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Massnahmen zugunsten älterer Arbeitnehmender – Stand der Umsetzung

Vor zwei Jahren hat der Bundesrat ein Massnahmenpaket zugunsten der älteren Arbeitnehmenden beschlossen. Seither ist einiges an Umsetzungsarbeiten – für Schweizer Verhältnisse rasch – geleistet worden. Da die Revisionen auf verschiedene Botschaften verteilt sind, sind sie für aussenstehende Beobachter nur schwer als Massnahmenpaket erkennbar. Zudem ist es angesichts der Zersplitterung der Arbeiten auf verschiedene Bundesstellen schwierig, sich ein Bild der Fortschritte zu machen. Der vorliegende Artikel soll diese Lücke schliessen.

Vorgeschichte


Im Rahmen des Wachstumspaketes beauftragte der Bundesrat Ende 2005 die Verwaltung, Massnahmen zur Erhöhung der Partizipation älterer Arbeitnehmender umzusetzen. Diese waren vorgängig von Arbeitsgruppen des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements (EVD) und des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) ausgearbeitet worden. Sie beinhalteten die folgenden Stossrichtungen: Für eine Darstellung der Vorschläge vgl. Aeberhardt, Schläpfer (2006).  – Anreizneutrale Ausgestaltung der Sozialversicherungen; – Verbesserung der Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser in den Arbeitsmarkt; – Verbesserung der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Arbeitsfähigkeit und Arbeitsmotivation.  Ausgeklammert wurden Fragen der Weiterbildung, weil die Abstimmung über den Weiterbildungsartikel in der Bundesverfassung noch ausstand. Nachdem dieser am 21.Mai 2006 angenommen worden war, ist der Bund beauftragt, Grundsätze über die Weiterbildung festzulegen. Die Arbeiten an der Umsetzung dieses Auftrags sind voll im Gang.  Unabhängig davon standen grössere Revisionen in den betreffenden Bundesgesetzen an:  – Die 11. AHV-Revision befindet sich gegenwärtig in der parlamentarischen Beratung. – Die Strukturreform der beruflichen Vorsorge wurde vom Bundesrat verabschiedet. – Die Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (Avig) ist eingeleitet worden.  Die Aufteilung der Revisionsarbeiten auf verschiedene Botschaften erlaubte es, die entsprechenden Gesetzesänderungen rasch in die parlamentarische Beratung einzubrin-gen. Dieser Zeitgewinn musste allerdings dadurch «erkauft» werden, dass die Revisionen für Aussenstehende relativ unübersichtlich sind.

Anreizneutrale Ausgestaltung der Sozialversicherungen


Das schweizerische Drei-Säulen-System ist an sich in der Lage, die demografische Alterung zu meistern. Dies bestätigt die im internationalen Vergleich hohe Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmender. Somit besteht keine Notwendigkeit einer Neuausrichtung. Dagegen muss das Bestehende gezielt weiterentwickelt und den veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen angepasst werden. Anreizneutralität bedeutet, dass der Pensionierungszeitpunkt weder künstlich vorgezogen noch hinausgeschoben werden soll. Der Erwerbstätige soll nach Massgabe der Kosten und Erträge frei wählen können, wann und wie er aus dem Erwerbsleben ausscheiden will. Dabei stehen zwei Stossrichtungen im Vordergrund, die nachfolgend skizziert werden.

Flexiblere Arbeitszeitgestaltung im Alter


Unflexible Arbeitsmodelle und starre Regelungen in den Vorsorgeeinrichtungen fördern oft einen unnötig frühzeitigen Ausstieg aus der Erwerbstätigkeit. Die vorge-schlagenen Bestimmungen sollen den Ar-beitnehmenden ein breiteres Spektrum von Wahlmöglichkeiten eröffnen, um ihre Erwerbstätigkeit besser an ihr Leistungsvermögen und ihre Risikobereitschaft anzupassen (vgl. Tabelle 1): – Rentenvorbezug, Rentenaufschub: Durch den Einbezug der Option eines Rentenvorbezugs und -aufschubs ins Obligatorium sollen die Wahlmöglichkeiten beim Übergang in die Rente nicht nur den Privilegierten vorbehalten bleiben, sondern breit zugänglich sein. Damit verbunden ist die Erwartung, dass flexible Lösungen, die durchaus über das Rentenalter hinausgehen können, gegenüber einer vollen frühzeitigen Pensionierung an Bedeutung gewinnen. Setzt sich dieser Ansatz auf breiter Front durch, könnte die Qualität der letzten Jahre beruflicher Tätigkeit erhöht werden. Insgesamt dürfte die Massnahme beschäftigungsfördernd wirken.  – Weiterversicherung des bisherigen Verdienstes: Bei der Reduktion des Arbeitspensums oder der Übernahme einer weniger fordernden Tätigkeit vor der Pensionierung ist es neu möglich, den Rentenanspruch beizubehalten. Dies eröffnet für ältere Arbeitnehmende – anstelle einer frühzeitigen Pensionierung – Alternativen für eine Weiterbeschäftigung bis zum regulären Pensionierungsalter.

