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Zur AVIG-Revision: Ein Streitgespräch unter Sozialpartnern

Die Arbeitslosenversicherung (ALV) hat mit einem Schuldenberg zu kämpfen. In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die Zahl der Arbeitslosen zu tief angesetzt war und die Rechnung der ALV trotz Hochkonjunktur defizitär ist. Die Sozialpartner sind sich im Gespräch zwar einig, dass eine Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG) notwendig ist. Während die Gewerkschaften allerdings beklagen, der Bundesrat sei mit dem Leistungsabbau zu weit gegangen, spricht sich das Gewerbe kategorisch gegen jegliche Erhöhungen der Beitragssätze aus. Die kritische Stellungnahme der Kantonalen Sozialdirektorenkonferenz (SODK), welche negative Auswirkungen auf die anderen Sozialwerke befürchtet, wird ebenfalls diskutiert.

Zur AVIG-Revision: Ein Streitgespräch unter Sozialpartnern



Die Volkswirtschaft: Wie beurteilen Sie die grundsätzliche Ausrichtung der Revision, wie sie der Bundesrat mit seiner Botschaft eingeschlagen hat? Blank: Aus Sicht der Gewerkschaften ist die 4. Teilrevision des AVIG dringend notwendig. Warum? Die Arbeitslosenversicherung war in den letzten Jahren zu billig. Deshalb ist sie nach vier Jahren der Hochkonjunktur mit rund 4 Mrd. Franken tief verschuldet. Priorität hat deshalb für uns die Sanierung der ALV. Die meisten Leistungskürzun-gen lehnen wir ab, weil sie nichts mit der Stärkung des Versicherungsprinzips, wie sie der Bundesrat begründet, zu tun haben, sondern einfach Kürzungen der Grundleistung sind. Gfeller: Die Hauptziele der AVIG-Revision stimmen für uns. Dagegen ist der Weg, wie diese Ziele erreicht werden sollen, völlig falsch. Wir sprechen uns kategorisch gegen eine Erhöhung der Beitragssätze aus. Wir sind dagegen, dass man die Finanzierungslücken in den Sozialversicherungen überall zuerst mit Mehreinnahmen füllen will. Die Ziele müssen ausschliesslich über Leistungskürzungen erreicht werden.  Die Volkswirtschaft: Die konjunkturneutrale Arbeitslosenzahl wurde bei der laufenden Revision von 100000 auf 125000 heraufgesetzt. Besteht unter den Sozialpartnern Einigkeit über die «Richtigkeit» dieser Anpassung? Gfeller: Dass die 100000 offensichtlich zu tief angesetzt waren, hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt. Allerdings würde ich meine Hand für die neue Zahl nicht ins Feuer legen. Die Schätzungen hängen immer davon ab, auf welchen Annahmen sie beruhen. Ob diese Annahmen zutreffen, wird die Zukunft zeigen. Blank: Die Zahl von durchschnittlich 125000 Arbeitslosen ist realistisch. Sie entspricht einer Arbeitslosenquote von 3,2%. Im internatonalen Vergleich stehen wir damit immer noch relativ gut da.  Die Volkswirtschaft: Das Ziel des Rechnungsausgleichs in der ALV soll gemäss Bundesrat mit einem Massnahmenmix aus Leistungsabbau und Beitragserhöhungen erreicht werden. Wie gross ist die (Un-)Zufriedenheit mit dem vorgeschlagen Mix? Gfeller: Beitragserhöhungen werden vom Gewerbe klar abgelehnt. Wir sind der Meinung, dass der Massnahmenmix überhaupt nicht ausgewogen ist und ein krasses Missverhältnis zugunsten der Mehreinnahmen besteht. Von den ausgewiesenen 530 Mio. Franken Leistungseinsparungen sind 150 Mio. Franken gar keine echten Leistungskürzungen: 90 Mio. Franken entfallen auf dem Wegfall des Genfer Modells, der vorgängig beschlossen wurde, und auch die 60 Mio. Franken aus der Senkung des Plafonds für die arbeitsmarktlichen Massnahmen haben nichts mit der Gesetzesrevision zu tun. An effektiven Einsparungen verbleiben somit noch 380 