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Die neue EU-Chemikalienverordnung REACH: Schweizerische Handlungsoptionen und deren Auswirkungen

Nach dem Inkrafttreten der REACH-Verordnung in der EU stellt sich die Frage nach den Auswirkungen des neuen europäischen Chemikalienrechts auf die Schweiz. Im Rahmen einer vertieften Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) wurden für unterschiedliche Handlungsoptionen die möglichen Auswirkungen auf Unternehmen, Gesundheit und Umwelt untersucht. Aufgrund der engen Handelsverflechtungen mit der EU fallen bei der chemischen Industrie auch ohne jegliche Rechtsanpassungen geschätzte 70% bis 85% der direkten Kostenfolgen einer vollständigen Übernahme von REACH an.

Zum besseren Schutz von Gesundheit und Umwelt und zur Förderung einer wettbewerbsfähigen und innovativen chemischen Industrie trat am 1. Juni 2007 in der Europäischen Union (EU) die neue Chemikalienverordnung „REACH“ in Kraft. Verordnung EG/1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 (Amtsblatt der Europäischen Union, L396, 30. Dezember 2006). Die Verordnung regelt die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (Registration, Evaluation, Authorisation and Restrictions of Chemicals – REACH) und sieht die Schaffung einer europäischen Agentur für chemische Stoffe vor. Ein Kernpunkt der Verordnung ist, dass in der EU nicht wie bisher nur neu entwickelte chemische Stoffe, sondern auch die schon vor 1981 verwendeten «Altstoffe» bis zum Jahr 2018 etappenweise registriert werden müssen. Zur Registrierung müssen die Hersteller oder Importeure relevante Daten zu den Stoffeigenschaften vorlegen (siehe Kasten 1 In den Bereichen Umwelt und Gesundheit (sowohl öffentliche Gesundheit als auch Gesundheit am Arbeitsplatz) werden positive Auswirkungen von REACH erwartet. Mit REACH werden die Kenntnisse über Chemikalien als Auslöser oder Verstärker von Krankheiten zunehmen. Von den Massnahmen wird die Schweiz teilweise profitieren, u.a. weil die grosse Mehrheit der in der Schweiz in Verkehr gebrachten Stoffe aus der EU stammen. Ausserdem dürften die für den Export in die EU hergestellten REACH-konformen Stoffe und Zubereitungen vermehrt auch auf dem Schweizer Binnenmarkt angeboten werden. Im Bereich neuer Stoffe bedeutet der Status quo in der Schweiz ein höheres Schutzniveau als mit REACH.Der Anteil nicht aufgearbeiteter und in der EU nicht registrierter Altstoffe in der Schweiz dürfte sich ohne Anpassung an REACH bei ca. 15% einstellen. Schwer einzuschätzen ist, in welchem Umfang die durch REACH erzeugten Informationen über Stoffeigenschaften auch ohne rechtliche Verpflichtung ihren Weg zu nachgeschalteten Anwendern, Konsumenten und Behörden in der Schweiz finden und damit die Verwendung von Stoffen beeinflussen (sei es über Marktmechanismen oder durch staatliche Regulierung). Insgesamt ist zu befürchten, dass das Schutzniveau längerfristig hinter demjenigen der EU zurückbleibt. Die vollen positiven Auswirkungen von REACH auf Gesundheit und Umwelt ergeben sich in der Regel nur durch die Übernahme der entsprechenden Bestimmungen. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind von REACH hauptsächlich über die Wirkungen auf die Gesundheit betroffen, welche sich aus geringeren negativen Nebenwirkungen von Produkten ergeben. Bei den Haupteigenschaften von Produkten sowie bei Preisen und Auswahl werden kaum nachteilige Entwicklungen erwartet. zu den Grundzügen von REACH).  Es wird geschätzt, dass aufgrund von REACH in der EU etwa 30000 Altstoffe registrierungspflichtig und rund 1500 besonders besorgniserregende Stoffe zulassungspflichtig werden. Die Folgenabschätzung der EU-Kommission bezifferte die Gesamtkosten der Registrierung für die Unternehmen im Zeitraum 2008-2018 auf 2,3 Mrd. Euro. Vgl. European Commission 2003. Die indirekten Kosten durch den wahrscheinlichen Entfall bestimmter Stoffe werden allgemein als bedeutsamer eingeschätzt, können aber nicht angemessen quantifiziert werden. Auch der Nutzen kann kaum beziffert werden, weil zu vielen Altstoffen fundierte Kenntnisse über ihre Auswirkungen auf Gesundheit und Umwelt fehlen. Die Chemikalienbranche gehört mit ihrer Bruttowertschöpfung von 15,3 Mrd. Franken (3,4% des Bruttoinlandprodukts) zu den bedeutsamsten Industriezweigen der Schweiz. Die Handelsverflechtung mit der EU ist sehr hoch: Im Jahr 2005 gingen von den Exporten der chemischen Industrie 63% in die EU; der Importanteil aus der EU betrug gar 85%. Die Handelsverflechtung mit der EU ist in anderen von REACH betroffenen Branchen zum Teil ähnlich hoch.

