

Klimaneutrale Schweiz - eine Option für die schweizerische Klimapolitik nach 2012?

Die Emissionshandelsmärkte, die im Rahmen des Kyoto-Protokolls soeben aufgebaut wurden, bieten eine einzigartige Chance für eine wirksame internationale Zusammenarbeit zur Reduktion der Treibhausgasemissionen. Dies gilt sowohl hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Effizienz als auch ihrer weltweiten Akzeptanz. Die Schweiz stösst – gemessen an ihrer Wirtschaftskraft im Inland – relativ wenig Treibhausgase aus und kann daher nur geringe Reduktionspotenziale nutzen. Als Option für die Weiterführung der schweizerischen Klimapolitik nach 2012 wird dazu im folgenden Artikel das Konzept einer klimaneutralen Schweiz vorgestellt.

Das heute geltende Kyoto-Protokoll zur UN-Klimakonvention wird im Jahr 2012 auslaufen. Bereits haben Verhandlungen über die Weiterführung dieses Protokolls und die Weiterentwicklung der Klimakonvention begonnen. Zur Diskussion stehen neue Verpflichtungen für die Industrieländer. Ferner sollen möglichst alle Länder verstärkt in verbindlicher Weise ins Klimaregime einbezogen werden. Die EU hat bereits dieses Frühjahr mit dem Reduktionsziel von minus 30% der Emissionen bis 2020 ein Verhandlungsangebot gemacht. Sie will dieses Angebot auch dazu nutzen, in den bisher noch wenig konkreten Verhandlungsgesprächen eine grössere Dynamik auszulösen. Der Ball liegt unter anderem nun auch bei der Schweiz, ebenfalls ein Verhandlungsangebot zu machen. In Zusammenhang mit diesen Verhandlungen sowie aufgrund des ebenfalls auslaufenden CO2-Gesetzes muss die Schweiz demnächst ihre Ausrichtung der Klimapolitik nach 2012 festlegen.

Klimapolitische Ausgangslage der Schweiz


Bei der Gestaltung der künftigen Klimapolitik muss die im internationalen Vergleich besondere Ausgangslage der Schweiz beachtet werden. Die Schweiz hat eine ausgesprochen geringe Treibhausgasintensität (siehe Grafik 1): Im Verhältnis zur Wirtschaftskraft werden sehr wenig Treibhausgase emittiert. Das heisst jedoch nicht, dass die Lebensweise der schweizerischen Bevölkerung in besonderer Weise klimafreundlicher ist als in anderen Ländern. Die geringe Treibhausgasintensität ist vielmehr darauf zurückzuführen, dass die Stromerzeugung in der Schweiz mit Wasser- und Kernkraft kaum Treibhausgasemissionen verursacht und treibhausgasintensive Produktionssektoren zu Gunsten des Dienstleistungssektors an Bedeutung verloren haben. Energieintensive Produkte werden importiert, während die Emissionen bei deren Produktion im Ausland anfallen. Dies führt zu einer grossen Importmenge so genannter grauer Emissionen in der Grössenordnung von 75% der inländischen Emissionen. Bundesamt für Umwelt (2007), Graue Treibhausgas-Emissionen der Schweiz 1990-2004 – erweiterte und aktualisierte Bilanz, Bern. Eine Konsequenz dieser Ausgangslage ist, dass in der Schweiz die Potenziale zur Reduktion von Treibhausgasemissionen geringer sind als in anderen Ländern und entsprechende Projekte im Inland – gemessen an den vermiedenen Treibhausgasmengen – um ein Vielfaches teurer als im Ausland sind. Dies kommt beispielsweise im Businessplan der Stiftung Klimarappen zum Ausdruck. Dort werden für die ausländischen Emissionsreduktionen 21 Franken je Tonne CO2 budgetiert, während für inländische 152 Franken eingesetzt werden. Stiftung Klimarappen (2007), Jahresbericht 2006 + Businessplan, Zürich. Diese Ausgangslage legt es nahe, für die künftige schweizerische Klimapolitik vermehrt wirksame Massnahmen im Ausland im Rahmen der unter der Klimakonvention aufgebauten internationalen Zusammenarbeit zu prüfen. Dabei stehen die internationalen Emissionshandelsmärkte im Vordergrund. Eine Option ist hier die vollständige Kompensation der inländischen Emissionen, was das Konzept der klimaneutralen Schweiz ermöglichen würde.

