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Finanzkrise und der Faktor Zeit

Finanzkrise und der Faktor Zeit

Die von der Subprime-Krise in den USA ausgelösten Verwerfungen auf den Kredit- und Kapitalmärkten haben sich zu einer Finanzkrise mit dramatischen und tief greifenden Auswirkungen entwickelt. Die Ursachen sind weit gehend bekannt, die Folgen jedoch komplex und noch nicht abschliessend überschaubar. Alle Beteiligten sind um eine ganze Reihe von nachdenklich stimmenden Erfahrungen reicher geworden. Obwohl noch mitten in der Krisenbewältigung, soll hier der Blick auf verschiedene Aspekte dieser historischen Entwicklung geworfen werden. Verbindendes Element der Überlegungen bildet der Faktor Zeit.

Das Pendel schlägt zurück


Es wurde einmal mehr bestätigt: Was sich lange Zeit nur in eine Richtung (nach oben) entwickelt, kommt früher oder später zum Stillstand, und das Pendel schlägt wieder zurück. Nach dem Börsencrash von 2000/2002 war die Erwartung einer längeren Seitwärtsbewegung weit verbreitet. Doch die Erholung an den Aktienmärkten kam früher und war stärker als erwartet. Sie wurde durch eine Politik des billigen Geldes der Zentralbanken wesentlich stimuliert. Die aus Grafik 1 ersichtliche lange Phase tiefer Zinsen hat dazu verleitet, grosszügig Kredite aufzunehmen beziehungsweise diese zu gewähren. Auf der Suche nach höheren Renditen wurden zudem höhere Risiken eingegangen, zumal die Volatilität an den Märkten historisch tief war. Warnsignale gab es durchaus – gerade auch von Seiten einzelner Notenbanken. Sie verhallten aber in der guten Stimmung. Doch auch die Warner wurden von der Vielfalt und Heftigkeit der Auswirkungen überrascht. Selbst wem es gelang, kühlen Kopf zu wahren, wurde von den teils panikartigen Vorkommnissen meist mitgerissen. Vor dem Hintergrund des Endes eines 15-jährigen Booms des US-Immobilienmarktes und der gestiegenen Risiken bei den damit verbundenen Subprime-Finanzgeschäften hat die Credit Suisse (CS) im November 2006 begonnen, entsprechende Positionen abzubauen. Verletzbar blieb sie allerdings, als die Krise weitere Kreise zog und sich nicht zuletzt die amerikanische Wirtschaft spürbar abkühlte. Dadurch wurden auch Geschäfte mit kommerziellen Immobilien in Mitleidenschaft gezogen. Dasselbe gilt für die sich in der Pipeline befindenden Leveraged-Finance-Transaktionen im Zusammenhang mit grossen Firmenübernahmen.

Zeit haben und warten können


Bei der Problemlösung stellt sich eine zentrale Frage: Wer verfügt über genügend Zeit, um die im Preis stark gesunkenen und sogar illiquid gewordenen Aktiven aus dem Markt zu nehmen und auf bessere Zeiten zu warten? In Grafik 2 ist die Kursentwicklung am Beispiel von AAA- und BBB-Subprime-Papieren dargestellt. Die Finanzinstitute können nicht warten. Die im Laufe der Jahre schrittweise verfeinerte Rechnungslegung verlangt, dass die Positionen marktnah bewertet werden – was umgehend entsprechende Rückstellungen bzw. Verluste zur Folge hat. Eine Rückkehr zum historischen Regime der «stillen Reserven» ist nicht denkbar und auch nicht nötig. Das an und für sich sinnvolle Fair-Value-Prinzip gilt es jedoch für Situationen sehr volatiler oder illiquider Märkte kritisch zu überdenken. Im Rahmen der jetzigen Notmassnahmen ist man denn auch da und dort bereits davon abgerückt. Die nötige Zeit hat eigentlich nur der Staat (Zentralbanken eingeschlossen). Die Erfahrung zeigt, dass die eingesetzten Mittel nicht einfach verloren sind bzw. zulasten der Steuerzahler gehen. Bei günstiger Entwicklung kann am Ende sogar ein Gewinn für den Staat resultieren. Allerdings besteht hier die grosse Gefahr des «Moral Hazard», d.h. des Risikos, dass man sich allzu leichtfertig auf das Eingreifen des Staates verlässt und höhere Risiken eingeht. Im Notfall ist der richtige Zeitpunkt für das Aktivwerden des Staates entscheidend. Wirft er den Rettungsring zu früh, werden falsche Signale ausgesendet. Kommt die Intervention zu spät, droht ein Flächenbrand. Die zunächst einzelnen und dann weltweit koordinierten Aktionen kamen aus heutiger Sicht gerade rechtzeitig. Das Krisenmanagement der Regierungen und Zentralbanken konnte noch Schlimmeres verhindern. Es ist allerdings schlimm genug, dass diese überhaupt intervenieren mussten, weil Kredit- und Kapitalmärkte versagten.

