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Belastung der Unternehmen durch staatliche Kontrollen

Im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) führte das Markt- und Gesellschaftsforschungsinstitut M.I.S. Trend SA im November 2007 eine Befragung von 1600 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) zu deren Erfahrungen mit staatlichen Kontrollen durch. Als wichtigste Erkenntnis lässt sich festhalten, dass die Schweiz nicht unter einer akuten «Kontrollitis» leidet. In den letzten fünf Jahren wurden 31% der KMU überhaupt nicht kontrolliert, und in 36% der KMU wurden eine oder maximal zwei Kontrollen durchgeführt. Der Nutzen der Kontrollen wird von der Hälfte der Unternehmen anerkannt, und nur 7% sind der Auffassung, dass die Kontrollen für die Wirtschaft eindeutig schädlich sind.
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Den Behörden wird immer wieder vorgeworfen, sie würden eine exzessive Bürokratie betreiben und unverhältnismässig viele Kontrollen durchführen. 2006 war in einem parlamentarischen Vorstoss sogar von «Kontrollitis» die Rede; die zu grosse administrative Belastung stelle für die Mikrounternehmen eine Gefahr dar. Der Bundesrat misst dieser Frage grosse Bedeutung bei. In seiner Antwort auf den oben erwähnten Vorstoss versprach er, die Entwicklung in diesem Bereich aufmerksam zu verfolgen und die Kontrollsysteme regelmässig zu überprüfen. Die vorliegende Studie ermöglicht eine erste breit angelegte Bestandesaufnahme.

Repräsentative Umfrage


Befragt wurden 1600 KMU des Sekundär- und Tertiärsektors (ohne öffentliche Unternehmen), die auf der Basis einer Stichprobe aus der Betriebszählung des Bundesamts für Statistik (BFS) ausgewählt worden waren. Diese Stichprobe war disproportional zusammengestellt worden, um die statistische Zuverlässigkeit der Ergebnisse für alle Unternehmenssektoren, Kantone und Regionen zu verbessern. So setzten sich die befragten Unternehmen aus 800 Mikrounternehmen (1-9 Mitarbeitende), 480 Kleinunternehmen (10-49 Mitarbeitende) und 320 mittleren Unternehmen (50-249 Mitarbeitende) zusammen. 200 Befragungen wurden in den Kantonen Bern, Zürich, Genf, Waadt und Tessin durchgeführt. Zusätzlich wurden 400 Unternehmen im übrigen Teil der Deutschschweiz und 200 Unternehmen in den restlichen Westschweizer Kantonen befragt. Anschliessend wurden die Resultate gewichtet, damit die Gesamtergebnisse die tatsächliche Marktstruktur sowohl in Bezug auf die Unternehmensgrösse als auch hinsichtlich der geografischen Verteilung richtig zum Ausdruck bringen. In 95% der Fälle wurden die Fragen vom Unternehmensinhaber oder vom Geschäftsführer – d.h. von der höchsten Unternehmensebene – beantwortet.

Gegenstand der Befragung


Auf quantitativer Ebene wollte das Seco insbesondere in Erfahrung bringen, wie häufig und in welchen Bereichen die Unternehmen kontrolliert wurden. In qualitativer Hinsicht befasste sich die Untersuchung mit der Frage allfälliger Doppelspurigkeiten, des Formalismus und der Probleme im Zusammenhang mit der Festlegung der Kontrollzeitpunkte. Ausserdem sollte abgeklärt werden, ob die Unternehmen einen Nutzen in den Kontrollen sehen oder ob sie diese als schädlich beurteilen.

