Das schweizerische Innovationssystem im internationalen Vergleich
Innovation ist auf lange Sicht die wichtigste Antriebskraft für Produktivitätssteigerungen und damit ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum. Deshalb kommt der Leistungsfähigkeit des Innovationssystems ausserordentlich grosse Bedeutung zu. Die Schweiz verfügt über eine starke und ausdifferenzierte industrielle Forschungsbasis im Unternehmenssektor und exzellente öffentliche Forschungseinrichtungen. Sie erzielt hervorragende Leistungen im Bereich Wissenschaft, Technologie und Innovation. In den Neunzigerjahren und in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts war jedoch die Dynamik der Innovationsleistung vergleichsweise schwach. Zudem sind neue Herausforderungen – darunter die zunehmende Globalisierung von Forschung und Entwicklung (F&E) – zu bewältigen. Zur weiteren Stärkung der Innovationskraft schlägt die OECD Massnahmen zur «Feinabstimmung» der schweizerischen Innovationspolitik vor. Der vorliegende Beitrag stützt sich vorwiegend auf die jüngste OECD-Review der Schweizer Innovationspolitik, welche die erste in einer neuen Serie von OECD-Länderstudien darstellt ( www.oecd.org/sti/innovation/reviews ). Die in diesem Beitrag geäusserten Meinungen decken sich nicht notwendigerweise mit jenen der Organisation und ihrer Mitgliedsländer.
Wirtschaftliche Entwicklung
Die Schweiz erzielt ein im internationalen Vergleich hohes Einkommensniveau. Seit Beginn der Neunzigerjahre bis in die ersten Jahre des laufenden Jahrzehnts war das Wachstum der schweizerischen Wirtschaft jedoch mässig. Die Schweiz wies im Zeitraum 1995-2004 sogar die geringste Wachstumsrate des Bruttoinlandprodukts (BIP) unter den OECD-Ländern auf. Das Wachstumsdifferenzial war beträchtlich, vor allem gegenüber den USA, aber auch dynamischeren europäischen Wirtschaften. Das Wachstum der Arbeitsproduktivität im Unternehmenssektor (gemessen am BIP pro Beschäftigtem) kam in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre praktisch zum Stillstand und war auch in den ersten Jahren dieses Jahrzehnts schwach. In der jüngsten Vergangenheit hat sich die Entwicklung der schweizerischen Wirtschaft wieder deutlich beschleunigt. Eine weitere Stärkung der Innovationskraft eines leistungsfähigen Innovationssystems kann einen bedeutenden Beitrag zur Sicherung der Nachhaltigkeit des Produktivitäts- und Wirtschaftswachstums der Schweiz leisten. Der aktuelle Prozess der Globalisierung von F&E stellt das schweizerische Innovationssystem vor neue Herausforderungen: Der Wettbewerb um die besten internationalen Standorte für F&E-Zentren unter den am höchsten entwickelten Ländern hat an Schärfe zugenommen. Länder wie China und Indien treten als bedeutende Empfänger von F&E-Investitionen auf den Plan. Darüber hinaus tauchen zunehmend neue Wettbewerber auf den globalen Märkten für F&E- sowie skillintensive Güter und Dienstleistungen auf. Dies stellt eine Herausforderung nicht zuletzt für jene Länder dar, deren Produzenten in diesen Märkten traditionell etabliert sind. Für Volkswirtschaften mit hohen Arbeitskosten ist eine hohe Leistungsfähigkeit im Bereich Innovation von zentraler Bedeutung zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit.
Generell gute Rahmenbedingungen für Innovation
Die Rahmenbedingungen für Innovationsaktivitäten – speziell des Unternehmenssektors – sind ein wichtiger Bestimmungsfaktor für die Leistungsfähigkeit nationaler Innovationssysteme. Diese sind im Fall der Schweiz generell als gut zu bezeichnen. Stabile rechtliche Rahmenbedingungen – u.a. für Geistiges Eigentum -, das Steuerwesen, ein hoch entwickeltes Finanzsystem und das Angebot an gut ausgebildeten Arbeitskräften sind Forschung und Innovation generell förderlich. Die Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber der Europäischen Union (EU) schafft gute Voraussetzungen, um die weiter steigende Nachfrage nach hoch qualifizierten Humanressourcen für Wissenschaft und Technologie flexibel und ohne grössere Friktionen befriedigen zu können. Neben den erwähnten Stärken gibt es auch einige Schwachstellen. Als Ursachen für die mässige Produktivitätsentwicklung wurden unter anderem der mangelnde Wettbewerb in geschützten Sektoren, ineffiziente Produktmarktregulierung und hohe Kosten öffentlicher oder durch Pflichtbeiträge finanzierter Dienstleistungen identifiziert. Marktsegmentation und mangelnder Wettbewerb vermindern – zumindest in manchen Bereichen – den Anreiz zur Innovation (z.B. im Bauwesen). Innovativem Unternehmertum stehen nach wie vor vergleichsweise hohe Barrieren gegenüber, darunter Hürden bei der Finanzierung von Innovationen, die implizite Benachteiligung mancher Finanzierungsformen und regulatorische Auflagen. Diese Faktoren erschweren unter anderem die Gründung und das Wachstum kleiner innovativer Unternehmen.