Konzept der klimaneutralen Schweiz


Das Konzept einer klimaneutralen Schweiz besteht darin, dass sich alle Verursacher von Treibhausgasemissionen in der Schweiz verpflichten, im Ausmass ihrer Emissionen Kompensationsmassnahmen im Ausland zu leisten. Anerkannt werden nur Massnahmen, die im Rahmen der Klimakonvention zertifiziert wurden. Damit könnte sich die Schweiz in der nächsten Verpflichtungsperiode nach 2012 der Klimakonvention zu einem Emissionsreduktionsziel von minus 100% verpflichten lassen. Es würde sich damit erübrigen, zusätzliche verbindliche Ziele für die inländischen Emissionen festzulegen. Die bestehenden Massnahmen im Bereich der Energie- und Umweltpolitik, die zur Emissionsreduktion im Inland beitragen, könnten parallel dazu weitergeführt und -entwickelt werden.

Internationale Zusammenarbeit in der Klimapolitik


Die Kompensationsmassnahmen der Schweiz würden vorwiegend den Entwicklungsländern zugute kommen, die sich in der Klimakonvention heute noch zu keinen Emissionszielen verpflichtet haben. Diese Länder – insbesondere die aufstrebenden Schwellenländer – werden bei einer Weiterführung der heute geltenden Politik für einen hohen Anteil an den künftigen zusätzlichen weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich sein. Gemäss dem jüngsten Bericht des IPCC werden die globalen Treibhausgasemissionen bis 2030 auf der Basis der heute geltenden Politik um 25%-90% zunehmen. Der Anteil der Entwicklungsländer am Zuwachs der energetischen Treibhausgasemissionen wird dabei bis drei Viertel umfassen. IPCC, 2007. Climate change 2007: Mitigation. Contribution of Working group III to the Fourth Assessment Re-port of the Intergovernmental Panel on Climate Change.  Eine wichtige Rolle für die Zunahme der Treibhausgasemissionen in Entwicklungsländern spielt die vermehrte Nutzung der weit verbreiteten und noch in grossem Umfang vorhandenen Kohle, die nicht nur zur Erzeugung von Elektrizität oder Wärme, sondern vermehrt auch zur Gewinnung von Treibstoffen genutzt wird. Ohne zusätzliche Massnahmen besteht die Gefahr, dass in aufstrebenden Entwicklungsländern eine neue Generation ineffizienter Energie-Infrastrukturen mit hohem CO2-Ausstoss aufgebaut wird, obwohl modernere, effizientere Technologien bereits verfügbar wären. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Entwicklungsländer bereit sind, die zusätzlichen Kosten für klimaschonende Technologien selber zu tragen, solange ein deutlicher Einkommensunterschied zu den Industrieländern besteht. Ein massgeblicher Kapital- und Technologietransfer ist dazu unabdingbar. Die Kompensation der schweizerischen Emissionen im Rahmen der Emissionshandelsmechanismen hat das Potenzial, einen sehr effizienten Beitrag zu diesem notwendigen Kapital- und Technologietransfer zu leisten.

Emissionshandel gegenüber Steuer im Vorteil


Wie bei einer Steuer auf den Emissionen gibt der Emissionshandel einen Anreiz, die Emissionen dort zu reduzieren, wo die Grenzkosten der Emissionsreduktion kleiner sind als der auferlegte Preis für die Emissionen. Im Gegensatz zu einer Steuer kann mit dem Emissionshandelssystem aber effizient auf die zwangsläufig entstehenden Verteilungseffekte reagiert werden. Eine Steuer würde die Bürde der Emissionsvermeidung vorwiegend den treibhausgasintensiven Volkwirtschaften auferlegen, die neben den USA, Kanada und Australien insbesondere die Transitions- und aufstrebenden Entwicklungsländer umfassen. Im Gegensatz dazu können sich in einem Emissionshandelssystem reiche Länder mit bereits geringer Treibhausgasintensität für ein hohes Emissionsreduktionsziel verpflichten und damit einen grösseren Anteil der Emissionsreduktionskosten übernehmen. Dies eröffnet Spielräume, was erfolgreiche Verhandlungen über die Weiterführung des globalen Klimaregimes erst ermöglicht.

Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit


Der verstärkte Kapital- und Technologietransfer im Rahmen von Emissionshandelsmärkten würde die allgemeinen Ziele der schweizerischen Entwicklungszusammenarbeit zusätzlich unterstützen. Effiziente und saubere Technologien fördern die wirtschaftliche Entwicklung, reduzieren lokale Umweltprobleme und tragen zur Vermeidung von Armut bei. Die Schweiz hat den Klimaschutz und den globalen Kampf gegen Klimaänderungen in ihre internationale Entwicklungspolitik bereits integriert. Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) unterstützen seit einigen Jahren die Entwicklungsländer bei der Umsetzung der Klimakonvention (siehe Kasten 1 Im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) von 1997-2004 Pionierarbeit für das Zustandekommen des Kyoto-Protokolls geleistet, indem es in über einem Dutzend Entwicklungsländern Studien zur Erarbeitung von nationalen Klimastrategien finanzierte. Die abgeschlossenen Studien erlaubten den Partnerländern, die für den Klimaschutz bedeutsamsten Sektoren und mögliche Projekte zu identifizieren. Damit konnten sie sich auch aktiv in den Verhandlungsprozess zum Kyoto-Protokoll einbringen.Seit dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls im Januar 2005 konzentriert sich das Seco darauf, in Entwicklungsländern die nötigen technischen Kompetenzen aufzubauen, welche erst eine effektive Umsetzung des Kyoto-Protokolls ermöglichen:Bezüglich der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen zur Nutzung des Clean Development Mechanism (CDM) ist die Schweiz Initiator und heute drittwichtigster Geber des Carbon Finance Assist Programms (CF-Assist) der Weltbank. Dieser Fonds bietet den Entwicklungsländern Unterstützung beim Aufbau der nationalen Behörden für die Bewilligung von CDM-Projekten. Ausserdem verbessert der Fonds – u.a. mittels der jährlichen Messe «Carbon Expo» in Köln – die Markttransparenz. Schliesslich hilft CF-Assist, dass der CDM in Sektoren Fuss fassen kann, wo bisher mangels entsprechender Methodologien kaum Klimaschutzprojekte unter dem CDM registriert wurden, wie etwa im Verkehrssektor.Im Rahmen der Infrastrukturfinanzierung unterstützt das Seco, mit einem Schwerpunkt in Südosteuropa und Zentralasien, die effiziente Energiebereitstellung und -verteilung. Ältere Wasserkraftwerke werden modernisiert und das Stromnetz mittels Überlandleitungen, Transformatorenstationen und Lastverteilzentren stabilisiert. Die Fernwärmeanlagen des Ostblocks boten oft ein desolates Bild. So konnte das Seco mit Rumänien das erste Kyoto-Testprojekt realisieren, welches zwei städtische Quartierwärmezentralen durch Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen mit Schweizer Technologie ersetzte. Allein dank diesem Projekt können rund 10000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr reduziert werden.Schliesslich fördert die Schweiz die Nutzung von industriellem Energiesparpotenzial, indem die vom Seco aufgebauten Cleaner Production Centers (Umweltberatungsstellen für Industrie und Gewerbe in Entwicklungsländern) konkrete CDM-Projekte aufgleisen. Auch die zahlreichen Tropenwaldprojekte des Seco dürften – als Kohlestoffsenken – mittelfristig im Rahmen des Kyoto-Mechanismus dringend benötigten Einkünfte für die Partnerländer generieren.Das CDM-Angebot wurde 2005 und 2006 zu drei Vierteln durch China, Indien und Brasilien dominiert. Die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit des Seco versucht dazu beizutragen, dass der milliardenschwere «Klima-Markt» auch vermehrt in Entwicklungsländern mittleren Einkommens zum Tragen kommt.).

