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E-Government und Entscheidungsprozesse: Das Waadtländer Modell für Bewilligungsverfahren

Die Entscheidungsprozesse im Bereich Baubewilligungen werden in der öffentlichen Verwaltung des Kantons Waadt durch E-Government unterstützt. Dadurch verbesserten sich sowohl die Produktivität als auch die Leistungsqualität. Konkret wurde ein Spezialportal geschaffen, über das derzeit rund 30 Arten von Verfahren und Dossiers abgewickelt werden. Die Verfahren wurden aufgrund ihrer Komplementarität, Ähnlichkeit und Analogie in Bezug auf die Bearbeitungslogik ausgewählt. Die Verwaltung dieser Verfahren wurde an eine bereichsübergreifend koordinierte Spezialeinheit delegiert. Das Portal bietet eine dynamische Plattform, welche die betroffenen Akteure einbezieht, die Formulare in elektronischer Form zur Verfügung stellt, die Daten der Entscheidungsprozesse verwaltet und die Kontrolle mittels relevanter Messgrössen ermöglicht.

Der Tätigkeit einer öffentlichen Verwaltung liegen komplexe interdisziplinäre Entscheidungsprozesse zugrunde. Bewilligungsverfahren spielen dabei im administrativen Dispositiv zur Koordination und Regulierung der Aktivitäten einer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Im Zusammenhang mit den jeweiligen Bestimmungen können diese Verfahren substanzielle administrative Kosten verursachen. Codoni D. und Wallart N., Administrative Entlastung in Europa mit Hilfe des Standardkostenmodells, in: Die Volkswirtschaft, 6-2007. E-Government (elektronische Verwaltung) scheint dabei ein bevorzugtes Instrument zur Verbesserung der internen Effizienz und zur Umsetzung administrativer Erleichterungen zu sein.

Baubewilligungen


Die Baubewilligung gehört zu den wichtigsten und komplexesten Entscheidungsprozessen, kommt doch bei diesem Verfahren eine ganze Palette von Gesetzen und Reglementen gleichzeitig zur Anwendung. Dieses administrativ aufwendige, aber wirtschaftlich wichtige Verfahren beeinflusst gemäss einer Studie auch die regionale Wettbewerbsfähigkeit. S. Vaterlaus und B. Simmons, Der Einfluss der Baubewilligungen und des Humankapitals auf die regionale Wettbewerbsfähigkeit, Mitteilungsblatt für Konjunkturfragen, 2/1998. In der Befragung, welche die Autoren dieser Studie durchführten, BAK Konjunkturforschung, Internationaler Benchmark Report, 1/1998. bewerteten die Unternehmen die Wichtigkeit der Baubewilligung mit 3 von 4 möglichen Punkten. Denselben Wert erhielten der Zugang zum EU-Binnenmarkt, der Anschluss ans Verkehrsnetz sowie die Verfügbarkeit von qualifizierten Fachkräften und Hochschulabsolventen. Dies erklärt, weshalb dieses Bewilligungsverfahren in der E-Government-Strategie Schweiz Eidgenössisches Finanzdepartement (EFD)/ISB, E-Government-Strategie Schweiz: Katalog priorisierter Vorhaben, Schweiz (Stand 15. September 2006). unter den prioritären Zielen genannt wird und weshalb dem Verfahren im Kanton Waadt schon früh eine hohe Priorität eingeräumt wurde. Angesichts der Optimierung, welche die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) in der Wertkette ermöglichen, Porter M.E und Millar V.E., How Information Gives You Competitive Advantages, Harvard Business Review, Juli-August 1985. drängte sich der Einsatz von IKT als wichtiges Instrument auf. Dadurch wird ein Prozessmanagement gewährleistet, welches der Komplexität und Bedeutung des Verfahrens gerecht wird. So gehört heute das Baubewilligungsverfahren zu den Verfahren, bei denen das E-Government am weitesten vorangeschritten ist. Praktisch alle Formulare und Unterlagen sind in elektronischer Form vorhanden. Sämtliche Etappen können von den betroffenen Akteuren – Projektbeauftragten, Gemeinden, kantonale Behörden, Öffentlichkeit und seit Kurzem das Eidg. Starkstrominspektorat (Esti Romandie) – online abgewickelt werden (siehe Grafik 1). Diese Integration ermöglicht es, das kantonale Gebäuderegister automatisch zu aktualisieren und die Daten an das Bundesamt für Statistik (BFS) weiterzugeben. In letzter Zeit wurden zusätzliche Leistungen für die Bevölkerung und die Fachpersonen aus diesem Bereich geschaffen. So kann man sich gemäss im Voraus festgelegter Kriterien automatisch per E-Mail über die publizierten Entscheide informieren lassen. Aufgrund der damit erzielten Zeiteinsparungen wird diese gebührenpflichtige Leistung immer häufiger in Anspruch genommen – sowohl von Privatpersonen als auch von Fachpersonen aus der Industrie, bei Banken oder von Immobilienverwaltungen zur Überwachung ihrer Liegenschaften. Zusammen mit entsprechenden organisatorischen Massnahmen hat das E-Government dazu beigetragen, dass die interne Produktivität in der Bewilligungszentrale des Kantons Waadt (Camac) erhöht und ein grösseres Arbeitsvolumen mit weniger Mitteln und personellen Ressourcen bewältigt werden kann (siehe Grafik 2). Die Bewilligungszentrale (Camac) konnte so zwei Vollzeitstellen einsparen und damit zu den Sparbemühungen der Verwaltung des Kantons Waadt beitragen.

