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Wozu offene Technologieplattformen?

Was ist eine Technologieplattform? Und was eine offene? Die Definitionen dieser Bezeichnungen sind nicht eindeutig. Für die folgenden Überlegungen gehen wir davon aus, dass eine Technologieplattform ein Ensemble von Technologien darstellt, die in einem gemeinsamen Kompetenzbereich liegen. Beispiele dafür sind etwa die Mikroelektronik, Mikrotechnologie, Nanotechnologie oder auch Photonik. Die Bezeichnung «offene Plattform» soll deutlich machen, dass die darin subsummierten Kompetenzen und Wissensgebiete dem Kunden für Innovationsaktivitäten – zu marktüblichen Bedingungen – zur Verfügung stehen.

In technologisch orientierten Bereichen geht der Weg zur Innovation immer zunächst über eine Technologieplattform. Nur damit können «reife» Technologien für Produkte zur Verfügung stehen. Denn die Entwicklung von neuen Technologien basiert in jedem Fall auf Erkenntnissen der Wissenschaft, die neue Realisierungsmöglichkeiten zulassen. Demnach gibt es einen klaren Entwicklungsweg für neue Technologien: Wissenschaft, Technologiekonzept, Konzeptbeweis, Industrialisierung (Zuverlässigkeit, Reproduzierbarkeit, Anwendbarkeit), Anwendung.  Oft herrscht die falsche Meinung vor, dass mit dem Konzeptbeweis einer Technologie gleichzeitig ihre Verfügbarkeit gegeben ist. Diese unrichtige Einschätzung hat zu vielen Missverständnissen geführt, insbesondere auch in Fragen der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Industrie. Tatsächlich ist es heute so, dass der Weg vom Konzeptbeweis zum industriellen Einsatz – gerade im Bereiche komplexer Hardware-Technologie – lang bis sehr lang ist und oft Jahre in Anspruch nehmen kann. Es zeigt sich, dass solche Gebiete in der Schweiz wenig oder nicht von Grossindustrien unterstützt werden.

Komplexere Anwendungen erfordern mehr Entwicklungsaufwand


Kommt hinzu, dass die Anwendungen immer komplexer werden. Komplexität ist dabei so definiert, dass immer mehr Disziplinen und/oder Elemente zusammenkommen müssen, um eine Marktlösung zu erbringen. Ein GSM-Mobiltelefon war vor 10 Jahren hauptsächlich durch die Problematik der drahtlosen Übertragung geprägt. Heute kommen immer mehr zusätzliche Funktionen ins Spiel: Bluetooth, eingebaute Kamera, Touchscreen, UMTS, neue Design-Elemente, neue Bedienungsoberflächen usw. Alle diese Bereiche sind einzeln relativ einfach zu lösen; da sie aber in einer gemeinsamen Lösung erbracht werden müssen, wird die Entwicklung von innovativen neuen Geräten immer aufwendiger. So wurden zum Beispiel bei der Entwicklung des I-Phone, die Hunderte von Mio. US-$ gekostet hat, nach Aussage des Apple-CEO Steve Jobs über 200 Patente angemeldet! Der Aufwand für die Entwicklung solch komplexer Systeme bringt selbst grosse Firmen an die Grenzen des Machbaren: Die Sony-Playstation 3 war über ein Jahr verspätet, Windows Vista ebenfalls. Beide Riesenfirmen (Sony und Microsoft) waren trotz aller Anstrengungen und eingesetzter Mittel nicht in der Lage, diese Verzögerung zu vermeiden.  Diese Beispiele zeigen, welch entscheidende Rolle grosse Industriebetriebe für die Entwicklung von reifen Technologien spielen. Man nehme nur den Fall der Pharmaindustrie, wo die Grundlagenforschung meist an Universitäten und spezialisierten Forschungszentren durchgeführt wird, die Überführung neuer wissenschaftlicher Resultate und neuer Technologien in den Markt aber vollumfänglich von der Industrie übernommen werden muss. Die Entwicklung von bewiesenen Konzepten zu anwendbaren Technologien verlangt oft immense Investitionen, die im Allgemeinen nur von sehr grossen Industriepartnern erbracht werden können. Wo solche Industrien tätig sind, bildet sich schnell auch ein «Ökosystem» von Kompetenzen und Wissen, das langfristig den Anforderungen der komplexer werdenden Thematik genügen kann. Das zeigt sich etwa am Beispiel der Pharmaindustrie in Basel und der damit verbundenen hohen Dichte von Wissenschaftern.

