Harmonisierter Verbraucherpreisindex der Schweiz
Die Schweiz kennt seit 1922 den Landesindex der Konsumentenpreise, den das Bundesamt für Statistik (BFS) monatlich publiziert. Der Harmonisierte Verbraucherpreisindex (HVPI) wird seit Januar 1997 in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) sowie in den Efta-Ländern Norwegen und Island erstellt. Die beiden Indikatoren unterscheiden sich hauptsächlich im Erfassungsbereich und dadurch in der Gewichtung: Einerseits ist der Anteil der Ausgaben für das Wohnen im HVPI kleiner als im Landesindex; andererseits fallen die Ausgaben für «andere Waren und Dienstleistungen» im HVPI deutlich höher aus. Im Rahmen des Statistikabkommens mit der EU wird das BFS den HVPI ab 2008 ebenfalls publizieren.
Das im Rahmen der Bilateralen Verträge II mit der EU abgeschlossene Statistikabkommen sieht von Seiten der Schweiz vor, einen den europäischen Methoden entsprechenden Verbraucherpreisindex bereitzustellen. Der neue Indikator wird den bisher bestehenden Landesindex der Konsumentenpreise (LIK) ergänzen, nicht jedoch ersetzen. Der LIK wird durch die Publikation des HVPI nicht direkt beeinflusst und erscheint wie bisher auf monatlicher Basis.
Unterschiedliche Zielsetzung der Indikatoren
Der Landesindex der Konsumentenpreise misst die Teuerung der Konsumgüter und Dienstleistungen auf nationaler Ebene und ist daher einer der wichtigsten und am häufigsten gebrauchten Wirtschaftsindikatoren. Der LIK bildet weiterhin die zentrale Messgrösse für zahlreiche Anwendungen in unserem Land: Geldpolitik, Indexierung von Löhnen, Renten und anderen Geldwerten sowie Teuerungsbereinigung zur Ermittlung des realen Wirtschaftswachstums. Auch der HVPI dient der Inflationsmessung. Sein wichtigstes Ziel ist jedoch der Vergleich der Preisentwicklung zwischen verschiedenen Ländern im Zeitverlauf. Es handelt sich um ein international vergleichbares Teuerungsmass für die EU-Länder sowie für Norwegen und Island. Das Interesse richtet sich auf Aggregate von Ländergruppen. Der wichtigste Indikator ist dabei der Verbraucherpreisindex der Europäischen Währungsunion (VPI EWU). Dieser für die EU wie auch für die Schweiz wesentliche Index dient als Mass für das von der Europäischen Zentralbank verfolgte Ziel der Preisstabilität in der Eurozone. Dank dem HVPI wird die Schweiz ab 2008 über einen Indikator verfügen, der die Preisentwicklung der Konsumgüter und Dienstleistungen auf vergleichbarer Basis wie die anderen europäischen Länder misst. Diese Information ist sowohl für die Schweizerische Nationalbank (SNB) wie auch für die wirtschaftswissenschaftliche Forschung sehr wichtig. Zudem lässt sich künftig die Schweizer Inflation auf vergleichbarer Basis in die europäische Inflationsmessung einbringen.
Geschichtlicher Abriss
Um das Ziel der internationalen Vergleichbarkeit erreichen zu können, mussten in allen beteiligten Staaten Europas Indikatoren definiert werden, welche die Teuerung in vergleichbarer Weise messen. Ausgangspunkt war der Vertrag von Maastricht aus dem Jahr 1991, der die Voraussetzungen für die Harmonisierung geschaffen hat. Auf Grund der unterschiedlichen Verwendungszwecke blieben die nationalen Preisindizes weiter bestehen. Der auf europäischer Ebene vergleichbare Indikator wurde ergänzend dazu eingeführt. Am 7. März 1997 veröffentlichte das statistische Amt der Europäischen Union Eurostat den ersten Satz harmonisierter Verbraucherpreisindizes für die Mitgliedstaaten der EU sowie für Norwegen und Island. Die rechtlichen Grundlagen, welche die Vergleichbarkeit der Indizes sicherstellen, wurden seit 1995 in mehreren Etappen erarbeitet. Der HVPI gilt als vergleichbar, wenn er zwischen den Ländern lediglich unterschiedliche Preisänderungen oder Verbrauchsgewohnheiten widerspiegelt. Indizes, die auf Grund unterschiedlicher Konzepte, Methoden oder Verfahren voneinander abweichen, gelten als nicht vergleichbar. Zu Beginn diente der HVPI vor allem als Konvergenzkriterium für die Teilnahme an der Währungsunion. Seit deren Einführung im Jahr 1999 gilt er als Mass für die Preisstabilität in der Eurozone. Die Schweiz nimmt seit Jahren als Beobachterin an den Sitzungen der Eurostat-Arbeitsgruppe HVPI teil. Die offizielle Teilnahme der Schweiz am HVPI begann mit dem Inkrafttreten des bilateralen Statistikabkommens am 1.1.2007. Dieses sieht vor, dass auch die Schweiz einen HVPI publiziert, der den Reglementen von Eurostat entspricht. Ausgehend vom LIK müssen gewisse Anpassungen vorgenommen werden, die primär die Gewichtung und die Erhebungsperiodizität betreffen.
