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Wie die Schweiz den schwierigen Wettkampf um die Gunst der multinationalen Unternehmen gewinnen kann

Die multinationalen Firmen spielen eine herausragende Rolle in der Schweizer Wirtschaft. Die Entwicklung dieser so genannten «Multinationals» weist eine hohe Dynamik aus mit grossen Gewinnen, aber auch grossen Verlusten. Die Schweiz ist zwar heute als Standort für solche Unternehmen im Vergleich zu anderen Standorten stark. Doch während unsere Wettbewerber stark aufrüsten, droht die Schweiz rasch an Boden zu verlieren. Eine Studie, deren Resultate in diesem Artikel präsentiert werden, zeigt diese Dynamik auf und schlägt fünf Stossrichtungen für den erfolgreichen Standortwettbewerb vor.

 

Multinationale Firmen – im weiteren Multinationals genannt – sind äusserst wichtig für die Schweizer Wirtschaft (zur Definition siehe Kasten 1 Der vorliegende Artikel basiert auf einer gemeinsamen Studie der Swiss-American Chamber of Commerce und The Boston Consulting Group. Die Studie umfasst quantitative Analysen, eine Web-basierte Umfrage mit über 100 Multinationals und intensive Interviews mit zwei Dutzend Wirtschaftsführern.In dieser Studie werden Multinationals definiert als Firmen mit Operationen in der Schweiz, die im Ausland mindestens 25% der Umsätze generieren und (kumulativ) 25% der Mitarbeitenden beschäftigen, unabhängig von Grösse oder Nationalität der Firmen. Die detaillierten Quellenangaben und Definitionen sind in der Studie vermerkt. Die Studie kann bezogen werden unter www.amcham.ch oder bei martin.naville@amcham.ch.). Im Jahr 2004 erwirtschafteten sie zusammen 34% des gesamten Schweizer Bruttoinlandprodukts (BIP). Dabei entfielen 10% auf ausländische und 24% auf schweizerische Unternehmen. Gleichzeitig werden die Multinationals durch die zunehmende Globalisierung immer flexibler. Sie zeichnen sich unter anderem durch folgende Eigenschaften aus: – Sie verfügen über immer grössere Erfahrung im Management einer globalen Firmenstruktur. – Sie sind mehr und mehr in der Lage, einzelne Geschäftsbereiche weltweit zu verschieben. – Der internationale Wettbewerbsdruck zwingt sie, ihren weltweiten Standortmix immer wieder neu zu optimieren.  Diese Entwicklung bietet der Schweiz die Chance, neue Unternehmen oder zusätzliche Geschäftsbereiche von bereits in der Schweiz tätigen Unternehmen anzuziehen. Gleichzeitig wächst aber auch die Gefahr, Unternehmen oder einzelne Geschäftsbereiche an andere Standorte zu verlieren. Folglich ist es von zentraler Bedeutung, dass sich die Schweiz weiterhin mit allen Mitteln sowohl um schweizerische als auch um ausländische Multinationals bemüht. Insgesamt stehen heute 34% des Schweizer BIP auf dem Spiel; darüber hinaus besteht ein bedeutendes Potenzial.

Ausländische Multinationals zieht es in die Schweiz…


Bei der Standortwahl stützen sich Multinationals immer wieder auf die gleichen Kriterien: Arbeitskosten, Zugang zu den grossen Märkten, politische Stabilität, steuerliches Umfeld, Qualität der Infrastruktur und ein Know-how-freundliches Umfeld, das Aus- und Weiterbildung fördert sowie Innovationen schützt. Ausländische Multinationals kommen aus spezifischen Gründen in die Schweiz: Verfügbarkeit von qualifizier-ten Arbeitskräften, ausgewogene Steuerbelastung, hohe Lebensqualität, solide Infrastruktur und ein stabiles politisches Umfeld. Ihr Anteil an Beschäftigung und BIP hat zwischen 2000 und 2004 mit einem jährlichen Wachstum von 3% bzw. 5% stark zugenommen.

