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Wettbewerb im Binnenmarkt, internationale Öffnung und Wachstum

Wettbewerb schafft Wohlstand. Darüber herrscht unter Ökonomen mehr Konsens als über alles andere. Für die Schweiz stellt sich damit die Frage, wie sie zu mehr Wettbewerb kommen kann, herrscht doch bekanntlich hierzulande in vielen Branchen weniger Konkurrenz als in der EU. Die relativ geringe Landesgrösse spielt dabei eine entscheidende Rolle. Eine besonders gewichtige Folge davon ist das hohe Preisniveau, das einen Grossteil unseres nominellen Einkommensvorsprungs wieder auffrisst. Im Folgenden wird diskutiert, welche Ursachen für den schwachen Wettbewerb in der Schweiz verantwortlich sind und was unternommen werden kann, um den Wettbewerb zu stärken.

Kleines Land – schwacher Wettbewerb


Die Wettbewerbsintensität hängt stark von der Landesgrösse ab. In vielen Branchen gibt es Grössenvorteile in Produktion und Vertrieb, sodass in kleinen Ländern oft nur einer oder einzelne Produzenten eine effiziente Grösse erreichen können. Folglich gibt es in diesen Branchen nur wenige Anbieter bei entsprechend höherer Marktkonzentration. Das wiederum prägt die Preispolitik. Je höher der Marktanteil eines Anbieters, desto unattraktiver ist für ihn eine aggressive Preispolitik, weil der potenzielle Ertrag (d.h. die Möglichkeit, neue Kunden anzuziehen) sinkt und die Kosten steigen; die Preisnachlässe müssen ja auch den vielen eigenen Kunden gewährt werden. In kleinen Ländern herrschen deshalb weniger (grenz-)kostenorientierte Preise. Vielmehr erfreuen sich die Anbieter oft eines gewissen Preissetzungsspielraums. Dieser Umstand wird dadurch verstärkt, dass heute viele Güter und Dienstleistungen so weit differenziert sind, dass sich die Produzenten – trotz aller Konkurrenz – fallenden Nachfragekurven gegenübersehen. Unter solch monopolistischer Konkurrenz und heterogenen Oligopolen orientieren sich die Preissetzungsstrategien der Anbieter nicht ausschliesslich an den Grenzkosten. Vielmehr versuchen sie, einen möglichst grossen Teil der Konsumentenrente abzuschöpfen, indem sie die Preise entsprechend den Nachfrageunterschieden zwischen den Ländern differenzieren. Dazu müssen sie die Märkte möglichst segmentieren, wozu ihnen – neben manchen Marketinginstrumenten – insbesondere Handelshemmnisse sowie die Gestaltung der vertikalen Beziehungen (Preisempfehlungen, exklusive Vertriebssysteme etc.) dienen. Besonders betroffen von solchen Praktiken sind mittelgrosse Länder wie die Schweiz, in denen die meisten Konsumenten nicht regelmässig im Ausland einkaufen können.

