Zentralschweiz – mehr als nur tiefe Steuern
Überdurchschnittliche Entwicklung der Wirtschaftsleistung
Die Zentralschweiz umfasst die Kantone Schwyz, Uri, Nid- und Obwalden, Luzern und Zug. Im Jahr 2007 lebten knapp 719000 Menschen in dieser Region, was 9,5% der Schweizer Bevölkerung entspricht. Die rund 410000 erwerbstätigen Personen erwirtschaften ein nominales Bruttoinlandprodukt (BIP) von etwas mehr als 44 Mrd. Franken. Die Erwerbsquote liegt in der Zentralschweiz (57,1%) nur leicht unter dem schweizerischen Durchschnitt (58,4%), und die Arbeitslosenquote ist traditionellerweise deutlich tiefer als in anderen Schweizer Regionen (vgl. Tabelle 1). Als weitere Indikatoren für den regionalen Wohlstand bieten sich das Volkseinkommen und das BIP pro Kopf an. Bei beiden Kenngrössen liegt die Zentralschweiz im Jahr 2007 unterhalb des gesamtschweizerischen Durchschnitts, aber deutlich über den anderen eher ländlichen Grossregionen Südschweiz, Espace Mittelland und Ostschweiz. Eindrücklich fällt die Analyse der Zentralschweizer Wirtschaftsentwicklung über die letzten 17 Jahre aus. Seit 1990 liegt die langfristige Trendwachstumsrate des Zentralschweizer BIP (+1,7%) deutlich über dem Schweizer Schnitt (+1,4%). Sowohl die konjunkturelle Delle Anfang der Neunzigerjahre wie auch der wirtschaftliche Abschwung in den Jahren 2001 bis 2003 war in der Zentralschweiz weniger ausgeprägt als in anderen Schweizer Regionen. Noch deutlich positiver entwickelte sich die Arbeitsmarktsituation in den Zentralschweizer Kantonen. Im Zeitraum 1990-2007 war die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Zahl der Erwerbstätigen in der Zentralschweiz doppelt so hoch wie im Schweizer Schnitt (vgl. Grafik 1).
Hohe Attraktivität als Wohnregion dank tiefen Steuern und guter Erreichbarkeit
In den vergangenen 17 Jahren erreichte keine andere Schweizer Grossregion ein höheres Bevölkerungswachstum als die Zentralschweiz. Neben der guten wirtschaftlichen Entwicklung spielten insbesondere in den letzten Jahren auch die guten Steuerkonditionen eine entscheidende Rolle. Vor allem für gutverdienende Personen sind die Zentralschweizer Kantone aus steuertechnischen Überlegungen beliebte Wohnstandorte. Gemäss dem BAK Taxation Index Vgl. ZEW/BAK (2008a). liegt die effektive Steuer- und Ausgabenbelastung für hochqualifizierte Arbeitskräfte ausser in Zürich nirgends in der Schweiz so tief wie in den Kantonen Zug, Obwalden, Schwyz, Nidwalden und Luzern. Die Attraktivität der nördlichen Teile der Zentralschweiz als Wohnstandort liegt jedoch nicht nur in monetären Aspekten, sondern insbesondere auch in der Nähe zur Wirtschaftsmetropole Zürich begründet. Diese Tatsache gibt die Bevölkerungsentwicklung auf Gemeindeebene (vgl. Grafik 3) eindrücklich wieder. Die Gemeinden mit einem überdurchschnittlichen Bevölkerungswachstum befinden sich vorwiegend in Zug und in den nördlichen Teilen von Luzern und Schwyz – also in den Gebieten, in welchen eine gute Erreichbarkeit nach Zürich gegeben ist. Die grosse Nachfrage nach Bauland und Immobilien führte in den erwähnten Regionen zu einem starken Anstieg der Boden- und Liegenschaftspreise. Als Folge davon erstrecken sich Gebiete mit hoher Nachfrage nach Wohnraum in der Zwischenzeit auch immer mehr Richtung Süden, wovon die Kantone Ob- und Nidwalden profitieren. Daneben lässt sich jedoch in den alpinen Regionen ein Bevölkerungsrückgang beobachten. Fehlende wirtschaftliche Zukunftsperspektiven waren in erster Linie für die schleichende Entvölkerung von Teilen des Kantons Uri in den letzten 17 Jahren verantwortlich.
