Die Gesundheitsversorgung der Schweiz ist ausgeprägt dezentral und zum Teil kleingewerblich organisiert. Die Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Medizin sowie damit verbundene Kommunikationsprobleme nehmen zu. Die Informationen über die Patientinnen und Patienten sind verstreut und werden meistens nur bei Überweisungen ganz oder teilweise an andere Leistungserbringer weitergegeben. Für eine effiziente und qualitativ hochstehende Versorgung muss aber im Interesse der Patientinnen und Patienten jedem behandelnden Leistungserbringer der Zugang zu relevanten Teilen von Krankengeschichten, Testresultaten und weiteren Informationen möglich sein. An diesem Punkt setzt die Strategie eHealth Schweiz an: Sie fordert, dass bis im Jahr 2015 die Menschen in der Schweiz den Fachleuten ihrer Wahl unabhängig von Ort und Zeit relevante Informationen über ihre Person zugänglich machen und Leistungen beziehen können.
Herausforderungen bei der Umsetzung
Die Herausforderungen bei der Umsetzung der Strategie eHealth sind zahlreich. Zunächst sind sehr viele Akteure zu koordinieren, die jeweils unterschiedliche Ziele verfolgen. Weiter lässt der noch fehlende internationale Konsens über inhaltliche und technische Standards ein breites Spektrum von möglichen Lösungswegen offen und erschwert die Diskussion. Im Alltag des Gesundheitswesens haben sich viele betriebsinterne und lokale Lösungen etabliert. Die Verknüpfung dieser Systeme stösst an zahlreiche technische und organisatorische Hürden. Durchgehende IT-Prozesse können nur etabliert werden, wenn die Bereitschaft zu Zusammenarbeit besteht. Im Gesundheitswesen sind diese Kultur und die Lernbereitschaft nicht sehr ausgeprägt. Schliesslich ist das Bewusstsein für die Bedeutung des Themas eHealth bei vielen politischen Meinungsträgern, Akteuren im Gesundheitswesen, in den Medien sowie in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor gering. Skeptiker der Strategie eHealth Schweiz argumentieren immer wieder, der Nutzen von eHealth sei nicht belegt. Im Kreis der Personen, die sich vertieft mit dem Thema befassen, besteht international ein Konsens, dass eHealth einen wesentlichen Beitrag zur Steigerung der Qualität und Patientensicherheit leisten kann sowie die Effizienz des Gesundheitssystems verbessert. Das Koordinationsorgan hat deshalb eine Studie in Auftrag gegeben. Diese soll Anfang 2009 unter anderem Erkenntnisse dazu liefern, wie der Nutzen von eHealth definiert, praktisch gemessen und dargestellt werden kann. Zudem werden bestehende Arbeiten zum Nutzen von eHealth aufgezeigt, und ein Katalog von Nutzenpotenzialen wird erstellt.
Anhörung zu Empfehlungen des Teilprojekts Standards und Architektur
Trotz dieser Herausforderungen herrscht in den Teilprojekten ein konstruktives Klima. Das derzeit wichtigste Teilprojekt «Standards und Architektur» hat auf Anfang November 2008 fünf Empfehlungen vorgelegt, die in einer Anhörung bei einem breiteren Kreis von Interessierten auf ihre Akzeptanz geprüft werden. Die Vorschläge enthalten auch die Einhaltung gemeinsamer technischer Standards. Denn nur so kann im sehr dezentralen Gesundheitswesen langfristig eine Interoperabilität erreicht werden – also die Zusammenarbeit von verschiedenen Systemen, Techniken oder Organisationen. Und genau diese Zusammenarbeit strebt die Strategie eHealth Schweiz mit der folgenden Argumentationskette an: Höhere Interoperabilität führt zu höherer Verfügbarkeit von behandlungsrelevanten Informationen; medienbruchfreie Kommunikation führt zu weniger Übertragungsfehlern; höhere Verfügbarkeit und medienbruchfreie Kommunikation führen zu besserer Behandlungsqualität und Effizienz – potenziell auch mit Auswirkungen auf die Kosten. Dieses Ziel ist für alle Beteiligten von Vorteil. Für Patientinnen und Patienten ist das elektronische Patientendossier