Reiches Land – fette Beute für Protektionisten


Die zweite Hauptursache hoher Preise ist das Einkommen der Konsumenten. Ihre Zahlungsbereitschaft ist für die meisten Güter einkommenselastisch und somit in reichen Ländern besonders hoch. Das erlaubt den Produzenten, in reichen Ländern einen höheren Preis anzusetzen. Entscheidend ist dabei, dass sie sich für ihr Kalkül nicht am – in internationalen Vergleichen zumeist verwendeten – Einkommen zu Kaufkraftparitäten, sondern am zu laufenden Wechselkursen umgerechneten Einkommen orientiert. Denn schliesslich können Produzenten die Erlöse zu laufenden Wechselkursen umtauschen. Die Schweiz mit ihrem im internationalen Vergleich sehr hohen Einkommen ist deshalb von Preisdifferenzierungsversuchen besonders betroffen. Das zu laufenden Wechselkursen umgerechnete Bruttoinlandprodukt (BIP) pro Einwohner (2005, OECD) ist immer noch gut 44% höher als in Deutschland und Frankreich, 48% höher als in den EU15 und 17% höher als in den USA. Die Unterschiede sind sogar noch wesentlich grösser, wenn – was angemessen wäre – statt des BIP das Bruttovolkseinkommen (BSP) oder gar das nach Steuern und Abgaben verfügbare Volkseinkommen als Messlatte dient. Der Preissetzungsspielraum wird durch die tiefen Schweizer Mehrwertsteuersätze noch zusätzlich erweitert. Zu klären bleibt das augenfällige Spannungsverhältnis zwischen dem bisher Gesagten: Wettbewerb schafft Wohlstand, aber der Wettbewerb in der Schweiz ist schwach und der Wohlstand hoch. Drei Aspekte sind dabei besonders wichtig:  – Erstens wurde der Einkommensvorsprung der Schweiz in einer Zeit erarbeitet, in welcher der Wettbewerb im Binnenmarkt und die Öffnung gegenüber dem Ausland im internationalen Vergleich relativ hoch war.  – Zweitens besitzt die Schweiz mit der direkten Demokratie und dem auf lokaler und regionaler Eigenverantwortung basierenden Föderalismus besonders effektive politische Institutionen, die zu einer vernünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik beitragen und die Entwicklung anderer besonders fruchtbarer Institutionen wie einer unabhängigen Nationalbank gefördert haben.  – Drittens schwächt die Kleinheit zwar den Binnenwettbewerb, aber sie bringt auch viele gewichtige Vorteile. Diese zeigen sich etwa darin, dass in der EU die kleinen Länder in fast jeder Beziehung weit besser als die grossen abschneiden. Damit ist die langfristig sehr gute wirtschaftliche Entwicklung der Schweiz ebenso erklärbar wie ihre relative Wachstumsschwäche seit den Neunzigerjahren, in denen sich manche andere Länder hinsichtlich Binnenwettbewerb, internationaler Öffnung sowie Qualität der Institutionen stärker entwickelt haben.

Kleinheit erschwert behördliche Symptomtherapie


Was kann gegen die Schweizer Wettbewerbsschwäche unternommen werden? Ein Ansatzpunkt ist natürlich die traditionelle Wettbewerbspolitik durch eine Wettbewerbsbehörde, die den Missbrauch von Marktmacht kontrolliert und wettbewerbsschädigende Praktiken untersagt. Dieser Ansatz wird aber gerade in kleinen Ländern durch zwei Aspekte erschwert:  – Unklare Ausgangslage: Die gleichen Mechanismen, mit denen Unternehmen Marktmacht und -segmentierung anstreben, können auch der Effizienzsteigerung dienen. Das gilt insbesondere für kleine Länder, wo ja oft schon das Erreichen von effizienten Produktionsgrössen mit einem hohen Marktanteil und grosser Marktmacht verbunden ist. Das Kriterium des Marktanteils ist deshalb für die Wettbewerbspolitik in kleinen Ländern weniger hilfreich. Ein anderes Beispiel sind vertikale Abreden, die nicht nur der Abschottung gegen Parallelimporte, sondern auch der Qualitätssteigerung dienen können. Oft bleibt unklar, ob die Effizienzvorteile der Abreden ihre wettbewerbsschwächende Wirkung überwiegen. Deshalb ist es nicht sinnvoll, vertikale Abreden grundsätzlich zu verbieten.  – Asymmetrischerer Kampf: Die Ressourcenasymmetrie zwischen den regulierenden Behörden und den regulierten Firmen ist in kleinen Ländern besonders ausgeprägt. Deren Wettbewerbsbehörden sind kleiner als in grossen Ländern; sie stehen aber zumeist gleich grossen Unternehmen gegenüber.

Ansatzpunkte einer marktlichen Ursachentherapie


Die bisher diskutierten Auswirkungen von Kleinheit und Reichtum sind zum grossen Teil eine Folge davon, dass Landesgrenzen gewisse Handelsbarrieren bilden. Denn monopolistische Preisdifferenzierung zwischen Ländern funktioniert nur, wenn sie nicht durch Arbitragegeschäfte – sei es von Zwischenhändlern, Parallelimporteuren oder Direktimporten durch die Konsumenten selbst – unterlaufen werden kann. Im Folgenden wird deshalb kurz diskutiert, worin diese Handelsbarrieren bestehen.

Exogene Handelshemmnisse


Die Nachfrage der Konsumenten nach speziellen Produkteigenschaften und die staatlichen Vorschriften unterscheiden sich von Land zu Land in Abhängigkeit vom Einkommen, von Eigenarten der politischen Entscheidungsprozesse und von anderen gegebenen Einflussfaktoren, wie etwa der Mehrsprachigkeit. Diese daraus folgende Produktdifferenzierung erleichtert dann auch die Differenzierung der Preise. Darunter leiden insbesondere Länder wie die Schweiz, die besonders viele solche differenzierenden Eigenarten aufweisen.