Auswirkungen auf die Schweiz


Die Schweiz hat ihr Chemikalienrecht erst 2005 mit dem Chemikaliengesetz und den dazugehörigen PARCHEM-Verordnungen mit dem bisher geltenden EU Chemikalienrecht harmonisiert. Durch das Inkrafttreten der REACH-Verordnung unterscheiden sich schweizerisches und europäisches Chemikalienrecht erneut in wesentlichen Punkten. Damit ist ein Hauptziel der erfolgten Rechtsanpassungen, nämlich die Vermeidung technischer Handelshemmnisse, nicht mehr erfüllt. Um die Handlungsoptionen der Schweiz bewerten zu können, hat das Bundesamt für Umwelt (Bafu) in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Gesundheit (BAG) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) eine verwaltungsexterne Studie in Auftrag gegeben. Vgl. Bundesamt für Umwelt 2007. Die Ausschreibung zum Projekt erfolgte im 3. Quartal 2006, die Unternehmensbefragung wurde im 1. Quartal 2007 durchgeführt. Die Arbeiten wurden von den Bundesämtern sowie von Vertretern der Branchen Chemie, Farben und Lacke, Textil sowie Kosmetik und Waschmittel eng begleitet. Neben den Auswirkungen auf Unternehmen, Konsumenten, Gesundheit und Umwelt wurden die volkswirtschaftlichen Auswirkungen in den Bereichen Wettbewerb, Handelshemmnisse und Innovation sowie der Rechtsetzungsbedarf und staatliche Vollzugskosten untersucht. Die Ergebnisse der Studie stützen sich auf Befragungen bei Unternehmen stark betroffener Branchen sowie auf Erkenntnisse aus den EU-Folgenabschätzungen ab . Das Projekt wurde im Sommer 2007 abgeschlossen. Aufgrund der inhärenten methodischen Herausforderungen bei vorausschauenden Wirkungsanalysen und noch nicht geklärten Vollzugsfragen in der EU zum Zeitpunkt der Befragung musste sich die Studie weit gehend auf qualitative Aussagen beschränken.

