Ohne Energie läuft auch in Bosnien und Herzegowina nichts. Das bekamen die Anwohner des südosteuropäischen Landes insbesondere am Ende des Jugoslawienkriegs zu spüren. Bereits vor den Auseinandersetzungen litt die Bevölkerung unter regelmässigen Stromunterbrüchen, da während Jahren kaum ins Elektrizitätsnetz investiert worden war. Im Krieg wurden mehr als die Hälfte der Stromproduktionskapazitäten lahm gelegt und 60% der Hochspannungsnetze zerstört. Die erste Priorität der internationalen Gebergemeinschaft nach der Unterzeichnung des Dayton-Friedensabkommens im Dezember 1995 galt daher dem Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur. Die Schweiz schloss sich diesem Vorhaben an, indem sie sowohl im Telekommunikationsals auch im Energiesektor aktiv wurde.
Jablanica – ein politisches Aushängeschild
Das Wasserkraftwerk Jablanica liegt 85 km südwestlich von Sarajewo und 50 km nördlich von Mostar, am Ufer des Flusses Neretwa, dem Schauplatz erbitterter Kämpfe während des Zweiten Weltkriegs. Das in den Jahren 1954-58 auf Geheiss von Tito erbaute Kraftwerk spielt nicht nur im bosnischen Verbundnetz eine besondere Rolle, sondern ist auch als Bindeglied zum westeuropäischen Elektrizitätsnetz von grosser Bedeutung. Die Anlage besteht aus sechs Aggregaten mit je 25 Megawatt installierter nominaler Leistung. Sie wurde aus politischen Gründen ganz aus eigener Kraft und ohne importierte Bestandteile erbaut. Das Elektrizitätswerk wurde so zu einem Aushängeschild der damaligen Volksrepublik Jugoslawien, da die umfangreichen und komplizierten Maschinensätze zum ersten Mal im Lande hergestellt worden waren. In einer alten Kraftwerksbroschüre ist zu lesen, dass die Bezwingung der launischen Neretwa «übermenschliche Anstrengungen und Opfer» erheischte und die Bauarbeiten mehrere Male durch Überschwemmungen gefährdet wurden. Vor dem Krieg produzierte das Kraftwerk im Durchschnitt 757 Gigawattstunden (GWh) Strom pro Jahr; das Maximum lag bei 914 GWh (1978) und der Tiefstwert bei 397 GWh (1993).
Finanzhilfe aus der Schweiz
Bereits kurz vor dem Bosnienkrieg begannen die Verantwortlichen in Jablanica damit, die mittlerweile am Ende ihrer technischen Lebensdauer Die Lebensdauer einer solchen Anlage beträgt zirka 40 Jahre. angelangten und veralteten Einrichtungen zu erneuern, da Ersatzteile kaum mehr erhältlich waren. Während des Krieges wurden die Schäden am Aggregat Nr. 4 so gross, dass dies 1995 ausser Betrieb genommen werden musste. Bei Kriegsende betrug die Produktion von Jablanica wieder 558 GWh. Alle Maschinensätze hatten bereits mehr als 250000 Betriebsstunden hinter sich. Zu diesem Zeitpunkt nahm die Schweizer Hilfe ihren Anlauf. Diese umfasste die Wiederinstandsetzung der Maschinensätze Nr. 4-6 in drei Phasen. Für jeden Abschnitt schloss die Schweiz mit Bosnien und Herzegowina ein Abkommen ab, welches die bosnische Seite verpflichtete, die von der Schweiz als nicht rückzahlbare Finanzhilfe gewährten Mittel als Darlehen an die lokale Elektrizitätsgesellschaft Elektroprivreda BiH weiterzugeben. – Während der ersten Phase, die von 1996-99 dauerte, wurde die mechanische und elektrische Ausrüstung des Aggregats Nr. 4 erneuert einschliesslich des Turbinenrads, des Steuerungs- und Kontrollsystems, des Generators sowie der Sicherheits-Drosselkappe, mit welcher die Wasserzufuhr zur Turbine abgestellt werden kann. Die Inbetriebnahme fand Ende April und Anfang Mai 1999 – inmitten des Kosovokriegs – statt. Die maximale Höchstleistung konnte um rund 30% auf 32,4 Megawatt und der Wirkungsgrad um 5% erhöht werden. – Die zweite Phase wurde 1999 in Angriff genommen und bestand aus der Erneuerung des Maschinensatzes Nr. 5. Um die Verträglichkeit der Technologie zu gewährleisten