Index der Konsumentenstimmung – die Messung des Nicht-Beobachtbaren
Der private Konsum als zentraler BIP-Bestandteil
Im Jahr 2007 gaben die privaten Haushalte in der Schweiz fast 300 Mrd. Franken für den Konsum von Gütern und Dienstleistungen aus. Der private Konsum ist demnach mit einem Anteil von 58% die mit Abstand wichtigste Verwendungskomponente des BIP. Damit liegt die Schweiz etwa auf dem Niveau der EU, wo der Anteil des privaten Konsums 2007 bei 57% lag. Mit 70% deutlich höher ist dieser Anteil in den USA. Angesichts dieser Verhältnisse erstaunt es nicht, dass Konjunkturexperten auf der ganzen Welt der Entwicklung des privaten Konsums grosse Aufmerksamkeit widmen und sie im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise mit zunehmender Besorgnis beobachten.
Von Bankkonten und Dorfläden
Will man Konsumentscheidungen verstehen und somit auch prognostizieren, muss man sich mit ihren Bestimmungsfaktoren beschäftigen. Oftmals werden darunter vor allem die Entwicklungen am Arbeitsmarkt (z.B. Einkommen, Beschäftigung und Arbeitslosigkeit) und an den Finanzmärkten (z.B. Vermögen und Kreditbedingungen) verstanden. Doch zunehmend rücken auch weiche Faktoren – wie Urteile und Einstellungen – ins Zentrum der Betrachtungen. Gemäss der Theorie der psychologischen Ökonomie1 werden Konsumentscheidungen nicht nur von objektiven Faktoren bestimmt, die sich unter der «Ability to Buy» (Fähigkeit zum Kauf) zusammenfassen lassen, sondern zu einem grossen Teil auch von subjektiven Faktoren, der «Willingness to Buy» (Kaufbereitschaft). Unter der Fähigkeit zum Kauf werden hauptsächlich die Einkommens- und Vermögensentwicklung zusammengefasst, die sich relativ langsam geänderten ökonomischen Bedingungen anpassen. Die Kaufbereitschaft hängt hingegen von zahlreichen subjektiven Faktoren ab, wie z.B. der persönlichen Einschätzung bezüglich der aktuellen Arbeitsmarktlage. Ist ein Konsument der Meinung, dass sein Arbeitsplatz unsicherer geworden ist, wird er weniger bereit sein, grössere Ausgaben zu tätigen, auch wenn sich sein Einkommen nicht geändert hat. Plakativ gesagt, lassen sich die Haushalte bei ihrem Konsumverhalten demzufolge ebenso sehr von ihrem Bankkonto beeinflussen wie von Gesprächen im Dorfladen. Die Umfrage zur Konsumentenstimmung ist hierbei der Versuch, diesen subjektiven Teil – also die Summe der Einstellungen und Erwartungen – zu messen.
Anfänge der Konsumentenumfragen in den USA…
Die erste Konsumentenumfrage wurde in den späten 1940er-Jahren in den USA an der University of Michigan durchgeführt. Damals wurden vor allem Fragen nach den konkreten Kaufabsichten der Haushalte gestellt. Die Erfahrung zeigte aber, dass mit dieser Art der Befragung das tatsächliche Kaufverhalten unterschätzt wird. Deswegen ging man im Laufe der Jahre zur sogenannten rezeptiv-kritischen Befragungsweise über, bei der Urteile und Erwartungen – und nicht mehr konkrete Absichten – erfragt werden.