Häufigkeit der Kontrollen


Ein knappes Drittel der Unternehmen wurde in den vergangenen fünf Jahren nicht kontrolliert. Bei einem weiteren Drittel wurden im gleichen Zeitraum eine oder zwei unterschiedliche Kontrollen durchgeführt. Das verbleibende Drittel der befragten Unternehmen musste sich innerhalb der letzten fünf Jahre mehr als drei unterschiedlichen Kontrollen unterziehen. Dies ergibt einen Durchschnitt von 1,9 Kontrollen pro KMU innerhalb von fünf Jahren (siehe Grafik 1). Aus diesen Antworten lässt sich die Gesamtzahl der durchgeführten Kontrollen gut abschätzen. Sie lässt den Schluss zu, dass die Unternehmen nicht durch eine übertriebene Zahl von Kontrollen übermässig belastet werden. Die regionalen Unterschiede bei der Häufigkeit der Kontrollen sind nur sehr gering. Je grösser ein Unternehmen ist, desto mehr Kontrollen werden durchgeführt. So wurden in den vergangenen fünf Jahren 36% der Mikrounternehmen nicht kontrolliert, während dies nur bei 3% der KMU mit mehr als 49 Mitarbeitenden der Fall war. Nur 26% der Mikrounternehmen wurden mehr als zwei Kontrollen unterzogen, während sich der entsprechende Wert bei den grossen KMU auf 73% belief.

Kontrollarten


Die meisten Kontrollen entfallen auf die Mehrwertsteuer (29% der Unternehmen), gefolgt von den kantonalen Steuern (28%) und den Arbeitsbedingungen (24%). 14% der KMU gaben an, sie seien zu den Bereichen direkte Bundessteuern, Lebensmittelvorschriften, Umweltschutz und Familienzulagen kontrolliert worden. Die Geschäftsfahrzeuge, die Löhne und die Arbeitslosenversicherung wurden in 10% der Unternehmen kontrolliert. Zollkontrollen wurden von 6% der befragten KMU erwähnt. In der Kategorie «Übrige Kontrollen» wurden zahlreiche Kontrollen zur AHV angegeben. Auf Grund der grossen Zahl der Kontrollen war es nicht möglich, die Unternehmen zu jeder einzelnen Kontrolle zu befragen. Interessant ist der Umstand, dass insbesondere bei den Kontrollen im steuerlichen Bereich – abgesehen von der Mehrwertsteuer (MWST) – Unterschiede zwischen der Deutsch- und der Westschweiz bestehen. So werden die Deutschschweizer Unternehmen diesbezüglich häufiger kontrolliert als die KMU in der Romandie. In der Westschweiz interessieren sich die Behörden mehr für den Bereich der Familienzulagen. Die Häufigkeit der Kontrollen nimmt mit der Grösse des Unternehmens zu. Was die MWST anbelangt, wurden 25% der Mikrounternehmen, 51% der Kleinunternehmen und 52% der mittleren Unternehmen von der Verwaltung kontrolliert. Bei der Kontrolle der Arbeitsbedingungen lagen die entsprechenden Werte bei 19%, 49% und 58%.

