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Öffentlicher Regionalverkehr: Mehr fürs gleiche Geld?

Die effizientesten regionalen Bahn- und Buslinien sind rund 40% günstiger als eine durchschnittliche Linie unter ähnlichen Rahmenbedingungen. Diese Ergebnisse des Benchmarkings bieten Ansatzpunkte, um gezielt nach Potenzialen zur Erhöhung der Effizienz zu suchen. Eine Frontier-Analyse mit Kennzahlen von 760 Bus- und 220 Bahnlinien zeigt, dass unterschiedliche Rahmenbedingungen - wie z.B. die Geschwindigkeit oder die Länge der Linie - die Kosten pro Kilometer signifikant beeinflussen. Ein beträchtlicher Teil der Kostenunterschiede lässt sich aber durch die einbezogenen Faktoren nicht erklären und wird als vermutete Ineffizienz betrachtet. In diesem 1,7 Mrd. Franken umfassenden Markt könnte sich ein verbessertes Benchmarking besonders auszahlen.



Bund und Kantone bestellen jährlich für rund 1,7 Mrd. Franken Leistungen im öffentlichen Regionalverkehr. Diese Beiträge basieren auf Offerten der Transportunternehmen (TU) für Angebote auf bestimmten Linien. Nur in wenigen Fällen kommt es zu Ausschreibungen und damit zu einem direkten Wettbewerb. Entsprechend wichtig ist für den Bund und die Kantone ein Quervergleich der Offerten auch dort, wo nicht offen ausgeschrieben wird. Bis anhin wurde das Kennzahlensystem des Bundesamtes für Verkehr (BAV) mit einem einfachen Vergleich verschiedener Kennzahlen ausgewertet, mit dem kein Gesamtmass für die Effizienz einer Linie ermittelt werden konnte. Bisher war auch unklar, wie gross der Einfluss von Faktoren, die den Linienbetreibern meist vorgegeben sind (wie z.B. die Linienlänge), auf die Kosten ist. In der hier präsentierten Studie Ecoplan (2008) Benchmarking: Beispiel öffentlicher Regionalverkehr. wurden die verfügbaren Kennzahlen aus den Offerten für 2008 von 760 Bus- und 220 Bahnlinien verwendet, um eine deterministische Frontier-Analyse durchzuführen. Das in der Studie verwendete Modell umfasst Linien, welche zusammen knapp 75% der Abgeltungen von Bund und Kantonen erhalten.

Ergebnisse für die Bahnlinien


Das Benchmarking bezieht sich auf die Kosten pro produktiven Kilometer. Für Bund und Kantone sind zwar letztlich die Abgeltungen für die ungedeckten Defizite entscheidend und nicht bloss die Kosten. Weil die Abgeltungen aber auch von den Erträgen abhängen und die Erträge stark von meist linienübergreifend bestimmten Grössen – wie dem Tarifsystem oder dem Passagiervolumen – beeinflusst werden, ist die Beurteilung der Kosten aussagekräftiger. Bei den Bahnlinien sind 59% der Kostendifferenzen auf unterschiedliche Bedingungen zurückzuführen, die mit den zur Verfügung stehenden Daten eingefangen werden. Dabei zeigen im Modell folgende Rahmenbedingungen signifikante Auswirkungen auf die Kosten: Neben den erwähnten Kostenfaktoren gibt es noch weitere, zu denen keine Daten zur Verfügung standen, wie z.B. der Fremdkapitalanteil oder das Alter bzw. die Abschreibungskosten des Rollmaterials. – die Länge der zu offerierenden Linie; – die Durchschnittsgeschwindigkeit; – die Linienbelastung (Passagiere); – die Auslastung; – die Unternehmensgrösse (gemessen als gesamte Netzlänge einer Transportunternehmung).  Würden – unter Berücksichtigung obiger Kostenfaktoren – sämtliche Bahnlinien gleich effizient betrieben wie die effizienteste Linie, dann würden deren Kosten auf der Best Practice Frontier gemäss Grafik 1 liegen: Grafik 1 zeigt, dass im vorliegenden Fall mehrere Linien nahe der effizienten Kostengrenze liegen. Problematisch wäre, wenn dies nicht der Fall wäre und die Kostengrenze durch einen «Ausreisser» bestimmt würde. In diese Fall wäre es naheliegend, den Ausreisser zur Bestimmung der Kostengrenze zu ignorieren. Die effektiven Kosten liegen aber teilweise deutlich über den effizienten Kosten. Die vermuteten Ineffizienzen sind recht gross: Greift man eine durchschnittliche Linie heraus, so wäre eine effiziente Linie – unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen – rund 40% billiger. Anhand der Grafik kann auch gezeigt werden, dass ein einfacher Kostenvergleich irreführend sein kann. Die Linie grün ist zwar teurer, aber die höheren Kosten können durch unterschiedliche Rahmenbedingungen erklärt werden. Weil die Linie grün deutlich näher an der Effizienzgrenze liegt, schneidet sie im Vergleich zur Linie rot besser ab. Das Effizienzmass wird aus dem Verhältnis «effiziente Kosten der Linie z» / «effektive Kosten der Linie z» gebildet.