und technische Synergien zu schaffen, wurden für die Realisierung im wesentlichen die gleichen Schweizer Lieferanten beigezogen, welche in der ersten Projektphase die öffentlichen Ausschreibungen gewonnen hatten. Diesmal ging das Aggregat sogar einen Monat früher als geplant ans Netz. Technische Studien zur Optimierung der Anlage verhalfen dem Kraftwerk zu einer weiteren Steigerung der Stromproduktion um 6%. – Die dritte Phase begann im Jahr 2000 und umfasste Ausrüstungen für die Dammsicherheit, die Unterstation sowie Teile für das Aggregat Nr. 6. Wiederum wurden ähnliche Resultate wie bei den beiden anderen Maschinensätzen erzielt. Darüber hinaus ist das Kraftwerk für die Mitarbeitenden sicherer geworden, und die Zahl der Betriebsunterbrüche wurde bedeutend reduziert. Dank sorgfältigem Einsatz der finanziellen und personellen Mittel und durch die Verschiebung von Prioritäten blieb am Ende der drei Projektphasen fast ein Sechstel der verpflichteten Mittel übrig. Das Seco hiess den Einsatz dieser Mittel zur Sanierung des Kühlungs- und Abwassersystems sowie für zusätzliche technische Expertisen gut. Diese sollen die Nachhaltigkeit und Wirkung der bisher getätigten Investitionen weiter optimieren und die Funktionstüchtigkeit der Anlagen über den Ablauf der Garantiezeiten prüfen. Die Arbeiten werden zum Teil von Schweizer KMU durchgeführt und sollen bis Ende 2009 abgeschlossen werden. Für die lokalen Kosten (Bau- und gewisse Montagearbeiten, Kabel für Steuerungseinrichtungen usw.) musste Elektroprivreda selbst aufkommen. Diese betrugen für die drei Phasen umgerechnet insgesamt über 8 Mio. Franken. Die Elektrizitätsgesellschaft wurde ebenfalls verpflichtet, das ihr gewährte Darlehen nach Ablauf einer Karenzfrist in lokaler Währung in einen Gegenwertmittelfonds einzuzahlen. Mit den Erlösen wird ein Fonds alimentiert, der in Bosnien und Herzegowina Kleinkredite für wirtschaftliche und soziale Projekte zur Verfügung stellt. Begleitet wurde das Projekt von der Schweizer Firma Entreprises Electriques Fribourgeoises EEF, der heutigen Groupe E. Ihre Aufgabe bestand darin, die bosnischen Partner bei der Durchführung der Ausschreibungen, der Beurteilung der Lieferofferten und der Ausarbeitung der Vertragswerke zu unterstützen sowie die Koordination und Überwachung der Arbeiten sicherzustellen. Henri Butticaz, Projektverantwortlicher bei Groupe E, erinnert sich: «Unsere Beziehungen mit den Projektträgern in Sarajewo und Jablanica waren zwar manchmal etwas herb, jedoch immer sachlich und konstruktiv. Heute besitzen wir das volle Vertrauen unserer Partner vor Ort, was uns erlaubt hat, diese komplexe Wiederinstandsetzung während über zehn Jahren ohne Unterbrüche in der Elektrizitätsproduktion und ohne Unfälle zu begleiten.»
Besondere Herausforderungen im Projekt
Wie dies bei Finanzhilfeprojekten üblich ist, wurden sowohl Groupe E als auch die Lieferanten – mit Zustimmung des bosnischen Projektträgers Elektroprivreda – direkt aus der Schweiz bezahlt, ohne dass Gelder über bosnische Bankkonten flossen. Auf diese Weise wird die Rolle des Schweizer Projektmanagers verstärkt und die Angriffsflächen für allfällige Korruptionsversuche werden auf ein Minimum reduziert. Hingegen führte die dreifache Finanzkontrolle – zweimal in Bosnien, jeweils im Kraftwerk Jablanica und bei der Generaldirektion von Elektroprivreda in Sarajewo – zu langwierigen und schwerfälligen Zahlungsprozeduren, welche von den Lieferanten wenig geschätzt wurden. Dafür profitierten sie von einem geringeren finanziellen Risiko, was die Lieferpreise günstig beeinflusste. Die Umsetzung des Projekts verlief besonders auf der technischen Ebene problemlos. Bereits zu Beginn der ersten Phase bildete