Gemeinsamkeiten zwischen LIK und HVPI
Der Landesindex ist in manchen Bereichen kompatibel mit den europäischen Regelungen für den HVPI. So sind sowohl LIK als auch HVPI Teuerungsindizes vom Typ Laspeyres. Dabei werden die Preisveränderungen auf der Basis konstanter Waren und Dienstleistungen gemessen. Die Gewichte erfahren jedes Jahr eine Erneuerung, um die sich ändernden Märkte und Konsumgewohnheiten möglichst schnell im Index zu erfassen. Auf dem Niveau der Elementaraggregate Es handelt sich um die tiefsten gewichteten Teilindizes, die direkt aus den erhobenen Preisreihen gebildet werden. berechnet der LIK die Indizes als Verhältnis der geometrischen Mittel, was mit den HVPI-Reglementen kompatibel ist. Die Waren und Dienstleistungen werden in beiden Indizes nach der international gebräuchlichen Klassifikation erfasst. Massgebend für den Erfassungsbereich sind – mit einigen Abweichungen – die Konsumausgaben entsprechend der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Sowohl LIK als auch HVPI beruhen auf den Preisen für Waren und Dienstleistungen, die zur direkten Befriedigung der Verbraucherbedürfnisse angeboten werden und auf monetären Transaktionen beruhen. Die wichtigste Ausnahme bildet das selbst genutzte Wohneigentum: Es wird wegen der schwierigen einheitlichen Erfassung in den strukturell unterschiedlichen Staaten Europas vorderhand im HVPI nicht erfasst. Der LIK hingegen berücksichtigt das selbst genutzte Wohneigentum implizit nach dem Prinzip der Mietäquivalenz. Das Prinzip der Mietäquivalenz beruht auf der Annahme, dass sich die Preise des selbst genutzten Wohneigentums gleich entwickeln wie die Mieten. Das Gewicht des durch ihre Eigentümer genutzten Wohneigentums wird berücksichtigt, für die Preismessung wird der Mietpreisindex herangezogen. Auch hinsichtlich der geltenden Preisdefinition gibt es kaum Unterschiede zwischen HVPI und LIK: In beiden Fällen ist der Anschaffungspreis für Produkte der Preis, den die Konsumentinnen und Konsumenten zum Zeitpunkt des Kaufes tatsächlich bezahlen. Dieser Preis schliesst Abgaben ebenso ein wie Mengenrabatte und allgemein zugängliche Preisnachlässe (Ausverkauf), nicht jedoch Beihilfen, Zinsen, Dienstleistungsentgelte für Kredite und Mahnungsgebühren. Der Zeitpunkt der Erhebungen ist zwischen Schweizer LIK und europäischem HVPI bisher leicht verschoben. Ab 2008 finden die Preiserhebungen für beide Schweizer Indikatoren in den ersten beiden Wochen des Monats statt. In dem Sinn werden die bisherigen Preiserhebungsperioden ab 2008 etwas verlängert oder verschoben. Der Zeitpunkt der Einbeziehung für Waren ist bei beiden Indikatoren in der Regel derjenige des Kaufs. Im Bereich der Dienstleistungen gibt es einen Unterschied bei den Flugtarifen und Pauschalreisen: Der LIK erfasst diese zum Zeitpunkt des Erwerbs und der HVPI zum Zeitpunkt, in dem der Konsum beginnen kann.
