Zürich/Aargau: Erfolgreiche Finanzmetropole mit exzellenten Standortbedingungen
Hohe Wirtschaftskraft…
Ein gutes Mass für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Region ist das BIP pro Kopf. Es liegt in Zürich/Aargau deutlich über dem Schweizer Durchschnitt (vgl. Tabelle 1). Dieser Wert ist hauptsächlich auf zwei Ursachen zurückzuführen: Einerseits weist die Region im Verhältnis zur Bevölkerung eine relativ hohe Anzahl Erwerbstätiger auf (d.h. die Erwerbstätigenquote ist hoch). Anderseits arbeitet ein Grossteil dieser Personen in sehr produktiven Branchen (d.h. die regionale Wirtschaft weist eine hohe Produktivität auf).
…dank Pendlern und hoher Produktivität
Eine hohe Erwerbstätigenquote kommt zustande, indem ein möglichst grosser Anteil der Bevölkerung in den Erwerbsprozess eingebunden ist. Die Partizipationsrate der Männer ist in Zürich/Aargau relativ hoch. Diejenige der Frauen liegt hingegen tiefer und bietet noch Potenzial für die Rekrutierung von Arbeitskräften. Doch nicht nur die lokale Bevölkerung trägt zur wirtschaftlichen Leistung bei, sondern auch diejenige von ausserhalb. Gerade die vielen Zupendler spielen für Zürich/Aargau eine entscheidende Rolle. Die letzten verfügbaren exakten Daten hierzu stammen aus der Volkszählung 2000. Damals pendelten rund 110000 ausserhalb der Region wohnhafte Personen nach Zürich/Aargau zur Arbeit, was etwa 10% aller Erwerbstätigen der Region entsprach. Seither haben die Pendlerströme weiter zugenommen. Wie oben erwähnt, ist eine hohe Erwerbstätigenproduktivität der zweite wichtige Erklärungsfaktor neben dem Zustrom von Pendlern für die Wirtschaftskraft der Region Zürich/Aargau. Die Erwerbstätigenproduktivität liegt in der Region gut 10% über dem Schweizer Durchschnitt. Dieser Wert kommt durch die Konzentration auf hoch produktive, spezialisierte Branchen zustande. Auf die wichtigsten dieser Schlüsselbranchen wird im Folgenden kurz eingegangen.
Finanzsektor prägt Stadt Zürich
Die eindeutig höchste Branchenkonzentration besteht beim Finanzsektor, der über einen Fünftel der Wertschöpfung der Region Zürich/Aargau ausmacht (vgl. Grafik 1). Er ist im Wesentlichen auf die Stadt Zürich und nahe liegende Gemeinden konzentriert. In der Stadt Zürich macht der Finanzsektor sogar rund 40% der Wertschöpfung aus. Entsprechend gross ist auch der Platzbedarf. Die hohe Nachfrage des Finanzsektors nach Bürofläche ist mit ein Grund für hohe Immobilienpreise, was wiederum eine Verdrängung raumintensiverer und weniger produktiver Branchen aus dem Zentrum zur Folge hat. Die Finanzdienstleister erreichten seit 1990 ein kräftiges durchschnittliches jährliches Wertschöpfungswachstum von 5% (vgl. Grafik 2). Sie sind damit der Wachstumsmotor der Stadtzürcher Wirtschaft, stellen aber auch ein erhebliches Klumpenrisiko dar. Wenn nämlich dieser Wachstumsmotor – wie nach der Börsenschwäche 2001/2002 – ins Stottern gerät, so bekommt das die gesamte regionale Wirtschaft zu spüren. Zahlreiche Branchen sind direkt oder indirekt vom Finanzsektor abhängig. Direkt abhängig sind die Zulieferbranchen des Finanzsektors wie Unternehmensoder IT-Dienstleistungen. Diese Branchen bilden zusammen mit dem Finanzsektor eine Art Finanzcluster.
Prosperierende Industrie im Aargau
Während in der Stadt Zürich und der näheren Umgebung die Kosten für raumintensive Branchen häufig zu hoch sind, bieten das weitere Umland von Zürich und weite Teile von Aargau ideale Standortbedingungen. So hat in der Vergangenheit ein Strukturwandel stattgefunden. Die aus den Zentren verdrängten Industriebranchen konnten sich – zum Teil sehr erfolgreich – in den Agglomerationsgegenden oder in peripheren Lagen ansiedeln. Der Erfolg dieser Unternehmen reflek-tiert sich in einer erfreulichen Aussenhandelsdynamik. So ist der gesamte Wert der exportierten Güter seit 1990 um die Hälfte gestiegen. Die Struktur der einzelnen Exportkategorien blieb in diesem Zeitraum relativ stabil. Einzig der Anteil der Fahrzeugex-porte ging deutlich zurück. Eindeutig am wichtigsten sind die Maschinenexporte, die nach wie vor rund die Hälfte ausmachen. Sehr dynamisch hat sich ausserdem die hoch innovative chemisch-pharmazeutische Industrie entwickelt. Der Strukturwandel hat demnach weniger zu einer Verdrängung einzelner Industriebranchen geführt. Vielmehr hat er in den meisten Branchen zu einer Fokussierung auf hoch produktive, wissensbasierte Bereiche geführt. Die Industrieunternehmen haben sich stark gewandelt: Sie sind von reinen Produktionsstätten zu Forschungs- und Entwicklungsstätten geworden.
