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Im Gespräch mit Bundesrätin Doris Leuthard: Wissensplatz und Werkplatz noch stärker verbinden

Im Gespräch mit Bundesrätin Doris Leuthard: Wissensplatz und Werkplatz noch stärker verbinden

Beim Schaffen von neuem Wissen und Patenten nimmt die Schweiz im internationalen Vergleich nach wie vor eine Spitzenposition ein. Allerdings hat hier die Dynamik abgenommen. Vor dem Hintergrund dieses Phänomens führte das Magazin «Die Volkswirtschaft » das Gespräch mit Bundesrätin Doris Leuthard, Vorsteherin des Eidg. Volkswirtschaftsdepartements (EVD). Im Zentrum standen dabei Fragen nach der Stärkung des Innovationssystems Schweiz sowie nach der Rolle und Bedeutung der Wissensnetzwerke insbesondere für KMU. Angesprochen wurde auch die Thematik um den verbesserungsbedürftigen Schutz des Geistigen Eigentums in den aufstrebenden asiatischen Ländern.

Die Volkswirtschaft: Frau Bundesrätin Doris Leuthard: Wie begründen Sie das Engagement der öffentlichen Hand im Bereich des Wissens- und Technologietransfers (WTT) und der Schaffung von Wissensnetzwerken? Leuthard: Die Schweiz ist ein rohstoffarmes Land. Unsere Wirtschaft und unser Wohlstand bauen auf Wissen auf. Deshalb hat die Politik die wichtige Aufgabe, die nötigen finanziellen Ressourcen für Bildung, Forschung und Innovation zur Verfügung zu stellen, optimale Rahmenbedingungen zu schaffen und das Wissensnetzwerk unter den Hochschulen und der Privatwirtschaft zu verdichten. Besonders KMU sind auf das Wissensnetzwerk angewiesen. Die Volkswirtschaft: Auf den Nenner gebracht: Wie beurteilen Sie das schweizerische Innovationssystem? Leuthard: Wissen allein ist noch nicht entscheidend; noch bedeutender ist Innovation. Sie ist der wichtigste Antrieb für Produktivitätssteigerungen und Wachstum überhaupt. Zahlen belegen dies: Die Schweiz hat zwischen 1995 und 2005 in den Branchen mit hoher Innovationskraft 85000 Arbeitsplätze geschaffen und in jenen mit geringer Innovationskraft 120000 verloren. Deshalb haben wir auch ein grosses Interesse, international vorne dabei zu sein. Wir liegen an der Spitze bei der Schaffung von neuem Wissen und der Patentierung von Erfindungen. Allerdings sind wir punkto Umsetzung weniger stark. Generell gilt: Wir müssen den Wettbewerb intensivieren und den «Wissensplatz Schweiz» noch stärker mit dem «Werkplatz Schweiz» verbinden. Die Volkswirtschaft: Wo orten Sie – gegenüber den Besten – Verbesserungspotenzial? Leuthard: Forschungsergebnisse müssen den Weg in marktorientierte Innovationsvorhaben finden. Und da ist die Schweiz – etwa im Vergleich zu Schweden, Japan, den USA oder Israel – eher schlecht positioniert. Erfolgsfaktoren der Innovationssysteme dieser Länder sind etwa die höhere Bereitschaft der Unternehmen für neues Wissen und neue Technologien, die einfachere Finanzierung von Innovationsvorhaben und der offenere Heimmarkt für Erstanwendungen von innovativen Lösungen. In diesen Bereichen müssen wir uns also verbessern. Die Volkswirtschaft: Als Schwäche des schweizerischen Innovationssystems werden häufig auch die starke Ausrichtung auf die traditionellen Sparten des sekundären Sektors und die Vernachlässigung von Innovationen im Dienstleistungsbereich betrachtet. Teilen Sie diese Meinung? Leuthard: Dienstleistungen gewinnen in unserer Wirtschaft weiter an Bedeutung. Dieser Trend betrifft nicht nur den Tertiärsektor, sondern praktisch alle Branchen des Industriesektors. Ich teile die Auffassung, dass sich die Schweiz