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Wissenschaft und Wirtschaft: Eine Beziehung, die gepflegt werden will

Bildung, Forschung und Anwendung sind drei Gebiete, die sich gegenseitig befruchten. Wenn eines davon geschwächt ist, leidet der gesamte Kreislauf: Ohne Meilensteine gibt es keine Innovation in der Grundlagenforschung; umgekehrt müssen sich die Studierenden den Forderungen aus Forschung und Industrie stellen. Die Gesellschaft profitiert als Ganzes, wenn die Forschungslabors nutzbare Ergebnisse hervorbringen. Voraussetzung dafür ist, dass die Unternehmen wissenschaftliche Erkenntnisse in gefragte Produkte und Dienstleistungen umwandeln. Diese Verbindung zwischen wirtschaftlicher und akademischer Welt ist eine wesentliche Triebfeder unserer Gesellschaft. Die diesbezüglichen Bemühungen der Eidg. Technischen Hochschule Lausanne (EPFL), die in diesem Text vorgestellt werden, sind eine Bereicherung und gehen nicht zulasten der übrigen Aufgaben der Hochschule.

Beeindruckende Entwicklung


Die EPFL kann stolz sein auf das Erreichte. Der 1991 von Präsident Bernard Vittoz eröffnete Wissenschaftspark zählt heute über 110 Jungunternehmen («Start-ups»). Zudem sind attraktive Forschungspartnerschaften entstanden. Der am höchsten dotierte Vertrag wurde im vergangenen Jahr mit Nestlé für einen Zeitraum von 5 Jahren und über insgesamt 25 Mio. Franken abgeschlossen. Die Schweizer Unternehmen sind also auch an Investitionen an Hochschulen in der Schweiz interessiert, nachdem sie bereits spektakuläre Beträge für Forschungsprojekte an Universitäten ausserhalb der Landesgrenzen bereitgestellt haben. Die Zahl der Lizenzen und Abkommen im Bereich Technologietransfer hat sich in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. Dieser Indikator ist nicht nur Ausdruck der Innovationskraft, sondern zeugt auch vom echten Engagement der Industriepartner zugunsten der Innovation. Es gibt noch zahlreiche weitere Indikatoren, über deren Aussagekraft und Verzerrungspotenzial sich ausgiebig streiten lässt. Aussenstehende Beobachter können sich an drei Hauptqualitäten orientieren: ein allgemeiner, durch verschiedene Indikatoren belegter Trend, eine breite Strategiepalette und ein globales Arbeitsumfeld, das etwa der Begriff «Innovationskultur» umschreibt. Wenn es darum geht, die im Campus gewonnenen Erkenntnisse umzusetzen und die Wirtschaft durch vielfältige Aktivitäten zu stimulieren, stösst eine einzelne Strategie oder ein Modetrend bald an Grenzen. Das zeigt die kurze, bewegte Vergangenheit der Start-ups: 1999 noch als Allheilmittel gepriesen, wurden sie bereits 2002 an den Pranger gestellt. In Tat und Wahrheit zeichnen sie sich durch zahlreiche Qualitäten aus, je nach Tätigkeitsgebiet namentlich durch ein hohes Wertschöpfungspotenzial. Der Nachteil besteht darin, dass aus dem Nichts ein komplettes Netz von Führungs-, Finanzierungs-, Verkaufs- und Vertriebsfazilitäten geschaffen werden muss. Daher dauert es häufig relativ lange, bis ein Produkt auf den Markt kommt – und dieser wartet nicht ewig. Es lohnt sich deshalb, die Strategien zu diversifizieren und wirksame, individuelle Lösungen für verschiedene Aktivitäten vorzusehen.  Ein Beispiel: Seit einigen Monaten befindet sich der Inkubator von Logitech im Wissenschaftspark der EPFL. Diese kleine, leichte, flexible und schnelle Struktur dient dazu, in Innovationen zu investieren, die aus dem Unternehmen hervorgehen. Seine ausgeprägte Stärke liegt darin, eine Innovation in ein Produkt überzuführen. Innerhalb weniger Monate hat auf diese Weise ein neuer Algorithmus zur Begrenzung des Echos bei den Webcams den Weg von den Hochschullabors in die Regale der Grossverteiler – und damit zu den Konsumenten – gefunden. Der Erfinder dieser Technologie, Christof Faller, konnte sein eigenes Unternehmen gründen und weitere innovative Technologien entwickeln. Die Zusammenarbeit mit Nestlé steht für einen dritten Weg: die akademische Partnerschaft. Ein Unternehmen wie Nestlé benötigt Zugang zu Spitzenforschung nicht nur, um den Weg für neue Produktgenerationen zu ebnen, sondern auch, um seine Produktion unter einem Grundsatz – wie z.B. «Good Food Good Life» – zu bündeln. Für Spitzenkräfte der Forschung kann eine solche Kooperation sehr attraktiv sein, bietet sie doch akademische Anerkennung und ein offenes, kompetentes Umfeld, wie z.B. Engineering zur Entwicklung neuer Messmethoden, Informatik für die Datenverarbeitung oder Mathematik zur Schaffung von Modellen. Auch die EPFL profitiert, da sich weitere hochkarätige Forschungsteams bilden lassen, ohne die ethischen Grundsätze und Regeln der Hochschulwelt zu verletzen. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen besteht darin, dass eine Entdeckung im Einklang mit den akademischen Gepflogenheiten veröffentlicht und damit das neu erworbene Wissen verbreitet wird. Eine weitere Option ist namentlich die Zusammenarbeit mit zahlreichen Unternehmen dank Unterstützung der Förderagentur für Innovation des Bundes (KTI), die für die KMU eine äusserst wichtige Rolle spielt. Diese Beziehungsvielfalt ist ein Schlüsselelement bei der Nutzbarmachung neuer Erkenntnisse, da sie optimale Verbindungen zwischen Laboratorien, Unternehmen und Märkten schafft.