Qualität der Kontrollen


Für eine grosse Mehrheit der KMU sind diese Kontrollen nicht mit besonderen Problemen verbunden. Dies bestätigt eine Analyse, die das SECO vor drei Jahren bei 210 Unternehmen durchführte. Die Kontrollen stellen für die Unternehmen keine übermässige Belastung dar. Die Grafik 2 veranschaulicht die Einschätzung der Unternehmen zu den verschiedenen potenziell negativen Aspekten der Kontrollen. Doppelspurigkeiten wurden nur von 13% der Unternehmen beklagt, die mindestens zwei Kontrollen unterzogen wurden. Die mittelgrossen Unternehmen meldeten diesbezüglich mehr Probleme als die Klein- und Mikrounternehmen. Insgesamt ein Viertel der KMU beschwerte sich über einen zu starken Formalismus. Während in der Deutschschweiz nur 22% der Unternehmen zu dieser Einschätzung gelangten, waren es in der Westschweiz 30% und im Tessin 35%. Eine Erklärung für diese Ergebnisse könnten die kulturellen Unterschiede zwischen der Deutschschweiz und der lateinischen Schweiz und die Beziehungen zur Verwaltung im Allgemeinen sein. Der Eindruck eines übertriebenen Formalismus verstärkt sich parallel zur Zahl der vorgenommenen Kontrollen. Nur 15% der Unternehmen hatten Probleme mit den Kontrollzeitpunkten. Bei jenen Kontrollen, die ohne vorherige Ankündigung durchgeführt werden müssen (beispielsweise Lebensmittelkontrollen), lassen sich solche Probleme nicht vermeiden. Diesbezüglich wurden keine regionalen Unterschiede festgestellt. Die Hälfte der befragten Personen in den Unternehmen, die mindestens einer Kontrolle unterzogen wurden, ist der Auffassung, dass die Kontrollen für ihr Unternehmen einen Nutzen haben. 15% beurteilen diesen Nutzen als gross und 35% als ziemlich gross. Ein Viertel hat Vorbehalte gegenüber den Kontrollen und 18% betrachten sie als völlig nutzlos. Die grossen KMU erkennen eher einen Nutzen in den Kontrollen, was zweifellos auf ihre bessere Organisationsstruktur zurückzuführen ist. Die Mikrounternehmen dagegen haben in Bezug auf den Nutzen der Kontrollen mehr Zweifel. Diesbezüglich bestehen keine deutlichen Unterschiede zwischen der Deutsch- und der Westschweiz. Die Frage zur Schädlichkeit von staatlichen Kontrollen wurde allen Unternehmen gestellt, also auch jenen, die in den letzten fünf Jahren nicht kontrolliert wurden. Damit sollten nicht konkrete Situationen, sondern eine allgemeine Meinung erfasst werden. Die Antworten auf diese Frage zeugen von einer gewissen Toleranz gegenüber den Kontrollen, da sie nur von einem verhältnismässig geringen Teil der KMU (7%) als sehr schädlich beurteilt wurden. 24% betrachteten sie als eher schädlich, womit sich der Anteil der negativen Meinungen auf 31% belief. Demgegenüber wurden die Kontrollen von 40% der befragten KMU als eher nicht schädlich und von 20% als überhaupt nicht schädlich beurteilt. Einmal mehr war eine unterschiedliche Einschätzung der KMU in der Deutschschweiz einerseits sowie in der Westschweiz und im Tessin andererseits zu verzeichnen. Nur 28% der Deutschschweizer Unternehmen beurteilten die Kontrollen als schädlich, während der entsprechende Wert in der Westschweiz bei 38% und im Tessin bei 58% lag. Diese Unterschiede lassen sich mit den kulturellen Unterschieden und den Erwartungen erklären, welche die KMU gegenüber dem Staat haben. Bei dieser Frage wirkte sich die Grösse des KMU nicht auf die Antwort aus, wobei aber selbstverständlich die Beurteilung umso negativer ausfiel, je mehr das befragte Unternehmen die Kontrollen als nutzlos betrachtete und je mehr die Kontrollzeitpunkte für das KMU ein Problem darstellten.