Breite Streuung der Ineffizienz


Die Effizienz ergibt sich aus dem Verhältnis der geschätzten zu den effektiven Kosten. Das maximale Effizienzniveau liegt bei einem deterministischen Frontier-Modell definitionsgemäss bei 100%. Das mittlere Effizienzniveau liegt bei 56%, der minimale Wert bei 14%. Diese deutliche Streuung ist in Grafik 2 dargestellt. Über die Gründe für diese Ineffizienz kann bei der aktuellen Datenlage nur spekuliert werden; sie müssten einzeln mit den betroffenen TU abgeklärt werden.

Ergebnisse für die Buslinien


Bei den Buslinien konnten ähnliche Faktoren als signifikante Kostentreiber identifiziert werden. 44% der Kostendifferenzen sind bei den Buslinien auf diese unterschiedlichen Rahmenbedingungen zurückzuführen: – die Länge der zu offerierenden Linie; – die Durchschnittsgeschwindigkeit; – die Linienbelastung; – die Anzahl Einsteiger pro produktiven Kilometer; – die Verkehrsart (Agglomerationsoder Überlandlinie).  Würden – unter Berücksichtigung obiger Kostenfaktoren – sämtliche Buslinien so günstig wie die effizienteste Linie betrieben, dann wären sie im Durchschnitt 44% billiger und würden auf der Best Practice Frontier in Grafik 3 liegen. Auch hier handelt es sich vorerst um eine vermutete Ineffizienz, da weitere unbeeinflussbare Faktoren eine Rolle spielen könnten. Die Ergebnisse bieten Anlass, dies gezielt näher abzuklären.

Skaleneffekte


Es zeigt sich, dass Skaleneffekte (Grössenvorteile, Economies of Scale) hinsichtlich der Streckenlänge bei Bahn und Bus vorliegen: Längere Strecken lassen sich günstiger betreiben als kurze. In Bezug auf die Unternehmensgrösse ist das Bild weniger eindeutig: Bei Busunternehmen konnten keine Skaleneffekte festgestellt werden. Bei Bahnunternehmen wurden gar Diseconomies of Scale eruiert: Kleinere Bahngesellschaften arbeiten zu tieferen Kosten als grosse. Dieser Effekt ist nicht primär auf die SBB zurückzuführen, sondern gilt im verwendeten Modell (Bahn) allgemein.

Verwendung der Ergebnisse


Sämtliche Linien lassen sich aufgrund ihrer Effizienz in eine Rangliste einordnen. Diese Rangliste kann z.B. in drei Gruppen unterteilt werden: Die effizientesten 25% aller Linien, die 50% aller Linien mit mittlerer Effizienz und die 25% am wenigsten effizienten Linien. Zumindest bei der letzten Gruppe könnte eine Erklärung von den betroffenen TU verlangt werden, warum die Linien zu einem vergleichsweise hohen Preis pro produktiven Kilometer – nach Berücksichtigung der kostentreibenden Rahmenbedingungen gemäss Frontier-Modell – offeriert werden. Wie die Grafiken zeigen, ist die Berücksichtigung der Rahmenbedingungen beim Kostenvergleich zentral, d.h. die vorgeschlagenen Modelle verbessern das Benchmarking erheblich. Somit kann das angewendete Verfahren im Vergleich zu einem einfachen heuristischen Vergleich anhand verschiedener Indizes oder einem Vergleich von Kosten ohne Berücksichtigung der Rahmenbedingungen als wesentlicher Fortschritt bezeichnet werden: Unter Berücksichtigung sämtlicher verfügbarer Informationen wurde eine eindeutige Effizienz-Rangliste ermittelt. Dennoch können wichtige Faktoren die Kosten beeinflussen, welche nicht im Modell enthalten sind, wie etwa die Qualität und/oder das Alter – und damit die Abschreibungskosten – des Rollmaterials. Daher darf die Effizienz-Rangliste nicht unbesehen verwendet werden. Sie hilft aber zu identifizieren, bei welchen Linien zusätzliche Abklärungen angezeigt sind. Denkbar sind individuelle Auswertungen pro Linie. Diese können für die hypothetische Linie «z» beispielsweise dargestellt werden wie in der Grafik 4. Die Kosten pro produktiven Kilometer der Linie «z» betragen rund 31 CHF/km. Eine effiziente Linie würde unter den Rahmenbedingungen der effizientesten Linie dagegen nur Kosten von 4.70 CHF/km verursachen. Weil auf der Linie «z» andere Rahmenbedingungen herrschen, entstehen Zusatzkosten im Umfang von 4.80 CHF/km. Die Ineffizienz von Linie «z» beträgt somit 21.50 CHF/km. Der Grund für diese hohe (vermutete) Ineffizienz ist gemeinsam mit der betroffenen TU abzuklären.