Wem gehört das Geistige Eigentum?


Die Frage des Geistigen Eigentums stellt sich immer wieder. Im Jahr 2007 haben wir diesbezüglich einige Regeln abgeändert. Grundsätzlich gibt es drei Arten von finanziellen Beziehungen: Die erste ist ein von der EPFL eingereichtes Patent, wenn aus der Grundlagenforschung an der Hochschule eine wichtige Innovation hervorgeht. Diese Praxis wird beibehalten. Patente können Gegenstand einer Lizenz sein oder gegen eine Beteiligung an einem Start-up getauscht werden. Die zweite Art ist das Mandat. Sie kommt eher selten zum Zuge, um Ingenieurbüros oder Unternehmen nicht zu konkurrenzieren. Die Ergebnisse gehören dem Auftraggeber und die Tarife sind entsprechend angesetzt. Diese Form der Zusammenarbeit ist zum Beispiel gerechtfertigt, wenn wir über Kompetenzen verfügen, die sonst niemand bieten kann, und entsprechende Anfragen von öffentlichen Einrichtungen vorliegen. Die dritte Möglichkeit ist eine Zwischenform und besteht in einem von einem Unternehmen vorgeschlagenen Forschungsprojekt mit umfangreicher wissenschaftlicher Komponente. Lange schlossen die Hochschulen in einem solchen Fall komplexe Verträge ab, in denen die Verteilung des Geistigen Eigentums geregelt wurde. Diese Verträge sind häufig durch die Angst geprägt, dass einem eines Tages die Gewinne eines Welterfolgs entgehen könnten. Wir haben analysiert, was eine solche Beziehung tatsächlich bringt. Die Schlussfolgerung ist erstaunlich: Sowohl das Erstellen als auch das Überwachen der Einhaltung solcher Verträge sind äusserst schwierig, langwierig und kostspielig. Zudem vermögen die durchschnittlichen Einnahmen die juristischen Kosten nicht zu decken. Die EPFL ist diesbezüglich kein Einzelfall. Vielmehr handelt es sich dabei um eine internationale Realität, die auch jenseits des Atlantiks ihre Gültigkeit hat. Aus diesem Grund haben wir entschieden, von unseren Partnern – auch im Hinblick auf einen echten Einbezug der Studierenden in konkrete Projekte – einen höheren Beitrag an die allgemeine Infrastruktur zu verlangen, ihnen aber im Gegenzug die Rechte am Geistigen Eigentum in ihrem Tätigkeitsbereich zu überlassen. Diese Präzisierung zum Geistigen Eigentum ist ausserordentlich wichtig. Sie bietet den Forschenden die Sicherheit, dass sie ihre Tätigkeit über die Partnerschaft hinaus weiterführen und spätere Ergebnisse in einem anderen Kontext nutzen können. Die EPFL erhält dadurch mehr Ressourcen für Bildung und Forschung, während die Unternehmen dank des vereinfachten Vorgehens wertvolle Zeit gewinnen und so ihre Projekte rascher auf den Markt bringen können. Die Hochschulen müssen also konsequent daran arbeiten, möglichst ergiebige Beziehungen mit der Wirtschaft zu unterhalten – auch entgegen bestehender Vorurteile und alter Gewohnheiten. Nur so kann man zeigen, dass wissenschaftliche Brillanz und wirtschaftlicher Nutzen mit dem richtigen Vorgehen durchaus unter einen Hut zu bringen sind.

