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Die Pariser Erklärung und ihre Umsetzung

Die internationale Gemeinschaft und insbesondere die im Rahmen der OECD organisierten westlichen Geberstaaten sind gegenwärtig damit befasst, die Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (Pariser Erklärung) vom März 2005 umzusetzen. Die Pariser Erklärung ist der bisherige Höhepunkt einer mehrjährigen Entwicklung, die das Thema Wirksamkeit der EZA schrittweise als zentralen Fokus in der internationalen Entwicklungskooperation etablierte. Sie ist ein geeigneter Anlass, das Thema der Wirksamkeit von EZA über die OECD hinaus zu einer Kernfrage der internationalen Gemeinschaft zu machen, um Fragen der globalen nachhaltigen Entwicklung erfolgreich zu bewältigen. Der Gipfel in Accra im September 2008 wird zeigen, wie weit die Umsetzung der Pariser Erklärung seitens der Unterzeichner mittlerweile fortgeschritten ist.

Die Pariser Erklärung und ihre Umsetzung

Weshalb gerade jetzt eine Wirksamkeitsdebatte?


Die Gründe, gerade zum jetzigen Zeitpunkt über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (EZA) nachzudenken, sind zahlreich. Nach dem Ende des Kalten Krieges kam zunächst grosser Optimismus auf, durch den Wegfall der bipolaren Konfrontation die EZA – und damit auch die entwicklungspolitischen Zielsetzungen wie die nachhaltige Reduktion von Armut in all ihren Formen – von sämtlichen politischen Instrumentalisierungen zu befreien. Die Chance schien gekommen, durch partnerschaftliche Prinzipien ausgewogene Entwicklungswege einzuschlagen und so zu einer nachhaltigen globalen Entwicklung beizutragen. Diese Hoffnungen haben sich aus unterschiedlichen Gründen bislang nicht erfüllt. Die internationale Gemeinschaft arbeitet weiterhin an realpolitischen Strategien, dieses Ziel auch tatsächlich zu erreichen. Mit dem Wegfall der ideologischen Vereinnahmung der Entwicklungspolitik durch den Kalten Krieg und die enttäuschenden bis katastrophalen Ergebnisse der Strukturanpassungen in den Neunzigerjahren wurde vor allem von Geberseite zunehmend die Sinnfrage von EZA als solche gestellt. Die historische Bilanz seit der «Erfindung» der EZA ist dabei durchaus ambivalent. Je nach Zählweise flossen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zwischen 1 und 2,3 Bio. US-$ in jene Kanäle der Entwicklungsfinanzierung, die von der OECD als Official Development Assistance (ODA) anerkannt werden. Die herausragenden ökonomischen Erfolgsbeispiele seit 1945 – etwa in den Tigerstaaten der ersten und zweiten Generation oder neuerdings China und Indien – waren (gemessen in Pro-Kopf-Zuwendungen) keine «Donor Darlings». Auf der anderen Seite erhielt Sub-Sahara-Afrika mit 650 Mrd. US-$ seit 1960 einen Löwenanteil der ODA – mit bislang bescheidenen Ergebnissen. Kurz: Die Frage nach dem (positiven) Zusammenhang zwischen tatsächlicher Armutsreduktion und EZA steht im Raum. Die Verbesserung ihrer Wirksamkeit ist eine Antwort, die von der internationalen Gebergemeinschaft ebenso wie von den Empfängerstaaten eingemahnt wird.

Die Pariser Erklärung als politische Strategie


Die Inhalte der Pariser Erklärung wurden während eines mehrjährigen Prozesses von der OECD, ihren Mitgliedstaaten, den internationalen Finanzinstitutionen (Weltbank, Internationaler Währungsfonds), regionalen Entwicklungsbanken und Partnerländern erarbeitet. Bereits im Monterrey-Konsens (2002) war davon die Rede, mit einer Steigerung der Finanzmittel auch systemische Fragen und Widersprüche in der internationalen Wirtschaft anzugehen. Zugleich wurden eine Harmonisierung der operativen Vorgänge in der EZA sowie mehr Flexibilität (im Sinne der Kontextsensibilität) der Entwicklungskooperation angestrebt. Die eigentliche Qualität der Pariser Erklärung als politische Strategie besteht einerseits in einem bis dahin nicht erzielten, relativ breiten politischen Konsens über operative Schwerpunktsetzung innerhalb der internationalen EZA und andererseits im Novum einer indikatorengeleiteten Ergebnisüberprüfung. Zum ersten Mal einigten sich die OECD-Staaten mit (mittlerweile) etwa 75 Partnerländern und einigen privaten entwicklungspolitischen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf einen Kanon von zwölf Fortschrittsindikatoren und 21 zum Teil sehr konkreten Zielvorgaben. Damit war ein Instrumentarium geschaffen, das die Erreichung von mehr Wirksamkeit in der EZA zeitlich und operativ überprüfbar machen sollte. Seit der Unterzeichnung der Erklärung koordiniert die OECD ihre Umsetzung im Rahmen eines aufwendigen Prozesses der Datengewinnung und Forschrittsmessung. Zusätzlich initiierte sie einen Konsultationsprozess mit internationalen NGO, der unter anderem auch durch eine Advisory Group (AG) institutionalisiert wurde. Der erste grosse Zwischenschritt in der Umsetzung ist das im September 2008 in Accra, Ghana, stattfindende High Level Forum, auf dem die OECD, ihre Mitgliedstaaten sowie die Empfängerländer eine erste Bilanz ziehen werden.

