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Aktienrechtsrevision und Corporate Governance

Ein Hauptziel der Revision des Aktienrechts ist die Verbesserung der Corporate Governance der Aktiengesellschaften. Die Schweiz nimmt in diesem Bereich bereits heute einen Spitzenplatz ein. Im internationalen Standortwettbewerb ist es entscheidend, dass unser Land für unternehmerische Aktivitäten möglichst flexible und kostengünstige Instrumente zur Verfügung stellt und eine breitere Palette von Handlungsmöglichkeiten bereithält. Da im Bereich der Corporate Governance die flexiblen Mechanismen der Selbstregulierung spielen, ist beim Erlass von neuen staatlichen Vorschriften Zurückhaltung zu üben.



In der Schweiz sind seit 2002 zwei Selbstregulierungswerke in Kraft: Der Swiss Code of Best Practice for Corporate Governance Der Swiss Code sowie der Anhang I sind abrufbar unter www.economiesuisse.ch . von Economiesuisse und die von der Schweizer Börse erlassene SWX-Richtlinie Mit Inkrafttreten der Transparenzvorlage werden wesentliche Punkte dieser Richtlinie im OR geregelt. . Während Letztere von den kotierten Unternehmen Informationen über bestimmte Aspekte der Corporate Governance zwingend verlangt, wendet sich der Swiss Code im Sinne von Empfehlungen an schweizerische Publikumsgesellschaften. Viele seiner Grundsätze haben inhaltlich auch für die übrigen Aktiengesellschaften als Anregung praktische Bedeutung. Träger des Swiss Code ist Economiesuisse als Verband der Schweizer Unternehmen aller Grössenordnungen und Branchen. Weitere Organisationen unterstützen den Swiss Code sowie auch den mittlerweile verabschiedeten Anhang I zu den Entschädigungen. Diese Selbstregulierung hat nach internationalen Urteilen zu einem Quantensprung in der Corporate Governance in der Schweiz geführt. Vgl. Heidrick & Struggles International, Corporate Governance in Europe: What’s the Outlook? Chicago 2005, S. 34.

Die selbstregulierende Wirkung der Kapitalmärkte


Gemäss einer an der Universität St. Gallen im Jahr 2004 durchgeführten Untersuchung hemmt mangelhafte Corporate Governance die Investitionsbereitschaft. Integrationsseminar der Universität St. Gallen zur Corporate Governance in der Schweiz, organisiert vom Center for Financial Communication, Prof. Viktor Porak, 2004. 77% der Privatinvestoren würden nicht (mehr) in ein Unternehmen mit mangelhafter Corporate Governance investieren. Der Kapitalmarkt hat somit eine selbstregulierende Wirkung auf die Corporate Governance. Mit der Umsetzung von Basel II steigen auch für die nicht kotierten Unternehmen die Anforderungen an die internen Strukturen und Prozesse. Auch dies führt dazu, dass Unternehmen von sich aus ein Interesse an der Schaffung einer wirkungsvollen und transparenten Corporate Governance haben.

Weiteres Umfeld der Corporate Governance


In den vergangenen Jahren haben weltweit spektakuläre Firmenzusammenbrüche die öffentliche Diskussion geprägt, welche zum Teil das Ergebnis von kriminellen Handlungen – wie Bilanzmanipulationen – waren. In der Folge ist die Sensibilität für die Notwendigkeit von griffigen Kontrollsystemen gestiegen. Viele Unternehmen haben ihre Kontrollsysteme systematisch verfeinert und entsprechende Anpassungen bei ihrer Organisation vorgenommen. Als weitere im Kontext der Corporate Governance relevante Vorschriften sind etwa die Regeln über die Ad-hoc-Publizität oder das Verbot des Ausnützens der Kenntnis vertraulicher Tatsachen und der Kursmanipulation zu nennen. So bestehen heute diverse Sondervorschriften für die Corporate Governance in den verschiedenen Branchen, wie beispielsweise für Versicherungen oder Banken. Zum weiteren Umfeld der Corporate Governance in der Schweiz gehören auch die Anforderungen aus dem Ausland, insbesondere aus den USA («Sarbanes-Oxley Act»).