Mio. Franken. Beitragsseitig will man hingegen 850 Mio. Franken mehr einziehen. Blank: Ich halte mich an Zahlen der Botschaft. Diese sind auch für uns nicht ausgewogen – aber im umgekehrten Sinn. Im Verlauf der Ausarbeitung der Botschaft wurde der Anteil der Leitungskürzungen dauernd heraufgeschraubt. Im Expertenbericht von 2006 war noch die Rede von 430 Mio. Franken auf der Leistungsseite. In der Botschaft wurde der Betrag dann auf 530 Mio. Franken heraufgeschraubt. Bei den Beitragserhöhungen krebste der Bundesrat hingegen zurück. Während im Expertenbericht eine Beitragserhöhung um 0,3% für den Rechnungsausgleich als erforderlich erachtet wurde, soll dafür jetzt nur noch eine um 0,2% notwendig sein. Deshalb sind auch wir Gewerkschaften vom Bundesrat enttäuscht. Nach der letzten Revision, die aus unserer Sicht eine klar Abbauvorlage gewesen ist, haben wir immer gesagt, dass es keinen weiteren Spielraum für Leistungskürzungen gebe. Gfeller: Ich bleibe dabei: An effektiven Einsparungen sind nur 380 Mio. Franken ausgewiesen. Der Bundesrat schmückt sich hier mit fremden Federn, indem er Massnahmen auflistet, die mit der Revision nichts zu tun haben. Die 850 Mio. Franken Mehreinnahmen sind sauber ausgewiesen. Das Ungleichgewicht ist eklatant.  Die Volkswirtschaft: Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektoren (SODK) befürchtet, dass die vom Bundesrat beantragten Sparmassnahmen zu einer Verlagerung der Kosten auf die Kantone und Gemeinden bzw. auf die Sozialhilfe führen werde. Überrascht Sie die Kritik? Gfeller: Die Kritik war zu erwarten. Die kantonalen Sozialdirektoren haben sich in letzter Zeit daran gewöhnt, Kosten, die bei ihnen anfallen würden, auf andere abzuschieben. Ein typisches Beispiel dafür ist die IV. Die jüngst in Bern und Zürich öffentlich gewordenen Fälle zeigen, dass noch ein erhebliches Sparpotenzial besteht. Je eher die Kosten dort zugeteilt werden, wo sie tatsächlich anfallen, desto eher nimmt man sich des Problems an und baut ein Case Management auf. Blank: Die Sorgen der Kantone sind mehr als berechtigt. Zu denken ist namentlich an drei Massnahmen: Die Erhöhung der Beitragszeit, die Nichtberücksichtigung der Kompensationszahlungen zur Eröffnung einer Rahmenfrist und die massive Reduktion der Taggelder bei den Beitragsbefreiten. Diese Massnahmen führen dazu, dass die Leute schneller ausgesteuert werden oder das Geld nicht mehr zum Leben reicht, und sie somit der Fürsorge übergeben werden müssen. Damit würde eine massive Verschiebung zulasten der Kantone stattfinden, was letztendlich auch zuungunsten der erwerbslosen Personen gehen würde. Denn es geht ja hier nicht um Leute, die aus arbeitsmarktfernen Gründen keine Arbeit finden, sondern um solche, die von der ALV in die Sozialhilfe verschoben werden.  Gfeller: Ich denke, man muss die Wiedereingliederung mit anderen Anreizen steuern. Ich finde es unverständlich, dass wir gegenwärtig einen akuten Fachkräftemangel haben und fast zu Zehntausenden Leute aus dem Ausland rekrutieren müssen. Im Gegenzug schaffen wir es nicht, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Und das nur, weil die Anreize, um die Leute wieder in den Arbeitsprozess zurückzuführen, ungenügend sind. Blank: Es stimmt zwar, dass Fachkräfte fehlen. Die Vermittlung der richtigen Qualifikation ist jedoch primär über Bildungsmassnahmen und nicht über die ALV zu lösen. Gfeller: Für die Fachkräfte mag das zutreffen. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Schweizerinnen und Schweizern, die Tätigkeiten mit unqualifizierten Beschäftigungsprofilen nicht annehmen wollen. Man muss sich nur das Gastgewerbe anschauen: Schweizer Serviceangestellte sind hierzulande eine Seltenheit geworden.  Die Volkswirtschaft: Wie beurteilen Sie die Erhöhung des Beitragssatzes von 2% auf 2,2%, die 486 Mio. Franken Mehreinnahmen generieren soll? Gfeller: Wenn wir die Sozialversicherungen und deren Finanzierung insgesamt betrachten: Die IV wird primär über die Einnahmen saniert. Und die AHV wird in Zukunft massiv mehr kosten, ebenso die berufliche Vorsorge. Auch die Taggeldversicherungen hatten in der Vergangenheit happige Aufschläge zu verzeichnen. Von daher ist das Gewerbe klar der Auffassung, dass die ALV nicht primär über Beitragserhöhungen saniert werden darf; das geht nicht. Blank: Die IV wird ja über die Mehrwertsteuer zusatzfinanziert. Wir sprechen hier aber über Lohnbeiträge. Um es noch einmal zu sagen: Die ALV war in den letzten Jahren zu billig. Wir haben uns verrechnet. Zwischen 1995 und 2003 betrugen die Beiträge 3%. Seither waren es nur 2%, was sich als zu tief erwiesen hat. Deshalb ist für uns eine Erhöhung von nur 0,2% zu wenig. Wir schlagen vor, dass die Erhöhung mindestens 0,5% betragen soll. Damit könnte man auch auf die Leistungskürzungen mehrheitlich verzichten. Gfeller: Ich wehre mich gegen die Auffassung, dass die ALV zu billig gewesen sei. Wir schaffen es nicht, die Leute in den Arbeitsprozess zu integrieren. Die Zuwanderung zeigt auf, dass Arbeit eigentlich vorhanden wäre, aber die Anreize nicht so gesetzt sind, dass die Leute wieder in den Arbeitsprozess zurückkehren. Blank: Selbstverständlich konnte die Wirtschaft vom freien Personenverkehr profitieren. Viele Leute sind zu – für die Arbeitgeber – günstigen Konditionen in die Schweiz gekommen. Vielleicht übersahen die Arbeitgeber dabei, dass es auch Schweizerinnen und Schweizer gibt, die beschäftigt werden könnten. Insgesamt ist die Arbeitslosenquote bei jedem Konjunkturaufschwung wieder stark gesunken. Das bedeutet, dass die Leute nicht in der ALV verbleiben. Deshalb kann ich die Unterstellung, dass die Leute zu träge seien und die ALV als Liegestuhl ausnutzten, nicht gelten lassen. Diese Argumentation ist nun endgültig veraltet.  Die Volkswirtschaft: Wie stellen Sie sich konkret zu den beantragten Sparmassnahmen des Bundesrates? Blank: Die Erhöhung der Beitragszeit geht völlig an den Realitäten des Arbeitsmarktes vorbei. Seit Jahren haben wir in der Schweiz eine Tendenz zu immer mehr Flexibilisierung: zu Arbeit auf Abruf, befristeten Arbeitsverhältnissen und Temporärarbeit. Dies erhöht für den Arbeitnehmenden das Risiko, arbeitslos zu werden. Eigentlich wäre ja genau die ALV dazu da, diese Risiken abzufedern. Mit der Erhöhung der Beitragszeiten werden die Personen in den flexiblen Arbeitsverhältnissen doppelt bestraft. Ihr Risiko, arbeitslos zu werden, ist besonders hoch, und sie erhalten erst noch weniger Leistungen von der Arbeitslosenkasse. Die Erhöhung läuft überdies einem der Hauptanliegen, jenem einer nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt, zuwider. Gfeller: Das Gewerbe unterstützt die Sparmassnahmen, insbesondere die Massnahmen bei den Schul- und Studienabgängern. Es ist keinem Jugendlichen gedient, wenn er sich bereits in jungen Jahren in die Abhängigkeit des Staates begibt. Dieser Personenkreis hat in der Regel keine Einkommenseinbussen am Ende der Schuloder Studienzeit hinzunehmen.  