Handlungsbedarf


Aus den Ergebnissen der Befragung geht hervor, dass das Klischee, in unserem Land grassiere eine akute «Kontrollitis», nicht der Realität entspricht und dass die Lage nicht so beunruhigend ist. Die Resultate zeigen indessen auch einige Elemente auf, mit denen man sich im Detail befassen sollte: – Ein Viertel der befragten KMU ist der Auffassung, die Kontrollen seien zu formalistisch. Dieser Eindruck spricht zweifellos für eine bessere Anpassung der Kontrollverfahren in diesem Bereich, sei es an die Dimension des Unternehmens und an die Grösse seiner Verwaltung oder sei es an die Flexibilität, die das KMU bei Anfragen seiner Kunden selbst unter Beweis stellen muss. Durch die Entwicklung des Marktes, der immer offener und wettbewerbsorientierter wird, haben sich die Beziehungen zwischen Lieferanten und Kunden angespannt. Gemäss den Angaben der KMU sind sie einer grösseren Belastung ausgesetzt, wobei gleichzeitig ihre Margen gesunken sind. Möglicherweise sind die Unternehmen der Meinung, dass die Kontrollen diesen Umständen Rechnung tragen könnten oder sollten. – Nur rund die Hälfte der kontrollierten Unternehmen kann einen Nutzen in diesen Kontrollen erkennen. Somit wird jede zweite Kontrolle als notwendiges Übel betrachtet. Das jeweilige Unternehmen geht folglich nicht davon aus, dass es aufgrund der Kontrollen etwa seine administrativen Methoden oder internen Verfahren verbessern kann. Unabhängig davon, ob diese Einschätzung gerechtfertigt ist, ist mit dieser Ausgangslage die Gefahr verbunden, dass die Kontrollen letztlich nicht als eine für beide Parteien nützliche Form der Zusammenarbeit, sondern als eine Einmischung des Staates in die privaten Angelegenheiten des Unternehmens aufgefasst werden. – Ein Drittel der Unternehmen hat zumindest einen Kritikpunkt zu den Kontrollen geäussert. Dies entspricht zwar einer Minderheit der Stichprobe, die jedoch nicht vernachlässigbar ist. Da eine negative Einschätzung in vielen Fällen mit einer hohen Zahl von durchgeführten Kontrollen korreliert, scheinen die Geduld und die Frustrationstoleranz der Unternehmen ihre Grenzen zu haben. Das beste Mittel für eine positivere Beurteilung der Kontrollen wäre daher wohl deren Reduktion oder eine bessere zeitliche Verteilung. – 31% der befragten KMU betrachten die Kontrollen als eher schädlich oder als sehr schädlich. Für Beziehungen zwischen dem Staat und der Wirtschaft ist eine solche Auffassung zweifellos als gefährlich anzusehen. Dass die Kontrollen als formalistisch und relativ nutzlos beurteilt werden, ist an sich schon beunruhigend. Noch viel gravierender ist jedoch die Einschätzung, dass die Kontrollen der Wirtschaft gar schaden. Mit dieser Beurteilung ist die Vorstellung verbunden, der Staat behindere die Anstrengungen der Unternehmen, statt ihnen günstige Rahmenbedingungen zu bieten.  Das Seco legte die Ergebnisse der Befragung dem KMU-Forum vor. Das KMU-Forum ist eine Kommission von ausserparlamentarischen Expertinnen und Experten, die das Eidg. Volkswirtschaftsdepartement (EVD) bei allen Fragen im Zusammenhang mit KMU unterstützt. Nach dessen Auffassung sollten die Ergebnisse einer eingehenderen Analyse unterzogen werden, damit die zu ergreifenden Massnahmen festgelegt werden können. Es stellt sich die Frage, ob die Tatsache, dass «nur» die Hälfte der Unternehmen einen Nutzen in den Kontrollen erkennt, auf eine unzureichende Kommunikation oder auf eine tatsächliche Nutzlosigkeit zurückzuführen ist. Im Rahmen der Befragung erklärten sich 400 KMU bereit, an vertiefenden Analysen mitzuarbeiten. Dies ist eine gute Grundlage für die weiteren Arbeiten. Im Übrigen ist geplant, in den kommenden Jahren mit diesen Unternehmen in Kontakt zu bleiben, damit abgeklärt werden kann, ob Fortschritte erzielt wurden oder ob neue Probleme aufgetreten sind. Ausserdem geht es darum, die Auswirkungen der neu eingeführten Kontrollen – beispielsweise jene zur Bekämpfung der Schwarzarbeit seit dem 1.Januar 2008 – zu erfassen. Weitere Arbeiten werden in Zusammenarbeit mit den Kantonen realisiert. Diese Zusammenarbeit wurde im Dezember 2007 im Rahmen einer Konferenz lanciert, die das Seco zum Thema «Administrative Entlastung für Unternehmen» veranstaltete.

Grafik 1 «Häufigkeit der Kontrollen»

Grafik 2 «Qualität der Kontrollen»

Grafik 3 «Beurteilung des Nutzens der Kontrollen»

Grafik 4 «Beurteilung einer allfälligen Schädlichkeit der Kontrollen»

Zitiervorschlag: Miauton, Marie-Helene; Gautschi, Peter (2008). Belastung der Unternehmen durch staatliche Kontrollen. Die Volkswirtschaft, 01. Juli.