Kritik von Seiten der NGO


Auch die NGO haben sich zum Thema Wirksamkeit vernetzt, um Eigenpositionen sowie empirisches Material beizusteuern. Aus Perspektive der NGO ist die Agenda der Pariser Erklärung aus mehreren Gründen unzulänglich. Zwei davon sollen hier erwähnt werden: Der in der Erklärung gebrauchte Begriff Ownership – also die Vorgabe, dass Partnerländer selbst eine wirksame, d.h. tatsächliche Führungsrolle bei ihren Entwicklungspolitiken und -strategien ausüben – konzentriert sich auf die Regierungen in den Empfängerstaaten und lässt Fragen der Repräsentativität bzw. der NGO als Sprachrohre der Betroffenen ausser Acht. NGO haben daher schon unmittelbar nach der Unterzeichnung der Erklärung gefordert, diesen Begriff auf Democratic Ownership zu erweitern, um NGO und andere nicht-staatliche Organisationsformen als konstitutiv für einen partnerschaftlichen Entwicklungsdiskurs anzuerkennen. Die OECD hat dieses Anliegen aufgenommen und spricht sich im Entwurf vom März 2008 für den Accra-Action-Plan für eine verstärkte Involvierung der Bürger, Parlamente und Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) von der Planung bis zur Auswertung der Entwicklungsstrategien aus. Der zweite, nicht weniger entscheidende Kritikpunkt ist für die Entwicklungspraxis wesentlich schwieriger zu lösen. Das Prinzip der gegenseitigen Rechenschaftspflicht sieht vor, dass Geber wie Empfänger für das zur Verantwortung gezogen werden sollen, was sie im Hinblick auf entwicklungspolitische Zielsetzungen tun bzw. nicht tun. Wenn eine partnerschaftlich-dialogische Ausrichtung der EZA ernsthaft angestrebt wird, sind Rechenschaftsmechanismen von entscheidender Bedeutung. Zwei Dimensionen sind damit gemeint:  – die Verpflichtung derer, die mit (politischer und finanzieller) Macht ausgestattet sind, ihre Entscheidungen und Handlungen zu rechtfertigen;  – die Existenz von Mechanismen, die Machtmissbrauch oder Leistungsdefizite sanktionieren.   Wenn man den ersten, rudimentären Ergebnissen zur Umsetzung der Pariser Erklärung Glauben schenkt, sind derartige Mechanismen noch in weiter Ferne, insbesondere weil die Geber einen Souveränitätsverlust akzeptieren müssten, der es den Empfängerländern erlauben würde, Einfluss auf die Geberpolitik zu nehmen.

Bisherige Umsetzung – Zwischenbilanz


Die Forschrittsbemessung bezüglich der Umsetzung der Pariser Erklärung erfolgt gegenwärtig in zwei Schritten: Bereits 2007 hat die OECD einen Bericht veröffentlicht, der zu allen Indikatoren und Zielvorgaben der Erklärung Grunddaten ausarbeitete. Diese Daten dienen in Accra dazu, Defizite und bereits Erreichtes sichtbar zu machen, indem sie mit den Ergebnissen einer neuerlichen Erhebung, die gegenwärtig durchgeführt wird, verglichen werden. Die OECD und die anderen Unterzeichner der Erklärung haben sich damit einen extrem kurzen Zeitrahmen gesetzt, um sichtbare Erfolge zu erzielen. Bis 2010 sollen sämtliche Ziele der Erklärung erreicht sein.  Obschon von geber- und empfängerstaatlicher Seite noch keine Fortschrittsberichte vorliegen, gibt es interessante Quellen aus nicht-staatlichen Bereichen, die Rückschlüsse auf das Kernproblem erlauben:  – zum einen die Erfahrungsberichte bi- und multilateraler Geber, die insbesondere in den Bereichen Harmonisierung und Anpassung seit mehreren Jahren regionalspezifische Programme durchführen;  – zum andern ein kürzlich erschienener NGO-Sammelbericht unter der Koordination des European Network on Debt and Development (Eurodad), der für alle fünf Kernbereiche der Pariser Erklärung empirische Erfahrungswerte aus sieben Empfängerländern bietet.