Vereinfachung der schweizerischen Klimapolitik


Die Umsetzung der vollständigen Kompensation der inländischen Emissionen würde es ermöglichen, die schweizerische Klimapolitik, deren zentrale rechtliche Grundlage heute im CO2-Gesetz festgelegt ist, sehr stark zu vereinfachen. Der Staat müsste nur noch die vollständige Kompensation durchsetzen und hätte keine Emissionsrechte mehr zu verteilen, weil alle Emittenten vollumfänglich zur Kompensation verpflichtet würden. Damit würde die Festlegung von landesweiten Emissionszielen und solchen auf Betriebsebene entfallen. Letzteres ist sehr aufwendig und kann aufgrund der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Unternehmen und Verwaltung unerwünschte Vorteile für einzelne Unternehmen ermöglichen. Die bisweilen praktizierte Zuteilung von Emissionsrechten auf der Basis früherer Emissionen (Grandfathering) schafft zudem neue Besitzstände, die zu unerwünschten Voroder Nachteilen – insbesondere zulasten neu eintretender Unternehmen – führen können. Die schweizerische Klimapolitik würde von langwierigen Diskussionen über Reduktionspotenziale, die die bisherige Klimapolitik verzögerten, entlastet.

Mögliche Ausgestaltung des Modells


Die Durchsetzung der Kompensationspflicht könnte der Staat beispielsweise vollziehen, indem er die heute bestehende CO2-Abgabe auf alle Emittenten und Treibhausgase ausweitet sowie auf ein noch festzulegendes Abgabenniveau anhebt. Im Gegensatz zu heute würde der Staat die Erträge aus der Abgabe nicht an die Bevölkerung zurückverteilen, sondern den Abgabepflichtigen wieder vollumfänglich zurückerstatten, sobald diese die notwendige Menge ausländischer Emissionsrechte vorlegen. Am einfachsten ist dieses Modell bei den fossilen Energieträgern vorstellbar, die für rund 80% der Emissionen im Inland verantwortlich sind. Beim Inverkehrbringen fossiler Energieträger würde der Staat die Abgabe erheben, die er dann den einzelnen Handelsunternehmen wieder rückerstattet, sobald diese die Emissionszertifikate vorlegen. Die Handelsunternehmen würden die Kosten für die Beschaffung der Emissionszertifikate auf den Handelspreis übertragen, wodurch die Kosten der Kompensationsmassnahmen verursachergerecht an die Endverbraucher weitergeleitet würden. Falls die Preise der Emissionszertifikate stark ansteigen und die Höhe der Abgabe übertreffen, werden die Abgabepflichtigen keine Emissionszertifikate mehr besorgen und auf die Rückerstattung verzichten. Damit hat die Höhe der Abgabe auch die Funktion einer maximalen Belastung für die schweizerische Volkswirtschaft und bietet damit eine Sicherheit gegenüber den unsicheren Preisentwicklungen auf den internationalen Emissionshandelsmärkten. Die nicht mehr rückerstattete Abgabe würde dem Bund zufliessen, der damit anstelle der privaten Unternehmen Emissionszertifikate kaufen könnte. Dabei wäre jedoch – je nach Preisverhältnissen – nicht mehr die vollständige Kompensation der inländischen Emissionen gewährleistet, was bei der völkerrechtlichen Verpflichtung in der Klimakonvention zu berücksichtigen wäre. Der Verlauf der Marktpreise auf den internationalen Emissionshandelsmärkten war bisher sehr fluktuierend. Um mögliche Nachteile daraus für die Schweiz einzugrenzen, ist der Anschluss ans Europäische Emissionshandelssystem EU-ETS naheliegend. Damit wäre die Schweiz einem grossen Markt angeschlossen, und es würde sichergestellt, dass die schweizerischen Unternehmen jederzeit den gleichen Preissignalen wie die Unternehmen in der EU ausgesetzt sind.