Die Volkswirtschaft: Wie beurteilen Sie die weiteren Sparmassnahmen? Blank: Mit der Streichung der Kompensationszahlungen spart man definitiv am falschen Ort. Damit vermindert man die Effizienz des wertvollen Instruments «Zwischenverdienst». Zudem haben wir Mühe mit der massiven Kürzung der Bezugsdauer für alle Beitragsbefreiten, die einmal mehr die Schwächsten in unserer Arbeitswelt bestraft, nämlich die geschiedenen Frauen und die Wiedereinsteigerinnen. Diese Massnahme ist gesellschaftspolitisch völlig verfehlt, zumal man ja immer davon spricht, die Erwerbsbeteiligung der Frauen erhöhen zu wollen. Gfeller: Wie gesagt gehen für uns die Sparmassnahmen zu wenig weit. Einsparungen könnten etwa in einer degressiven Ausgestaltung der Taggelder bestehen. Heute sieht man, dass die Austritte aus der ALV, immer kurz bevor eine Massnahme zu greifen beginnt, in die Höhe schnellen. Mit einer periodischen Kürzung der Taggelder von beispielsweise 5% könnte ein zusätzlicher Anreiz geschaffen werden, sich möglicht schnell um eine neue Stelle zu bemühen.  Die Volkswirtschaft: Die bestehenden Schulden sollen nun innert zehn Jahren über eine befristete Beitragserhöhung von 0,1% und einen Solidaritätsbeitrag von 1% abgebaut werden. Wie stellen Sie sich dazu? Blank: Die Beitragserhöhung ist absolut ungenügend. Wenn wir davon ausgehen, dass das AVIG 2011 in Kraft tritt, dauert die Sanierung der ALV bis ins Jahr 2023! Zudem besteht die Gefahr, dass bei einer Konjunkturabkühlung die kritische Schuldengrenze rasch wieder erreicht wird.  Gfeller: Wir sind der Auffassung, dass es diese Beitragserhöhungen nicht braucht, wenn mehr gespart wird. Der Steuer- und der Beitragszahler wird bei anderen Sozialwerken bluten müssen. Hier wollen wir ihn schonen. Bezüglich der konjunkturellen Entwicklung bin ich nicht so pessimistisch wie Frau Blank. Eine Abkühlung wird es sicher geben, aber an eine Rezession denke ich nicht. Zudem hinkt die Arbeitslosigkeit immer um etwa zwei Jahre der Konjunktur hinterher.  Die Volkswirtschaft: Wie zuversichtlich sind Sie, dass die gegenwärtige, recht ausgewogene Vorlage im Rat und bei einem allfälligen Referendum beim Volk Zustimmung findet? Gfeller: Dazu müssen wir erst einmal abwarten, wie die Vorlage nach den Beratungen im Parlament aussehen wird. Wenn es in etwa bei den gegenwärtigen Inhalten der Vorlage bleibt und es zu einem Referendum kommt, sehe ich in der Tat schwarz dafür. Wir werden sie mit Sicherheit nicht unterstützen. Blank: Auch von unserer Seit her würden wir eine Vorlage, wie sie jetzt mit dem Entwurf des Bundesrates auf dem Tisch liegt, bekämpfen. Abschliessend hätte ich noch ein paar grundsätzliche Bemerkungen einzubringen. Wir haben in der Schweiz einen sehr flexiblen Arbeitsmarkt. Das ist letztendlich ein Standortvorteil der Schweiz, wie es auch von Seiten der Industrie und des Gewerbes immer wieder betont wird. Als Gegenstück dazu brauchen aber die 4,5 Mio. Erwerbstätigen in der Schweiz eine solide ALV mit guten Leistungen. Was diese Vorlage aber beinhaltet, sind massive Kürzungen der Leistungen und eine zu zögerliche Sanierung der ALV. Insbesondere vor dem Hintergrund der vollständigen Personenfreizügigkeit, die auf uns zukommt, und der fortschreitenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes braucht es als Gegenstück eine grundsolide ALV. Das ist quasi der Deal, den man als Erwerbstätiger eingeht: Wenn ich schon das Risiko habe, gekündigt zu werden, will ich dann nicht ins Bodenlose fallen. Gfeller: Von «ins Bodenlose fallen» kann auch mit unseren Kürzungsvorschlägen keine Rede sein. Die Leistungen der ALV wären auch dann immer noch überaus grosszügig.   Die Volkswirtschaft: Frau Blank, Herr Gfeller, ich danke Ihnen für das Gespräch.

