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Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse

Zusammen mit anderen Handelshemmnissen - wie Zöllen und mengenmässige Beschränkungen - führen technische Handelshemmnisse zu fragmentierten nationalen Märkten, bei denen die Grössenvorteile grenzüberschreitender Märkte (Skaleneffekte) nicht ausgeschöpft werden können. Dadurch werden Wettbewerb und Innovation geschwächt; Vorleistungen und Konsumgüter verteuern sich. Auch die Schweizer Exportindustrie erleidet Nachteile, indem sie ihre Produkte beim Export anpassen muss. Die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips im Bundesgesetz über die technischen Handelshemmnisse (THG) ist Teil eines Massnahmenpakets, das bei vollständiger Umsetzung jährlich wirtschaftliche Gewinne in Milliardenhöhe verspricht.



Technische Vorschriften für Produkte dienen übergeordneten Interessen wie der öffentlichen Gesundheit, dem Konsumentenschutz oder dem Schutz der Umwelt. So wäre es völlig undenkbar, ein Medikament für den Markt zuzulassen, ohne es vorher auf die Gefährdung der Patienten hin getestet zu haben. Auch Lebensmittel müssen kontrolliert werden, damit ein sanitärer Minimalstandard garantiert ist. Ebenso müssen Automobile bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten, damit die negativen Auswirkungen auf die Umwelt in Grenzen gehalten werden.

Technische Handelshemmnisse und Preisniveau


Sobald technische Vorschriften von denjenigen unserer Handelspartner abweichen, werden sie zu technischen Handelshemmnissen, weil zum Beispiel die Verpackung abgeändert, ein Zulassungsverfahren mit administrativen Kosten durchgeführt oder unter Umständen gar das Produkt selber verändert werden muss. Dies trägt zu einem höheren Kostenniveau – und damit auch Preisniveau – bei, da es den grenzüberschreitenden Warenverkehr behindert und einer Abschottung des nationalen Marktes Vorschub leistet. Im Bericht des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zur «Hochpreisinsel Schweiz» wurden die Ursachen des hohen Preisniveaus in der Schweiz auf der Basis eines Warenkorbs von 50 verschiedenen Produkten detailliert untersucht. Der Schluss ist eindeutig: In jenen Bereichen, wo technische Handelshemmnisse bestehen, liegen die Preise in der Schweiz im Vergleich zum benachbarten Ausland – je nach Art der berücksichtigten Hemmnisse (z.B. Vorschriften zu Zusammensetzung, Zulassungsverfahren) – um 10% bis 60% höher Staatssekretariat für Wirtschaft, Preisinsel Schweiz, Berichte in Erfüllung des Postulates David (05.3816), Grundlagen der Wirtschaftspolitik Nr. 16, 2008. . Die technischen Handelshemmnisse, die – wie Steuern, Zölle, administrierte Preise oder die Wettbewerbspolitik – unter die Kontrolle des Staates fallen, haben einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Preisbildung. Die schweizerischen Vorschriften können dazu führen, dass ein Produkt speziell verpackt werden muss, etwa um den Landessprachen Rechnung zu tragen. Das Verbot einiger Substanzen in der Schweiz kann sogar bedeuten, dass die Zusammensetzung abgeändert werden muss, wie dies im Fall der phosphatfreien Waschmittel der Fall ist. Solche Spezialvorschriften sind insbesondere in kleinen Märkten sehr kostspielig und führen dazu, dass einige ausländische Produkte in der Schweiz gar nicht angeboten werden. Die preissenkende Wirkung eines Abbaus technischer Handelshemmnisse kommt also auch über die Verstärkung des Wettbewerbs sowie die Vergrösserung des Marktes und den damit verbundenen Skalenerträgen zustande. Parallel zur Ausarbeitung der THG-Revision wurden vom Seco Abklärungen zu den volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Massnahmenpakets vorgenommen. Die wichtigsten Aspekte wurden im Rahmen der dazu durchgeführten Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) genauer untersucht. Zu den im vorliegenden Beitrag präsentierten Resultaten vgl. SECO, Teilrevision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse: Dokumentation zur Abschätzung der volkswirtschaftlichen Auswirkungen (Regulierungsfolgenabschätzung), Bern, Juni 2008. Der grösste Teil der analytischen Arbeiten wurde von Davide Codoni (SECO) durchgeführt.