Innovationskultur


Neben den erwähnten relevanten Indikatoren und der Beziehungsvielfalt ist bei der Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse ein weiterer Punkt von Bedeutung: ein Umfeld, das die Bezeichnung «Innovationskultur» verdient. Mit dieser Arbeit wurde an der EPFL schon vor langer Zeit begonnen. Nach der Schaffung des Wissenschaftsparks folgten die ersten Anstrengungen zur Finanzierung von Unternehmensgründungen und zum Angebot von Unterstützungsleistungen wie dem Coaching. In den letzten Jahren wurde dieses Umfeld um ein breites Angebot von Weiterbildungen für Managementaufgaben ergänzt. Heute belegen mehr als tausend Studierende solche Kurse, mit denen sie ihre technische Ausbildung komplettieren. Gleichzeitig wurden Partnerschaften mit der Universität Lausanne eingegangen und gemeinsame Programme mit dem IMD lanciert. Die jüngsten Bemühungen in Zusammenarbeit mit dem Swiss Finance Institute gelten dem Finanzengineering. Dabei konnte mit Peter Bossaerts, bisher Dekan am California Institute of Technology (Caltech), einer der weltweit angesehensten Spezialisten auf dem Gebiet gewonnen werden. Ziel ist es, die Kompetenzen in einem Schlüsselbereich unserer Wirtschaft zu stärken. Diese anregende Umgebung mit Start-ups, Inkubatoren, Laboratorien und Bildung übt eine zunehmende Anziehungskraft auf Investoren aus, denen sich verschiedene Anlagemöglichkeiten eröffnen. Sie sind sich bewusst, dass der Campus der EPFL echte Chancen bietet: Endoart, ein auf implantierbare, ferngesteuerte medizinische Geräte spezialisiertes Start-up, wurde im Frühling für 120 Mio. Franken – d.h. zum vierfachen Preis der Anfangsinvestitionen – an Allergan verkauft. Diese Meldung sorgte in der internationalen Anlegergemeinschaft für Aufsehen und verstärkte ihr Interesse an der Schweiz. Die Entwicklung zeigt das Potenzial, das unser Land dank seiner wichtigsten Ressourcen besitzt: Wissen und Bildung. Dieses Potenzial ist noch keineswegs ausgeschöpft. Die vorgesehenen Anstrengungen im Bereich Lehre und Forschung müssen deshalb realisiert werden. Sie tragen dazu bei, dass wir auch morgen über die innovationsstarken Fachkräfte verfügen, die wir brauchen, um für die Zukunft gewappnet zu sein.

Zitiervorschlag: Patrick Aebischer (2007). Wissenschaft und Wirtschaft: Eine Beziehung, die gepflegt werden will. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.