Einheitlichere Bearbeitung der Bewilligungsverfahren


Die erfolgreiche Erfahrung mit der Baubewilligung wurde durch die Schaffung eines Spezialportals auch für andere Bewilligungsverfahren genutzt. Neben dem Grundkriterium, dass ein Mehrwert geschaffen wird, basiert die Wahl, welche Verfahren einbezogen werden sollten, auf den Kriterien Komplementarität, Ähnlichkeit und Analogie.

Kriterium Komplementarität


Die Bestimmung von komplementären Verfahren bedingt eine Analyse aller Etappen eines Baubewilligungsverfahrens. Dies ermöglicht es, die Schnittstellen zu bestimmen und den Informationsfluss mit anderen komplementären Verfahren zu koordinieren. Auf diese Weise lassen sich bei der Ausgabe von Bauoder Wohnbewilligungen automatisch die anderen damit zusammenhängenden Verfahren – wie Katastrierung, Eintragung des Gebäudes im Grundbuch oder Feuerversicherung – auslösen. Im Fall der Baubewilligung könnten die Gemeinden allein aufgrund ihrer Informationspflicht durch die Berücksichtigung dieser Komplementarität im Rahmen eines zentralen Portals Zehntausende von Papierdokumenten pro Jahr einsparen.

Kriterium Ähnlichkeit


Zur Bestimmung der Ähnlichkeit wurden die Verfahren analysiert, die im Gesamtkontext von Bauvorhaben eine Rolle spielen. Dazu gehören namentlich Bewilligungen mit Ähnlichkeiten in Bezug auf die Auswirkungen für Raumplanung und wirtschaftliche Entwicklung (Strasseninfrastruktur, Wasserversorgung, Installationen, Mobilität usw.).

Kriterium Analogie


Durch die Überprüfung des Kriteriums der Analogie konnte eine Anzahl von Verfahren einbezogen werden, die wesentliche analoge Elemente aufweisen, auch wenn sie nicht im gleichen Kontext auftreten. Ziel dieser Analyse ist es, das Portal zu optimieren und auf weitere, bezüglich Zweck und Ablauf vergleichbare administrative Verfahren zu erweitern. Ein Beispiel dafür sind Betriebsbewilligungen.