 

Gesprächsleitung und Redaktion:Geli Spescha, Chefredaktor «Die Volkswirtschaft»

Abschrift:Simon Dällenbach, Redaktor «Die Volkswirtschaft»

Kasten 1: Stellungnahme der SODK zur Vorlage des Bundesrates zur AVIG-Teilrevision
Nein zum Leistungsabbau bei der Arbeitslosenversicherung

Die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) teilt die Sorge um die zukünftige Finanzierung der Arbeitslosenversicherung und stellt sich auch nicht grundsätzlich quer zur Teilrevision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes (AVIG). Was nun aber vom Bundesrat als Einsparungsmassnahmen vorgeschlagen wird, läuft in die gegenteilige Richtung zur Realität im Sozialwesen. Viele dieser Massnahmen führen zu einem Leistungsabbau und damit absehbar zu einer Mehrbelastung der Sozialhilfe als letzte Instanz im sozialen Netz. Damit geht auch eine Verlagerung der Kosten auf die Kantone und Gemeinden einher. Über die konkreten Auswirkungen einer Leistungskürzung bei der Arbeitslosenversicherung auf die Sozialhilfe oder die Belastung der Kantone und Gemeinden schweigt sich die Botschaft des Bundesrates weitgehend aus.Die kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren finden zum Beispiel die Erhöhung der Beitragsdauer von 12 auf 18 Monate für den Bezug von 400 Taggeldern inakzeptabel und sprechen sich gegen diese Leistungskürzung aus, da davon auszugehen ist, dass damit die Sozialhilfe stärker belastet wird. Es ist nicht Sache der Sozialhilfe, weiterhin und verstärkt durch die vorgesehenen Revisionsvorhaben im AVIG die Folgen struktureller Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt aufzufangen. Zudem besteht kein Spielraum mehr für Leistungskürzungen, ohne den Grundauftrag der Versicherung zu gefährden. Die finanzielle Sicherheit der Arbeitslosenversicherung ist deshalb grundsätzlich über eine Anpassung der Einnahmen und nicht über Leistungskürzungen sicherzustellen. Wenn es dennoch zu einem Leistungsabbau kommen sollte, muss nachgewiesen werden, dass keine anderen Sozialwerke – insbesondere nicht die Sozialhilfe – davon betroffen sein werden.Denn es ist ein Trugschluss zu glauben, dass die durch eine Reform der Arbeitslosenoder der Invalidenversicherung weniger gezählten Bezüger respektive Rentner einfach verschwinden würden – sie werden einfach zu Sozialhilfebezügern. Höhere Hürden für den Taggeldoder Rentenbezug führen zu einer Mehrbelastung respektive zu einer Verschiebungen in die Sozialhilfe. In diesem Zusammenhang gilt es ganz allgemein zu bemerken, dass die Versicherungszweige nicht isoliert analysiert und ohne Rücksicht auf das Gesamtsystem der Sozialwerke reformiert werden dürfen. Damit können zwar allenfalls in den einzelnen Versicherungsbereichen Einsparungen realisiert werden, welche aber – zumindest teilweise – als zusätzliche Belastungen in einem anderen Bereich der Existenzsicherung ausgewiesen werden.

Zitiervorschlag: Geli Spescha (2008). Zur AVIG-Revision: Ein Streitgespräch unter Sozialpartnern. Die Volkswirtschaft, 01. November.