Elektroprivreda eine für die Sanierung zuständige Gruppe aus technisch versierten Ingenieuren, die bis heute besteht und die eng und konstruktiv mit dem Schweizer Team der Groupe E zusammenarbeitet. Dieses Team wurde vom damaligen Projektverantwortlichen in der Generaldirektion der Elektrizitätsfirma in Sarajewo herausgefordert, die Wiederinstandsetzung des Aggregats Nr. 4 innerhalb von 24 Monaten durchzuführen. Trotz skeptischen Schweizer Lieferanten und unter zum Teil widrigen Bedingungen gelang es dem Team, die Sanierung zügig und planmässig voranzubringen. Henri Butticaz erzählt von seinen Erfahrungen. «Ich konnte auf die Werksgruppe in Jablanica und die Projektverantwortlichen in der Generaldirektion zählen. Sie waren zuverlässig, ehrlich und effizient. Kein Mitglied der Direktion hat je versucht, in ungerechtfertigter Weise von diesem Projekt zu profitieren, indem es zum Beispiel seine Spezialisten bei ihren Abnahmemissionen in der Schweiz und im EU-Gebiet für Tourismuszwecke begleitet hätte.» Nicht eingeplant jedoch war die während der Projektumsetzung erfolgte einschneidende Umstrukturierung der Schweizer Industriepartner. Während der ersten Phase offerierten noch vier Schweizer Unternehmen bei den Lieferausschreibungen. Heute sind diese Firmen entweder geschlossen oder befinden sich in ausländischem Besitz. Dies erschwerte die Aufgabe des schweizerischen Projektmanagers. «Die ständigen Handänderungen sowie die Wechsel in den Arbeitsmethoden und beim Personal führten oft zu Verzögerungen in der Dossierbetreuung und bei den Lieferungen», sagt Henri Butticaz. Zum Glück wurden die einzelnen Lieferverträge der verschiedenen Phasen in separate Lose aufgeteilt und nicht einem Generalunternehmer anvertraut. So konnten die Kosten insgesamt tief gehalten und die Verhandlungsfähigkeit der bosnischen Partner gestärkt werden, da sich Letztere immer wieder mit der Prioritätensetzung und den technischen Beschaffungen auseinandersetzen mussten.
Das Kraftwerk heute
Das Wasserkraftwerk Jablanica liefert heute 18% des gesamten Energiebedarfs Bosniens und versorgt die zentralen und östlichen Teile des Landes mit Strom. Gemäss Vedad Korajlic, Betriebsdirektor der Neretwa-Flusskraftwerke (siehe
Kasten 1
Die bosnisch-schweizerische Zusammenarbeit zur Wiederinstandsetzung des Wasserkraftwerks Jablanica wird bald abgeschlossen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Resultate dieser langjährigen Kooperation?
Zu Beginn der Sanierung hatten die Anlagen in Jablanica theoretisch das Ende ihrer Lebenszeit erreicht. Mit anderen Worten hätte das Wasserkraftwerk seine Elektrizitätsproduktion zu diesem Zeitpunkt einstellen müssen. Die Rehabilitation hat die Lebensdauer des Werks um weitere 25 bis 30 Jahre ausgedehnt, dies zu einem Bruchteil der Kosten für ein neues Kraftwerk dieser Grösse. Daneben wurden dank neuster Technologie und modernem Design die effektive Nutzleistung um 20% auf 31 Megawatt pro Einheit und der Wirkungsgrad um 5% erhöht. Das Ergebnis ist dasselbe, wie wenn wir eine zusätzliche Turbine mit der Kraft von 25 Megawatt installiert hätten.
Wie empfanden Sie diese langjährige Zusammenarbeit?
Die Arbeit der von uns zusammen mit dem Seco ausgewählten Schweizer Projektmanagementfirma habe ich sehr geschätzt. Zusammen mit dem lokalen Team beurteilte diese den Zustand der Anlagen, erarbeitete die technischen Spezifikationen und überwachte die Ausführung der Lieferverträge. Ohne die Kompetenz und die Erfahrung der Mitarbeitenden der EEF/Groupe E wäre das Projekt nicht so erfolgreich gewesen, wie es heute ist.
Die Schweizer Finanzhilfe ist teilweise an die Lieferung von Schweizer Gütern und Dienstleistungen gebunden. Haben Sie dies als Einschränkung empfunden?
