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Biodiversität ist ein Agrarprodukt

Biodiversität zu fördern bedeutet, der Vielfalt wild lebender Pflanzen und Tieren eine dauerhafte Existenz zu schaffen. Dies ist seit 1996 verfassungsmässiger Auftrag an die Schweizer Landwirtschaft. Mit grossem Mehr hat das Schweizer Volk damals an der Urne die Weichen für eine multifunktionelle Landwirtschaft gestellt. Das Kulturland soll demnach nicht mehr nur als Produktionsfläche von Lebensmitteln dienen, sondern auch wieder Lebensraum für Wildtiere werden. Die stark mechanisierte und chemisierte Landwirtschaft führte seit dem 2. Weltkrieg unter planwirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu einer Überproduktion. Schwere Umweltschäden waren die Folge, die sich insbesondere in Gewässerverschmutzungen und im Artensterben manifestierten: 21 der 42 typischen Kulturland-Vogelarten sind existenziell bedroht. Auch Schmetterlinge, Amphibien und Pflanzen erlitten in den vergangenen Jahrzehnten einen grossen Aderlass.

 

Artenvielfalt fördern ist machbar


Die monoton gewordenen Agrarflächen können in der Tat rasch und markant ökologisch aufgewertet werden. Exemplarisch illustrieren dies Projekte der Schweizerischen Vogelwarte Sempach in der Champagne Genevoise und im Klettgau. Der Weg führt über die Aufwertung mit ökologisch wertvollen Ausgleichsflächen, die Steigerung des Strukturreichtums im Landwirtschaftsgebiet und die Extensivierung der Bodennutzung. Eine allgemeine Reduktion des Pestizid- und Düngereinsatzes, wie im biologischen Landbau vorgelebt, steigert die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität der Mikroorganismen. Mit angepassten Nutzungsformen und naturnahen Flächen kann die Artenvielfalt im Grün- und Ackerland merkbar gesteigert werden. Das quantitative Ziel, dass 10% der landwirtschaftlichen Nutzfläche qualitativ hochwertige ökologische Ausgleichsflächen werden sollen, ist konkret und realistisch.

Mit angezogener Bremse Richtung Ökologie


Noch weist erst 1,1% der landwirtschaftlichen Nutzfläche im Mittelland eine gute ökologische Qualität auf. Dennoch verkündet der Bauernverband bereits, die Landwirtschaft habe ihre Aufgabe erfüllt. Trotz diesen Beteuerungen hält der Artenschwund unvermindert an. Die Vogelbestände sind in den letzten 10 Jahren weiter geschrumpft – bei Feldlerche, Braunkehlchen und Kiebitz um je satte 20%. Dies sind untrügliche Umweltindikatoren dafür, dass der Verfassungsauftrag nur unbefriedigend umgesetzt wird. Ein wesentlicher Grund dafür ist die widersprüchliche Ausgestaltung des Direktzahlungssystems. Agrarsubventionen werden weiterhin mehrheitlich in Formen geleistet, die zu Marktverzerrungen führen und die Umwelt belasten. Nur 6% der Direktzahlungen werden für Massnahmen zu Gunsten der Wildtiere und der Landschaft ausgerichtet, ganze 80% dagegen sind allgemeine Flächen- und Tierhaltungsbeiträge. Diese an Fläche und Viehbestand gekoppelten Zahlungen führen zwangsläufig zu einer weiteren Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion und laufen den ökologischen Bestrebungen diametral entgegen. Im Klartext: Die mit Steuermillionen eingeleitete Ökologisierung wird mit Steuermilliarden aus der gleichen Bundeskasse untergraben.

Biodiversität als Chance


Eine zukunftsgerichtete Agrarpolitik müsste alles Interesse haben, auf eine nachhaltige und ökologische Landwirtschaft zu setzen. Diese eröffnet den Landwirten mit der Förderung der Biodiversität einen neuen eigenständigen Einkommenszweig, der welthandelskonform ist und damit auch wesentlich zur wirtschaftlichen und sozialen Nachhaltigkeit beiträgt. Dabei entstehen attraktive Landschaften, die den Wildtieren im Kulturland das Überleben sichern und gleichzeitig für die Naherholung und den Schweizer Tourismus wichtig sind.  Die biologische Vielfalt ist ein exklusives, an den Standort gebundenes und damit konkurrenzloses Agrarprodukt. Mit ihrer Förderung resultiert eine höhere Bodenfruchtbarkeit, und die Gewässerbelastung wie auch die Produktionskosten sinken. Eine wildtierfreundliche Produktion ist zudem ein entscheidendes Argument, um hochwertige Schweizer Nahrungsmittel mit klarer Herkunftsgeschichte auf dem Markt zu positionieren. So kommen die Konsumenten in den Genuss gesunder, einheimischer Lebensmittel, die nicht nur nutztiergerecht, sondern auch wildtiergerecht produziert werden. Dass die Förderung der Artenvielfalt allen Beteiligten Gewinn bringt, zeigt etwa das Engagement der Migros und der IP-Suisse ( www.terrasuisse.ch ). Solche Bemühungen brauchen und verdienen die volle Unterstützung von Landwirtschaft, Politik, Forschung, Naturschutz, Grossverteilern und Konsumentinnen.

Zitiervorschlag: Matthias Kestenholz, Markus Jenny, (2008). Biodiversität ist ein Agrarprodukt. Die Volkswirtschaft, 01. September.