Der wichtigste Unterschied: Gewichtung
Weil sich der Erfassungsbereich zwischen den beiden Indizes grundsätzlich unterscheidet, fällt auch die Gewichtung unterschiedlich aus. Der Erfassungsbereich des LIK sind die Konsumausgaben der privaten Haushalte, die durch die in der Schweiz wohnhaften Personen in der Schweiz oder im Ausland getätigt werden. In den HVPI hingegen fliessen diejenigen Konsumausgaben ein, die private oder kollektive Haushalte ungeachtet von Nationalität oder Wohnsitzland auf dem Wirtschaftsgebiet der Schweiz tätigen. Mit der Festlegung des Erfassungsbereichs der Transaktionen auf das Wirtschaftsgebiet des Staates gilt für den HVPI das Inlandkonzept. Tourismusausgaben und Ausgaben aus dem kleinen Grenzverkehr sollen in dem Land erfasst werden, wo sie getätigt werden. Wenn italienische Touristen in der Schweiz tanken, sind diese Ausgaben im Schweizer HVPI zu erfassen. Kaufen hingegen in der Schweiz wohnhafte Personen in Italien ein, sind diese Ausgaben im Schweizer HVPI nicht zu erfassen. Für den LIK ist die Situation genau umgekehrt: Durch residente Schweizer im Ausland getätigte Ausgaben fliessen im Rahmen des Inländerkonzeptes in den LIK ein, Ausgaben auf dem Gebiet der Schweiz durch nicht hier wohnhafte Personen bleiben unberücksichtigt. Die Grafik 1 zeigt modellhaft die unterschiedlichen Erfassungsbereiche der beiden Indikatoren LIK und HVPI. Die entsprechenden Ausgaben sind die Grundlage für die Gewichtung der Waren und Dienstleistungen in den Indizes. Die Gewichtung des LIK beruht auf den Ergebnissen der Einkommens- und Verbrauchserhebung (EVE). Diese zeigt jedes Jahr, wie viel der durchschnittliche Schweizer Haushalt für die verschiedenen Ausgabenbereiche aufwendet. Für den HVPI ist die Situation komplizierter, da es keine umfassende Erhebung für die Konsumausgaben durch nichtresidente und kollektive Haushalte gibt. Die Gewichtung des HVPI wird für den Hauptteil der Ausgaben, die in der Schweiz wohnhafte Personen eben da vornehmen, ebenfalls auf die Ergebnisse der EVE zurückgreifen. Die Fremdenverkehrsbilanz liefert die wichtigsten Grundlagen für die Gewichtung der Ausgaben durch nicht in der Schweiz wohnhafte Personen. Für die Gewichtung der Konsumausgaben durch die Kollektivhaushalte schliesslich stehen die Resultate der Gesundheitsstatistik zur Verfügung. Das BFS hat für die Jahre 2003-2007 eine Modellrechnung durchgeführt, welche die wichtigsten Unterschiede zwischen der Gewichtung von LIK und HVPI zeigt (siehe Grafik 2): Einerseits ist der Anteil der Ausgaben für das Wohnen im HVPI kleiner als im LIK, da das selbst genutzte Wohneigentum im HVPI unberücksichtigt bleibt. Andererseits fallen die Ausgaben für «andere Waren und Dienstleistungen» im HVPI deutlich höher aus, da hier die privaten Ausgaben für Alters- und Behindertenheime ins Gewicht fallen.