Starke Akteure in der öffentlichen Forschung und im Unternehmenssektor
Die Schweiz verfügt über innovative Unternehmen. Neben den bekannten, global tätigen forschungsintensiven Industrieunternehmen sowie den ebenfalls hoch innovativen wissensintensiven Dienstleistungsunternehmen sind dies auch viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die in ihren jeweiligen Segmenten oft beachtliche Kompetenzen und Marktpositionen aufgebaut haben. Die Präsenz der KMU – und damit einer differenzierten Population innovativer Unternehmen – stellt einen der entscheidenden Vorteile des schweizerischen Innovationssystems gegenüber zahlreichen anderen Ländern dar. Die Innovationskraft der schweizerischen Wirtschaft wird durch einen erstklassigen öffentlichen Forschungssektor unterstützt und vorangetrieben. Die Eidgenössischen Technischen Hochschulen (ETH) und eine Reihe von Universitäten nehmen dabei Spitzenpositionen ein. Die sowohl in öffentlichen Forschungseinrichtungen als auch in der Industrie betriebene Grundlagenforschung ist eine besondere Stärke der Schweiz. Zahlreiche Initiativen der öffentlichen Hand zielen auf eine Verbesserung des Technologie- und Wissenstransfers zwischen öffentlichen Forschungseinrichtungen und Unternehmen ab. Diese Bemühungen, die intensiver sind als in verschiedenen vergleichbaren Ländern, zeigen gute Ergebnisse, wenngleich auch hier noch ausschöpfbares Potenzial vorhanden ist.
Innovationsleistung der Schweiz
Die Schweiz nimmt – gemessen an einer ganzen Reihe von Indikatoren, die nach internationaler Praxis zur Messung der Leistungsfähigkeit nationaler Innovationssysteme herangezogen werden – eine Spitzenposition ein. Allerdings war die Dynamik der Innovationsaktivitäten während der Phase schwachen Wirtschaftswachstums in den Neunzigerjahren gering. Eine Reihe von Innovationsindikatoren stagnierte über einen vergleichsweise langen Zeitraum. Es gibt einige Hinweise darauf, dass dies nur zum Teil auf die konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen ist. Jedenfalls hat die Schweiz in den Neunzigerjahre im Vergleich zu anderen Ländern – darunter auch durchaus vergleichbare europäische Volkswirtschaften – Terrain eingebüsst. Die Schweiz erreichte früh eine im internationalen Vergleich hohe Forschungsquote (Relation von Bruttoausgaben für Forschung und Entwicklung zum BIP) und lag Mitte der Achtzigerjahre an der Weltspitze. In den Neunzigerjahren lagen die Wachstumsraten der gesamtwirtschaftlichen F&E-Ausgaben der Schweiz (zu konstanten Preisen) jedoch weit unter dem OECD- und EU-Durchschnitt und haben erst in der jüngeren Vergangenheit an Dynamik gewonnen. Zuletzt betrug die Forschungsquote rund 2,9%. Nur die OECD-Länder Schweden, Finnland und Japan weisen eine höhere F&E-Intensität auf; Korea und Island haben etwa dasselbe Niveau erreicht. Dennoch konnte die Schweiz ihre einstige Führungsposition nicht wieder erreichen. Die Position der Schweiz ist im internationalen Vergleich sehr stark, sowohl in Bezug auf die Hervorbringung als auch auf die Kommerzialisierung von Wissen. Bei wissenschaftlichen Publikationen und Patentaktivitäten etwa liegt die Schweiz an der Weltspitze. Die Schweiz führt mit deutlichem Abstand bei den Patentanmeldungen je Einwohner beim Europäischen Patentamt und ist auch bei den so genannten «triadischen» Patentanmeldungen (am europäischen, japanischen und US-amerikanischen Patentamt) führend. Gemessen an der Anzahl der Artikel im Bereich der Natur- und Ingenieurwissenschaften («Science and Engineering») je Million Einwohner (1154 im Jahr 2003) liegt die Schweiz – knapp vor Schweden – ebenfalls an der Weltspitze.