Umfang der Kompensationsleistungen


Die Schweiz emittiert heute Treibhausgase im Umfang von rund 50 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten. Bei heutigen Emissionshandelspreisen von 20-30 Franken pro Tonne würde die vollständige Kompensation 1-1,5 Mrd. Franken pro Jahr kosten. Wenn diese Kosten auf alle Emittenten verursachergerecht übertragen werden, so würde dies beim Treibstoff und Heizöl einen Zuschlag von 5-8 Rappen pro Liter bewirken. Das ist etwas weniger oder liegt allenfalls in der gleichen Grössenordnung wie die bereits beschlossene CO2-Abgabe auf Brennstoffe, die bei ihrem maximalen Abgabesatz von 36 Franken pro Tonne CO2 die Brennstoffe um ca. 9 Rappen pro Liter belasten wird. Die oben skizzierte Treibhausgas-Abgabe, mit der der Staat die Kompensation durchsetzen würde, müsste etwas höher festgelegt werden, damit die Emissionshandelsmärkte die preislichen Anreize für die Entwicklung und Anwendung von neuen Technologien im Klimabereich weltweit entfalten können.  Die Abgabenhöhe sollte bei dem Preis festgelegt werden, mit dem in Zukunft Massnahmen und Technologien, die weltweit ein grosses Potenzial zur Vermeidung des Klimawandels aufweisen, wirtschaftlich eingesetzt werden können. Dazu gehören die Steigerung der Energieeffizienz, die verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien sowie die Anwendung neuer Technologien wie die CO2-Abscheidung und Lagerung (Carbon Capture and Storage, CCS). Die Schätzungen über den anzustrebenden Preis einer Tonne CO2 auf dem globalen Emissionshandelsmarkt, der die Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf einem bestimmten Niveau gewährleisten würde, sind gemäss jüngstem Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) noch sehr unsicher. Die künftigen technologischen Entwicklungen, mit denen sich Emissionen zu geringeren Kosten vermeiden lassen, sowie die Entwicklung der Energiepreise sind zum Voraus schwierig einzuschätzen. Es ist aber aufgrund der vielen vorliegenden Schätzungen denkbar, dass die Vermeidung der Erderwärmung um mehr als 2 Grad mit einem globalen Emissionshandelspreis von zwischen 50 und 100 Franken pro Tonne CO2 möglich sein wird.

Starkes Angebot in internationalen Verhandlungen


Die klimaneutrale Schweiz mit einem Emissionsreduktionsziel von minus 100% bis 2020 wäre ein sehr ehrgeiziges Angebot in den laufenden Verhandlungen über das Klimaregime nach 2012. Die Schweiz würde damit ein Zeichen setzen, dass sie ihre Verantwortung als reiches und hoch entwickeltes Land wahrnimmt und bereit ist, einen massgeblichen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems zu leisten. Das Angebot der Schweiz würde sowohl die Weiterführung des bisherigen Klimaregimes unter der Klimakonvention – d.h. nationale Verpflichtungen und die flexiblen Mechanismen – unterstützen als auch den Emissionshandel anwenden, der von der EU und anderen Ländern sowie einzelnen Staaten der USA als zentrales Instrument in der Klimapolitik aufgebaut wird.  Zur Anerkennung des Reduktionsziels von minus 100% mit vorwiegend ausländischen Massnahmen müsste die so genannte Supplementaritätsregel aufgehoben werden, die im heute geltenden Kyoto-Protokoll steht und verlangt, dass ausländische Emissionsreduktionsmassnahmen nur ergänzend zur Zielerfüllung angerechnet werden dürfen. Dies dürfte angesichts der neuen Dimension des schweizerischen Angebots keine Hürde darstellen. In Anbetracht des fortgeschrittenen Aufbaus der Emissionshandelsmärkte ist die generelle Aufhebung der Supplementaritätsregel im Kyoto-Nachfolgeprotokoll sowieso angezeigt. Mit dem Angebot der vollständigen Kompensation ist zu erwarten, dass die Schweiz in der Klimakonvention einen Reputationsgewinn verzeichnet und sich verstärkt Gehör verschafft. Damit würde sie auch den Forderungen an andere Verhandlungspartner (USA, Schwellenländer) hinsichtlich eines verbindlichen Engagements stärkeren Nachdruck verleihen können. Die Schweiz müsste vermehrt auf die notwendige Weiterentwicklung der internationalen Emissionshandelsmärkte Einfluss nehmen und sich dafür einsetzen, dass die Zertifizierung der Emissionsreduktionen effizient, transparent und glaubhaft verläuft. Die flexiblen Mechanismen müssen tatsächliche und verlässliche Reduktionen garantieren, damit die Kompensationsmassnahmen – die schweizerischen ebenso wie diejenigen aller anderen Länder – weltweit die grösstmögliche Wirkung entfalten können.

