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Stärkung der Kaufkraft der Privathaushalte

Unter dem Titel «Wachstumspolitik» hat der Bundesrat bisher in erster Linie an die Wirtschaft gedacht: etwa mit Steuersenkungen für Unternehmen, den Europa-kompatiblen Gesetzgebungen zu Gunsten der Schweizer Exportwirtschaft und der Einführung der Personenfreizügigkeit. Von einer Fortführung - oder Weiterentwicklung - der Wachstumspolitik darf erwartet werden, dass der Bundesrat der Stärkung der Kaufkraft der Privathaushalte grössere Aufmerksamkeit schenkt, indem er die überhöhten Importpreise senkt und die Rechte der Konsumentinnen und Konsumenten EU-kompatibel gestaltet.

 

Bezüglich der überhöhten Importpreise kamen in den vergangenen zwei Jahren vom Bundesrat erfreuliche, aber auch widersprüchliche Signale. Bei einem jährlichen Importvolumen von über 180 Mrd. Franken – wovon über 70 Mrd. Franken für die Endverbraucher – lohnt es sich, die Ursachen für die um durchschnittlich 10%-30% höheren Preise für importierte Güter genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn überhöhte Importpreise verteuern den Wirtschaftsstandort und behindern das Wachstum.

Hohe Preise bereits beim Import


Eine Studie der BAK Basel Economics, die im Auftrag des Detailhandels durchgeführt wurde, BAK Basel Economics: Internationaler Vergleich der Kosten und Preis bestimmenden Faktoren im Detailhandel. Basel, 2006, S. 40-43. hat gezeigt, dass die Preisunterschiede bei den meisten Importprodukten nicht beim Endverkaufspreis anfallen, sondern dass diese bereits zu einem höheren Preis importiert werden müssen. Hier spielen Lohn- und Infrastrukturkosten keine Rolle, im Gegenteil. Angesichts des europaweit tiefsten Mehrwertsteuersatzes in der Schweiz müssten Importgüter an der Grenze eher günstiger sein. Es sind folglich in erster Linie technische Handelshemmnisse, Zölle und Marktordnungen, die für die unterschiedlichen Preise verantwortlich sind. Mit der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips will der Bundesrat technische Handelshemmnisse abbauen. Dieses Ziel wird vom Konsumentenschutz mitgetragen. Die Konsumenten sollen aber auch in Zukunft nicht auf wichtige Angaben – wie zum Beispiel das Herkunftsland von Lebensmitteln – verzichten müssen. Alle europäischen Länder haben solche Ausnahmebestimmungen, wenn es um die Sicherheit oder die Information ihrer Konsumenten geht. Die Ausnahmen müssen allerdings in Grenzen gehalten werden, weil sonst das Cassis-de-Dijon-Prinzip seine Wirkung nicht entfalten kann. Auch das vom Bundesrat ins Auge gefasste Freihandelsabkommen im Agrarbereich mit der EU könnte die Konsumenten entlasten – vorausgesetzt, dass ein solches Abkommen die Sicherheit und Qualität von Lebensmitteln nicht verschlechtert.

Ohne Parallelimporte bringt Cassis de Dijon wenig


Cassis de Dijon und Freihandelsabkommen werden den Konsumenten kaum etwas bringen, wenn nicht gleichzeitig die Zulassung von Parallelimporten beschlossen wird. Mit seinem Entscheid im Dezember 2007, Parallelimporte patentgeschützter Güter auch in Zukunft explizit zu verbieten, verheddert sich der Bundesrat in Widersprüche. Selbstverständlich sind Patente für die Innovation von grösster Bedeutung. Doch wenn Patente für die Abschottung von Märkten missbraucht und dadurch Importmonopole geschaffen werden, dann hat dies mit dem Schutz des geistigen Eigentums nichts zu tun. Der Bundesrat ist in dieser Haltung auch deshalb widersprüchlich, weil er von der Landwirtschaft und von den KMU erwartet, dass sie sich der ausländischen Konkurrenz stellen, während ausgerechnet die Pharmaindustrie, die ja den Abwehrkampf gegen Parallelimporte aus purem Eigeninteresse anführt, vor unliebsamer Konkurrenz verschont bleibt. Gerade im Medikamentenmarkt, wo drei Viertel der Medikamente importiert sind, ist diese Marktabschottung besonders ärgerlich, da die Gewinne aus den überhöhten Preisen in der Schweiz zum allergrössten Teil an ausländische Konzerne fliessen, während sich der Schweizer Mittelstand mit der starken Belastung der Krankenkassenprämien herumschlagen muss. Schliesslich hat der Bundesrat es in den vergangenen Jahren verpasst, Marktöffnungen, aber auch den Einzug neuer Technologien – wie zum Beispiel E-Commerce – mit entsprechenden Massnahmen auf der Seite der Konsumentinnen und Konsumenten abzusichern. Im Bereich der Konsumentenrechte hinkt die Schweiz den europäischen Ländern hinterher. Nicht nur bei den Informations- und Transparenzvorschriften, sondern auch in Sicherheits- und Wettbewerbsfragen vernachlässigt der Bundesrat die Privathaushalte. Damit werden der bedeutendsten Nachfrage im Land nicht nur wichtige Rechte vorenthalten, sondern der Bundesrat verspielt auch die Chance, dass der Wettbewerb seine Rolle als wichtiger Motor für Innovation – und damit letztlich auch Wachstum – spielen kann.

Zitiervorschlag: Simonetta Sommaruga (2008). Stärkung der Kaufkraft der Privathaushalte. Die Volkswirtschaft, 01. April.