Öffentlicher Sektor, Transport und Grosshandel: ein Viertel der Wirtschaft
Die zunehmende Spezialisierung und Konzentration auf hoch produktive, wissensintensive Branchen – wie im Finanzoder Hightechbereich – bringt auch deutlich höhere Qualifikationsanforderungen an das Personal mit sich. Die lokalen Bildungseinrichtungen sind gefordert, genügend Leute auszubilden. Starke, international renommierte Institutionen – wie die ETH Zürich, die Universität Zürich und die Fachhochschulen der Region – tragen sowohl durch ihre Forschungstätigkeit als auch durch die Ausbildung von Fachpersonal entscheidend zum Erfolg der Region bei. Die Nähe zur Forschung ist auch für den gut ausgebauten Gesundheitssektor von hoher Bedeutung. Das Universitätsspital Zürich nimmt eine wichtige Zentrumsfunktion wahr: Es stellt modernste Spitzenmedizin für die ganze Region und die umliegenden Kantone bereit. Eine entscheidende Rolle für das Wachstum der Region kommt auch den Grosshandels- und Verkehrsunternehmen zu. Als Bindeglied zwischen Produzenten, Händ-lern und Konsumenten sowie im Personentransport üben sie eine wichtige Funktion in der Gesamtwirtschaft aus. Dank der ausgezeichneten verkehrstechnischen Anbindung an den Flugverkehr und an das Strassen-/Schienennetz bildet die Region eine der wichtigsten Verkehrsdrehscheiben der Schweiz.
BIP-Wachstum auch in peripheren Regionen
Die facettenreiche Entwicklung der einzelnen Branchen ergibt in ihrer Gesamtheit das Wirtschaftswachstum der Region Zürich/Aargau. Entscheidend ist dabei nicht nur die Entwicklung bestehender, sondern auch die Gewinnung neuer Unternehmen. Mit einer mässigen Steuerbelastung für Unternehmen und einer allgemein vorteilhaften Standortqualität ist die Region im internationalen Standortwettbewerb gut positioniert. Die hohe Standortattraktivität für Unternehmen bestätigt sich durch die erfolgreiche Neuansiedlung namhafter internationaler Unternehmen in der Region. Betrachtet man die Entwicklung des regionalen BIP seit 1990 (vgl. Grafik 3), so fällt die relativ grosse Ähnlichkeit mit der gesamtschweizerischen Entwicklung auf. Weil die Region Zürich/Aargau (wie oben beschrieben) fast einen Drittel des gesamtschweizerischen BIP ausmacht, liegt es auf der Hand, dass dadurch auch die Entwicklung der Schweiz als Ganzes wesentlich geprägt wird. Die wichtigsten Charakterzüge der Dynamik stimmen deshalb überein: die Wachstumsschwäche Anfang der Neunzigerjahre und die markante wirtschaftliche Beschleunigung seit 2003. Eine merkliche Abweichung besteht dennoch: In Zürich/Aargau bewirkte die grosse Abhängigkeit der Wirtschaft vom Finanzsektor in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre im Zuge des Börsenbooms eine deutlich überdurchschnittliche Entwicklung. Zwischen 2000 und 2003 folgte aufgrund der Börsenflaute eine deutlich unterdurchschnittliche Entwicklung. Insgesamt ist die Region Zürich/Aargau zwischen 1990 und 2007 durchschnittlich um 1,4% pro Jahr gewachsen. Diese positive wirtschaftliche Entwicklung verlief aber nicht in allen Gemeinden gleich dynamisch. Wie zwischen den Branchen, so traten auch zwischen den Gemeinden beträchtliche Unterschiede in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung auf. Interessanterweise sind besonders dynamische und weniger dynamische Gemeinden breit über die ganze Region verstreut. Es lassen sich einige besonders wachstumsstarke Gemeindegruppen identifizieren, wie zum Beispiel das Fricktal oder die Gemeinden um Dübendorf. Die Zentren Zürich, Winterthur und Aarau liegen bezüglich ihres Wirtschaftswachstums im Durchschnitt (vgl. Grafik 4).