Vorschläge des Entwurfs zur Corporate Governance


In der aktuellen Aktienrechtsrevision kommt der Verbesserung der Corporate Governance entsprechend einen hohen Stellenwert zu. In seiner Botschaft vom 21. Dezember 2007 schlägt der Bundesrat insbesondere Folgendes vor: Vgl. Botschaft des Bundesrates zur Revision des Aktien- und Rechnungslegungsrechts vom 21. Dezember 2007: www.ejpd.admin.ch , Rubriken «Themen», «Wirtschaft», «Gesetzgebung», «Aktien und Rechnungslegung».   – Stärkung des Auskunfts- und Einsichtsrechts der Aktionäre sowie der Information über die Bezüge des Verwaltungsrats bei privaten Aktiengesellschaften;   – Senkung der Schwellenwerte für die Ausübung des Rechts auf eine Sonderuntersuchung (heute: Sonderprüfung), für die Einberufung der Generalversammlung sowie für die Ausübung des Traktandierungsrechts;   – jährliche Einzelwahl der Mitglieder des Verwaltungsrats;   – Aufhebung des Depotstimmrechts und der Organvertretung;   – Regelung von Interessenkonflikten im Verwaltungsrat und in der Geschäftsleitung;   – Verbot der gegenseitigen Einflussnahme auf die Festsetzung der Honorare durch die Mitglieder des Verwaltungsrats bei Publikumsgesellschaften.     Auch unter den übrigen Zielsetzungen werden diverse Massnahmen zur Verbesserung der Corporate Governance vorgeschlagen. So wird zum Beispiel auch mit der Erhöhung der Transparenz durch die Revision des Rechnungslegungsrechts oder durch die vorgesehene Modernisierung der Regeln über die Generalversammlung weiteren Corporate-Governance-Anliegen Rechnung getragen.

Swiss Code als Richtschnur für die Beurteilung der Vorschläge


Der hohe Grad der Umsetzung der Empfehlungen des Swiss Code bestätigt, dass eine gute Corporate Governance am besten in der flexiblen Form der Selbstregulierung zu verankern ist. Somit drängt sich aus liberaler Sicht eine Zurückhaltung bei der weiteren Regulierung auf. Andernfalls würde die Attraktivität unseres Aktienrechts leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Vor diesem Hintergrund erscheinen insbesondere die folgenden Punkte der Revision als problematisch:

Nachteiliger Zwang zur einjährigen Amtszeit


Im Entwurf wird mit Art. 710 E-OR die Einführung eines Zwangs von einjährigen Amtsperioden von Verwaltungsräten verlangt. Das geltende Recht sieht eine dispositive dreijährige Amtszeit vor und ermöglicht eine kürzere (z.B. einjährige) oder längere Amtszeit. Dieses System, das den Unternehmen einen Spielraum belässt, hat sich in der Praxis bewährt. Es ist nicht ersichtlich, inwiefern mit einer zwingenden einjährigen Amtszeit die Corporate Governance verbessert werden könnte. Vielmehr verlangen deren Grundsätze eine gewisse Kontinuität. So ist gemäss Ziffer 13 des Swiss Code eine angemessene Staffelung der Amtszeiten anzustreben. Mit der von zahlreichen Unternehmen geübten Praxis der Staffelung mehrjähriger Amtszei-ten kann Kontinuität und Kohärenz erzielt werden. Zudem verlangen die Grundsätze einer guten Corporate Governance, dass sich der Verwaltungsrat in Ausschüssen mit definierten Aufgaben organisiert. Dies bringt einen grösseren Organisations- und Zeitaufwand mit sich.   Im Zentrum der geltenden Grundsätze zur Amtszeit der Mitglieder des Verwaltungsrats steht das lnteresse an der Sicherstellung eines nachhaltigen Unternehmenserfolgs. Dies ermöglicht langfristig hohe Dividenden. Entsprechend hat sich die Corporate Governance an denjenigen Eigentümern eines Unternehmens auszurichten, welche an einer nachhaltigen Bestellung des Ackers interessiert sind. Mit der Einführung des Zwangs zur einjährigen Amtsdauer würde aber ein bewährtes Instrument zur nachhaltigen Unternehmensgestaltung abgeschafft.

