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Dynamische Veränderungen im Standortwettbewerb

Die rasche Globalisierung aller Märkte verändert den Standortwettbewerb grundlegend. Wir erleben eine weltwirtschaftliche Umwälzung, die tiefgreifender und rascher vor sich geht, als selbst die mutigsten Zukunftsforscher voraussagten. Die weltweiten Investitionsströme verlagern sich zugunsten der Schwellenländer mit den BRIC-Ländern an der Spitze. Die Machtverhältnisse auf den Finanzmärkten verschieben sich dramatisch. Der Aufbau modernster Cluster für Finanzdienstleistungen - beispielsweise in Dubai, Singapur und Shanghai mit Beteiligung der europäischen und amerikanischen Spitzeninstitute - geschieht rasch und konsequent. Längst bekannt ist die kontinuierliche Verlagerung industrieller Investitionen von den OECD-Ländern in Richtung der aufstrebenden Märkte. Die Verschärfung und qualitative Veränderung des weltweiten Standortwettbewerbs fordert die Schweiz heraus.

 

Welche Faktoren werden im Vergleich zu früher wichtiger für ein kleines, international hoch vernetztes und rohstoffarmes Land wie die Schweiz? – Zuerst die Stärkung von Forschung und Bildung als Fundamente der Innovationskraft. Von elementarer Bedeutung sind attraktive und gleichzeitig berechenbare Rahmenbedingungen für den Forschungsplatz Schweiz. Talente müssen erkannt und gefördert werden: Sie sind der unerlässliche Nährboden für ausserordentliche Leistungen von weltweiter Konkurrenzkraft. Talente aus dem Ausland sollen nicht nur ihre Ausbildung in der Schweiz absolvieren, sondern der Schweiz auf lange Frist erhalten bleiben. Konkret gefordert sind – neben der eidgenössischen und kantonalen Politik – die Bildungsinstitutionen selbst. Universitäten, Fachhochschulen und Berufsschulen müssen die Qualität ihrer Leistungen permanent weiterentwickeln und zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf die Anforderungen der Praxis ausrichten. Die Hochschullandschaft Schweiz braucht mehr Wettbewerb, um international bestehen zu können. Die Kooperation zwischen Bildungseinrichtungen und der Privatwirtschaft kann und muss wesentlich verbessert werden. Weniger als 8% der Extramuros-Forschung der schweizerischen Privatwirtschaft wird an schweizerische Universitäten und Fachhochschulen vergeben – mit abnehmender Tendenz! Privatwirtschaftliche Akteure können der universitären Forschung wichtige Impulse verleihen. Umgekehrt kann Wissen, das an öffentlichen Forschungseinrichtungen erarbeitet wurde, wirtschaftlich erfolgreich auf den Markt gebracht werden. Die Promotion von Spinoff-Unternehmen kann deutlich verstärkt werden. – Die heute bestehende Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt ist von grösster Bedeutung für die zukünftige Attraktivität der Schweiz. Diese umfasst auch die Personenfreizügigkeit im europäischen Kontext sowie die Rahmenbedingungen für internationale Talente in Forschung, Entwicklung und Bildung. – Berechenbarkeit, Planbarkeit und Zuverlässigkeit sind Faktoren, die im stets härter und globaler werdenden Standortwettbewerb von zunehmender Bedeutung sind. Diese Faktoren basieren auf traditionellen schweizerischen Werten; sie können und müssen für die Zukunft weiterentwickelt werden. Grundsätzlich geht es um die Glaubwürdigkeit der politischen Rahmenbedingungen, der Institutionen und der Spielregeln für wirtschaftliches Handeln in der Schweiz. Im Kontext des immer enger zusammenwachsenden Wirtschaftsraums Europa steht die Schweiz als Nicht-Mitglied der Europäischen Union diesbezüglich vor besonderen Herausforderungen.

Entscheidend ist die mentale Fitness


Der Handlungsbedarf zur Sicherung der Attraktivität des Standorts Schweiz ist vielfältig. Ob die nötige Weiterentwicklung gelingt, hängt in entscheidendem Mass von unserer mentalen Fitness ab, die Schweiz als kleines, kräftiges Ganzes im dynamischen weltwirtschaftlichen Prozess zu verstehen. Politische und kulturelle Vielfalt wird nur bestehen bleiben, wenn wirtschaftlich die gesamtschweizerische Karte gezückt und kantonaler Wettbewerb als «Hefe im Teig» der gesamtschweizerischen Attraktivität gelebt wird. Einmaligkeit ergibt sich nicht aus Nachahmung, sondern aus der Kombination von innerer kultureller Vielfalt und internationaler multikultureller Fähigkeit. Die so verstandene Swissness im Auftritt und die gemeinsame Verhandlungsposition im internationalen Poker sind wichtig für den Erfolg in der Zukunft. Ist die Schweiz fit für den weltweiten Standortwettbewerb? Ja – aber nur, falls sie neben ihren Chancen im wirtschaftlichen Wettbewerb auch die entsprechenden Risiken erkennt. Die Schweiz muss deshalb ihre vielfältigen, jedoch zu zerstreuten Energien bündeln – im Sinne einer echten, kräftigen Strategie und Positionierung.

Zitiervorschlag: Ernst A. Brugger (2008). Dynamische Veränderungen im Standortwettbewerb. Die Volkswirtschaft, 01. März.