eher schwer tut mit dieser Herausforderung, was auch der kürzlich erschienene OECD-Länderbericht feststellt. Dies könnte Folgen haben auf unser Wachstum. Die Volkswirtschaft: Wie lässt sich die Ausrichtung allenfalls korrigieren? Leuthard: Ich sehe zwei Möglichkeiten, Innovation zu fördern. Einerseits haben wir schon Instrumente – zum Beispiel die Förderagentur für Innovation des Bundes KTI. Andererseits ist der Wettbewerb ein Motor, der Innovation antreibt. Die Revision der KTI ist eine gute Gelegenheit, den Schwerpunkt gezielt auf die Dienstleistungen zu legen. Gerade in den Sparten Umwelt und Energie oder Materialwissenschaften ist noch ein grosses Potenzial vorhanden. Dazu gehört auch die ganze Agrarforschung, die international ein hohes Renommee geniesst, was oft vergessen wird. Deren Erkenntnisse können helfen, auch in der Landwirtschaft innovativer und damit produktiver zu werden. Eine weiteres Projekt ist die «Hochschullandschaft Schweiz», in dessen Rahmen wir Qualitätssteigerungen und bessere Koordination unter den Hochschulen anstreben. Insbesondere der intensivere Wettbewerb und die gleichzeitige Steuerung der strategischen Schwerpunkte dürften dazu beitragen, dass der Dienstleistungssektor gestärkt werden kann. Zu den Dienstleistungen gehört schliesslich auch der gesamte Gesundheitsmarkt, der über 50 Mrd. Franken umfasst und hochwertige Leistungen beinhaltet, jedoch sehr binnenbezogen ist. Wir sollten uns überlegen, ob dieser Markt nicht geöffnet werden sollte, zumal die Schweiz ja mit den Life Sciences und der starken Pharmaindustrie gut positioniert ist. Die Volkswirtschaft: Mit dem neuen Rahmenkredit für Bildung, Forschung und Innovation (BFI 2008-2011) will der Bund sein finanzielles Engagement deutlich erhöhen. Ein höheres Budget allein ist ohne effizienten Einsatz der Mittel keine wirkliche Lösung. Wie wollen Sie den effizienten Einsatz der finanziellen Mittel des Bundes sichern? Leuthard: Wir verfügen über einen Bildungsbericht 2006, der Aussagen zu Effizienz und Effektivität des ganzen Bildungssystems Schweiz macht. Auf dieser Grundlage werden wir die Prioritäten gemeinsam mit den Kantonen festlegen, mit dem Ziel, die Effizienz in jedem Bildungsbereich zu steigern. Die Volkswirtschaft: Welche Rolle spielen Ihrer Ansicht nach die Wissensnetzwerke für das schweizerische Innovationssystem? Leuthard: Wissensnetzwerke spielen die Rolle der Brückenbauer zwischen Wissenschaft und Praxis, denn die Hochschulen betreiben viel Grundlagenforschung. Innovationen hingegen werden eher in der Wirtschaft generiert. Wissennetzwerke helfen beispielsweise den Unternehmen, geeignete Hochschulpartner zu finden. Die Volkswirtschaft: Die Wissens- und Technologietransfer-Plattformen des Bundes (KTI WTT) fungieren als «Partnervermittlung» zwischen Unternehmen und Forschungsinstitutionen. Was sind die Erfahrungen mit dem relativ jungen Instrument? Leuthard: Die fünf KTI WTT-Konsortien unterstützen die Firmen seit gut anderthalb Jahren vor allem bei der Formulierung der Anforderungsprofile und beim Aufbau von Kooperationsvorhaben. Für eine Gesamtbilanz zum jetzigen Zeitpunkt wäre es aber ein bisschen früh. Im Vordergrund stehen zuerst einmal die Verstärkung des nachfrageorientierten Ansatzes und die internationale Einbindung. Wir haben bereits vier Plattformen, die international ausgerichtet sind. Um gerade das internationale Element weiter zu verstärken, ist auch die Expertengruppe international zusammengesetzt. Die Volkswirtschaft: In welchem Masse profitieren die KMU von diesen Konsortien? Leuthard: Die Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit zwischen Unternehmen und Hochschulen soll einfacher werden. Insbesondere KMU sollen einen leichteren Einstieg finden, vor allem jene KMU, die bisher noch nicht mit Hochschulforschern zusammenarbeiten, obwohl sie das Potenzial dazu hätten. Für die nächste Legislatur hat denn auch die KTI die Vorgabe erhalten, die Zahl der an WTT-Projekten beteiligten KMU massiv zu erhöhen. Das gelingt nur, wenn der Nutzen dieser Projekte den KMU deutlicher aufgezeigt werden kann; dazu benötigen wir – neben den Anstrengungen seitens KTI – auch die Mithilfe der Wirtschaftsverbände. Die Volkswirtschaft: Mit dem Einbezug in den WTT-Prozess übernehmen viele Universitäten und Fachhochschulen eine neue Rolle. Besteht hier nicht die Gefahr einer Überforderung? Leuthard: Kaum, denn die Forschung der beiden ETH war seit ihren Anfängen darauf ausgerichtet, einen Nutzen für die Wirtschaft zu erbringen. Unsere Forscherinnen und Forscher haben gerade durch die hohe Patentdichte bewiesen, dass sie dies erkannt haben – und zwar ohne Sponsoring-, Seed-Money-, oder Venture-Capital-Systeme, wie sie in den USA gebräuchlich sind. Im Bereich der angewandten Forschung ist die Privatwirtschaft stark engagiert – insbesondere in der Chemie- und Pharmaindustrie. Bei den Fachhochschulen, die noch im Aufbau begriffen sind, habe ich noch weniger Bedenken, weil die dort tätigen Ingenieure die Bedürfnisse der Wirtschaft von ihrer Ausbildung her sehr gut kennen. Was verbessert werden muss, ist die regionale Cluster-Bildung rund um die Fachhochschulen. Vorbildcharakter haben hier die Nano-Cluster und Verpackungs-Cluster am Bodensee. Das Beispiel zeigt, wie Regionalpolitik mit Bildungs- und Innovationspolitik zu verknüpfen ist. Viele Initiativen gehen in die richtige Richtung. Die Volkswirtschaft: Was sind die Gemeinsamkeiten und was die Unterschiede in den Rollen zwischen ETH, Universitäten und Fachhochschulen im WTT-Prozess? Leuthard: Wir haben die diesbezüglichen Rahmenbedingungen im neuen Hochschulgesetz festgelegt, das vom Bundesrat am 12.September 2007 in die Vernehmlassung geschickt wurde. Eine gemeinsame Steuerung des Hochschulbereichs steht dabei im Vordergrund. Damit wird eine strategische Planung für die ganze Schweiz möglich. Das Ziel dieser Vorlage ist aber nicht die Gleichschaltung. Die Fachhochschulen werden ihre Andersartigkeit behalten, notabene weil sie speziell auf die angewandte F&E ausgerichtet sind und weil sie noch näher an die regionale Wirtschaft angebunden sind. Die ETH haben ihrerseits die Vorgabe, die Grundlagenforschung noch weiter voranzutreiben. Diese Aufgabenteilung hat sich bewährt und wird beibehalten. Die Institute können aber direkt über Sponsoring, über Forschungsbeiträge der Firmen die Synergien mit der Wirtschaft nutzen. Die Volkswirtschaft: KTI WTT wird als wichtiges Instrument der Neuen Regionalpolitik (NRP) eingesetzt. Was sind hier die Erwartungen? Leuthard: Das Hauptziel der NRP ist es, Wertschöpfung und Arbeitsplätze in Regionen zu generieren. Dass damit Forschung und Innovationsleistungen verbunden sind, versteht sich von selbst. Der Bund schreibt hier nichts vor und initiiert keine Projekte. Eine Region soll ihre Stärken analysieren und das vorhandene Wertschöpfungspotenzial im Wissenstransfer zu den vor Ort tätigen KMU ausschöpfen. Dies ist eines der Elemente, um in peripheren Gebieten wertschöpfungsintensive