Zu tiefe Schwellenwerte


Für die Einberufung einer Generalversammlung und Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands sowie für die Einleitung einer Sonderuntersuchung gegen den Willen der Generalversammlung sollen laut Entwurf die heute geltenden Schwellenwerte massiv gesenkt werden (siehe Kasten 1 Für die Einleitung einer Sonderuntersuchung gegen den Willen der Generalversammlung braucht es heute mindestens 10% des Aktienkapitals oder Aktien von mindestens 2 Mio. Franken Nennwert. Diese Schwelle soll neu wie folgt gesenkt werden (vgl. Art. 697b Abs. 1 E-OR): – für börsenkotierte Gesellschaften auf 0,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 250000 Franken. Um eine Generalversammlung einzuberufen, benötigt ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe heute mindestens 10% des Aktienkapitals. Diese Schwelle soll wie folgt geändert werden (vgl. Art. 699 Abs. 3 E-OR):- für börsenkotierte Gesellschaften auf 2,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken.Zur Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands benötigt ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe heute Aktien im Nennwert von mindestens 1 Mio. Franken. Diese Schwelle soll wie folgt geändert werden (vgl. Art. 699a Abs. 1 E-OR):- für börsenkotierte Gesellschaften auf 0,25% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 2,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 250000 Franken. ).   Die Einberufung einer Generalversammlung oder die Durchführung einer Sonderuntersuchung ist für eine grössere Publikumsgesellschaft jeweils mit einem sehr hohen Aufwand und entsprechenden Kosten verbunden. Eine zu weit gehende Vergrösserung des Kreises derjenigen Personen, welche eine Generalversammlung oder eine Sonderuntersuchung verlangen können, ist deshalb problematisch. In der Praxis ist zu beobachten, dass zahlreiche Gesellschaften die Schwellenwerte aufgrund der Empfehlungen von Ziffer 2 des Swiss Code und der Thematisierung durch institutionelle Anlieger bereits gesenkt haben. Vgl. dazu die ethos-Studie «Corporate Governance der Schweizer Unternehmen», Genf, November 2005, S. 36 f. Das zeigt, dass die Selbstregulierung durch den Swiss Code und den Kapitalmarkt auch hier funktioniert.

Verfehlte Abschaffung der Organ- und Depotvertretung


Im Entwurf wird die Abschaffung der Depot- und der Organvertretung vorgeschlagen. Die Organvertretung ist heute von grosser praktischer Bedeutung. Bereits nach geltender Regelung muss eine Gesellschaft, die den Aktionären einen Organvertreter vorschlägt, auch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bezeichnen. Art. 689c OR. In der Praxis ziehen Aktionäre häufig von sich aus einen Organvertreter vor (siehe Grafik 1 ). Vgl. Hans Caspar von der Crone, Bericht zu einer Teilrevision des Aktienrechts, Teil 4: Stimmrechtsvertretung/Dispoaktien, S.6 f.   Nach dem Vorschlag des Entwurfs könnten Publikumsgesellschaften nur noch einen unabhängigen Stimmrechtsvertreter bestellen. Dieser hätte sich bei fehlender konkreter Weisung der Stimme zu enthalten. Art. 689 Abs. 3 E-OR. Das absolute Mehr soll im Regelfall D.h. soweit es das Gesetz oder die Statuten nicht anders bestimmen, vgl. Art. 703 Abs. 1 E-OR. neu nach den abgegebenen Stimmen bemessen werden und Enthaltungen würden als nicht abgegebene Stimmen gelten. Art. 703 Abs. 2 E-OR. Weil die generelle Bevollmächtigung des unabhängigen Stimmrechtsvertreters nicht möglich, die Organ- und die Depotvertretung abgeschafft und Dispoaktien ohnehin nicht stimmberechtigt sind, wären bei Publikumsgesellschaften die grosse Mehrheit der passiv-zufriedenen Aktionäre inklusive die Mehrheit der Kleinaktionäre massiv untervertreten, aktivistisch-oppositionelle und institutionelle Aktionäre sowie Grossaktionäre hingegen massiv übervertreten. Dies wäre einer repräsentativen Willensbildung an Generalversammlungen kaum förderlich.