Vertieft untersuchte Optionen mit und ohne Rechtsanpassungen


Ein wichtiger Zwischenschritt bei der RFA waren die Identifikation der Handlungsoptionen der Schweiz und die Auswahl einer überschaubaren Anzahl Optionen zur vertieften Untersuchung. Das Spektrum der sich bietenden Möglichkeiten ist aus verschiedenen Gründen grösser als die in der Studie vertieften Optionen: Zum einen ist der Zeitbedarf für die Anpassungen des Rechts auf Gesetzes- und Verordnungsstufe zu beachten. Zum anderen spielen die Möglichkeiten und Bedingungen einer allfälligen Zusammenarbeit mit der europäischen Chemikalienagentur in Helsinki eine zentrale Rolle. Es sind deshalb Anpassungen des Rechts denkbar, die sich nicht mit den näher untersuchten Optionen decken. Insbesondere stellt sich etwa die Frage einer Umsetzung in Etappen. Zwei Optionen wurden von Anfang an einbezogen: – Die Option PARCHEM Schweiz sieht keine Anpassungen an REACH vor. Sie gilt als Referenzszenario, da wir uns seit Inkrafttreten von REACH bereits in diesem Szenario befinden.  – Die Option REACH Schweiz besteht aus der vollständigen Übernahme von REACH.  Mit Hilfe der acht im Hinblick auf eine Rechtsanpassung in der Schweiz als zentral eingestuften Inhalte von REACH (vgl. Tabelle 1) wurden zusätzlich zwei Teilanpassungsoptionen ausgewählt: – PARCHEM Minus beinhaltet lediglich eine Anpassung an die niedrigeren Anforderungen von REACH bei den Mengenschwellen für die Registrierungspflicht bei Neustoffen. – REACH Minus übernimmt wichtige Elemente von REACH zur Anwendung im Schweizer Binnenmarkt. Im Unterschied zur Vollharmonisierung werden aber jene Anforderungen nicht umgesetzt, welche ausschliesslich oder schwerpunktmässig den Verkehr mit Drittländern ausserhalb der EU betreffen.   Aufgrund des Umfangs der wirtschaftlichen Verflechtungen mit der EU und der Bedeutung der betroffenen Branchen entfaltet die REACH-Verordnung auch ohne jegliche Rechtsanpassungen grosse Auswirkungen in der Schweiz. Für eine korrekte Bewertung müssen die weiteren Optionen nicht mit dem Vorzustand ohne REACH, sondern mit dem Referenzszenario PARCHEM Schweiz verglichen werden. Im Kasten 2 Unternehmen

Schweizer Unternehmen können ausschliesslich REACH-konforme Stoffe und Zubereitungen («Mischungen» chemischer Stoffe) in die EU liefern und aus der EU beziehen. Ersteres setzt die Einhaltung der Anforderungen von REACH voraus; Letzteres kann zum Wegfall einzelner bisher in der EU eingekaufter Stoffe führen. Grundsätzlich können solche Stoffe aber auch von ausserhalb der EU beschafft oder durch andere Stoffe substituiert werden. Die direkten Kosten, welche sich aus den Anforderungen im Zusammenhang mit der Regis-trierung und Zulassung ergeben, fallen vorwiegend bei der chemischen Industrie an. Die chemische Industrie rechnet mit rund 9000 Stoffen, welche unter REACH registriert werden müssen. Abgeleitet von Kostenschätzungen der EU und verschiedenen Annahmen, werden die direkten Kosten auf 196 bis 949 Mio. Franken über die 11 Jahre der stufenweisen Registrierung der Altstoffe geschätzt (ca. 18 bis 86 Mio. Franken pro Jahr). Die tiefere Schätzung ist eine Übertragung der EU-Schätzungen auf die Schweiz und geht davon aus, dass sich die Kosten proportional zum Umsatz der schweizerischen bzw. der europäischen chemischen Industrie verhalten. Die höhere Schätzung basiert auf der vermuteten Anzahl der zu registrierenden Stoffe und den geschätzten Kosten pro Registrierung. Wegen der engen Verflechtung der Stoffströme mit der EU gehen die befragten Unternehmen der chemischen Industrie davon aus, dass sie wesentliche Anforderungen von REACH (Tabelle 1, Elemente 2–4) für den schweizerischen Binnenmarkt und den Export in Drittländer auch ohne rechtliche Verpflichtung weit gehend erfüllen werden. Die indirekten Kosten durch die Bereinigung des Stoffportfolios (Wegfall und Substitution von Stoffen) betreffen sowohl die chemische Industrie wie auch nachgeschaltete Anwender. Sie sind schwer quantifizierbar, können aber sehr hoch sein und stellen deshalb für die nachgeschalteten Anwender potenziell die grösste Herausforderung dar. Die hohen Anforderungen von REACH an den Informationsstand der Unternehmen sind besonders für kleinere Unternehmen eine Herausforderung. Vorteilhaft für die KMU ist die Abstufung der Anforderungen nach Mengenschwellen.