Manko an mikrooder nanotechnologischen Grossfirmen in der Schweiz


Was aber passiert, wenn solche Grossbetriebe in einer bestimmten Grossregion nicht vorhanden sind? In der Schweiz ist dies in verschiedenen Bereichen der Fall, so z.B. im Bereich der Mikro- und Nanotechnologie. Nur wenige Firmen produzieren Mikrochips der neuesten Generationen in grossen Quantitäten. «Consumer Electronics» wird auch nicht signifikant in der Schweiz produziert. Die Mikrotechnologie ist zwar in gewissen Bereichen (z.B. in der Uhrenindustrie) sehr stark, in anderen Gebieten aber nur schwach vertreten. So gibt es nur wenige Firmen, die sich mit MEMS, BioMEMS, MOEMS MEMS = Mikro-elektromechanische Systeme;MOEMS = Mikro-opto-elektromechanische Systeme. oder anderen Mikrosystemen befassen. Die mit diesen Elementen verbundenen Märkte zeigen heute ein starkes Wachstum und werden in Zukunft eine signifikante Quelle von Wertschöpfung sein. Da mikrooder nanotechnologische Grossfirmen in der Schweiz fehlen, besteht die Gefahr, dass die entsprechenden Kompetenzgebiete auf der Komponentenebene wenig gepflegt werden. Darunter leidet auch einer der wichtigsten Kompetenzbereiche der Schweizer Industrie, nämlich derjenige, neue Technologien, Komponenten und Verfahren sehr schnell in Anwendungen umzusetzen (Systemkonzeptionskompetenz). Es ist zu betonen, dass diese Lücke in der Innovationskette weder durch Hochschulinstitutionen noch durch normale Kleinfirmen gefüllt werden kann. Hochschulinstitutionen verfolgen eine Mission, die hauptsächlich mit Ausbildung und Forschung zusammenhängt. Zwar wird viel Gewicht auf den Technologietransfer gelegt, doch handelt es sich dabei selten um marktreife, sondern vielmehr um noch nicht industrialisierte Technologien. Die Kleinfirmen ihrerseits haben ganz einfach nicht genügend Kompetenz und Investitionskraft, um neue Technologien an den Markt zu bringen. Die Zeit der berühmten Garagen-Firmen ist leider vorbei.

Kombination zweier Mechanismen


In der Schweiz sind zwei Mechanismen vorhanden, um diese Situation zu verbessern:  – Der eine Mechanismus besteht darin, offene Technologieplattformen bereitzustellen und so den Technologietransfer zu ermöglichen. Er wird getragen von Institutionen wie der Eidg. Materialprüfungsanstalt (Empa), die hauptsächlich Innovationen dank neuen Materialien ermöglicht, oder dem CSEM, das eine sehr ähnliche Mission auf dem Gebiet der Mikro- und Nanotechnologie verfolgt. Sie versuchen damit, eine möglichst grosse Innovationswirkung zu erreichen, wobei diese Innovationswirkung durch die Finanzierungsmöglichkeiten der Förderagentur für Innovation KTI wesentlich verstärkt wird.  – Der andere Mechanismus sind Start-ups, die mit Hilfe von Risikokapital in der Lage sind, neue Technologien zu industrialisieren und bis zum Produkt zu entwickeln. Allerdings fliesst im Allgemeinen nur dann Risikokapital, wenn durch neue Technologien neue Anwendungen möglich werden oder wenn bestehende Anwendungen deutlich verbessert werden können.   Die offenen Technologieplattformen können besonders dann voll ausgenützt werden, wenn diese beiden Wirkungsbereiche vereint werden. Bei marktreifen, aber noch sehr neuen Technologien ist die Möglichkeit der Anwendung für die einheimische Industrie gegeben. Ist von Seiten der Industrie kein Interesse vorhanden und ist die Technologie dennoch sehr relevant, so kann die Gründung eines Start-ups in Betracht gezogen werden. In der Schweiz wird dies eigentlich nur am CSEM in grösserem Umfang durchgeführt.  Die Bedeutung dieses Mechanismus kann leicht mit Zahlen unterlegt werden: Am CSEM wurden in 10 Jahren 25 Start-ups gegründet, die neueste vor zwei Monaten. Der kombinierte Umsatz dieser Firmen übersteigt heute 120 Mio. Franken. Dabei wurden 500 Hochtechnologie-Arbeitsplätze mit zumeist sehr hoher Wertschöpfung geschaffen. Insgesamt wurden 170 Mio. Franken Risikokapital investiert – ein Wert, der die Investitionen des Bundes in das CSEM beinahe egalisiert! Wichtig dabei: Keine dieser Firmen wurde in Konkurrenz zu einer Schweizer Firma gegründet.

Zitiervorschlag: Thomas Hinderling (2007). Wozu offene Technologieplattformen. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.