Anpassung der Erhebungsperiodizität
Neben der unterschiedlichen Gewichtung zieht vor allem die unterschiedliche Erhebungsperiodizität Anpassungsbedarf nach sich. Bisher erfolgten die Preiserhebungen für den LIK entweder monatlich (frische Esswaren, Treibstoffe und Heizöl) oder quartalsweise (grösster Teil des Rests). Die einschlägigen Reglemente von Eurostat verlangen allerdings, dass die Preiserhebungen im Prinzip jeden Monat stattfinden sollen. Für einen erheblichen Teil des Warenkorbes müssen die Preiserhebungen daher ab 2008 monatlich stattfinden. Die zusätzlich erhobenen Preise fliessen sowohl in den HVPI als auch in den LIK ein, wodurch auch der LIK von den Monatserhebungen profitiert. Voraussichtliche Ausnahmen von dieser Regel sind die Wohnungsmieten, die Gruppe Bekleidung und Schuhe, die Möbel sowie die Bücher. Zudem finden die Erhebungen für bestimmte Dienstleistungen weiterhin aperiodisch statt (administrierte Preise, öffentlich bekannt gemachte Tarife). Diese Lösung hält sich so weit als möglich an die rechtlichen Vorgaben und ermöglicht es zugleich, in einigen problematischen Bereichen die Auskunftspersonen nicht übermässig zu belasten.
Resultate
Auf dem untersten Aggregationsniveau werden sich in der Regel keine Unterschiede zwischen LIK und HVPI zeigen, da die Datengrundlage für die beiden Indizes in den meisten Fällen die gleiche ist. Die Ausnahmen beruhen auf dem unterschiedlichen Erhebungsbereich sowie auf unterschiedlichen Erhebungsmethoden u.a. in folgenden Bereichen: – Alters- und Behindertenheime: Die privaten Konsumausgaben für Alters- und Behindertenheime werden im LIK nicht erfasst, da es sich um kollektive Haushalte handelt. Im HVPI sind sie dagegen zu erfassen. – Luftverkehr und Pauschalreisen: Die Flugtarife werden im LIK nach dem Akquisitionsprinzip erfasst und zum Zeitpunkt des Kaufes im Index berücksichtigt. Im HVPI gilt dagegen das Nutzungsprinzip, das die Erfassung im Index in dem Moment vorsieht, in dem der Konsum beginnen kann. – Finanzdienstleistungen: Dienstleistungen, die proportional zum Transaktionswert verrechnet werden, sind im HVPI im Gegensatz zum LIK zu erfassen. Auf allen aggregierten Niveaus werden die Indizes im HVPI aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung von denjenigen im LIK abweichen. Die Unterschiede dürften allerdings klein ausfallen und werden sich zu einem grossen Teil dadurch erklären, dass das selbst genutzte Wohneigentum im HVPI ausgeklammert bleibt. Die HVPI der anderen europäischen Länder werden mit der Basis 2005 = 100 publiziert. Da der Schweizer HVPI vorerst mit der Basis Dezember 2007 = 100 berechnet wird, bleiben die eigentlichen Indizes bis zur nächsten Neubasierung nicht direkt vergleichbar mit denjenigen der anderen Länder. Die monatliche Preisentwicklung steht indes ab 2008 für internationale Vergleiche zur Verfügung.
Ausblick
Die gegenwärtig gültigen Reglemente für den HVPI sind keineswegs als Endzustand zu betrachten. Weitere Vorgaben sind in den nächsten Jahren insbesondere in Bezug auf die saisonalen Güter und auf das selbst genutzte Wohneigentum zu erwarten. Auch hinsichtlich der Qualitätsanpassungen und der Stichprobenbildung sind neue Vorgaben nicht ausgeschlossen. Für den Schweizer HVPI werden daher von Fall zu Fall Anpassungen vorzunehmen sein. Der Schweizer HVPI wird ab Januar 2008 publiziert. Der Januar-Index wird ab Mitte Februar 2008 auf dem Portal des BFS ( www.ipc.bfs.admin.ch ) zu finden sein. Die Resultate der europäischen HVPI finden sich auf der entsprechenden Seite von Eurostat. Internet: www.epp.eurostat.ec.europa.eu/pls/portal/url/page/PGP_DS_HICP .
Grafik 1 «Konsumtypen: Grössenordnungen für HVPI und LIK, 2006»
Grafik 2 «Grobstruktur und Gewichtung der beiden Warenkörbe für 2007: LIK und Modell für den HVPI»
Tabelle 1 «Vergleich der Methoden von LIK und HVPI»
Tabelle 2 «Unterschiedliche Erfassungsbereiche von LIK und HVPI»
Zitiervorschlag: Paolino, Marcel; Herren, Hans Markus (2007). Harmonisierter Verbraucherpreisindex der Schweiz. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.