Gesundheit und Umwelt

In den Bereichen Umwelt und Gesundheit (sowohl öffentliche Gesundheit als auch Gesundheit am Arbeitsplatz) werden positive Auswirkungen von REACH erwartet. Mit REACH werden die Kenntnisse über Chemikalien als Auslöser oder Verstärker von Krankheiten zunehmen. Von den Massnahmen wird die Schweiz teilweise profitieren, u.a. weil die grosse Mehrheit der in der Schweiz in Verkehr gebrachten Stoffe aus der EU stammen. Ausserdem dürften die für den Export in die EU hergestellten REACH-konformen Stoffe und Zubereitungen vermehrt auch auf dem Schweizer Binnenmarkt angeboten werden. Im Bereich neuer Stoffe bedeutet der Status quo in der Schweiz ein höheres Schutzniveau als mit REACH. Der Anteil nicht aufgearbeiteter und in der EU nicht registrierter Altstoffe in der Schweiz dürfte sich ohne Anpassung an REACH bei ca. 15% einstellen. Schwer einzuschätzen ist, in welchem Umfang die durch REACH erzeugten Informationen über Stoffeigenschaften auch ohne rechtliche Verpflichtung ihren Weg zu nachgeschalteten Anwendern, Konsumenten und Behörden in der Schweiz finden und damit die Verwendung von Stoffen beeinflussen (sei es über Marktmechanismen oder durch staatliche Regulierung). Insgesamt ist zu befürchten, dass das Schutzniveau längerfristig hinter demjenigen der EU zurückbleibt. Die vollen positiven Auswirkungen von REACH auf Gesundheit und Umwelt ergeben sich in der Regel nur durch die Übernahme der entsprechenden Bestimmungen. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind von REACH hauptsächlich über die Wirkungen auf die Gesundheit betroffen, welche sich aus geringeren negativen Nebenwirkungen von Produkten ergeben. Bei den Haupteigenschaften von Produkten sowie bei Preisen und Auswahl werden kaum nachteilige Entwicklungen erwartet.

Volkswirtschaftliche Überlegungen

Gewisse Standortvorteile sind im Referenzszenario denkbar, weil die Schweizer Industrie weiterhin nicht REACH-konforme Stoffe herstellen und ausserhalb der EU verkaufen könnte. Überdies können in der Schweiz grundsätzlich Fertigprodukte unter Verwendung von nicht REACH-konformen Stoffen hergestellt und in die EU exportiert werden, die im EU-Raum nicht mehr produziert werden können. Aufgrund der erneuten Unterschiede im Chemikalienrecht entstehen im Referenzszenario allerdings zusätzliche technische Handelshemmnisse im Verkehr mit der EU. werden die verschiedenen Auswirkungen von REACH im Referenzszenario zusammengefasst. Nachfolgend sind die Auswirkungen der drei Optionen mit Rechtsanpassungen beschrieben (für eine Synthese der Auswirkungen aller Optionen siehe Tabelle 2).

Unternehmen


Bei Umsetzung der Option PARCHEM Minus werden die gesenkten Anforderungen an die Registrierung neuer Stoffe deren Markteinführung in der Schweiz erleichtern, was sich auf Wettbewerbsfähigkeit und Innovation positiv auswirkt.  Diese Feststellung gilt auch für die Option REACH Minus. Zusätzliche Aufwendungen entstehen allerdings bei nur in der Schweiz in Verkehr gebrachten Stoffen. Bei auch in der EU registrierten Stoffen ergeben sich dagegen Einsparungen, da keine Beachtung abweichender Schweizer Vorschriften mehr erforderlich ist. Ersteres belastet Unternehmen mit Ausrichtung auf die Schweiz; Letzteres nützt Unternehmen mit europäischer Ausrichtung. Die direkten Zusatzkosten für die chemische Industrie im Zusammenhang mit der Registrierung und Zulassung werden in dieser Option über den relevanten Zeitraum von 11 Jahren auf insgesamt 79 bis 167 Mio. Franken geschätzt (ca. 7 bis 15 Mio. Franken pro Jahr). Die möglichen Einsparungen wurden nicht beziffert. Die Option REACH Schweiz sieht die Anwendung der REACH-Anforderungen auch auf den Handel mit Drittländern vor. Die Registrierung vor der Produktion (statt vor dem Inverkehrbringen) ist für verschiedene Betriebe mit Zusatzaufwendungen und einer Offenlegung von Vorstufen in der Produktion verbunden. Gegenüber dem Referenzszenario wird mit zusätzlichen Registrierungskosten von etwa insgesamt 89 bis 167 Mio. Franken gerechnet (ca. 8 bis 15 Mio. Franken pro Jahr). In dieser Hinsicht bestehen also kaum signifikante Unterschiede zur Option REACH Minus. Die nur schwer abschätzbaren Folgekosten für die formulierende und anwendende Industrie könnten jedoch bei dieser Option ein Vielfaches der reinen Registrierungskosten betragen. Da ein Ausweichen auf Stoffe aus Drittländern nicht mehr möglich sein wird, müssten vermehrt Rezepturen angepasst oder neu entwickelt werden.