eine Chance, weil der erleichterte Einblick in die eigenen Daten mehr Eigenverantwortung ermöglicht. Ärzte, Spitäler, Apotheker oder Pflegende können zum richtigen Zeitpunkt die relevanten Informationen einsehen. Für die Privatwirtschaft wiederum sind einheitliche Standards aus Kostensicht interessant, da Entwicklungen für viele Kunden und Projekte wiederverwendet werden können. Anwender und Käufer von Systemen ihrerseits können über Standards eine gewisse Herstellerneutralität erreichen. Durch die bessere Austauschbarkeit von Komponenten verringert sich die Gefahr von Monopolstellungen einzelner Anbieter. Die Investitionen werden damit besser geschützt. Im Gesundheitswesen gibt es zahllose Abläufe und Prozesse, die mit Unterstützung der IT besser gestaltet werden könnten. Gegenwärtig stehen jedoch zwei Hauptprozesse im Vordergrund, da sie sehr häufig vorkommen und für die Qualität der Versorgung äusserst relevant sind: – Austausch von Informationen entlang einer Behandlungskette: Zuweisung von Patienten und Rücksendung von Berichten und Befunden entlang des ganzen Behandlungspfades (Hospitalisierung und Austrittsbericht, Verlegung und Verlegungsberichte, Laborauftrag und -befunde, Radiologieauftrag und -befunde etc.); – Medikamentenverordnung: Zusammenführung von Daten vorausgegangener Verordnungen von Medikamenten («medication history») zur Überprüfung der Verträglichkeit, der Risiken oder zur Anpassung der Dosis. Dem föderalistischen System der Schweiz entsprechend, ermöglichen die Vorschläge zur Architektur dezentrale Strukturen, die nach identischen Prinzipien funktionieren. Grundsätzlich bleiben die Informationen bei der behandelnden Person, welche die Daten erhoben hat. Damit diese Vernetzung von dezentralen Systemen möglich ist, werden u.a. die folgenden Basiskomponenten der eHealth-Architektur vorgeschlagen: – Sicheres Netzwerk: Vernetzung aller Systemteilnehmenden und gesicherte Nachrichtenübermittlung; – Patienten-Index: Etablieren von dezentralen Patientenverzeichnissen zur eindeutigen Identifikation der im Schweizer Gesundheitswesen in Behandlung stehenden Personen auf verschiedenen Ebenen (organisationsbezogen, lokal, regional, international) nach gleichen Prinzipien (Master-Patient-Index-Funktionalität mit verschiedenen Identifikationsmerkmalen); – Index der Behandelnden: Integration von dezentralen Health-Professional-Verzeichnissen zur eindeutigen Identifikation und als Grundlage für die Authentisierung der behandelnden Personen sowie Indices von Gesundheitseinrichtungen nach gleichen Prinzipien und mit definierten Qualitätsanforderungen. Basierend auf diesen Indices ist eine dezentrale Rollenverwaltung gemäss einem national etablierten Rahmenkonzept für Berechtigungen und Rollen anzustreben; – Dokumentenregister: dezentral organisierte Daten-Register, in denen Verweise auf die behandlungsrelevanten Gesundheitsdaten eines Patienten registriert werden können; – Dokumentenablage: dezentrale Dokumentenablagen bei den Erstellern der Dokumente oder beauftragten Dienstleistern; – Berechtigungssystem: Zur Sicherstellung des Datenschutzes ist ein generelles rollenbasiertes Berechtigungssystem zu erstellen. Themen wie Protokollierung, Archivierung sowie sinnvoller und kontrollierter Einsatz von Kopien sind zu regeln; – Zugangsportal: dezentrale Zugriffsmöglichkeit für Patienten zur Einsicht in ihre Daten und zur Dateneinsichtsverwaltung.
Ausblick
Wenn die ersten Vorschläge zur Umsetzung der Strategie eHealth Schweiz auf Akzeptanz stossen, kann der Steuerungsausschuss des Koordinationsorgans von Bund und Kantonen im Frühjahr 2009 ein wichtiges Signal in Richtung der Vernetzung geben. Geplant ist eine Empfehlung an alle Akteure, bei zukünftigen Neu- und Ersatzinvestitionen im IT-Bereich die Einhaltung der technischen Standards sicherzustellen.