Hohe Bedeutung des sekundären Sektors
Für die Zentralschweizer Wirtschaft ist die Bedeutung des sekundären Sektors nach wie vor deutlich höher als im Schweizer Durchschnitt. Der nominale Wertschöpfungsanteil des produzierenden Gewerbes beträgt in der Zentralschweiz beinahe 33%, während er gesamtschweizerisch lediglich 30,7% beträgt. Ein traditionell wichtiger Wirtschaftszweig für einige Zentralschweizer Kantone ist die Investitionsgüterindustrie. Etliche Firmen im Bereich Maschinenbau, Metall- und Metallerzeugnisse sowie Fahrzeugbau sind als wichtige Arbeitgeber in der Region tief verankert. Ähnliches gilt für die Branchen Nahrungsmittelindustrie und Be- und Verarbeitung von Holz. Die Exportstatistik für das Jahr 2007 zeigt die starke internationale Ausrichtung des verarbeitenden Gewerbes in der Zentralschweiz. Viele Firmen richten die Produktion von qualitativ hochstehenden Gütern auf die ausländischen Absatzmärkte aus. Diese Orientierung am globalen Wettbewerb zwingt die Firmen, innovativ und flexibel auf die Marktbedürfnisse zu reagieren. Daneben verfolgen in der Zentralschweiz viele kleine und mittlere Unternehmen (KMU) eine erfolgreiche Nischenproduktstrategie. Vor allem in abgelegenen Regionen der Zentralschweiz finden KMU gute Rahmenbedingungen in Form von tiefen Mietoder Landkosten und guten Steuerbedingungen vor. In den letzten Jahren ist in den südlichen Teilen der Zentralschweiz ein Bogen von höchst innovativen Hightech-Firmen entstanden, welcher sich von Sarnen/Alpnach über Stans bis in die Industriegebiete im Urner Talboden erstreckt. Alles in allem bewirkt dies, dass die vergleichsweise hohe Abhängigkeit vom sekundären Sektor bislang keine negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum in der Zentralschweiz hat.
Perlen im Dienstleistungssektor
Demgegenüber ist der Einfluss des Dienstleistungssektors in der Zentralschweiz vergleichsweise gering. So liegt der Wertschöpfungsanteil des Finanzsektors 5,4 Prozentpunkte unter dem Schweizer Schnitt. Auch der öffentliche Sektor fällt schlanker aus als in anderen Schweizer Regionen (vgl. Grafik 4). Dieses Resultat überrascht in Anbetracht des starken Bevölkerungswachstums der letzten Jahre. Hingegen besitzt der Handel (Gross- und Detailhandel) in der Zentralschweiz mit über 18% einen überdurchschnittlich hohen Wertschöpfungsanteil (CH: 13%). Zusätzlich verzeichnet die Branche in den letzten 17 Jahren ein Wertschöpfungswachstum, das deutlich über dem gesamtwirtschaftlichen Wachstumspfad liegt. Verantwortlich für die hohe Bedeutung des Handels ist einerseits die zentrale Lage innerhalb der Schweiz: Die Zentralschweizer Kantone eignen sich aufgrund der Anbindung an die Nord-Süd-Achse hervorragend als Standort von Verteil- und Logistikzentren. Andererseits ist der «Spezialfall» Zug zu nennen mit seiner grossen Anzahl von international tätigen Grosshandelsunternehmen, deren Palette von Rohstoffen über Maschinen bis hin zu Pharmaprodukten äusserst vielfältig ist. Die hohe Ansiedlungsdichte von Handelsfirmen lässt sich ebenfalls mit den tiefen Unternehmenssteuern erklären. Neben Zug weisen auch Ob- und Nidwalden eine im internationalen Vergleich äusserst tiefe Unternehmensbesteuerungsbelastung Vgl. ZEW/BAK (2008b). auf, was bei den Neuansiedlungen von Firmen einen gewichtigen Standortvorteil darstellt.