Gesundheit und Umwelt


Aus der Sicht des Schutzes von Mensch und Umwelt am ungünstigsten zu bewerten ist die Option PARCHEM Minus. Hier würde die Schweiz den einzigen Vorteil gegenüber REACH – das bessere Schutzniveau bei Neustoffen – preisgeben. In der Option REACH Minus wird sich das Schutzniveau in der Schweiz gegenüber heute insgesamt sukzessive erhöhen, wenn auch nicht im gleichen Ausmass wie in der EU. Alte Stoffe könnten weiterhin ungeprüft in der Schweiz hergestellt und in Nicht-EU-Länder exportiert werden. Dadurch müssten insbesondere Abstriche beim Arbeitnehmerschutz in Kauf genommen werden.  Bei der Option REACH Schweiz kämen alle positiven Auswirkungen zum Tragen, und das Schutzniveau würde sich in der Schweiz wie in der EU sukzessive erhöhen.

Volkswirtschaftliche Überlegungen


Aufgrund der Senkung der Anforderungen im Bereich der Neustoffe dürften bei der Option PARCHEM Minus die im Zusammenhang mit dem Referenzszenario erwähnten möglichen Standortvorteile noch leicht akzentuiert werden. In der Option REACH Minus würden derartige Wettbewerbsvorteile gegenüber der EU im Hinblick auf den Schweizer Binnenmarkt teilweise reduziert, blieben jedoch im Hinblick auf den Handel mit Drittländern intakt. In der Option REACH Schweiz entfielen sie vollständig.  Die im Referenzszenario bestehenden technischen Handelshemmnisse gegenüber der EU würden mit jeder der drei Optionen stärker abgebaut. Im Verhältnis zu Drittländern kann die Übernahme von REACH allerdings neue (oder zumindest andersartige) technische Handelshemmnisse zur Folge haben.

Rechtsetzung und Vollzug


Die Option PARCHEM Minus könnte ohne Gesetzesänderung durch eine Ände-rung der Chemikalienverordnung realisiert werden. Für die Realisierung der Optionen REACH Minus und REACH Schweiz müsste das Chemikaliengesetz wesentlich und das Umweltschutzgesetz geringfügig geändert werden. Die Chemikalienverordnung müsste total revidiert werden. Die übrigen Verordnungen des Chemikalienrechts müssten nur punktuell geändert werden. Im Fall von REACH Minus müsste aber für den Chemikalienhandel mit der EU bzw. mit Drittländern unterschiedliches – und daher insgesamt komplexeres – Recht geschaffen werden. Das Referenzszenario sieht grundsätzlich keine Rechtsänderungen vor. Allerdings wäre wohl auch bei einem politischen Grundsatzentscheid gegen die Anpassung an REACH zu prüfen, ob nicht dennoch gewisse schweizerische Bestimmungen (z.B. der Leitfaden für die Erstellung des Sicherheitsdatenblatts oder die Bestimmungen über die Stoffsicherheitsbeurteilung) mit den entsprechenden Bestimmungen in den Anhängen der REACH-Verordnung in Einklang gebracht werden sollten. Die Option PARCHEM Minus verursacht (wie auch das Referenzszenario) aufgrund weit gehend unveränderter Vollzugsaufgaben keine finanziellen und personellen Auswirkungen. Die zusätzlichen Vollzugskosten bei den Optionen REACH Minus und REACH Schweiz dürften sich in der Grössenordnung von jährlich 2 bis 3 Mio. Franken bewegen. Die Schätzungen stützen sich auf entsprechende Angaben für Grossbritannien ab und enthalten 10 bis 15 neue Stellen, die Ausgaben für Bewertungen von Chemikalien sowie einen finanziellen Beitrag an die europäische Chemikalienagentur in Helsinki.