Ein spezielles Portal für Bewilligungsverfahren


Basierend auf diesen drei strukturierenden Kriterien sowie gestärkt durch eine mehrjährige Erfahrung mit E-Government im Bereich Baubewilligungen hat die Bewilligungszentrale Camac einen ersten Kern des Portals zur Verwaltung von Bewilligungsverfahren geschaffen (siehe Grafik 3). Die Camac fungiert dabei als Koordinations- und Integrationszentrale. Sie begleitet die interessierten Stellen bei der Standardisierung der Entscheidungsprozesse, indem sie diese zu Optimierungs- und Vereinfachungsmöglichkeiten berät. In einem nächsten Schritt integriert sie das betreffende Verfahren «industriell» in die zentrale Plattform. Falls der Informationsfluss auch Unterlagen auf Papier beinhaltet, stellt die Camac zudem ihre interne Logistik zur Verfügung. Derzeit verwaltet die Camac Bewilligungsverfahren von verschiedenen Stellen – so unter anderem zu Themen wie Raumplanung, Mobilität, Energie, Lärm, Strassenbau, Wasserversorgung und Katasteränderungen. Insgesamt bietet das Portal Zugang zu rund dreissig Verfahrensarten oder Dossiers.

Die Stärken dieses Ansatzes


Das Portal schafft einen dynamischen Verwaltungsrahmen rund um eine strukturierte Datenbank mittels elektronischer Formulare und standardisierter, vereinfachter Informationsflüsse. Es ermöglicht eine transparente, messbare Kontrolle mittels relevanter Messgrössen (Volumen, Fristen, Ressourcenbedarf usw.). Dies gewährleistet nicht nur eine kontinuierliche Leistungskontrolle, sondern auch eine Dynamik in Richtung einer ständigen Vereinfachung und Verbesserung. Das Portal erlaubt zudem: – die Verfahren zu überdenken und zu standardisieren, was zu mehr Transparenz und zu einer klaren Zuteilung der Rollen und Verantwortlichkeiten beiträgt; – unnötige Koordinationsebenen, die häufig auf eine unüberschaubare Verfahrensvielfalt zurückzuführen sind, aufzuheben, weil die Schnittstellen mit anderen Verfahren klar festgelegt werden müssen; – echte sektorübergreifende Entscheidungen zu treffen, unabhängig von funktionsbedingten administrativen Barrieren; – ein echtes Portfolio mit staatlichen Entscheidungsprozessen in Form eines standardisierten Qualitätshandbuchs zu erarbeiten; – die interne Effizienz und Koordination zu verbessern, indem der Informationsaustausch intensiviert, widersprüchliche Entscheidungen vermieden und einheitliche Entscheidungsinstrumente verwendet werden.

Grafik 1 «Baubewilligungsverfahren im Kanton Waadt»

Grafik 2 «Entwicklung Dossierzahl und interne Bearbeitungskapazität, 2001-2007»

Grafik 3 «Modell eines Spezialportals für Bewilligungsverfahren»

Kasten 1: E-Government und «Open Source» E-Government ist grundsätzlich umfassend und für einen möglichst grossen Personenkreis zugänglich. Oft haben es die Bürger jedoch mit Instrumenten und Applikationen zu tun, die in jedem Kanton oder jeder Gemeinde unterschiedlich sind. Diese für den schweizerischen Föderalismus charakteristische mangelnde Kohärenz entsteht insbesondere durch Schwierigkeiten bei Verwendung und Austausch von bestehenden Lösungen. Eine bessere Koordination sowie die kostengünstige (Gratis-)Verwendung sind deshalb notwendige Bedingungen. Die Schweizerische Informatikkonferenz (SIK) hat auf Antrag des Kantons Waadt einstimmig eine freie Softwarelizenz verabschiedet. Mit diesem wichtigen Schritt werden die Verbreitungsmöglichkeiten von E-Government und die Lesbarkeit des öffentlichen Handelns entscheidend verbessert. Das Camac-Portal wird diese Lizenz als eine der ersten Informatikanwendungen des Kantons Waadt in Anspruch nehmen.

Zitiervorschlag: Abdelilah Zertiti (2007). E-Government und Entscheidungsprozesse: Das Waadtländer Modell für Bewilligungsverfahren. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.