Tragweite der Revision


Heute sind mehr als die Hälfte (52%) aller Importe aus der Europäischen Union (EU) Der Anteil der Importe aus der EU am Total aller Schweizer Importe beträgt 82%. technischen Handelshemmnissen unterworfen. Mit der Umsetzung der vorgeschlagenen Revision und den bereits beschlossenen Begleitmassnahmen würde dieser Anteil auf 19% fallen (siehe Tabelle 1). Von den Produkten, die technischen Hemmnissen unterworfen sind, benötigen 10% eine Zulassung durch eine staatliche Stelle (gem. Art. 16a Abs. 2 Bst. a des Entwurfs). Betroffen von diesem besonders kostentreibenden Handelshemmnis sind insbesondere sensible Produkte wie die Medikamente.  Im Rahmen der vorbereitenden Arbeiten zur Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips hat der Bundesrat am 31. Oktober 2007 eine Liste mit Ausnahmen (gem. Art. 16a, Art. 2, Zf. E des Entwurfs) festgelegt. Es handelt sich um 18 Fälle, in denen ein übergeordnetes Interesse die Beibehaltung der schweizerischen Sonderbestimmungen rechtfertigt. 9% der Importe aus der EU sind davon betroffen. Die autonome Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips ist eine wichtige Ergänzung zu den anderen Instrumenten des Massnahmenpakets. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip wirkt sich auf 33% der EU-Importe Betroffen sind Produkte aus folgenden Bereichen: Lebensmittel, Textilien und Kleider, Schuhe, Leder, Chemische Erzeugnisse, Steine und Erden, Metalle und Metallerzeugnisse, Fahrräder, Instrumente, Haushaltgeräte, Edelsteine, Kunstobjekte und Antiquitäten. Diese Produkte sind in unterschiedlichem Ausmass technischen Vorschriften unterworfen. – mit einem Volumen von 47 Mrd. Franken – aus und bringt vor allem mehr Rechtssicherheit für die Importeure. Sobald ein Produkt auf dem europäischen Markt rechtmässig in Verkehr gebracht worden ist, kann der Importeur davon ausgehen, dass es ohne Weiteres auf dem Schweizer Markt in Verkehr gebracht werden kann. Ob ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung besteht oder ob die schweizerischen Vorschriften mit den europäischen übereinstimmen, muss nicht mehr abgeklärt werden. Es genügt ein Blick in die Listen der Produkte mit Zulassungspflicht oder der explizit genannten Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzip, die auf der Internetseite des Seco publiziert werden Zu den festgelegten Ausnahmen vgl. den Beitrag von Hertig und Wey auf S. 10ff. in diesem Heft. Zu den Zulassungen im Arzneimittelbereich und deren Vereinfachung im Zusammenhang mit der THG-Revision vgl. den Beitrag von Bucher und Enderle auf S. 15ff. in diesem Heft. . Dies ist insbesondere für jene Produktbereiche bedeutsam, die innerhalb der EG noch nicht vollständig harmonisiert sind. Hier stellt eine Harmonisierung der schweizerischen Vorschriften keine hinreichende Lösungsalternative dar, da harmonisierte Vorschriften auch innerhalb der EG teilweise oder vollständig fehlen.

Wirtschaftliche Vorteile


Gemäss unseren Schätzungen ist zu erwarten, dass die Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips Einsparungen von rund 2 Mrd. Franken für die Konsumenten und Unternehmen ermöglichen wird. Diese Zahl ist allerdings lediglich als Grössenordnung zu verstehen. Weil eine präzise Schätzung der Gesamtheit aller wirtschaftlichen Konsequenzen der Reform sehr schwierig ist, wurden darin nur gerade die direktesten Effekte berücksichtigt. Die Schätzung kommt zustande, indem ein Indikator der Auswirkungen der technischen Handelshemmnisse auf das Preisniveau mit dem Handelsvolumen der von der Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips betroffenen EU-Importe multipliziert wird. Aus der oben erwähnten ökonometrischen Analyse zu den 50 Produkten geht hervor, dass zwischen den technischen Handelshemmnissen und dem höheren schweizerischen Preisniveau gegenüber dem benachbarten Ausland ein signifikanter Zusammenhang besteht. Die Preisunterschiede belaufen sich auf 10%-25% für Vorschriften bezüglich Zusammensetzung oder Information. Im Fall einer Zulassungspflicht können sie sogar bis zu 60% erreichen. Um das Vorsichtsgebot bei der Abschätzung des Sparpotenzials zu wahren, ist es jedoch empfehlenswert, sich am tiefsten Wert – d.h. 10% – zu orientieren. Besonders von technischen Handelshemmnissen betroffen sind die Branchen Lebensmittel, Textilien und Kleider, Einrichtungsgegenstände (z.B. Möbel) sowie Kosmetika. Sie repräsentieren ein Importvolumen von 20 Mrd. Franken. Bei einem angenommenen Einsparpotenzial von 10% sind jährliche Einsparungen von 2 Mrd. Franken zu erwarten. Die hier wiedergegebenen Schätzungen betreffen nur einen Teil der quantifizierbaren wirtschaftlichen Vorteile aller Massnahmen im Zusammenhang mit der THG-Revision. Ausgeklammert ist beispielsweise die vorgesehene Vereinfachung der Zulassungsverfahren, welche ebenfalls ein beträchtliches Einsparpotenzial mit sich bringt. Von den Preisreduktionen profitieren nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten, deren verfügbares Einkommen steigt, sondern auch die Unternehmen. Denn einerseits sind die Anschaffungskosten tiefer, indem die Preise der importierten Güter sinken, wovon zum Beispiel die Hotellerie/Restauration oder das Gesundheitswesen profitieren dürften, etwa dank einer Verbilligung der Lebensmittel oder der Medikamente, für welche vereinfachte Zulassungsverfahren gelten. Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der rund 37 000 exportierenden Unternehmen. Andererseits stützen die höheren verfügbaren Einkommen der privaten Haushalte die Nachfrage in zahlreichen Sektoren.