Mögliche Umsetzungsschritte


Um Handelshemmnisse abzubauen und das gleiche Schutzniveau wie in der EU beizubehalten, ist eine erneute Revision des schweizerischen Chemikalienrechts notwendig. Darauf hat der Bundesrat in seiner Antwort auf verschiedene parlamentarische Vorstösse zu REACH hingewiesen. Vgl. u.a. Postulat Graf 06.3853 oder Anfrage Kohler 06.1160. Eine weit gehende Anpassung an die REACH-Verordnung würde das Schutzniveau insgesamt erhöhen und Handelshemmnisse vermeiden. Dazu wären Änderungen beim Chemikalien- und beim Umeltschutzgesetz notwendig, so zum Beispiel für die Anknüpfung der Prüf- und Registrierungspflicht an die Produktion anstelle des Inverkehrbringens, die Bewilligungspflicht für persistente Stoffe oder die REACH-kompatible Ausgestaltung der Kommunikationspflichten zwischen Herstellern und Verwendern von Stoffen. Der Zeitbedarf für diese Gesetzesanpassungen beträgt erfahrungsgemäss mehrere Jahre. Eine erste partielle Annäherung an REACH, mit welcher Handelshemmnisse bei Neustoffen abgebaut und das Schutzniveau bei gewissen alten Stoffen erhöht würde, liesse sich durch eine Änderung der Chemikalien- und der Chemikalien-Risikoreduktionsverordnung realisieren. In diesem Rahmen verwirklicht werden könnten beispielsweise die Flexibilisierung der Prüfanforderungen für Neustoffe, die in weniger als einer Tonne pro Jahr abgegeben werden, die Anforderungen an das Sicherheitsdatenblatt, REACH-kompatibel ausgestaltete Beurteilungspflichten für alte Stoffe im Rahmen der Selbstkontrolle, die fallweise Aufarbeitung ausgewählter besonders gefährlicher Altstoffe oder die Übernahme von Beschränkungen und Verboten mit den gleichen Dossiers wie in der EU.

Zusammenarbeit mit der EU


Im Vollzug von REACH spielt die europäische Chemikalienagentur in Helsinki bei der Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe eine zentrale Rolle. Wie die Studie zeigt, kann die Schweiz zentrale Elemente – wie insbesondere die generelle Aufbereitung der Altstoffe im Rahmen der Registrierungspflicht gemäss REACH – nur in enger Zusammenarbeit mit der EU bzw. der Chemikalienagentur vollziehen. Deshalb müssen die Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit der EU geklärt werden. Diese Gespräche beanspruchen Zeit und dürften die Entscheide der Schweiz, welche Elemente von REACH übernommen werden sollen, wesentlich beeinflussen. Bis anhin existiert kein Abkommen der Schweiz mit der EU, welches die Chemikalienpolitik auf einer gemeinsamen Basis reglementiert oder harmonisiert.  Unabhängig davon, ob eine Umsetzung von REACH in Etappen erfolgt oder nicht, kann die Schweiz die für die Umsetzung benötigte Zeit gut nutzen, um offene Fragen zu klären und die ersten Erfahrungen der EU mit dem Vollzug zu berücksichtigen.