Massnahmen mit der nötigen Distanz


Die Zeit heilt bekanntlich Wunden – dem ist sicher so. Doch die aktuelle Finanzkrise wird tiefere und längere Spuren hinterlassen als frühere Einbrüche. Das gilt in vielerlei Hinsicht, nicht zuletzt aber für die Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsektors. Auch hier ist es wichtig, zum einen die notwendigen Massnahmen mit der nötigen Distanz zu treffen und zum andern stets die Wirksamkeit der Regulierung in den Vordergrund zu stellen. In diesem Sinne ist es notwendig, die gesetzlichen Rahmenbedingungen – zügig, aber nicht überhastet – zu überprüfen und gezielt anzupassen. Dabei sind Massnahmen im Rahmen des Krisenmanagements und eine «angemessene» Neugestaltung von Spielregeln klar auseinanderzuhalten. Für das Krisenmanagement braucht es Regulierungen, die den Schaden eindämmen und beheben. Bei der Neugestaltung von Spielregeln geht es darum, wie im Voraus die Wahrscheinlichkeit und das Ausmass einer Krisensituation einzugrenzen sind. Hier sind also vorbeugende Massnahmen gefragt. Insgesamt soll die Regulierung dazu beitragen, die Risiken besser in den Griff zu bekommen. Doch soll sie die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der Banken und somit auch des Finanzplatzes nicht behindern. Zudem gilt noch stärker als bisher, dass es keinen Ansatz im Sinne von «one fits all» gibt: Gleiches ist gleich und Unterschiedliches unterschiedlich zu regulieren. Ausserdem ist vermehrt auf eine internationale Harmonisierung der Leitplanken zu achten – ein zentrales Anliegen der CS. Trotz allem muss die Selbstregulierung auch künftig einen wichtigen Platz haben. Die Banken selbst sind gefordert, ihr Risikomanagement zu verbessern. So sind beispielsweise die Risiken der eingegangenen Geschäfte mit Nachdruck adäquat zu bewerten und Risikomodelle mittels Stressszenarien noch intensiver auf ihre Tauglichkeit hin zu überprüfen. Die Banken müssen zudem ihre Anreizsysteme – auch im Umgang mit Finanzinnovationen – überdenken und wo angezeigt anpassen.

Zeit für Strategieänderungen?


Bei vielen Finanzinstituten ist die Zeit für Strategieänderungen gekommen. Gefordert sind primär die international oder gar global tätigen Banken. Nach dem Wandel von Goldman Sachs und Morgan Stanley, die den Status einer Universalbank erhalten haben, existiert das Modell der klassischen Investmentbank nicht mehr. Die Renaissance der Universalbank fusst zum einen auf der stärkeren Kapitalkraft und zum andern auf der breiter abgestützten Refinanzierungsbasis: Der solide Pool an Kundengeldern ist gegenüber der Abhängigkeit vom Interbankenmarkt ein wesentlicher Pluspunkt. Das bedeutet jedoch nicht, dass es kein Investment Banking mehr braucht. Unter dem Eindruck der gegenwärtigen Finanzkrise droht eine eigentliche – und verfehlte – Stigmatisierung dieses gesamten Geschäftsbereichs. Dabei kann bei einer sorgfältigen Analyse der Brandherd ziemlich genau lokalisiert werden. Er liegt in einigen spezifischen Segmenten des Investment Banking, das insgesamt ein vielfältiges Gebilde ist und einen wichtigen Beitrag zum Funktionieren der Kapitalmärkte und der Volkswirtschaften weltweit – auch in der Schweiz – leistet. Die vielfältigen Dienstleistungen des Investment Banking gilt es in einem grösseren Verbund gezielt zu nutzen. Die CS hat den Schritt zu einer integrierten Bank schon vor drei Jahren vollzogen. Die bereits realisierten Synergien sind bedeutend. Die Meinung ist allerdings nicht, das volatilere Geschäft des Investment Banking einfach durch die anderen Einheiten «abzufedern». Ziel muss sein, das Investment Banking selbst weniger volatil zu machen. Das wird dann gelingen, wenn es weniger auf Basis des Eigenhandels, sondern primär im Dienste der wachsenden Kundenbedürfnisse der Gesamtbank betrieben wird. Dabei kommt dem Segment der Ultra High Net Worth Individuals in den neuen Wirtschaftsräumen eine besondere Bedeutung zu. Auch nach den Rückschlägen an den Finanzmärkten bleiben die Bedürfnisse dieser sehr wohlhabenden Privatpersonen – meist selbstständige Unternehmer oder Firmenteilhaber – äusserst spezifisch, komplex und global. Eine umfassende Beratung, die nebst der eigentlichen Vermögensverwaltung auch Erbschafts-, Immobilien- und Steuerfragen umfasst, wird mehr und mehr zum Standard. Unter Einbezug des Investment Banking können wir ihnen wirklich umfassende Lösungen anbieten.

Fazit


Die nächsten Monate und Jahre werden zeigen, ob die aktuelle Finanzkrise tatsächlich ein neues Zeitalter eingeläutet hat. Davon ist meiner Meinung nach auszugehen. Das dürfte selbst für die vorwiegend auf das Inlandgeschäft konzentrierten Banken gelten. Denn das erfolgreiche Besetzen der «Kundenschnittstelle» ist zwar entscheidend, genügt jedoch auf längere Sicht nicht. Zunehmend wichtig wird es sein, die gesamte Wertschöpfungskette – einschliesslich Informationstechnologie und gleichsam im Hintergrund – kostengünstig und im Verbund mit Partnern abzuwickeln.

Grafik 1 «Grosse Versuchung: Tiefe Zinsen und niedrige Volatilität»

Grafik 2 «Preiszerfall auf Subprime-Papieren (MBS)»

Zitiervorschlag: Urs Rohner (2008). Finanzkrise und der Faktor Zeit. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.