Fazit


Die klimaneutrale Schweiz ist nicht nur deshalb eine prüfenswerte Option, weil sie international der Schweiz einen Reputationsgewinn bescheren kann, sondern auch, weil sie die inländische Klimapolitik durch ihre einfache Umsetzung einen grossen Schritt voranbringen würde. Die vollständige Kompensation der Emissionen schliesst dabei nicht aus, dass ergänzende Massnahmen im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik im Inland weitergeführt und neue ergriffen würden. Die bestehende Politik – beispielsweise im Bereich Verkehrsverlagerung, Steigerung der Energieeffizienz und der Anteile erneuerbarer Energien sowie die Reduktion anderer Umweltbelastungen – wäre konsequent weiterzuführen. Durch das verursachergerechte Übertragen der Kosten der Treibhausgas-Emissionsrechte sowie die ergänzenden umwelt- und energiepolitischen Massnahmen ist davon auszugehen, dass die Treibhausgasemissionen in der Schweiz stetig abnehmen werden.

Grafik 1 «Treibhausgasemissionen der 20 grössten Emissionsländer und der Schweiz»

Kasten 1: Das Seco unterstützt Entwicklungsländer bei der Umsetzung der Klimakonvention Im Rahmen der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) von 1997-2004 Pionierarbeit für das Zustandekommen des Kyoto-Protokolls geleistet, indem es in über einem Dutzend Entwicklungsländern Studien zur Erarbeitung von nationalen Klimastrategien finanzierte. Die abgeschlossenen Studien erlaubten den Partnerländern, die für den Klimaschutz bedeutsamsten Sektoren und mögliche Projekte zu identifizieren. Damit konnten sie sich auch aktiv in den Verhandlungsprozess zum Kyoto-Protokoll einbringen.Seit dem Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls im Januar 2005 konzentriert sich das Seco darauf, in Entwicklungsländern die nötigen technischen Kompetenzen aufzubauen, welche erst eine effektive Umsetzung des Kyoto-Protokolls ermöglichen:Bezüglich der nationalen und internationalen Rahmenbedingungen zur Nutzung des Clean Development Mechanism (CDM) ist die Schweiz Initiator und heute drittwichtigster Geber des Carbon Finance Assist Programms (CF-Assist) der Weltbank. Dieser Fonds bietet den Entwicklungsländern Unterstützung beim Aufbau der nationalen Behörden für die Bewilligung von CDM-Projekten. Ausserdem verbessert der Fonds – u.a. mittels der jährlichen Messe «Carbon Expo» in Köln – die Markttransparenz. Schliesslich hilft CF-Assist, dass der CDM in Sektoren Fuss fassen kann, wo bisher mangels entsprechender Methodologien kaum Klimaschutzprojekte unter dem CDM registriert wurden, wie etwa im Verkehrssektor.Im Rahmen der Infrastrukturfinanzierung unterstützt das Seco, mit einem Schwerpunkt in Südosteuropa und Zentralasien, die effiziente Energiebereitstellung und -verteilung. Ältere Wasserkraftwerke werden modernisiert und das Stromnetz mittels Überlandleitungen, Transformatorenstationen und Lastverteilzentren stabilisiert. Die Fernwärmeanlagen des Ostblocks boten oft ein desolates Bild. So konnte das Seco mit Rumänien das erste Kyoto-Testprojekt realisieren, welches zwei städtische Quartierwärmezentralen durch Wärme-Kraft-Koppelungsanlagen mit Schweizer Technologie ersetzte. Allein dank diesem Projekt können rund 10000 Tonnen CO2-Emissionen pro Jahr reduziert werden.Schliesslich fördert die Schweiz die Nutzung von industriellem Energiesparpotenzial, indem die vom Seco aufgebauten Cleaner Production Centers (Umweltberatungsstellen für Industrie und Gewerbe in Entwicklungsländern) konkrete CDM-Projekte aufgleisen. Auch die zahlreichen Tropenwaldprojekte des Seco dürften – als Kohlestoffsenken – mittelfristig im Rahmen des Kyoto-Mechanismus dringend benötigten Einkünfte für die Partnerländer generieren.Das CDM-Angebot wurde 2005 und 2006 zu drei Vierteln durch China, Indien und Brasilien dominiert. Die wirtschaftliche Entwicklungszusammenarbeit des Seco versucht dazu beizutragen, dass der milliardenschwere «Klima-Markt» auch vermehrt in Entwicklungsländern mittleren Einkommens zum Tragen kommt.

Zitiervorschlag: Thomas Roth (2007). Klimaneutrale Schweiz – eine Option für die schweizerische Klimapolitik nach 2012. Die Volkswirtschaft, 01. September.