Finanzielle Anreize zur Weiterarbeit nach dem Pensionierungsalter


Da die Rentner in Zukunft zahlreicher, aktiver und gesünder sein werden, lohnt es sich, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass die Flexibilität nicht nur in Richtung einer vorgezogenen Pensionierung, sondern auch auf eine verlängerte berufliche Aktivität hinwirkt. Die vorgeschlagenen Änderungen gelten bis zu einer Altersgrenze von 70 Jahren.  Die Massnahmen machen allgemein ein Verbleiben im Erwerbsleben materiell attraktiv und wirken damit beschäftigungsfördernd. Weiter kommen sie dem Trend zu flexibleren Arbeitskarrieren entgegen. Die durch Erwerbsunterbrüche – wie etwa für eine Weiterbildung oder gar eine Neuausbildung – entstandenen Lücken in der Vorsorge können nach dem Pensionierungsalter ganz oder teilweise gefüllt werden. Dies gibt den Erwerbspersonen eine erheblich grössere Freiheit in der Lebensplanung.

Reintegration älterer Arbeitnehmender


Heute liegt zwar die Arbeitslosigkeit älterer Arbeitnehmender unter dem Durchschnitt und die Erwerbsbeteiligung gehört weltweit zu den höchsten, doch bekunden Stellensuchende nach 50 erhebliche Mühe, eine neue Stelle zu finden. Diese Problematik ist vielschichtig und muss daher von allen Beteiligten angepackt werden.  In der Revision des Avig werden Anpassungen vorgeschlagen, welche die Wiedereingliederung erleichtern sollen (vgl. Tabelle 2). Der Erfolg der Reintegration älterer Stellensuchender wird aber in erster Linie von einer zielgerichteten Weiterentwicklung des Vollzugs abhängen. Es handelt sich dabei um einen Prozess über mehrere Jahre, der erst gerade einsetzt und mit dem wachsenden Anteil älterer Arbeitnehmender an Bedeutung gewinnen wird. Weil die künftigen Problembereiche nicht sicher vorausgesagt werden können, sollen nicht Massnahmen «auf Vorrat» entwickelt werden. Es geht vielmehr darum, die Bedingungen dahingehend zu verbessern, dass Probleme rasch erkannt und gelöst werden können. Das heutige dezent-rale System, welches einen regen Erfahrungsaustausch zwischen den Vollzugstellen im Rahmen des Verbandes Schweizerischer Arbeitsämter begünstigt, ist dafür bestens geeignet.  Dieser Prozess soll wissenschaftlich unterstützt werden. Das Seco wird dem Ausgleichsfonds der Arbeitslosenversicherung im neuen Forschungskonzept eine Akzentsetzung in Richtung Wiedereingliederung älterer Arbeitnehmender vorschlagen. Diese Untersuchungen könnten den kantonalen Vollzugsbehörden konkrete Angaben über die zu wählenden Mittel, die zielführenden Strukturen und die bewährtesten Strategien liefern. Insgesamt kann festgehalten werden, dass der Anpassungsprozess des Vollzugs schrittweise in Gang kommt. Die Bedingungen für eine rasche und zielgerichtete Reaktion auf Probleme älterer Arbeitnehmender sind deshalb günstig.