und exportorientierte Initiativen zu unterstützen. Die Volkswirtschaft: Machen wir in der Diskussion einen Schwenker und wenden wir uns Fragen zu, die sich hier in einer globalen Wirtschaft im Umgang mit Schwellenländern stellen: Der Schutz des Geistigen Eigentums ist für das Innovationssystem hoch entwickelter Länder von zentraler Bedeutung. In den Medien wird aber immer wieder darüber berichtet, wie gross die Kopierwut und der Raub Geistigen Eigentums im stark aufstrebenden asiatischen Raum sind. Wie hoch schätzen Sie diese Gefahr ein? Leuthard: Es ist für unsere Wirtschaft entscheidend, dass der bestehende Rechtsrahmen – sprich ein starkes Patentrecht und das Dienstleistungsabkommen der WTO (Trips) – auch eingehalten wird. Probleme gibt es insbesondere in den boomenden Schwellenländern, die ich diesen Sommer besuchte – nämlich China, Vietnam und Indien. Es war mir besonders wichtig, dass wir Abkommen diesbezüglich mit China und Indien abschliessen konnten. Jetzt werden Arbeitsgruppen eingesetzt, die sich ganz pragmatisch um die konkreten Probleme kümmern, die Firmen aufsuchen und zusammen mit diesen Sanktionen entwickeln, wie man gegen Piraterie und Fälschung vorgehen kann. Ich denke, dass vor allem die Volkswirtschaften Chinas und Indiens zunehmend selber innovative Produkte entwickeln. Sie haben somit ein steigendes Interesse, dass der Rechtsrahmen nicht nur auf dem Papier besteht, sondern auch tatsächlich funktioniert. Deshalb bin ich zuversichtlich, dass die Rechtssicherheit in diesen Staaten zunehmen wird. Aber dies wird nicht von heute auf morgen geschehen, auch wenn wir in unserem ureigenen Interesse daran arbeiten. Wir müssen weiterfahren, unsere Firmen zu schützen und die angesprochenen Länder weiter dahingehend sensibilisieren, dass solche Praktiken Wettbewerbsverzerrungen darstellen und die Investitionen in innovative Bereiche schädigen. Die Volkswirtschaft: Bis Ende Februar 2008 will der Bundesrat über eine allfällige Zusammenlegung aller Bildungs- und Forschungsaufgaben im gleichen Departement entscheiden. Welche Vorteile erhoffen Sie von einer solchen Massnahme für den Bildungs- und Innovationsstandort Schweiz? Leuthard: Der Gesamtbundesrat ist sich einig, dass eine solche Zusammenlegung Vorteile hätte. Mit der Schaffung der Hochschullandschaft ist der Koordinationsbedarf grösser und die Steuerung durch eine Stelle gefordert. Wo dieser Bereich letztlich angesiedelt wird, ist nicht primär entscheidend. Dass ich die Bildung mit der Wirtschaft koppeln möchte, ist logisch. Denn ich bin überzeugt, dass der Arbeitsmarkt, die Bildung und das Innovationssystem sehr eng zusammenhängen. Man spricht immer davon, dass eine der grössten Stärken unserer Wirtschaft die gut ausgebildeten Menschen und der flexible Arbeitsmarkt sind. Die Wirtschaft selber hat also ein ureigenes Interesse, dass sie auf lange Sicht genügend gut ausgebildete Hochschulabgänger und Berufsfachleute hat. Auch die demographischen Entwicklungen zwingen uns zu langfristigen Denken. Denn ab 2008 sinkt die Zahl der Schulabgänger sukzessive. Die Volkswirtschaft: Frau Bundesrätin Leuthard, ich danke Ihnen für das Gespräch.

Gesprächsleitung und Redaktion:Geli Spescha, Chefredaktor «Die Volkswirtschaft» Aufzeichnung des Gesprächs:Simon Dällenbach, Redaktor «Die Volkswirtschaft»

Zitiervorschlag: Geli Spescha (2007). Im Gespräch mit Bundesrätin Doris Leuthard: Wissensplatz und Werkplatz noch stärker verbinden. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.