Weitere volkswirtschaftliche Effekte


Abgesehen von den aufgeführten direkten Preisreduktionen dürften mit der THG-Revision langfristige wirtschaftliche Effekte auftreten, allen voran eine Intensivierung des Wettbewerbs und eine Markterweiterung. Ausserdem verringert sich das Risiko, dass zukünftig neue technische Handelshemmnisse geschaffen werden. Der härtere Wettbewerb wirkt als Innovationsmotor. Auf einem Markt mit intensivem Wettbewerb bestehen auf lange Sicht nur jene Unternehmen, die nach neuartigen Prozessen produzieren oder innovative Produkte anbieten. Eine Zunahme der Innovationen erhöht die reellen Einkünfte und die Erträge dieser Unternehmen. Demgegenüber können veraltete technische Vorschriften eine Innovationsbremse sein, etwa indem neue Produktionstechnologien nicht zur Anwendung gelangen. Langfristig könnte sich dieser Effekt als der bedeutendste erweisen. Schweizer Unternehmen können in Zukunft vermehrt entsprechend den Normen unserer wichtigsten Handelspartner produzieren, dies dank der Abschaffung divergierender technischer Vorschriften und der vorgesehenen Massnahmen zur Vermeidung der Diskriminierung schweizerischer Produzenten. Für Unternehmen, die in der Schweiz und in der EU aktiv sind, bedeutet dies nicht nur einen Abbau der administrativen Belastung, sondern auch, dass grössere Skalenerträge erzielt werden können.  Durch die Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips kann künftig das Auftreten neuer technischer Handelshemmnisse vermieden werden, auch wenn sich das schweizerische oder das europäische Recht weiterentwickeln und neue Abweichungen in den technischen Vorschriften entstehen. Neue Ausnahmen vom Cassis-de-Dijon-Prinzip sind zwar jederzeit möglich, müssen aber vorgängig auf ihre Verhältnismässigkeit geprüft und vom Bundesrat beschlossen werden. Dadurch wird es in Zukunft bedeutend schwieriger, neue und ungerechtfertigte technische Handelshemmnisse zu errichten.

Kernelement der Wachstumspolitik des Bundesrates


Die THG-Revision nimmt einen bedeutenden Platz innerhalb des Wachstumspakets des Bundesrates ein. Die Massnahmen zur Reduktion der technischen Handelshemmnisse verfügen über ein bedeutendes volkswirtschaftliches Potenzial. Bereits eine sehr vorsichtige Schätzung, bei der nur ein Teil der Auswirkungen der Massnahmen auf das Preisniveau berücksichtigt wurden, lässt auf Einsparungen im Milliardenbereich hoffen. Andere, nicht quantifizierbare Effekte sind mittel- und langfristig nicht weniger wichtig.  Die vorliegende Reform ist deshalb ein Kernelement der bundesrätlichen Wachstumspolitik. Im Bericht des Bundesrates zur Wachstumspolitik 2008-2011 gehört sie zur Kategorie der wichtigsten wirtschaftspolitischen Vorhaben der laufenden Legislatur Vgl. SECO, Wachstumspolitik 2008-2011: Massnahmen zur weiteren Stärkung des Schweizer Wirtschaftswachstums, Bericht des Bundesrates vom 2. April 2008, Grundlagen der Wirtschaftspolitik Nr. 15F.. In dieser Kategorie sind jene Massnhamen enthalten, die je einen Wachstumseffekt von über 0,5% des Bruttoinlandprodukts erwarten lassen.