Tabelle 1 «Referenzszenario und ausgewählte Optionen zur vertieften Untersuchung»

Tabelle 2 «Synthese zu den Auswirkungen der unterschiedlichen Optionen»

Kasten 1 «Die Grundzüge von REACH» In den Bereichen Umwelt und Gesundheit (sowohl öffentliche Gesundheit als auch Gesundheit am Arbeitsplatz) werden positive Auswirkungen von REACH erwartet. Mit REACH werden die Kenntnisse über Chemikalien als Auslöser oder Verstärker von Krankheiten zunehmen. Von den Massnahmen wird die Schweiz teilweise profitieren, u.a. weil die grosse Mehrheit der in der Schweiz in Verkehr gebrachten Stoffe aus der EU stammen. Ausserdem dürften die für den Export in die EU hergestellten REACH-konformen Stoffe und Zubereitungen vermehrt auch auf dem Schweizer Binnenmarkt angeboten werden. Im Bereich neuer Stoffe bedeutet der Status quo in der Schweiz ein höheres Schutzniveau als mit REACH.Der Anteil nicht aufgearbeiteter und in der EU nicht registrierter Altstoffe in der Schweiz dürfte sich ohne Anpassung an REACH bei ca. 15% einstellen. Schwer einzuschätzen ist, in welchem Umfang die durch REACH erzeugten Informationen über Stoffeigenschaften auch ohne rechtliche Verpflichtung ihren Weg zu nachgeschalteten Anwendern, Konsumenten und Behörden in der Schweiz finden und damit die Verwendung von Stoffen beeinflussen (sei es über Marktmechanismen oder durch staatliche Regulierung). Insgesamt ist zu befürchten, dass das Schutzniveau längerfristig hinter demjenigen der EU zurückbleibt. Die vollen positiven Auswirkungen von REACH auf Gesundheit und Umwelt ergeben sich in der Regel nur durch die Übernahme der entsprechenden Bestimmungen.Die Konsumentinnen und Konsumenten sind von REACH hauptsächlich über die Wirkungen auf die Gesundheit betroffen, welche sich aus geringeren negativen Nebenwirkungen von Produkten ergeben. Bei den Haupteigenschaften von Produkten sowie bei Preisen und Auswahl werden kaum nachteilige Entwicklungen erwartet.

Kasten 2 «Auswirkungen im Referenzszenario (PARCHEM Schweiz)» Unternehmen

Schweizer Unternehmen können ausschliesslich REACH-konforme Stoffe und Zubereitungen («Mischungen» chemischer Stoffe) in die EU liefern und aus der EU beziehen. Ersteres setzt die Einhaltung der Anforderungen von REACH voraus; Letzteres kann zum Wegfall einzelner bisher in der EU eingekaufter Stoffe führen. Grundsätzlich können solche Stoffe aber auch von ausserhalb der EU beschafft oder durch andere Stoffe substituiert werden. Die direkten Kosten, welche sich aus den Anforderungen im Zusammenhang mit der Regis-trierung und Zulassung ergeben, fallen vorwiegend bei der chemischen Industrie an. Die chemische Industrie rechnet mit rund 9000 Stoffen, welche unter REACH registriert werden müssen. Abgeleitet von Kostenschätzungen der EU und verschiedenen Annahmen, werden die direkten Kosten auf 196 bis 949 Mio. Franken über die 11 Jahre der stufenweisen Registrierung der Altstoffe geschätzt (ca. 18 bis 86 Mio. Franken pro Jahr). Die tiefere Schätzung ist eine Übertragung der EU-Schätzungen auf die Schweiz und geht davon aus, dass sich die Kosten proportional zum Umsatz der schweizerischen bzw. der europäischen chemischen Industrie verhalten. Die höhere Schätzung basiert auf der vermuteten Anzahl der zu registrierenden Stoffe und den geschätzten Kosten pro Registrierung. Wegen der engen Verflechtung der Stoffströme mit der EU gehen die befragten Unternehmen der chemischen Industrie davon aus, dass sie wesentliche Anforderungen von REACH (Tabelle 1, Elemente 2–4) für den schweizerischen Binnenmarkt und den Export in Drittländer auch ohne rechtliche Verpflichtung weit gehend erfüllen werden. Die indirekten Kosten durch die Bereinigung des Stoffportfolios (Wegfall und Substitution von Stoffen) betreffen sowohl die chemische Industrie wie auch nachgeschaltete Anwender. Sie sind schwer quantifizierbar, können aber sehr hoch sein und stellen deshalb für die nachgeschalteten Anwender potenziell die grösste Herausforderung dar. Die hohen Anforderungen von REACH an den Informationsstand der Unternehmen sind besonders für kleinere Unternehmen eine Herausforderung. Vorteilhaft für die KMU ist die Abstufung der Anforderungen nach Mengenschwellen.