In unserem Falle erwies sich diese Einschränkung als positiv. Die Schweiz ist für die hoch stehende Qualität ihrer Ausrüstungsgüter bekannt. Die Güte der installierten Generatoren, Turbinen und Kontrollanlagen ist nicht zu bestreiten. Neben mehreren Schweizer Firmen, die heute zum Teil in österreichischer Hand sind, kamen aber auch verschiedene bosnische und südosteuropäische Unternehmen zum Zuge. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Heute sind wir dank der schweizerischen Unterstützung in der Lage, die nötigen Investitionen zur Erhaltung und Erneuerung der Produktionskapazität selber zu tätigen.), konnte die effektive Nutzleistung um 20% auf 31 Megawatt pro Aggregat gesteigert und die Wirksamkeit um 5% erhöht werden. Die Verantwortlichen von Elektroprivreda und Jablanica haben die Schweizer Unterstützung gut zu nutzen gewusst und eigneten sich solide Kenntnisse sowohl für den Betrieb und Unterhalt der Anlage als auch für die Planung und Umsetzung von neuen Investitionen an. Das Unternehmen schreibt heute schwarze Zahlen. Da die Elektrizitätsnachfrage in Bosnien und Herzegowina noch unter derjenigen von vor dem Krieg liegt, kann Elektroprivreda den Produktionsüberschuss ins stromhungrige Ausland verkaufen. Geht man davon aus, dass dank der Wiederinstandsetzung pro Einheit 30000 MWh zusätzlich generiert werden können und rechnet man mit dem aktuellen Strompreis auf dem europäischen Markt von 70 Euro pro MWh, verdient die Elektrizitätsgesellschaft per Aggregat brutto 2,1 Mio. Euro mehr im Jahr. So ist es nicht verwunderlich, dass Elektroprivreda die Sanierung der Aggregate Nr. 1-3 selbstständig in Angriff nehmen konnte. Auch hier kamen erneut Schweizer Lieferanten zum Zuge. Die Einheit Nr. 2 ist bereits seit Mitte 2004 in Betrieb und das Aggregat Nr. 3 wurde im Sommer 2006 ans Netz angeschlossen. Die letzte Einheit, Nr. 1, soll noch dieses Frühjahr in Betrieb genommen werden. Trotzdem werden sich die Verantwortlichen in Jablanica danach nicht zur Ruhe setzen können. Wie Vedad Korajlic ausführt, sind als nächstes das Kraftwerkgebäude, der Staudamm und die Wassereinlässe an der Reihe, welche wegen ihres beträchtlichen Alters – über 50 Jahre – die künftige Sicherheit und Wirksamkeit des Kraftwerks beeinträchtigen könnten. Angesichts seiner guten wirtschaftlichen Lage und seines neuen Fachwissens ist Elektroprivreda seit dem Schweizer Projekt für diese weiteren Herausforderungen gut gerüstet.
Kasten 1: Interview mit Vedad Korajlic, Betriebsdirektor der Neretwa-Flusskraftwerke
Die bosnisch-schweizerische Zusammenarbeit zur Wiederinstandsetzung des Wasserkraftwerks Jablanica wird bald abgeschlossen. Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Resultate dieser langjährigen Kooperation?
Zu Beginn der Sanierung hatten die Anlagen in Jablanica theoretisch das Ende ihrer Lebenszeit erreicht. Mit anderen Worten hätte das Wasserkraftwerk seine Elektrizitätsproduktion zu diesem Zeitpunkt einstellen müssen. Die Rehabilitation hat die Lebensdauer des Werks um weitere 25 bis 30 Jahre ausgedehnt, dies zu einem Bruchteil der Kosten für ein neues Kraftwerk dieser Grösse. Daneben wurden dank neuster Technologie und modernem Design die effektive Nutzleistung um 20% auf 31 Megawatt pro Einheit und der Wirkungsgrad um 5% erhöht. Das Ergebnis ist dasselbe, wie wenn wir eine zusätzliche Turbine mit der Kraft von 25 Megawatt installiert hätten.
Wie empfanden Sie diese langjährige Zusammenarbeit?
Die Arbeit der von uns zusammen mit dem Seco ausgewählten Schweizer Projektmanagementfirma habe ich sehr geschätzt. Zusammen mit dem lokalen Team beurteilte diese den Zustand der Anlagen, erarbeitete die technischen Spezifikationen und überwachte die Ausführung der Lieferverträge. Ohne die Kompetenz und die Erfahrung der Mitarbeitenden der EEF/Groupe E wäre das Projekt nicht so erfolgreich gewesen, wie es heute ist.
Die Schweizer Finanzhilfe ist teilweise an die Lieferung von Schweizer Gütern und Dienstleistungen gebunden. Haben Sie dies als Einschränkung empfunden?
In unserem Falle erwies sich diese Einschränkung als positiv. Die Schweiz ist für die hoch stehende Qualität ihrer Ausrüstungsgüter bekannt. Die Güte der installierten Generatoren, Turbinen und Kontrollanlagen ist nicht zu bestreiten. Neben mehreren Schweizer Firmen, die heute zum Teil in österreichischer Hand sind, kamen aber auch verschiedene bosnische und südosteuropäische Unternehmen zum Zuge. Wir sind mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Heute sind wir dank der schweizerischen Unterstützung in der Lage, die nötigen Investitionen zur Erhaltung und Erneuerung der Produktionskapazität selber zu tätigen.
Kasten 2: Kontakt/Rückfragen
Dagmar Vogel, Leistungsbereich Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Ressort Infrastrukturfinanzierung, Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Tel. +41 (31) 323 92 28.