Zukunftsvisionen


Im Rahmen der Schätzungen hat sich gezeigt, dass die vom BAV vorgenommene Prüfung auf Inkonsistenzen und Fehler im Datensatz nötig und wichtig ist. Durch eine geplante weitere Bereinigung könnten sich die präsentierten Ergebnisse noch verändern. Ob das hier vorgeschlagene Modell von Bund und Kantonen effektiv angewendet wird, ist offen. Um das Benchmarking in Zukunft noch weiter zu verbessern, sollten weitere mögliche Einflussfaktoren in das Kennzahlensystem aufgenommen werden: – die effektive Linienlänge; – die Unternehmensgrösse (Anzahl Mitarbeitende und/oder Transportleistung insgesamt); – eventuell die Kosten und Mengen von Inputs, damit die Kosten pro Inputeinheit berechnet und als Erklärungsvariable verwendet werden könnten (z.B. das Lohnniveau); – Qualitätsindikatoren (Einhaltung des Fahrplans, Qualität der Transportmittel usw.).  Für die Anwendung in kommenden Jahren können die verwendeten Daten der Offerten 2008 mit weiteren Jahren ergänzt werden. Dies würde es erlauben, das Querschnittsmodell zu einem Frontier-Modell mit Panelstruktur auszubauen.

Grafik 1 «Effiziente Kostengrenze Bahnlinien»

Grafik 2 «Effiziente Kostengrenze Buslinien»

Grafik 3 «Häufigkeitsverteilung Effizienzniveau Bahn»

Grafik 4 «Beispiel: Individuelle Auswertung für Linie «z»»

Kasten 1: Methode: Deterministische Frontier-Analyse Ein Frontier-Modell basiert auf der Regressionsanalyse und ist im Stande, den Einfluss verschiedener Kostenfaktoren simultan zu berücksichtigen. Das Ergebnis beinhaltet somit eine einzige «Effizienz-Rangliste», anhand welcher die Linien bzw. die eingegangenen Offerten beurteilt werden können. In der deterministischen Frontier-Analyse wird die Effizienzgrenze (Best Practice Frontier) durch die effizienteste Linie – also diejenige Linie, die unter Berücksichtung der kostenbeeinflussenden Faktoren die geringsten Kosten pro produktiven Kilometer aufweist – bestimmt. Die aus der Regressionsgleichung gewonnenen Parameter dienen dazu, diesen Wert für jede Linie gemäss den jeweiligen kostenbestimmenden Faktoren anzupassen. Im vorliegenden Fall wurden die Kosten pro produktiven Kilometer als abhängige Variable betrachtet und für Bahn- und Buslinien in je einem getrennten Modell geschätzt. Als mögliche Einflussfaktoren (unabhängige Variabeln) wurden alle aus dem Kennzahlensystem verwendbaren Daten benutzt. Als bestes Modell erwies sich ein Modell mit logarithmischer Formulierung der abhängigen und unabhängigen Variablen. Die Modelle verfügen über einen Erklärungsgehalt von 44% bis 59%. Dieser Anteil der Kostenunterschiede ist auf Faktoren (unterschiedliche Rahmenbedingungen) zurückzuführen, die in den Kennzahlen ihren Niederschlag finden.

Kasten 2: Was ist mit Ineffizienz gemeint? Mit Ineffizienz wird die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und der Best Practice Frontier – d.h. den gemäss Modell erwarteten Kosten einer effizienten Linie – bezeichnet. Das Modell schätzt erwartete Kosten aufgrund von Faktoren wie Auslastung, Anzahl Einsteiger, Linienbelastung, durchschnittliche Geschwindigkeit oder Fahrplaneffizienz der jeweiligen Linie. Die Ineffizienz kann somit auch als «nicht aus den Kennzahlen erklärbare Mehrkosten» gegenüber der unter den gleichen Rahmenbedingungen günstigsten Linie bezeichnet werden. Weil im Einzelfall noch weitere Rahmenbedingungen zu Mehrkosten führen können, die nicht im Modell enthalten sind, darf Ineffizienz keineswegs mit Sparpotenzial gleichgesetzt werden. Hohe nicht erklärbare Mehrkosten können jedoch der Anlass sein, diese näher zu untersuchen. Das Modell selbst kann der Beschaffungsstelle Hinweise geben, wie sich die Soll-Kosten senken lassen (z.B. durch Verlängerung von Linien usw.).

Zitiervorschlag: Stephan Osterwald, Felix Walter, (2008). Öffentlicher Regionalverkehr: Mehr fürs gleiche Geld. Die Volkswirtschaft, 01. Juni.