Gesundheit und Umwelt

In den Bereichen Umwelt und Gesundheit (sowohl öffentliche Gesundheit als auch Gesundheit am Arbeitsplatz) werden positive Auswirkungen von REACH erwartet. Mit REACH werden die Kenntnisse über Chemikalien als Auslöser oder Verstärker von Krankheiten zunehmen. Von den Massnahmen wird die Schweiz teilweise profitieren, u.a. weil die grosse Mehrheit der in der Schweiz in Verkehr gebrachten Stoffe aus der EU stammen. Ausserdem dürften die für den Export in die EU hergestellten REACH-konformen Stoffe und Zubereitungen vermehrt auch auf dem Schweizer Binnenmarkt angeboten werden. Im Bereich neuer Stoffe bedeutet der Status quo in der Schweiz ein höheres Schutzniveau als mit REACH. Der Anteil nicht aufgearbeiteter und in der EU nicht registrierter Altstoffe in der Schweiz dürfte sich ohne Anpassung an REACH bei ca. 15% einstellen. Schwer einzuschätzen ist, in welchem Umfang die durch REACH erzeugten Informationen über Stoffeigenschaften auch ohne rechtliche Verpflichtung ihren Weg zu nachgeschalteten Anwendern, Konsumenten und Behörden in der Schweiz finden und damit die Verwendung von Stoffen beeinflussen (sei es über Marktmechanismen oder durch staatliche Regulierung). Insgesamt ist zu befürchten, dass das Schutzniveau längerfristig hinter demjenigen der EU zurückbleibt. Die vollen positiven Auswirkungen von REACH auf Gesundheit und Umwelt ergeben sich in der Regel nur durch die Übernahme der entsprechenden Bestimmungen. Die Konsumentinnen und Konsumenten sind von REACH hauptsächlich über die Wirkungen auf die Gesundheit betroffen, welche sich aus geringeren negativen Nebenwirkungen von Produkten ergeben. Bei den Haupteigenschaften von Produkten sowie bei Preisen und Auswahl werden kaum nachteilige Entwicklungen erwartet.

Volkswirtschaftliche Überlegungen

Gewisse Standortvorteile sind im Referenz-szenario denkbar, weil die Schweizer Industrie weiterhin nicht REACH-konforme Stoffe herstellen und ausserhalb der EU verkaufen könnte. Überdies können in der Schweiz grundsätzlich Fertigprodukte unter Verwendung von nicht REACH-konformen Stoffen hergestellt und in die EU exportiert werden, die im EU-Raum nicht mehr produziert werden können. Aufgrund der erneuten Unterschiede im Chemikalienrecht entstehen im Referenzszenario allerdings zusätzliche technische Handelshemmnisse im Verkehr mit der EU.

Kasten 3: Literatur – Bundesamt für Umwelt: Auswirkungen von REACH auf die Schweiz, Bern, 2007 (Download unter www.umwelt-schweiz.ch). – European Commission: REACH in Brief, September 2006. – European Commission: Regulation of the European Parliament and of the Council concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restrictions of Chemicals (Reach) – Extended Impact Assessment, SEC (2003) 1171, Brüssel, 29.10.2003. – Salamé, Françoise: Harmonisierung der schweizerischen Chemikaliengesetzgebung mit der EU, in: Die Volkswirtschaft 11-2005, S. 54-58. – Siegwart, Karine: Zur EU-Chemikalienpolitik (REACH) und deren Auswirkungen auf die Schweiz, in: Umweltrecht in der Praxis, 7-2006, S. 831-846.

Zitiervorschlag: Thomas Stadler, Alkuin Kölliker, (2007). Die neue EU-Chemikalienverordnung REACH: Schweizerische Handlungsoptionen und deren Auswirkungen. Die Volkswirtschaft, 01. November.