Verbesserung der Ownership


Ownership hängt eng mit der zweiten Säule der Pariser Erklärung zusammen, welche die Anpassung der Hilfe an die Partnerländer und ihre Entwicklungsprioritäten vorsieht. Beides sollte ermöglichen, den Empfängerländern die Souveränität über ihre Entwicklungswege zurückzugeben. Das erwähnte empirische Material zeigt, dass Geber nur langsam davon abgehen, ihre selbst formulierten Entwicklungsprioritäten zu finanzieren.  Grundsätzlich ist zu beobachten, dass sich die Poverty Reduction Strategy Plans (PRSP), die als nationale Entwicklungsstrategien der Verbesserung der Ownership zugrunde gelegt werden, in vielen südlichen Ländern stark gleichen, was die Dominanz der Geberstaaten und -institutionen bei ihrer Formulierung widerspiegelt. Diese Institutionen üben nach wie vor eine starke Kontrolle auch bei der Überarbeitung der PRSP aus. Fünfzehn Mitarbeitende der Regierung in Niger reisten im März 2007 nach Washington, um das zweite PRSP unter Aufsicht der Weltbank, von UNDP, Belgien und IWF-Vertretern auszuarbeiten. In Fällen wie Sierra Leone sind diese PRSP zu allgemein formuliert und bieten damit Gebern die Möglichkeit, ihre eigenen Prioritäten zu verfolgen. Häufig sind dafür mangelnde Kapazitäten seitens der Empfängerstaaten verantwortlich, wie etwa in Niger oder Honduras. Fehlende Kapazitäten verunmöglichen es den betreffenden Regierungen, die von der Pariser Erklärung eingemahnte Führungsrolle tatsächlich auszuüben. Auch das grosse (finanzielle) Machtungleichgewicht sorgt dafür, dass es unrealistisch ist anzunehmen, Empfängerländer wie Sierra Leone könnten Geberaktivitäten zurückweisen, falls sie einen Widerspruch zu den eigenen entwicklungspolitischen Prioritäten feststellen.  Anders stellt sich die Lage in politisch und ökonomisch besser gestellten Ländern dar. Nicaragua nutzt etwa das politische Nahverhältnis zu Venezuela, um eine stärkere Position gegenüber traditionellen Gebern einzunehmen. Die Regierung von Kambodscha hat zwar keine Finanzmittel unmittelbar zurückgewiesen, wohl aber Einzelprojekte modifiziert. Und Vietnam hat ein eigenes Hanoi Core Statement on Aid Effectiveness formuliert, das die Regierung als Massstab ihrer selektiven Kooperation nutzt. Zugute kommt solchen Bemühungen die aktuelle internationale Aufmerksamkeit gegenüber diesen Fragen, welche die Pariser Erklärung geschaffen hat. Die strukturellen und realpolitischen Hindernisse für Ownership bleiben aber beträchtlich.

Die Frage der Konditionalitäten


Ein weiteres, politisch sensibles Beispiel ist die Frage der Konditionalitäten. Die Pariser Erklärung verlangt lediglich kontinuierliche Fortschritte in Bezug auf den Abbau von gebundener Hilfe. In diesem Kernbereich der Geberdominanz sind Fortschritte erkennbar. Insbesondere die internationalen Finanzinstitutionen beharren aber in zahlreichen Partnerländern auf umfassenden Bedingungslisten, um vor allem Risiken im Finanzmanagement zu verringern, aber auch den wirtschaftspolitischen Kurs zu bestimmen. Noch auf einem von der Islamic Development Bank organisierten Workshop 2005 zum Mittleren Osten und Nordafrika war der Tenor der teilnehmenden Staaten, dass die Koordination der Geber diesbezüglich unzureichend ist. Budgethilfe kann hier durchaus ein probates Mittel sein, um den politischen Handlungsspielraum zu vergrössern. Im Vietnam gelang durch die Poverty Reduction Support Credits, einer Art der Budgethilfe, die deutliche Reduktion der Konditionalitäten. In Tansania publizierte die Regierung bereits 2002 eine Tanzania Assistance Strategy (TAS), die es der Regierung ermöglichte, eine echte Führungs- und Koordinationsrolle in Bezug auf die sehr heterogene EZA auszuüben. Die TAS gilt als erfolgreich und wurde durch die Mkukuta-Strategie fortgesetzt, die die Geber zu besserer Absprache mit der Regierung verpflichtete. Budgethilfe führt aber nicht notwendigerweise zu ungebundener Hilfe. In Honduras etwa bleibt die Budgethilfe an die Konditionalitäten des IWF und der Weltbank gebunden. Die schwedische Entwicklungsagentur Sida stellte vor kurzem fest, dass diese Konditionalitäten in Nicaragua die Budgethilfe zu einer Art IWF-Programm machen, die den Gestaltungsspielraum seitens der Empfängerregierung weiter einschränkt.  Die Frage der Konditionalitäten gehört damit zu den schwierigsten Details der Umsetzung der Pariser Erklärung, weil sie einerseits ein Instrumentarium darstellen, das Missbrauch verhindern kann, andererseits aber auch Machtinteressen seitens der Geber dient, die nichts mit entwicklungspolitischen Zielsetzungen zu tun haben. Ownership und Partnerausrichtung setzten aber auf jeden Fall die Möglichkeit des Empfängerlandes voraus, eine Führungsrolle aktiv ausüben zu können. Die strukturellen wie realpolitischen Hindernisse dafür sind noch recht zahlreich und werden auch einen Schwerpunkt auf dem Forum in Accra im September 2008 bilden.