Zuzüger stützen Wirtschaftswachstum
Ein solides Wirtschaftswachstum, wie es die Region Zürich/Aargau vor allem in der jüngeren Vergangenheit gesehen hat, benötigt auch zusätzliche Arbeitskräfte. Die Nachfrage nach Spezialisten kann jedoch schon längst nicht mehr ausschliesslich durch inländische Fachkräfte gedeckt werden. Gerade die Verfügbarkeit von hoch qualifizierten Mitarbeitenden ist zentral für das Wachstum der immer wissensintensiveren Wirtschaft. Es ist deshalb wichtig, auch Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuziehen. Und genau da hat die Region Zürich/Aargau einen entscheidenden Trumpf im Ärmel. Dank ausgezeichneten Rahmenbedingungen – wie einer sehr hohen Lebensqualität, einer moderaten Steuerbelastung und einem relativ hohen Lohnniveau – ist die Region für hoch qualifizierte Arbeitskräfte äusserst attraktiv. Die Öffnung des Arbeitsmarktes gegenüber der EU hat zudem die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte deutlich erleichtert und gefördert. Die hohe Attraktivität der Region Zürich/Aargau als Wohnstandort wird deutlich, wenn man dessen Bevölkerungsentwicklung betrachtet. Lag die Region während den Neunzigerjahren noch unter der gesamtschweizerischen Dynamik, so wendete sich das Blatt zu Beginn des neuen Jahrzehnts; die Region wuchs seither deutlich schneller (vgl. Grafik 5). In den einzelnen Gemeinden verlief das Bevölkerungswachstum sehr unterschiedlich (vgl. Grafik 6). Unterdurchschnittlich war das Wachstum in der Stadt Zürich sowie den nahegelegenen Gemeinden um den Zürichsee. In diesen Gemeinden sind die Baulandreserven begrenzt, und ein Wachstum ist nur durch verdichtetes Bauen möglich. Ein überdurchschnittliches Wachstum war in der Peripherie nördlich und westlich der Stadt Zürich zu beobachten. Die verbesserte verkehrstechnische Erreichbarkeit dürfte dazu beigetragen haben. Ausserdem erfreut sich das Fricktal eines soliden Bevölkerungszuwachses.
Zürich/Aargau schwächer als Vergleichs-Finanzmetropolen
Im Wettbewerb um hoch qualifiziertes Personal muss sich die Region Zürich/Aargau auch wirtschaftlich in einem internationalen Kontext messen. Als erfolgreicher Finanz- und Hightechstandort ist es sinnvoll, die Region mit andern bedeutenden Finanz- und Industriestandorten zu vergleichen. Grafik 7 zeigt eine Gegenüberstellung von neun Standorten in Bezug auf Wirtschaftskraft (gemessen am BIP/Kopf) und Wirtschaftswachstum. Um die internationale Vergleichbarkeit zu gewährleisten, sind die Werte zu Kaufkraftparitäten (PPP) umgerechnet. Bei den gewählten Vergleichsregionen handelt es sich allesamt um starke Regionen, deren Wirtschaftskraft mindestens im westeuropäischen Durchschnitt liegt. Zürich/Aargau schneidet in diesem Vergleich nicht besonders gut ab. Die Finanzzentren London, New York, Luxemburg und Frankfurt weisen eine deutlich höhere Wirtschaftskraft auf und stehen – mit Ausnahme von Frankfurt – auch in Bezug auf das Wirtschaftswachstum besser da als Zürich/Aargau. Die stark technologielastigen Regionen Tampere und Vorarlberg haben zwar eine tiefere Wirtschaftskraft als Zürich/Aargau, holen aber in Anbetracht ihres deutlich kräftigeren Wachstums auf. Das schwache Resultat im internationalen Vergleich ist von der betrachteten Zeitperiode abhängig. In die Zeit zwischen 1990 und 2006 fällt in der Schweiz eine ausgedehnte Phase der Wachstumsschwäche. Die Region Zürich/Aargau, die ja rund ein Drittel der Schweizer Wirtschaft ausmacht, konnte sich dem nicht entziehen. Dank wichtigen wirtschaftspolitischen Reformen auf Bundesebene konnte die Wachstumsschwäche in jüngster Vergangenheit überwunden werden. Damit haben sich auch die Zukunftsaussichten der Region deutlich verbessert. Mittelfristig wird die Wirtschaft der Region Zürich/Aargau wieder jährliche Wachstumsraten von deutlich über 2% erreichen.
Grafik 1 «Branchenstruktur der Region Zürich/Aargau, 2007»
Grafik 2 «Branchenwachstum der Region Zürich/Aargau, 1990-2007»
Grafik 3 «Entwicklung des realen Bruttoinlandprodukts und der Erwerbstätigen der Region Zürich/Aargau,1990-2007»
Grafik 4 «Reales BIP-Wachstum der Region Zürich/Aargau nach Gemeinden, 1990-2007 Durchschnittliche, jährliche Veränderung in %»
Grafik 5 «Entwicklung der Bevölkerung und des Volkseinkommens der Region Zürich/Aargau, 1990-2007»
Grafik 6 «Bevölkerungswachstum der Region Zürich/Aargau, 1990-2006 Durchschnittliche, jährliche Veränderung in %»
Grafik 7 «Zürich/Aargau im Vergleich mit anderen Regionen»
Tabelle 1 «Zürich/Aargau – Kennzahlen 2007»
Zitiervorschlag: Dietzi, Thomas (2008). Zürich/Aargau: Erfolgreiche Finanzmetropole mit exzellenten Standortbedingungen. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.