…und die heutige Umfrage in der Schweiz
Die Befragungsart des Schweizer Fragebogens entspricht der rezeptiv-kritischen Methode. Als Beispiel sei hier die Frage nach dem Zeitpunkt für grössere Anschaffungen erwähnt. Hier wird nach dem allgemeinen Urteil gefragt, ob der jetzige Zeitpunkt für eine grössere Anschaffung gut sei – und nicht nach der konkreten Absicht, eine solche zu tätigen. Der aktuelle Fragebogen umfasst neun Fragen zu den Themen allgemeine Wirtschaftsentwicklung, Preisentwicklung, Arbeitsmarkt und persönliche finanzielle Situation; er gleicht damit den Konsumentenumfragen in anderen Ländern. Die Umfrage wird vierteljährlich – jeweils im ersten Monat eines Quartals – durchgeführt, wobei jedes Mal eine Zufallsstichprobe von rund 1100 Haushalten aus der deutschen und französischen Schweiz gezogen wird. Die zu befragende Person wird zusätzlich mit einem Zufallsschlüssel ermittelt. Aus den Antworten zu jeder der neun Fragen wird ein Teilindex konstruiert. Dabei wird die Anzahl Antworten mit einem Faktor zwischen –2 und +2 gewichtet und summiert (siehe Beispiel in Kasten 2). Daraus wird der Mittelwert berechnet und mit 100 multipliziert. Somit ergibt sich für jede Frage ein Wert zwischen –200 und +200. Der Index der Konsumentenstimmung entspricht dann dem Mittelwert der Teilindizes zu den Fragen nach der vergangenen Wirtschaftsentwicklung sowie der vergangenen und der erwarteten eigenen finanziellen Lage.Die erste Befragung fand im 4. Quartal 1972 statt und wurde in den ersten sechs Jahren von der Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich durchgeführt. Danach wurde sie vom damaligen Bundesamt für Konjunkturfragen übernommen, das die Durchführung an das Institut für Konsumenten und Sozialanalysen Konso AG delegierte. Seither werden die telefonischen Interviews von der Konso durchgeführt, die auch die Stichprobe zieht und überwacht. Diese langjährige Zusammenarbeit mit dem gleichen Partner ist für die Zuverlässigkeit der Befragungsresultate sehr wichtig. Die Erhebung von qualitativen Daten und die Sicherstellung, dass stets das Gleiche gemessen wird, stellt nämlich ganz andere Anforderungen an das durchführende Institut, als dies bei einer quantitativen Statistik der Fall ist. Für die Auswertung, Publikation und Kommunikation ist heute das Seco verantwortlich.
Aussagekraft von Konsumentenumfragen
Aus der Perspektive des Konjunkturanalytikers interessiert besonders, was sich aus der Stimmungsumfrage für den effektiven Konsum ableiten lässt. Die Frage nach der Aussagekraft der Konsumentenstimmung wurde in der Literatur auch eingehend diskutiert. Vor allem der Forschungsstrang, der sich mit den Daten aus den USA beschäftigt, kommt zu keinem eindeutigen Resultat. Untersucht wird dabei oft die Frage, ob die Konsumentenumfragen über Aussagekraft für den privaten Konsum verfügen, die in anderen makroökonomischen Variablen, welche die allgemeine Wirtschaftslage, Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklung beschreiben, nicht enthalten ist. In diversen Studien wird eine solche Aussagekraft, die über den Informationsgehalt der Kontrollvariablen hinausgeht, bejaht. Andere Arbeiten kommen hingegen zu nuancierteren Ergebnissen, indem sie entweder eine geringe Aussagekraft feststellen oder nur in Ausnahmesituationen – wie dem Golfkrieg oder dem 11.September 2001 – Informationen für den privaten Konsum finden, die in anderen Messgrössen nicht enthalten sind. Auch die europäische Literatur widmet sich grundsätzlich der Frage nach der Aussage- und Prognosekraft der Konsumentenstimmungsindizes für den Konsum und andere wichtige makroökonomische Grössen. Die Antwort ist hier klarer: Konsumentenbefragungen enthalten demnach wichtige Informationen über die Entwicklung bedeutender ökonomischer Grössen – wie des privaten Konsums, aber auch des BIP –, die in anderen Variablen nicht enthalten sind, und verbessern die Prognosemodelle. Insofern werden sie sogar als leistungsfähige Syntheseindikatoren bezeichnet, welche die Effekte einer Vielzahl nicht ökonomischer Prozesse erfassen können.Eine interessante Aussage macht die europäische Literatur bezüglich der Frage nach dem Verhalten von Stimmungsumfragen in «Schockperioden». Nahuis (2001) stellt für die Niederlande fest, dass nach Katastrophenereignissen vor allem die Teilfrage zur allgemeinen Wirtschaftsentwicklung negativ reagiert, während sich die Einschätzungen zur eigenen finanziellen Situation kaum verändern. Konsistent hierzu lässt sich in diesen Ausnahmesituationen auch keine Auswirkung auf das tatsächliche Verhalten erkennen; die Konsumausgaben reagieren kaum. Diese Feststellung wurde auch vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzkrise durch die Schweizer Daten bestätigt. So fielen die Beurteilungen der Schweizer Haushalte zur allgemeinen Wirtschaftsentwicklung infolge der «schwarzen» Börsenwoche Anfang Oktober 2008 deutlich pessimistischer aus, während sich die Einschätzungen der eigenen finanziellen Lage kaum veränderten.