Globalisierung von Forschung und Entwicklung
Das schweizerische Innovationssystem weist in mehrfacher Hinsicht einen im internationalen Vergleich hohen Grad der Internationalisierung auf. Das zeigt sich etwa gemessen an den Anteilen ausländischer Studierender und an schweizerischen Forschungseinrichtungen tätiger Wissenschafter, den Publikationen in Kooperation mit ausländischen Partnern, den F&E-Investitionen schweizerischer Unternehmen im Ausland sowie der Rolle der Schweiz als internationalem Forschungsstandort. Generell ist die Vernetzung schweizerischer Unternehmen mit Unternehmen und Forschungseinrichtungen im Ausland im Bereich der Innovationsaktivitäten hoch. Schweizerische Unternehmen haben – auch in der Phase schwacher F&E-Ausgaben des Unternehmenssektors in der Schweiz selbst – kräftig in F&E-Einrichtungen im Ausland investiert (siehe Grafik 1) und damit unter anderem ihre Vernetzung mit globalen Wissenszentren verstärkt. Wenn auch die eine oder andere Investitionsentscheidung zugunsten eines Standorts im Ausland zu Diskussionen führte, gibt es keinen Hinweis darauf, dass die Investitionen Schweizer Unternehmen in F&E im Ausland generell zu einer Schwächung der Leistungsfähigkeit des Forschungsstandorts Schweiz geführt hätten. Die Globalisierung von F&E, die sich im letzten Jahrzehnt deutlich beschleunigt hat, ist daher für die Akteure des schweizerischen Innovationssystems kein unbekanntes Terrain. Dies stellt einen bedeutenden Vorteil der Schweiz dar. Dennoch sollten die Herausforderungen, die von der Globalisierung ausgehen, besonders für bislang international weniger exponierte Unternehmen nicht unterschätzt werden.
Feinsteuerung der Innovationspolitik
Geprägt durch die Geschichte und Struktur des Innovationssystems, aber auch die Spezifika des stark föderalistisch geprägten politischen Systems und den daraus resultierenden Kompetenzverteilungen (etwa im Bildungsbereich) weist die schweizerische Innovationspolitik einige Besonderheiten auf. Insgesamt scheint die schweizerische Innovationspolitik einem eher fragmentarischen als einem systemischen Ansatz zu folgen. Dies schlägt sich unter anderem in der Zusammensetzung und im Selbstverständnis verschiedener Institutionen und einer eher «angebotsorientierten» Ausrichtung der Innovationspolitik nieder. In den Mitgliedsländern der OECD und darüber hinaus ist die Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik ständigem Wandel unterworfen. Auch in der Schweiz sind eine Reihe wichtiger Initiativen im Gang, so etwa eine umfassende Reform des tertiären Bildungssektors, die in die richtige Richtung geht. Zur weiteren Stärkung der Leistungsfähigkeit des schweizerischen Innovationssystems schlägt die OECD-Review der schweizerischen Innovationspolitik eine Reihe von Massnahmen zur Feinsteuerung der schweizerischen Innovationspolitik vor, die hier nur fragmentarisch angesprochen werden können: – Die Rahmenbedingungen für Innovation sollten weiter verbessert werden. Unternehmerische Aktivität kann durch den Abbau von regulatorischen und finanziellen Barrieren unterstützt werden; verstärkter Wettbewerb und ein Abbau von Marktsegmentierung können einen Beitrag zur Stimulierung von Innovationen im Unternehmenssektor leisten. – Wissenschaft, Technologie und Innovation ist hohe Priorität einzuräumen, was sich in einer nachhaltigen Sicherung der öffentlichen Finanzierung dieser Bereiche (einschliesslich Dotierung der relevanten Förderungseinrichtungen wie SNF und KTI) niederschlagen sollte. Damit diese nicht durch andere – mit einem Quasi-Automatismus versehene – Ausgabenkategorien verdrängt werden, sollten effektive Vorkehrungen getroffen werden. Ein starker antizipativer, zukunftsorientierter Ansatz in der mittelfristigen Vorschau (BFI-Botschaft) wäre in diesem Zusammenhang von Vorteil. – Der Schweizerische Wissenschafts- und Technologierat (SWTR) sollte in höherem Masse repräsentativ für das gesamte Spektrum der «Stakeholder» des Innovationssystems sein. – Die Konsolidierung und Spezialisierung des Fachhochschulsektors sollte weiter vorangetrieben werden, unter anderem durch eine engere Vernetzung mit regionalen und transregionalen Clustern. – Das Portfolio der Förderinstrumente sollte zugunsten stärker nachfrageorientierter Massnahmen umgeschichtet werden. Auch wenn die Schweiz über einen ausserordentlich leistungsfähigen KMU-Sektor verfügt, ist nach Möglichkeiten zu suchen, um diesen weiter zu stärken. – Die Wissenschafts-, Technologie- und Innovationspolitik sollte flexibel auf die besonderen Bedürfnisse des Dienstleistungssektors eingehen. Gerade für die Schweiz sind Innovationen im Dienstleistungsbereich von erstrangiger volkswirtschaftlicher Bedeutung. Insgesamt sind die Schweiz und die massgeblichen Akteure des schweizerischen Innovationssystems gut gerüstet, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich zu bewältigen.
Grafik 1 «F+E-Ausgaben von Tochterunternehmen im Ausland in % der F+E-Ausgaben im Inland in ausgewählten OECD-Ländern, 2003»
Kasten 1: Literatur – OECD, OECD Reviews of Innovation Policy: Switzerland, Paris, 2006.- OECD, OECD Science, Technology and Industry Outlook 2006, Paris, 2006.
Zitiervorschlag: Hutschenreiter, Gernot (2007). Das schweizerische Innovationssystem im internationalen Vergleich. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.