…während Schweizer Multinationals Tätigkeiten auslagern


Anders sieht es bei den Schweizer Multinationals aus. Sie verschieben Teile ihrer Wertschöpfung ins Ausland, und dies vornehmlich aus drei Gründen: Zugang zu grossen Märkten, Verfügbarkeit von günstigen Arbeitskräften und besserer Zugang zu hervorragend ausgebildetem Personal. Low-cost-Funktionen – wie Shared Services – und Produktionstätigkeiten, die einen geringen Mehrwert schaffen – so genanntes Low-value-added Manufacturing -, werden nach Indien, China und in einige Länder Osteuropas ausgelagert. Aber auch andere Geschäftsbereiche und zunehmend höher qualifizierte Tätigkeiten werden verlagert. So wurden beispielsweise F&E-Aktivitäten in die USA, nach Deutschland oder China ausgelagert, weil diese Länder dafür ein besseres Umfeld bieten, insbesondere was die Verfügbarkeit von spezialisierten Arbeitskräften und die entsprechende Infrastruktur anbelangt. In der Schweiz herrscht Knappheit an spezialisierten Arbeitskräften wie Ingenieuren und Wissenschaftlern – ein gefährlicher Trend für die Schweizer Volkswirtschaft.  Aufgrund dieser Entwicklung sind sowohl der Anteil der schweizerischen Multinationals am BIP als auch ihr Anteil an der Gesamtbeschäftigung zwischen 2000 und 2004 um 2,4% pro Jahr zurückgegangen (siehe Grafik 1). In der gleichen Zeitspanne haben die rein schweizerischen Unternehmen, die für die übrigen 66% des BIP sorgen, ihren Anteil erhöht. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der öffentliche Sektor beinahe die Hälfte zu diesem Wachstum beiträgt. Der übrige Anteil wurde hauptsächlich von Finanzdienstleistern und Versicherungsgesellschaften generiert, die stark von den Entwicklungen auf den internationalen Finanzmärkten abhängig sind.

Der Standortwettbewerb verschärft sich


In den letzten zehn Jahren hat sich der Wettbewerb der Länder um die Multinationals verschärft. Die zehn führenden Nationen im Standortwettbewerb sind in den letzen Jahren deutlich näher zusammengerückt. Die Entwicklung des Global Competitive Index des World Economic Forum (WEF GCI) zeigt dies auf eindrückliche Weise. Die Schweiz konnte – absolut und relativ gesehen – ihre Position ständig verbessern und belegte 2006 den 1. Rang. Das ist eine eindrucksvolle Leistung. Trotzdem schneidet die Schweiz bei einigen für die Ansiedlung von Multinationals wesentlichen Unterkategorien schlecht ab, beispielsweise bei den Formalitäten zur Anstellung von ausländischen Arbeitskräften, bei Handelshemmnissen und bei der «Ease of Doing Business». Während das WEF die Schweiz an die Spitze setzt, sehen andere Studien mit ähnlichen Ranglisten, aber unterschiedlichen Schwerpunkten die Eidgenossenschaft lediglich rund auf dem zehnten Rang, hinter wichtigen europäischen Konkurrenten wie Irland oder den Niederlanden.  Die Schweiz darf sich nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen, denn die internationale Konkurrenz wird immer stärker. Andere Standorte gewinnen an Attraktivität und werben aktiver um die immer mobileren Multinationals.

Standort Schweiz mit vielen Stärken, aber auch Schwächen


Eine Umfrage bei mehr als 100 Multinationals, die heute mit grossen Operationen in der Schweiz tätig sind, zeigt deutliche Stärken und Schwächen des Standorts Schweiz. So werden Stärken wie Lebensqualität, Sicherheit, politische Stabilität, Unternehmenssteuersatz, liberaler Arbeitsmarkt und die hoch qualifizierten Arbeitskräfte klar erkannt. Gleichzeitig aber werden auch klare Schwächen der Schweiz im Vergleich zu alternativen Standorten beschrieben: Verfügbarkeit und Flexibilität von qualifizierten Arbeitnehmenden, Anzahl internationaler Flüge, Komplexität der Besteuerung, Unterstützung durch die Behörden, Arbeitserlaubnisse und das Vorhandensein relevanter Industriecluster. Weitere wichtige Defizite werden bei Qualität und Quantität internationaler Ausbildungsinstitute und bei der Besteuerung natürlicher Personen – d.h. einzelne Arbeitnehmende – erwähnt.

Fünf entscheidende Massnahmenpakete


Aus dem Stärken-Schwächen-Profil des Standorts Schweiz hat die Studie fünf Bereiche identifiziert, in denen die Schweiz aktiv werden muss. Nur so kann sie ihre Wettbewerbsfähigkeit erhalten und für Schweizer und ausländische Multinationals attraktiv bleiben.

Bei den Steuern wettbewerbsfähig bleiben


Für die meisten Multinationals sind die Steuern bereits zu Beginn einer Standortüberprüfung ein Knockout-Kriterium. Im weiteren Verlauf des Evaluationsprozesses werden andere Faktoren entscheidender. Über ständige Reformen muss die gesamte Steuerbelastung der Multinationals in der Schweiz mit den besten Alternativländern wettbewerbsfähig bleiben. Negative Entwicklungen würden rasch zu Vertrauensverlust und Verschiebung der Wertschöpfung führen.