Tabelle 1 «Marktzugang und Importanteile von EU-Produkten (vor und nach Inkrafttreten des Massnahmenpakets)»

Kasten 1: Beispiel: Brenner und Heizkessel Brenner und Heizkessel sind ein gutes Beispiel für eine vom Bundesrat aus Gründen des Umwelt- und Gesundheitsschutzes genehmigte Ausnahme vom Cassis-de-Dijon-Prinzip. Eine vom Seco 2007 durchgeführte Regulierungsfolgeabschätzung (RFA) hat einerseits gezeigt, dass eine Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips in diesem Bereich momentan nicht unbedingt wünschbar ist. Andererseits konnte aufgezeigt werden, wie die Unterschiede zu den Bestimmungen in der EU verringert und damit die Regulierung verbessert werden kann. Bereich mit starken Regulierungen In diesem stark regulierten Bereich ist das Preisniveau in der Schweiz gegenüber der EU um einiges höher. Der Preisunterschied ist auf folgende Ursachen zurückzuführen: – Die Normen bezüglich Luftverschmutzung (NOx, CO) und Energieverbrauch sind in der Schweiz strikter als in der EU. Damit kann ein Teil der Preisdifferenzen erklärt werden. – Ein Preisunterschied zwischen der Schweiz und der EU besteht aber auch bei genau gleichen Typen von Geräten. Zwar verursachen die strengeren Normen in der Schweiz jährliche Kosten von mehreren Millionen Franken für die hiesigen Konsumentinnen und Konsumenten. Eine Abschwächung der Schutzbestimmungen würde jedoch auch zusätzliche Schäden verursachen, sind doch die Heizungen heute für 13% der NOx-Emissionen verantwortlich. Die Kosten der zunehmenden Luftverschmutzung bei einer Übernahme der EU-Normen würden sich auf Dutzende von Mio. Franken belaufen. Verschiedene Regulierungen sind allerdings nicht mit dem höheren Niveau bezüglich Umwelt- oder Gesundheitsschutz zu begründen. Als technische Handelshemmnisse tragen sie ebenso zu den Preisdifferenzen bei. Beispiele dafür sind: – Energie: Die Normen in der Schweiz und der EU sind kaum vergleichbar, weil andere Messmethoden angewendet werden. – Inverkehrsbringung: In den meisten Fällen sind die Vorschriften nicht harmonisiert, sodass zwei Konformitätserklärungen nötig sind (je eine für die Schweiz und die EG). – Etikettierung: Gemäss Luftreinhalteverordnung müssen die Geräte mit einem spezifisch schweizerischen Geräteschild versehen sein. – Feuerschutz: Ein interkantonales Konkordat sieht eine Zulassung der Geräte vor, auch für solche, welche die europäischen Normen erfüllen. In einigen Kantonen verursacht auch die Heizkontrolle Mehrkosten. Es gelangen drei unterschiedliche Modelle der Heizkontrolle zu Anwendung (offizielles Kontrollorgan, freie Wahl oder spezialisiertes Unternehmen), deren Kosten für die Verbraucher jedoch bisher nie verglichen wurden. Fazit Aufgrund der hohen Kosten der Luftverschmutzung kann nicht empfohlen werden, auf das höhere schweizerische Schutzniveau zu verzichten. Allerdings können eine ganze Reihe von Regulierungsvereinfachungen eingeführt werden, welche das Schutzniveau nicht beeinträchtigen. Dies hat der Bundesrat getan und am 31. Oktober 2007 das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) damit beauftragt, eine entsprechende Revision der LRV vorzulegen.b Demnach können Feuerungen ohne weitere Vorkehrungen und ohne spezifisch schweizerischen Geräteschild in der Schweiz auf den Markt gebracht werden, sofern sie die strengsten europäischen Normen erfüllen oder aus Ländern (z.B. Deutschland) stammen, deren Emissionsgrenzwerte dem schweizerischen Niveau entsprechen. a Analyse von Davide Codoni. Für mehr Informationen vgl. die im Juni 2008 publizierte Regulierungsfolgeabschätzung (op.cit.). b Siehe S. 30ff. des Berichts «Überprüfung der Abweichungen im schweizerischen Produkterecht vom in der EG geltenden Recht, Bericht zur Erfüllung der Postulate 05.3122 Sozialdemokratische Fraktion und 06.3151 Baumann», Bern, 31.Oktober 2007.