Lösung für das Dispoaktienproblem dringend


Viele kotierte Gesellschaften verfügen über hohe Dispoaktienbestände. Das ist für die Gesellschaften problematisch: Sie kennen einen wesentlichen Teil ihres Aktionariats nicht und haben demzufolge auch keine Möglichkeit, mit diesem direkt zu kommunizieren. Dispoaktionären können damit keine GV-Einladungen und Informationen zugestellt werden. Bemühungen der Gesellschaften, möglichst viele Aktionäre zur Wahrnehmung ihrer Mitwirkungsrechte zu bewegen, sind damit bezüglich eines grossen Teils der Aktionäre zum Scheitern verurteilt. Von Seiten der Gesellschaften ist deswegen seit langem eine Lösung des Dispoaktienproblems gefordert worden. Der breit abgestützte Vorschlag der Wirtschaft, das Dispo-Aktienproblem mit einem Nominee-Modell zu lösen, wurde vom Bundesrat verworfen. Dieser argumentiert in der Botschaft, dass es wenig kohärent wäre, neben der Abschaffung des Depotstimmrechts gleichzeitig mit dem Nominee-Modell wieder ein «Modell der treuhänderischen Ausübung der Mitwirkungsrechte durch Banken» zu schaffen.   Die Einschränkung der institutionellen Stimmrechtsvertretung und die Nichtlösung des Problems der Dispoaktien stehen letztlich im Widerspruch zu den Empfehlungen der OECD Vgl. OECD-Grundsätze der Corporate Governance. Neufassung, Paris 2004. , wonach die Ausübung der Aktionärsrechte erleichtert werden soll. Die fehlende Lösung zur Dispoaktienproblematik erstaunt umso mehr, als eine der zentralen Zielsetzungen der Revision die Stärkung der Aktionärsrechte ist. Sowohl das Organ- und Depotstimmrecht sowie das von der Wirtschaft vorgeschlagene Nominee-Modell für Dispoaktien sind einfache und günstige Instrumentarien, die im Interesse des Aktionärs liegen und einem praktischen Bedürfnis entsprechen.

Grafik 1: Bedeutung der institutionellen Stimmrechtsvertretung bei Schweizer Unternehmen

Kasten 1: Heutige und vorgesehene Schwellenwerte Für die Einleitung einer Sonderuntersuchung gegen den Willen der Generalversammlung braucht es heute mindestens 10% des Aktienkapitals oder Aktien von mindestens 2 Mio. Franken Nennwert. Diese Schwelle soll neu wie folgt gesenkt werden (vgl. Art. 697b Abs. 1 E-OR): – für börsenkotierte Gesellschaften auf 0,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 250000 Franken. Um eine Generalversammlung einzuberufen, benötigt ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe heute mindestens 10% des Aktienkapitals. Diese Schwelle soll wie folgt geändert werden (vgl. Art. 699 Abs. 3 E-OR):- für börsenkotierte Gesellschaften auf 2,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 10% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken.Zur Traktandierung eines Verhandlungsgegenstands benötigt ein Aktionär oder eine Aktionärsgruppe heute Aktien im Nennwert von mindestens 1 Mio. Franken. Diese Schwelle soll wie folgt geändert werden (vgl. Art. 699a Abs. 1 E-OR):- für börsenkotierte Gesellschaften auf 0,25% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 1 Mio. Franken;- für nicht börsenkotierte Gesellschaften auf 2,5% des Aktienkapitals oder der Stimmen oder Aktien im Nennwert von 250000 Franken.

Zitiervorschlag: Urs Furrer, Thomas Pletscher, (2008). Aktienrechtsrevision und Corporate Governance. Die Volkswirtschaft, 01. März.