Wechselseitige Rechenschaftspflicht


Die wechselseitige Rechenschaftspflicht, welche die Pariser Erklärung vorsieht, ist ein weiterer schwieriger Punkt der Umsetzung. Diese Rechenschaftspflicht, die traditionell nur auf der Empfängerseite besteht, wurde in Einzelfällen bereits erfolgreich erweitert. Mozambique ist ein eindrückliches Beispiel dafür: Bereits 2004 wurde ein Performance Assessment Framework eingerichtet, um die Leistungen der Geber im Bereich Budgethilfe zu evaluieren. Dieses Framework funktioniert über Gruppenzwang zwischen den Geberstaaten und erstellt ein Ranking der Geber. Von den Letztgereihten – im Jahr 2006 Deutschland und Frankreich – wird eine Verbesserung hinsichtlich der Vorhersehbarkeit der Hilfe und anderer Indikatoren erwartet.  Das Grundproblem der Machtasymmetrie – und damit der Frage, wie der schwächere Teil in einer Kooperation den Stärkeren zur Rechenschaft ziehen kann – illustriert wiederum Sierra Leone. Der Improved Governance and Accountability Pact von 2006, unterzeichnet zwischen der Regierung und den vier Gebern von Budgethilfe, sieht seitens Sierra Leones zehn detaillierte Punkte zur Reform der Regierungsführung mit 35 spezifischen und zeitgebundenen Zielsetzungen vor, wiederholt aber seitens der Geber lediglich die bereits in der Pariser Erklärung gemachten, sehr allgemeinen Zusagen ohne konkrete Vorgaben für den spezifischen Fall. Auch die Transparenz und der ausreichende Zugang zu Information – eine wesentliche Voraussetzung für Rechenschaftslegung – bleiben in weiten Teilen ungenügend.

Grafik 1 «ODA pro Kopf zugunsten von Empfängerländern, 2005»

Tabelle 1 «Die Prinzipien und Massnahmen der Pariser Erklärung im Überblick»

Kasten 1: Literatur
– De Renzio, Paulo (2006). Promoting Mutual Accountability in Aid Relationships. ODI Briefing Paper, April 2006. London. www.odi.org .uk/publications/briefing/bp_april06_mutual_accountability.pdf – Eurodad (2008). Turning the Tables. Aid and accountability under the Paris framework. A civil society report. Brüssel. www.eurodad.org/uploadedFiles/Whats_New/Reports/Turning_the_Tables .pdf – Roodman, David (2007). Macro Aid Effectiveness Research. A Guide for the Perplexed. Center for Global Development, Working Paper Nr. 134, Dezember 2007. www.cgdev.org/files/15003_file_Guide_Perplexed .pdf – Six, Clemens (2006). Harmonisierung und Anpassung als Strategien für wirksamere Hilfe? Bisherige Erfahrungen mit bi- und multilateralen Gebern in Asien und Afrika. ÖFSE Working Paper Nr. 15, Dezember 2006. www.oefse.at/Downloads/publikationen/Harmonisation .pdf – Six, Clemens/Margarita Langthaler/Michael Obrovsky (2007). Die Pariser Erklärung und ihre bisherige Umsetzung. (Irr-)Wege zu mehr Wirksamkeit in der EZA. ÖFSE Working Paper Nr. 17, Mai 2007. www.oefse.at/Downloads/publikationen/WP_Pariser_Erklaerung .pdf

Zitiervorschlag: Clemens Six (2008). Die Pariser Erklärung und ihre Umsetzung. Die Volkswirtschaft, 01. Mai.