Kasten 2: Beispiel: Joghurt Beispiel: Joghurt Um in der Schweiz die Bezeichnung „Joghurt“ führen zu können, muss das Produkt durch Fermentierung der Milch mittels Lactobacillus delbrueckii ssp. bulgaricus und Streptococcus thermophilus erzeugt werden. Die Verordnung des Eidg. Departements des Innern (EDI) über Lebensmittel tierischer Herkunft sieht vor, dass diese Bakterien eine Dichte von mindestens 10 Mio. koloniebildende Einheiten (KBE) pro Gramm Endprodukt aufweisen müssen. Ein bakterienreiches Milieu bekämpft die Ausbreitung von Krankheitserregern, was die Stabilität des Produkts erhöht. Die Anforderungen an die Joghurtproduktion sind in der EU nicht harmonisiert, sodass jedes EU-Mitgliedland seine eigenen – und oft sehr unterschiedlichen – Vorschriften kennt. Ohne eine begleitende Anpassung des Schweizer Rechts würde die Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips heissen, dass mit der Verordnung des EDI nicht konforme europäische Milchprodukte in der Schweiz unter der Bezeichnung „Joghurt“ verkauft werden könnten. Joghurtmarkt durch die Grossverteiler dominiert Im „klassischen“ Segment (d.h. nicht Bio, Light etc.) liegen die Preise in der Schweiz zwischen 19,4 bis 55,5 Rp./100g. Im Ausland kostet das billigste Joghurtprodukt 8 Rp./100g, d.h. 59% weniger als das billigste Schweizer Produkt. Die Differenz erklärt sich nur teilweise mit den Zollrechten, die sich auf 15% des Gesamtpreises im erwähnten Beispiel belaufen. Würde die Schweizer Sonderbestimmung aufgegeben, hätte das einen verstärkten Wettbewerb zwischen den Akteuren zur Folge. Heute wird der schweizerische Joghurtmarkt durch die Grossverteiler dominiert; ausländische Produkte machen nur gerade 1,3% des Verbrauchs aus. Ausländische Anbieter könnten somit ohne Neubenennung oder Änderung der Zusammensetzung ihre Produkte in die Schweiz importieren. Dies würde die Auswahl erhöhen und die Preise unter Druck setzen. Auch wenn die effektiven Kosten für diesen Wechsel nicht unüberwindbar scheinen, kann doch die Besonderheit der Schweizer Regulierung potenzielle Neuanbieter davon abhalten, auf dem Schweizer Markt aktiv zu werden, und so einen Beitrag zur Marktbeherrschung leisten. Ohne eine gesetzliche Anpassung würde eine Anwendung des Cassis-de-Dijon-Prinzips bedeuten, dass europäische Produkte in der Schweiz als Joghurt im Sinne des schweizerischen Rechts verkauft werden könnten. Damit wäre die Qualität der Marktinformation beeinträchtigt, was nicht unbedingt wünschbar ist. Auf der anderen Seite gehört die spezifische Anforderung an das Produkt – eine bestimmte Konzentration lebendiger Bakterienstämme – eher in die Sphäre der Spezialisten, und eine Umgehung dieser Regulierung würde kein grosses Gesundheitsrisiko darstellen. Fazit Parallel zur Einführung des Cassis-de-Dijon-Prinzips wurde eine Anpassung des schweizerischen Rechts beschlossen. Damit wird eine veraltete Vorschrift abgeschafft, was zu einer Preisreduktion beitragen sollte, auch wenn weiterhin beträchtliche Zölle bestehen. Das Cassis-de-Dijon-Prinzip dient somit als juristisches Instrument zur Bekämpfung veralteter Vorschriften, weil die Verhältnismässigkeit der bestehenden Vorschriften systematisch überprüft werden muss. Falls es – in Abweichung der Resultate der beschriebenen Fallstudie – aus Gründen des Gesundheitsschutzes notwendig gewesen wäre, die schweizerische Sonderbestimmung aufrecht zu erhalten, hätte der Bundesrat eine Ausnahme vom Cassis-de-Dijon-Prinzip festlegen können.

Zitiervorschlag: Christophe Perritaz (2008). Volkswirtschaftliche Effekte der Revision des Bundesgesetzes über die technischen Handelshemmnisse. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.