Suche

Abo

Die Selbstverantwortung der Branche auf dem Prüfstand

Noch ist unklar, welche wirtschaftlichen Veränderungen die Finanzkrise mit sich bringen wird und was die gesellschaftlichen Konsequenzen sein werden. Doch schon jetzt wird der Ruf nach mehr Regulierung laut; es werden Problemlösungen der Vergangenheit für die aktuellen Probleme propagiert. Beides sind gefährliche Tendenzen. Die Finanzbranche ist gefordert und muss beweisen, dass sie lernfähig ist. Gelingt ihr dies, wird sie gestärkt aus der Krise hervorgehen, auch wenn der Weg zu besseren Zeiten steinig sein wird. Dieser Weg sollte von unnötigen regulatorischen Hürden frei sein. Gefragt sind ein grosses Mass an Eigenverantwortung und die Rückbesinnung auf die klassischen Werte der Banken.

Die Selbstverantwortung der Branche auf dem Prüfstand

 

Die Turbulenzen an den Finanzmärkten und das dadurch erschütterte Vertrauen in die Finanzbranche liessen den Ruf nach weiteren Regulierungen schnell lauter werden. Die Beschränkung der Löhne bzw. der Bonuszahlungen oder die Bestimmung, die Eigenmittel der Banken zu erhöhen, sind noch «milde» Forderungen. Nüchtern betrachtet gibt es weltweit kaum einen Wirtschaftszweig, der so strikt reglementiert ist wie die Finanzbranche. Das Letzte, was die Banken derzeit brauchen, sind noch mehr Auflagen, Gesetze und Regeln, die den Verwaltungsapparat noch aufwändiger werden und die Kosten explodieren lassen.

Geben und Nehmen


Es ist grundsätzlich störend, wenn grosse private Bankinstitute im Notfall auf eine «Staatsgarantie» zurückgreifen können. Schliesslich besteht eine solche Möglichkeit für die über 300000 kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in der Schweiz, welche die tragenden Säulen unserer Volkswirtschaft sind, nicht. Dennoch: Unsere heutigen Finanzmärkte sind derart vernetzt, dass das Herausbrechen oder gar Zerstören eines zentralen Elements die Gefahr eines Kollapses für das ganze System in sich birgt. Der Zusammenbruch des Finanzsystems hätte gravierendere Folgen für unser Land und die Bevölkerung als das ordnungspolitisch fragwürdige Eingreifen des Staats in die Wirtschaft.  Heute geht es in erster Linie darum, die Kundengelder zu schützen – nicht die Banken. Es ist in der aktuellen Situation nachvollziehbar, wenn der Staat als Garant der Stabilität seinen Einfluss erhöhen will. Dies tut er in Form von neuen Regelungen. Der Staat sollte neue Vorgaben aber nur soweit erlassen, als diese der Werterhaltung der Kundengelder dienen. Dieses Ziel hat oberste Priorität. Auf weitere Regulatorien soll strikte verzichtet werden. Mit dieser Grundhaltung ist die Erhöhung der Einlagensicherung auf 100000 Franken sinnvoll. Im Gegenzug muss jedoch der Einfluss bzw. die Einbindung des Staates an anderer Stelle zurückgenommen werden. So ist die Staatsgarantie abzuschaffen. Zum einen verzerrt diese den Wettbewerb. Zum andern sind die Kantone, welche im Ernstfall für ihre Staatsbank gerade stehen müssen, mit wenigen Ausnahmen nicht in der Lage, den Schaden voll zu tragen.  Eine ernsthafte Rückbesinnung der Banken auf eine wertorientierte Selbstbeschränkung, die nicht nur auf dem Papier existiert, sondern glaubhaft im Alltag Anwendung findet, trägt dazu bei, das verlorene Vertrauen wieder herzustellen. Die Branche darf nicht einfach zum Alltag übergehen. Vorbilder – wie etwa die genossenschaftliche Raiffeisen Gruppe – existieren durchaus.

Banking nicht neu erfinden


Anderseits müssen wir uns bewusst sein, dass nicht alles schlecht war, was die Banken in der Vergangenheit gemacht haben, im Gegenteil. Der Schweizer Finanzsektor erwirtschaftet rund 12% des Bruttoinlandsprodukts der Schweiz. Banking in der Schweiz muss nicht neu erfunden werden. Es bestehen bereits gute und solide Produkte, Prozesse und Beratungen. Die Mitarbeitenden sind sehr gut ausgebildet, fähig und willig, Ausserordentliches zu leisten. Auch wenn derzeit gegenüber gewissen Produkten das Vertrauen fehlt, wird sich in Zukunft zeigen, dass diese Produkte solider sind, als sie gegenwärtig wahrgenommen werden.  Allerdings: Das Bankengeschäft kann ohne Vertrauen nicht funktionieren. Entsprechend müssen die Geschäftsmodelle so angepasst werden, dass die Bedürfnisse der Kunden im Vordergrund stehen und nicht der forcierte, gewinnmaximierende Verkauf von Produkten seitens der Bank. Trotz allem kann die Finanzbranche optimistisch in die Zukunft blicken, nicht zuletzt, weil der Schweizer Bankenplatz seine grossen Restrukturierungen in den Neunzigerjahren hatte. Die Vermögensbildung ist und bleibt ein Wachstumsmarkt. Es bestehen gute Chancen, mit vertrauensbildenden Geschäftsmodellen über dem Markt zu wachsen. Zudem werden wir ein Revival des klassischen Retailbankings erleben: Das Spar- und Kreditgeschäft, wie es die Raiffeisenbanken schon immer pflegten, ist im Aufwind.

Zitiervorschlag: Pierin Vincenz (2008). Die Selbstverantwortung der Branche auf dem Prüfstand. Die Volkswirtschaft, 01. Dezember.