Arbeitserlaubnis für hoch qualifizierte und spezialisierte ausländische Arbeitskräfte erleichtern


Dies wird immer wichtiger, weil sich der Wettbewerb um hoch qualifizierte und spezialisierte Arbeitskräfte verschärft – insbesondere dann, wenn sich in der Schweiz weiterhin zusätzliche ausländische Multinationals ansiedeln. Natürlich setzt jede Neuregelung in diesem Bereich eine ganzheitliche Betrachtung der Einwanderungspolitik voraus. Ausschlaggebend wird ein differenzierter Ansatz sein, der sowohl auf die Bedürfnisse der Wirtschaft wie auch auf humanitäre Anliegen eingeht. Gerade im Bereich der Ausbildung sind grössere Anstrengungen notwendig, um den heimischen Know-how-Pool zu verbessern.

Einheitliche Schnittstelle der Kantone gegenüber Multinationals einrichten


Damit soll verhindert werden, dass Multinationals mit widersprüchlichen Informationen konfrontiert werden. Heute sind weit über die Hälfte der Geschäftsleitungen der Multinationals Ausländer, welche die einzigartigen politischen Strukturen der Schweiz (kein Regierungschef, dreistufiger Föderalismus mit Übergewicht in den unteren Stufen) kaum verstehen. Mehr Transparenz und zentral auf Bundesebene angesiedelte Problem-Lösungshilfen sind zwingend nötig. Gleichzeitig sollen die dezentralen, effizienten und massgeschneiderten Dienstleistungen, welche die einzelnen Kantone heute erbringen, weitergeführt werden.

Kapazitätsschwächen bei der Infrastruktur angehen


Mit der zunehmenden Globalisierung wächst auch das Bedürfnis der Multinationals nach ungehindertem Austausch von Gütern und Personen zwischen den wichtigsten Standorten. Diese Anforderung kann erfüllt werden, wenn die entsprechende Infrastruktur zur Verfügung steht. Das heisst: bessere Flugverbindungen aus den drei internationalen Flughäfen, bessere öffentliche IT-Infrastruktur (die Schweiz liegt hier zurzeit auf dem 9. Rang im WEF Global Information Technology Index), weniger administrative Hürden und besserer Zugang zu internationalen Schulen für Kinder von Führungskräften und Spezialisten.

Kommunikationsmassnahmen des Standorts Schweiz weiterführen und verstärken


Die Schweiz müsste als bester Platz für internationale Geschäftstätigkeiten etabliert und diese Aussage in aller Deutlichkeit und einheitlich kommuniziert werden. Die erfolgreiche nationale Marketing-Kampagne für die touristische Schweiz als «Heidiland» dient als gutes Beispiel dafür, wie die Regierung eine stimmige Aussage zur Vermarktung des Business-Standorts Schweiz kreieren könnte. Heute besteht jedoch ein krasses Ungleichgewicht: Die Schweizer Tourismuswerbung hat 25-mal und die kantonalen Wirtschaftsförderer 15-mal mehr Mittel als die Promotion der Schweiz als «Best Place to do Business».

Fazit


Die Schweiz befindet sich in einer ausgezeichneten Ausgangslage und verfügt über ein riesiges Potenzial, um gestärkt aus dem Rennen um den besten Wirtschaftsstandort hervorzugehen. Darüber hinaus geniesst sie den Goodwill von CEOs und weiteren wichtigen Entscheidungsträgern. Dennoch ist es ungewiss, ob die Schweiz ihre Chance wirklich ergreifen wird. Sollte sie sich diese Möglichkeit entgehen lassen, wäre dies mit grossen Risiken verbunden. Ohne massive Anstrengungen könnte ein bedeutender Anteil der Wertschöpfung multinationaler Unternehmen in den nächsten 10 bis 15 Jahren in andere Länder abwandern.

Grafik 1 «Globalisierung verlangt eine neue Sicht auf die Wirtschaft»

Grafik 2 «Stärken und Schwächen der Schweiz»

Kasten 1: Quellen und Definition Der vorliegende Artikel basiert auf einer gemeinsamen Studie der Swiss-American Chamber of Commerce und The Boston Consulting Group. Die Studie umfasst quantitative Analysen, eine Web-basierte Umfrage mit über 100 Multinationals und intensive Interviews mit zwei Dutzend Wirtschaftsführern.In dieser Studie werden Multinationals definiert als Firmen mit Operationen in der Schweiz, die im Ausland mindestens 25% der Umsätze generieren und (kumulativ) 25% der Mitarbeitenden beschäftigen, unabhängig von Grösse oder Nationalität der Firmen. Die detaillierten Quellenangaben und Definitionen sind in der Studie vermerkt. Die Studie kann bezogen werden unter www.amcham.ch oder bei martin.naville@amcham.ch.

Zitiervorschlag: Martin Naville, Pia Tischhauser, (2008). Wie die Schweiz den schwierigen Wettkampf um die Gunst der multinationalen Unternehmen gewinnen kann. Die Volkswirtschaft, 01. März.