Arbeitsbedingungen und Gesundheit


Die Massnahmen in diesem Bereich zielen darauf ab, die Produktivität der älteren Arbeitnehmenden zu fördern und zu erhalten. Einerseits sollen die Arbeitsbedingungen so ausgestaltet werden, dass die Arbeitsfähigkeit und -motivation über das ganze Erwerbsleben hinweg möglichst wenig absinken. Anderseits müssen die Leistungsanforderungen so gesetzt werden, dass sie langfristig erfüllt werden können (altersgerechte Arbeitsplätze). Weiter sind mancherorts Fehlmeinungen gegenüber älteren Arbeitskräften zu korrigieren und deren Stärken hervorzuheben.  Eine gemischte Arbeitsgruppe EVD/EDI schlug 2005 auf der geltenden gesetzlichen Grundlage ein Programm zugunsten älterer Arbeitnehmender vor. Dieses stützte sich auf internationale Studien und Erfahrungen ab und orientierte sich am finnischen nationalen Programm. Mit einer breit angelegten Kampagne über 5 Jahre und verschiedenen Begleitmassnahmen sollte eine Push-Pull-Strategie verfolgt werden. Nähere Abklärungen haben aber gezeigt, dass eine Kampagne nach finnischem Vorbild – nicht zuletzt aus finanziellen Gründen – in der Schweiz nicht realisierbar ist, weshalb sich die verantwortlichen Bundesstellen auf ein stärker fokussiertes Vorgehen festgelegt haben. Zu diesem Zweck wurde eine Bestandesaufnahme mittels zweier wissenschaftlicher Studien über die Arbeitsfähigkeit und Integration der älteren Arbeitskräfte in der Schweiz erstellt. Diese beiden Studien werden im Dossier des vorliegenden Hefts vorgestellt.  Gegenwärtig wird ein redimensioniertes Programm «Arbeitsbedingungen und Gesundheit» entwickelt, mit folgenden Zielen: – Weniger unfreiwillige vorzeitige Altersrücktritte aus dem Erwerbsleben aus Gründen der Gesundheit oder Demotivation; – Betriebe – insbesondere KMU – werden sensibilisiert und im Bestreben unterstützt, die Gesundheit und Arbeitsfähigkeit ihrer Beschäftigten in allen Phasen ihres Erwerbslebens zu erhalten.  Zu den Massnahmen gehört auch das Aufzeigen von Beispielen guter betrieblicher Präventions- und Förderungspraxis. Die Sensibilisierung und Unterstützung von Führungskräften, HR-Beauftragten und Mitarbeitenden via Berufsschulen, Sozialpartner sowie Berufs- und Branchenverbände erfordert die Unterstützung und Mitwirkung der Sozialpartner, betroffener Behörden und Nichtregierungsorganisationen. Für den betrieblichen Gesundheitsschutz existieren bereits Strukturen, Programme, Informations- und Arbeitsmittel sowie Weiterbildungsangebote. Die vorgeschlagenen Massnahmen integrieren möglichst umfassend die Aktivitäten und Angebote nationaler sowie internationaler Organisationen und ergänzen diese möglichst redundanzfrei.

Ausblick


Betreffend die anreizneutrale Ausgestaltung der Sozialversicherungen liegt der Ball gegenwärtig beim Parlament. Die Zeichen stehen gut, dass die vorgeschlagene Weiterentwicklung der Vorsorgewerke ohne grosse Abstriche realisiert werden kann. Die Sensibilisierung der Unternehmen ist bereits weit fortgeschritten. Die Spitzenverbände sind mit entsprechenden Massnahmen aktiv geworden. Letztlich ist es die Wirtschaft, welche die Hauptlast der Anpassungen zu tragen hat. Das geplante Programm «Arbeitsbedingungen und Gesundheit» wird sie darin unterstützen. Das Magazin «Die Volkswirtschaft» wird regelmässig über den Fortschritt der Arbeiten informieren.

Tabelle 1 «Änderungen bei den Vorsorgeeinrichtungen»

Tabelle 2 «Weiterarbeit nach der Pensionierung»

Kasten 1: Informationen (Auswahl) – www.seco.admin.ch , Rubriken «Themen», «Arbeit», «ältere Arbeitnehmer».- Aeberhardt, W., Schläpfer, M., Ältere Arbeitnehmende und Wirtschaftswachstum, in: Die Volkswirtschaft 04-2006, S. 4-7.- Clemens W., Höpflinger F., Winkler R. (Hrsg.), Arbeit in späteren Lebensjahren – Sackgassen, Perspektiven, Visionen. Bern: Haupt, 2005.- Cranach, M. von, Schneider, H.-D., Ulich E., Winkler R. (Hrsg.), Ältere Menschen im Unternehmen – Chancen, Risiken. Modelle, Bern: Haupt, 2004.- Ilmarinen J., Towards a Longer Worklife – Ageing and the Quality of Worklife in the European Union. Helsinki: Finnish Institute for Occupational Health, 2006.- Reday-Mulvey G., Working Beyond 60 – Key Policies and Practices in Europe. Houndmills: Palgrave Macmillan, 2005.- Schweizerischer Arbeitgeberverband (Hrsg.), Altersstrategie. 2006.

Zitiervorschlag: Werner Aeberhardt (2008). Massnahmen zugunsten älterer Arbeitnehmender – Stand der Umsetzung. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.