Verkehrsachsen unterwandern Luzerns Zentrumsanspruch
Wie die Grafik 6 zeigt, übernehmen die Verkehrsachsen in der Zentralschweiz eine zentrale Rolle bei der wirtschaftlichen Dynamik der einzelnen Regionen. Gut erschlossene Gebiete – wie die nördlichen Teile des Kantons Luzern und Schwyz sowie der Kanton Zug – präsentieren sich als prosperierende Wirtschaftsregionen mit überdurchschnittlichem Wertschöpfungswachstum. Dabei spielen sowohl die Infrastruktur für den Individualverkehr (Erweiterung des Autobahnnetzes und neue Zubringer) wie auch für den öffentlichen Verkehr (v.a. Angebotserweiterung der Zentralbahn) eine entscheidende Rolle. Die dynamische Wirtschaftsentwicklung in diesen Regionen lässt das Wirtschaftswachstum der Stadt Luzern in einem etwas faden Licht erscheinen. Über die letzten Jahre verzeichneten Luzern und die umliegenden Agglomerationen ein im Zentralschweizer Vergleich tiefes BIP-Wachstum zwischen 1,4% und 1,7%. Der Stadt Luzern gelingt es zu wenig, sich als städtisches Zentrum innerhalb der Zentralschweiz zu positionieren. Einerseits wirkten in den vergangenen Jahren die für Zentralschweizer Verhältnisse hohen Steuern nachteilig auf das Bevölkerungswachstum, anderseits ist die städtische Konkurrenz von Zürich massiv. Insbesondere bei typisch urbanen Dienstleistungen – wie Finanz- und unternehmensbezogene Dienstleistungen – ist der Wertschöpfungsanteil vergleichsweise niedrig. Mittlerweile zeichnet sich jedoch eine Trendumkehr ab. Vom wiederkehrenden Aufschwung der Tourismusbranche in den letzten drei Jahren profitierte die Stadt Luzern überdurchschnittlich stark. Die Investitionen in Hotels und in die touristische Infrastruktur zahlen sich nun spürbar aus. Nicht nur für ausländische Gäste konnte Luzern die Attraktivität erhöhen, sondern auch die gestiegene Qualität von Business- und Kongresshotels macht die Stadt Luzern zu einer interessanten Alternative zur Stadt Zürich. In der Zwischenzeit ist die Beliebtheit der Stadt Luzern für Kongresse und andere Firmenanlässe bei den Zentralschweizer Unternehmen mit internationaler Kundschaft deutlich angestiegen.
Tourismus: Neue Perspektiven für Uri und die Gesamtzentralschweiz
Der Tourismus spielt in der Zentralschweiz eine wichtige Rolle. Die Stadt Luzern ist eine Marke von internationalem Ruf. Doch auch Regionen in Uri, Ob- und Nidwalden sind traditionell stark vom Gastgewerbe geprägt. Der kontinuierliche Rückgang der Branchenwertschöpfung des Tourismus seit den Neunzigerjahren wiegt somit schwer. Seit 2004 ist eine Rückkehr auf den Wachstumspfad zu beobachten, was jedoch – wie oben erwähnt – vorwiegend die Stadt Luzern betrifft. Andere eher alpine Destinationen spüren weiterhin die starke internationale Konkurrenz im Tourismussektor. Seit einigen Jahren treten die bekannten Zentralschweizer Tourismusregionen geschlossener auf dem Markt auf, um das zweifelsfrei vorhandene Potenzial besser auszuschöpfen. Die Titlis-Region um Engelberg, das Gotthardgebiet und der Vierwaldstättersee bieten optimale Voraussetzungen für eine starke und gemeinsame Präsenz auf dem globalen Markt. Durch den Bau des Andermatter Tourismusresorts wird die Zentralschweizer Angebotspalette um eine Attraktivität reicher. Das Resort bringt auch dem strukturschwachen Kanton Uri neue Impulse. Die Lücke der nicht vorhandenen Hotels im oberen Sternesegment im Kanton Uri wird somit mittelfristig geschlossen. Die Urner Wertschöpfung und Beschäftigung wird schon in der Bauphase, vor allem aber in der Betriebsphase auf ein deutlich höheres Niveau steigen.