Endogene Handelshemmnisse


Je höher die Abschöpfungsmöglichkeiten infolge hoher Einkommen und geringer Grösse sind, desto interessanter wird es für die Anbieter, durch Lobbying bei Behörden und Politikern den Protektionismus zu verstärken und den eigenen Marktanteil vor unliebsamer Konkurrenz zu schützen. Entsprechend ist die Wirtschaftspolitik von kleinen, reichen Ländern oft besonders stark von Interessengruppen geprägt. Viele technische Handelshemmnisse sind nicht einfach das Ergebnis abgehobenen bürokratischen Treibens, sondern wurden von den profitierenden Anbietern eingefordert. So verschiebt sich der Wettbewerb von der produktiven Konkurrenz über Preis und Qualität zur unproduktiven Jagd nach Beute und Renten.

Intransparenz


Die Transaktionskosten für freie Importe werden nicht nur durch die allgemein bekannten Vorgaben und Vorschriften erhöht, sondern insbesondere dadurch, dass über die genaue Form der Marktabschottung Unsicherheit herrscht. Oft wissen die potenziellen (Parallel-)Importeure nicht, welche technischen Handelshemmnisse bestehen und welche Patente einen Importversuch schlussendlich scheitern lassen könnten. Sie wissen nur, dass es wohl Probleme geben wird und auch nach erfolgtem Import noch Risiken wie Patentrechtsprozesse und nachträglich auftauchende technische Vorschriften drohen. Gerade wenn die Importhemmnisse intransparent sind, lohnt sich der Aufbau stabiler Importkanäle, der mit hohen Kosten verbunden ist, oft nicht. Da es sich dabei grösstenteils um Fixkosten handelt, lohnen sich Importversuche umso weniger, je kleiner das Bestimmungsland ist. Zudem stellt die Überwindung intransparenter Handelshemmnisse ein öffentliches Gut dar: Wenn ein Zwischenhändler erfolgreich importieren kann, können dies andere Zwischenhändler ebenfalls. Überdies können die Produzenten und «offiziellen» Importeure ihre Preise vorübergehend senken und den Parallelimport unattraktiv machen. Aus all diesen Gründen finden oft gar keine grossangelegten Versuche von Zwischenhändlern statt, die Handelshemmnisse zu überwinden.

Wettbewerbsbehinderungen stärken sich gegenseitig


Schliesslich bleibt zu betonen, dass die verschiedenen Handelshemmnisse eng zusammenhängen. Ein Beispiel soll dies verdeutlichen: Wegen der protektionistischen Landwirtschaftspolitik ist der Eintritt in den Schweizer Markt für ausländische Handelsketten mit besonders effektiver, international ausgerichteter Einkaufslogistik wenig attraktiv. Sie dürfen viele Produkte aus ihren angestammten Einkaufskanälen nicht importieren und müssen hier ganz neue Einkaufskanäle aufbauen. Ein solcher mit hohen Kosten und Risiken verbundener Aufbau entspricht gerade nicht der Kernkompetenz von Discountern, die auf eine internationale Logistik setzen. Entsprechend sind sie dem Schweizer Markt lange ferngeblie-ben, was den Wettbewerb im Schweizer Detailhandel massiv geschwächt hat. Folglich sind die Margen im Schweizer Detailhandel im internationalen Vergleich hoch (in absoluten Beträgen gemessen), und die grossen Detailhändler haben lange Zeit kaum Versuche unternommen, selbst Güter direkt zu importieren. So wurden die technischen Handelshemmnisse bis vor wenigen Jahren kaum thematisiert, weshalb sie umso intransparenter und für Markt-Neueintreter noch abschreckender waren.

Radikale Öffnung als Lösung


Die bisherigen Überlegungen zeigen: Kleinere reiche Länder wie die Schweiz leiden ganz besonders unter wettbewerbsfeindlichen Praktiken. Für sie ist deshalb die internationale Öffnung der Märkte weit wichtiger als für grosse Länder. Deshalb empfiehlt sich eine besonders radikale Marktöffnung.

