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Mehr Prinzipien statt Detailregelungen

Die aktuelle Finanzkrise zeigt in erster Linie ein Versagen von Aufsicht und Staat. Statt einfach zusätzliche Vorschriften und Regeln einzuführen, sollten vermehrt die Schwachpunkte angegangen und destabilisierende Regulierungen abgeschafft werden. Dazu gehört auch, dass vermehrt mit Prinzipien statt mit Detailregelungen reguliert wird. Ausserdem braucht es Mechanismen, damit Verantwortliche nicht nur bei Erfolg, sondern auch bei Misserfolg persönlich die Konsequenzen zu tragen haben.

Mehr Prinzipien statt Detailregelungen

 

Exzessive Manager-Boni, horrende Abgangsentschädigungen und Spesen seien ein Beleg dafür, dass gierige Bankmanager das Finanzsystem in den Abgrund getrieben haben. Damit habe sich gezeigt, dass die Marktwirtschaft missbraucht werde und der Staat mehr kontrollieren müsse, um solche Exzesse in Zukunft zu vermeiden. Nur der Staat könne ein wirklich stabiles und ein funktionierendes Finanzsystem gewährleisten! EZB-Präsident Jean-Claude Trichet sprach sich im Oktober, als sich die Finanzkrise zuspitzte, für eine umfassende Reform des Weltfinanzsystems aus.  Diese Analyse verkennt die wahren Ursachen der Finanzkrise. Sie liegen vielmehr in den staatlichen Massnahmen und Regeln, die den Banken vom Gesetzgeber und von der Aufsicht aufgezwungen wurden.

Das staatlich regulierte Finanzsystem


Detaillierte Vorschriften beschäftigen Heerscharen von Juristen, Compliance Officern, Risk Managern etc., die die Einhaltung der immer komplexer gewordenen Vorschriften sicherstellen sollen. Die Revisoren führen umfangreiche Prüfungen durch und dokumentieren dies in ihren Berichten. Aufsichtsbehörden in allen Ländern überwachen das Tun der Revisoren und Finanzinstitute, indem sie Berichte und Daten sammeln und auswerten. Dies hat unerwünschte Nebenwirkungen: – Zunehmende Kosten für Finanzgeschäfte: Regulierung führt zu direkten und indirekten Kosten, die auf die Marktteilnehmer überwälzt werden und zu Effizienzverlusten führen. Markteintrittsbarrieren aufgrund von Regulierung schränken den Wettbewerb ein.  – Marktmechanismen werden ausser Kraft gesetzt: Normalerweise sollte ein schlechter Schuldner (oder eine unsichere Bank) höhere Zinsen bezahlen. Anleger sollten z.B. Banken meiden, die hohe Risiken eingehen. Mit einer impliziten Staatsgarantie, die grosse Bankinstitute heute faktisch erhalten, wird dieser Mechanismus ausser Kraft gesetzt. Banken, die hohe Geschäftsrisiken eingehen, damit sie rasch wachsen, werden von den Anlegern nicht gemieden, sondern erhalten als Belohnung für ihr Wachstum diese implizite Staatsgarantie gratis. Banken, die eine für das System gefährliche Grösse haben, werden belohnt. – Dynamische Wechselwirkungen werden in der Regulierung kaum berücksichtigt: Nach schlechten Erfahrungen werden neue Gesetze oder Vorschriften erlassen, die den soeben erlebten Fall für die Zukunft verhindern sollen. Die statische Betrachtung dominiert. So führt z.B. die Kombination von Marktbewertungen von Bilanzpositionen zusammen mit Preiszusammenbrüchen in Teilmärkten (z.B. in den Obligationenmärkten) dazu, dass die Eigenmittel plötzlich nicht mehr ausreichen.

Was sind die Lehren?


Ein Finanzsystem so zu definieren, dass es funktioniert, Missbräuche schwierig macht und eine inhärente Systemstabilität aufweist, ist anspruchsvoll. Dennoch können gewisse Lehren gezogen werden:  Zuerst gilt es, mehr Prinzipien und weniger Detailregelungen zu definieren. Detailregelungen haben nichts gebracht, können leicht umgangen werden und sind in den Wirkungen schwieriger zu beurteilen. Prinzipien sind zwar weniger scharf, führen jedoch dazu, dass die Marktteilnehmer im Zweifelsfall (bei einer wirksamen Aufsicht) sich mehr nach den Prinzipien ausrichten. Weiter sind Mechanismen zu schaffen, in denen die Verantwortlichen nicht nur bei Erfolg, sondern auch bei Misserfolg persönlich Konsequenzen tragen. Gescheiterte Marktteilnehmer sollten nicht von anderen Finanzinstituten übernommen, sondern aufgelöst werden. Die Übernahme von Instituten mit Schwierigkeiten durch gesunde Institute führt dazu, dass noch grössere Marktteilnehmer entstehen, die für die Systemstabilität gefährlicher sein können. Zudem braucht es eine internationale Koordination der Aufsicht und Regeln. Es hat sich gezeigt, dass Ursachen in einem Land das Bankensystem in einem anderen Land in die Knie zwingen können. Und schliesslich sind Staatsinterventionen, die Spekulationsblasen entstehen lassen, zu vermeiden. Eine Lehre, die man aus der Krise leider auch ziehen muss, ist, dass bisher weder der Staat noch die Aufsicht noch die Marktteilnehmer aus Finanzkrisen wirklich etwas gelernt haben.

Zitiervorschlag: Gerard Fischer (2008). Mehr Prinzipien statt Detailregelungen. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.