Relativierung des hohen Wachstums im internationalen Vergleich
Obwohl die Zentralschweiz eine der wirtschaftlich erfolgreichsten Grossregionen darstellt, zeigt sich im internationalen Vergleich die für die Schweiz typische Wachstumsschwäche. In den Jahren 1990-2006 lag das durchschnittliche jährliche reale BIP-Wachstum der Zentralschweiz rund 0,4 Prozentpunkte unterhalb des westeuropäischen Durchschnitts (WE17). Gegenüber vergleichbaren Regionen – wie Vorarlberg, Tirol, Savoie oder Südostbayern – öffnete sich die Wachstumsschere noch weiter (vgl. Grafik 7). Überraschend liegt die Zentralschweiz auch beim Wohlstandsindikator BIP pro Kopf im gewählten Benchmarkingsample im Mittelfeld. Das im internationalen Vergleich relativ tiefe Wachstum der letzten 17 Jahre hat dazu geführt, dass einige EU-Regionen – insbesondere österreichische und norditalienische Regionen – die Zentralschweiz beim nominalen BIP pro Kopf überholt haben. Das schwache Abschneiden hängt jedoch stark von der betrachteten Zeitperiode ab. In den letzten sechs Jahren entwickelte sich die Schweizer Wirtschaft im Allgemeinen und die Zentralschweiz im Speziellen dynamischer als in den schwachen Neunzigerjahren. Dank den auch im internationalen Vergleich hervorragenden Rahmenbedingungen ist die Zentralschweiz für die zukünftigen Herausforderungen im globalen Standortwettbewerb gerüstet. Es spricht einiges dafür, dass das hohe Wirtschafts- und Beschäftigtenwachstum auch zukünftig gehalten werden kann.
Standortbedingungen weiter stärken …
Die Zentralschweiz ist im globalen Wettbewerb zwischen den Regionen gut positioniert. Die Rahmenbedingungen für international ausgerichtete Unternehmen präsentieren sich hervorragend. In Zukunft gilt es, diese Spitzenposition weiter zu halten und sogar noch zu stärken. Die politische Bereitschaft für neue Ideen und Reformen darf jedoch nicht beim Steuersystem Halt machen. Die Erreichbarkeit spielt auch in Zukunft eine zentrale Rolle bei der Standortwahl von Unternehmen und bei der Wohnortswahl von Personen. Aus diesem Grund ist ein weiterer Ausbau der Verkehrsinfrastruktur voranzutreiben. Neue Autobahnzubringer sind geplant, ebenso die Erweiterung und Modernisierung der Zentralbahn. Das neue Messezentrum – inklusive Fussballstadion – in Luzern wird der gesamten Region neue Impulse verleien.
… und neue Impulse aus Andermatt
Noch eine grössere volkswirtschaftliche Wirkung wird vom Andermatter Tourismusresort ausgehen und vor allem dem etwas gebeutelten Kanton Uri neuen Auftrieb verleihen. In den kommenden Jahren wird sich somit die Zentralschweiz weiterhin dynamischer entwickeln als der Schweizer Durchschnitt. Sowohl die regionale Wertschöpfung als auch die Zahl der Erwerbspersonen dürften deutlich stärker als im Schweizer Schnitt wachsen.
Grafik 1 «Entwicklung des realen Bruttoinlandprodukts und der Erwerbstätigen der Zentralschweiz,1990-2007»
Grafik 2 «Entwicklung von Bevölkerung und Volkseinkommen der Zentralschweiz,1990-2005/07»
Grafik 3 «Bevölkerungswachstum der Zentralschweiz nach Gemeinden, 1990-2007 Durchschnittliche jährliche Veränderung in %»
Grafik 4 «Regionale Branchenstruktur der Zentralschweiz, 2007»
Grafik 5 «Regionales Branchenwachstum der Zentralschweiz, 1990-2007»
Grafik 6 «Reales BIP-Wachstum der Zentralschweiz nach Gemeinden, 1990-2007»
Grafik 7 «Die Zentralschweiz im Vergleich mit anderen Regionen»
Tabelle 1 «Zentralschweiz – Kennzahlen 2007»
Kasten 1: Online-Datenportal
Die wichtigsten Grundlagedaten des vorliegenden Artikels sind auf der Homepage von BAK Basel Economics visualisiert aufbereitet ( www.bakbasel.com ).
Kasten 2: Literaturhinweis
– ZEW/BAK (2008a): BAK Taxation Index 2007 für hochqualifizierte Arbeitskräfte, Februar 2008.- ZEW/BAK (2008b): BAK Taxation Index 2007 für Unternehmen, Januar 2008.
Zitiervorschlag: Steffes, Andreas; Stocker, Thomas (2008). Zentralschweiz – mehr als nur tiefe Steuern. Die Volkswirtschaft, 01. Oktober.