Beschränkte Prognosekraft des Schweizer Indexes
Bezüglich der Prognoseeigenschaften für den privaten Konsum oder für andere makroökonomische Grössen kann dem Schweizer Konsumentenstimmungsindex (noch) kein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Untersuchungen zeigen, dass der Gesamtindex der Schweizer Umfrage sehr wohl Informationen über die laufende Entwicklung der privaten Konsumausgaben liefert – und somit eine wertvolle, weil frühzeitig verfügbare Informationsquelle für die Beschreibung und Interpretation der Gegenwart ist. Allerdings ist er in der heutigen Form für die Prognose wenig geeignet. Ein Vergleich des Schweizer Fragebogens mit den innerhalb der EU durchgeführten Umfragen liefert Anhaltspunkte für die Verbesserung. So setzt sich der EU-Index aus den Teilindizes von vier zukunftsgerichteten Fragen zu den Themen allgemeine Wirtschaftsentwicklung, eigene finanzielle Lage, Arbeitsmarkt und Sparmöglichkeiten zusammen. Der Schweizer Index umfasst hingegen drei Teilfragen, wovon nur eine auf die Zukunft gerichtet ist (eigene finanzielle Lage). Das Seco und Konso arbeiten seit Anfang 2007 daran, die EU-Kompatibilität der Umfrage zu verbessern. In einem speziellen, vom Seco und Konso ausgearbeiteten Verfahren wurden die Fragen getestet und validiert. Eine erste Publikation des neuen, mit der EU-Umfrage vergleichbaren Indexes ist im Verlauf von 2009 geplant.Im Gegensatz zum Gesamtindex werden einigen Teilfragen gute Prognoseeigenschaften attestiert. Zum Beispiel scheint die Frage nach den Erwartungen zur eigenen finanziellen Lage Informationen über den zukünftigen Verlauf des privaten Konsums zu enthalten. Auch die Einschätzungen der zukünftigen Preisentwicklung lassen auf die Zukunft schliessen und helfen bei der Prognose der Inflation.
Entwicklung der Konsumentenstimmungsindizes im In- und Ausland
Die grossen Konjunkturzyklen der letzten 25 Jahre zeigen sich auch im Verlauf der Konsumentenstimmungsindizes der Schweiz, der EU und der USA (siehe Grafik 1). Bei allen drei Umfragen wurden die höchsten Niveaus im New-Economy-Boom um die Jahrtausendwende erreicht. Gut sichtbar ist ebenso der rapide Einbruch im Anschluss. Trotzdem waren pessimistische Einstellungen nach 2000 weniger weit verbreitet als in der Rezession Anfang der 1990er-Jahre, als die Niveaus bei allen drei Indizes deutlich tiefer lagen.Am aktuellen Rand ist der US-Index allerdings deutlich unter dem Tiefpunkt aus dem Jahre 1992 angelangt. Und was noch zu mehr Sorge Anlass geben könnte als das alleinige Niveau: Der Index ist in seiner über 40-jährigen Geschichte noch nie in einer so kurzen Zeitspanne so deutlich zurückgegangen. Ähnliches gilt für den Index in der EU, der sich allerdings noch über seinem Tiefststand von 1993 befindet. Demgegenüber präsentiert sich der Index in der Schweiz in deutlich besserer Verfassung. Trotz seinem Einbruch befindet er sich – im Vergleich zum US- und EU-Index – auf hohem Niveau.