Cassis de Dijon democratique und internationale Erschöpfung von Patenten


Da unsere Handelspartner über Exporte von den hohen Schweizer Preisen profitieren, können wir nicht auf Reziprozität bei der Marktöffnung setzen. Vielmehr müssen wir unsere Märkte einseitig öffnen. Für die Schweiz besonders geeignet ist erstens eine umfassende Anerkennung der Produktionsvorschriften und Regulierungen möglichst vieler Ursprungsländer im Sinne des Cassis-de-Dijon-Prinzips. Der Kreis der einbezogenen Länder sollte möglichst weit gezogen werden, also neben der EU möglichst viele weitere OECD-Länder umfassen. Von entscheidender Bedeutung ist die Regelung des Ausnahmenkatalogs. Diese Ausnahmen sollten ausschliesslich dem Schutz der Bevölkerung dienen. Da sie aber auch hohe Kosten verursachen, sollte eigentlich das Volk selbst über die Ausnahmen entscheiden. Zweitens sollte beim Patentrecht zur internationalen Erschöpfung übergegangen werden. Dies drängt sich auch deshalb auf, weil sonst das Patentrecht als Substitut für die abzubauenden technischen Handelshemmnisse missbraucht wird, was die Marktabschottung noch intransparenter machen würde.

Missbräuchliches Weltwohlfahrtsargument für Preisdifferenzierung


Gegen die radikale Marktöffnung wird immer wieder angeführt, monopolistische Preisdifferenzierung könne aus internationaler Perspektive wohlfahrtssteigernd wirken. Dieses Argument wird jedoch zumeist missbräuchlich verwendet. Preisdifferenzierung kann unter bestimmten Bedingungen tatsächlich Vorteile haben. Es gibt aber keinen Grund, weshalb die Differenzierung ausgerechnet den Landesgrenzen folgen soll und insbesondere die Preise der wenigen kleinen reichen Länder, die nicht in grosse Wirtschaftsräume integriert sind, besonders hoch sein sollten. So ist es weder mit Effizienznoch mit Gerechtigkeitsüberlegungen zu begründen, dass ein armer Schweizer für das genau gleiche Gut höhere Preise als ein reicher Deutscher bezahlen soll.

Taxed Non-Swissness als Königsweg?


Gegen eine solche einseitige Marktöffnung kann eingewendet werden, sie bedrohe die regulatorische Autonomie der Schweiz, weil die in- und ausländischen Produzenten auf ausländische Standards ausweichen könnten. Als Lösung könnte die umfassende Anerkennung ausländischer Normen mit einem Anreizmechanismus verknüpft werden. Auf Gütern, die nicht den Schweizer Normen entsprechen, müsste ein entsprechender einfacher Vermerk angebracht werden und eine minimale Grenzabgabe von vielleicht 2% des Warenwertes erhoben werden. Dieses Konzept der «Taxed Non-Swissness» – eine eigentliche Zertifizierung mit Tarifierung – würde der Schweiz einen regulatorischen Freiraum bewahren, ohne die Importe merklich zu behindern und ohne Anreize für die Schaffung neuer Marktabschottungen zu schaffen. Als Alternative könnte auch auf Gütern, welche die Schweizer Normen erfüllen, ein entsprechender positiver Vermerk angebracht werden.  Zuweilen werden Zweifel an der rechtlichen Zulässigkeit dieses Konzepts geäussert. Dem kann hier nicht gefolgt werden. Die Taxed Non-Swissness ist wesentlich liberaler und schafft für keinen Anbieter stärkere Einschränkungen als die heutige Politik: Sie ersetzt bisherige Importverbote, die ökonomisch gesehen nichts anderes als unendlich hohe Steuern oder Zölle sind, durch sehr niedrige Steuern. Damit entspricht sie genau dem Geist der WTO-Politik, nichttarifäre Handelshemmnisse möglichst durch tarifäre zu ersetzen. Schliesslich behandelt sie in- und ausländische Anbieter strikte gleich, ist also nichtdiskriminierend. Aufgrund dieser Überlegungen sollte die Taxed Non-Swissness bei entsprechender Formulierung dem internationalen Recht vollauf genügen.

Kasten 1: Kontakt Reiner Eichenberger,Universität Fribourg, Bd. de Pérolles 90, CH-1700 Fribourg,Tel. +41 26 300 82 62/66E-Mail: reiner.eichenberger@unifr.ch

Zitiervorschlag: Reiner Eichenberger (2008). Wettbewerb im Binnenmarkt, internationale Öffnung und Wachstum. Die Volkswirtschaft, 01. April.