Silvia Doytchinov
Ressort Konjunktur, Staatssekretariat für Wirtschaft SECO, Bern
1 Vgl. Katona (1975).
Kurzprofil des Indikators
Erhebungsart: Umfrage, 9 Fragen, Stichprobe rund 1100 Personen, Frequenz: vierteljährlich, durchgeführt jeweils im ersten Monat eines Quartals, publiziert Anfang/Mitte des zweiten Monats
Daten:seit 1972q4
Quelle: Umfrage und Stichprobenziehung durchgeführt von Konso AG, Auswertung, Interpretation, Kommunikation durch Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)
Fiktives Beispiel einer Indexberechnung
Frage 1.1 Vergangene Wirtschaftsentwicklung: Wie hat sich Ihrer Ansicht nach die allgemeine Wirtschaftslage in unserem Land in den letzten 12 Monaten entwickelt? Hat sie sich…
Antwortmöglichkeiten Anzahl Personen
wesentlich verbessert 52
etwas verbessert 402
in etwa gleich geblieben 412
etwas verschlechtert 159
wesentlich verschlechtert 13
weiss nicht 61
keine Antwort 1
Total Personen 1100
Teilindex = 100*((2*52+1*402+0*412+(–1)*159+(-2)*13)/(1100–61–1)) =30.9
Nützliche Links
− www.seco.admin.ch, «Themen», «Wirtschaftslage», «Konsumentenstimmung».
− ec.europa.eu, «EU policies», «Economic policies», «Economic Databases and Indicators», «Business and Consumer -Surveys».
− www.oecd.org, «Statistics», «Publications and Documents», «Business Tendencies and Consumer Surveys».
− www.conference-board.org, «Programs», «Economics», «Consumer Research».
Literaturangaben
– Bram, J., Ludvigson, S. C. (1998): Does consumer confidence forecast household expenditure? A sentiment index horse race. Federal Reserve Bank of New York, Economic Policy Review, Juni 1998, S. 59–78.
– Carnazza, P., Parigi, G. (2001): The Evolution of Confidence for European Consumers and Businesses in France, Germany and Italy. Bank of Italy, Working Paper, Nr. 406.
– Dion, D. P. (2007): MPRA Paper Nr. 902. mpra.ub.uni-muenchen.de/902.
– Garner, C. A. (1991): Forecasting Consumer Spending: Should Economists Pay Attention to Consumer Confidence Surveys? Federal Reserve Bank of Kansas City, Economic Review, Mai/Juni 1991, S. 57–71.
– Golinelli, R., Parigi, G. (2003): What is this thing called confidence? A comparative analysis of consumer confidence indices in eight major countries. Bank of Italy, Working Paper, Nr. 484.
– Hock, Th., Zimmermann, P. (2003): Schweiz: Sind die Umfragen zum Konsumentenvertrauen zur Konsumprognose geeignet? Zürcher Kantonalbank Focus Economics. August 2003.
– Katona, G. (1975): Psychological Economics, Elsevier Scientific Publishing Company, New York.
– Nahuis, N. (2001): Disasters, Confidence and the Economy. Netherlands Central Bank, Monetary and Economic Policy Department, Working Paper.
– Wolter, S. C., Helfenstein, R., Schwaller, A (1997): Konsumentenklima und Verhalten der Konsumenten in der Schweiz. Bulletin für Konjunkturfragen 2/97.
Zitiervorschlag: Doytchinov, Silvia (2009). Index der Konsumentenstimmung – die Messung des Nicht-Beobachtbaren. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.