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Mit Marktöffnung zur Transitverlagerung

Die Marktöffnung des Schienengüterverkehrs hat entscheidend zum Wachstum des kombinierten Verkehrs beigetragen. Der Wettbewerb zwischen verschiedenen Bahnen, die gemeinsam die gleiche Infrastruktur nutzen, hat die Produktivität verbessert und zu innovativen Angeboten geführt. Was die Schweiz mit der Verlagerungspolitik erreicht hat, zeigen folgende Zahlen: Im Strassengüterverkehr, der in den Neunzigerjahren noch um durchschnittlich 6,7% pro Jahr zunahm, sank von 2001 bis 2007 die Anzahl der LKW von 1,404 auf 1,263 Mio. Fahrzeuge bzw. um 1,4% im Jahresdurchschnitt. Gleichzeit erhöhte die Strasse die transportierte Gütermenge um durchschnittlich 7% pro Jahr.
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Während die Fahrten auf der Strasse zurückgingen, setzte der kombinierte Verkehr zum Überholflug an (siehe Grafik 1). Von 2001 bis 2007 stieg die Anzahl der Strassensendungen, die auf der Schiene transportiert wurden, um durchschnittlich 8,4% pro Jahr. Ende 2007 betrug das Transportvolumen im alpenquerenden kombinierten Verkehr 939000 Strassensendungen – knapp 400000 mehr als im Jahr 2001. Der kombinierte Verkehr absorbierte also den Rückgang des Strassenvolumens und übernahm zudem das starke Marktwachstum in Höhe von durchschnittlich 4,3% pro Jahr. Verschiedene Fördermassnahmen seitens des Bundesamts für Verkehr (BAV) – wie Betriebsbeiträge zur Absenkung der hohen Bahnkosten und Finanzierungshilfen für den Bau der erforderlichen Umschlagterminals – trugen zu diesem positiven Ergebnis bei.

Sind die heutigen verlagerungspolitischen Instrumente ausreichend, um das ehrgeizige Verlagerungsziel von jährlich 650000 LKW im Strassentransit zu erreichen? Wir meinen ja. Die Entwicklung der vergangenen Jahre zeigt eindeutig, dass eine Verlagerung im angepeilten Ausmass möglich ist. Dazu müssen jedoch zwei Voraussetzungen erfüllt sein. Erstens: Die Verlagerungspolitik der Schweiz wie auch der EU ruht auf drei Säulen:– Öffnung des Bahnmarktes; – Modernisierung der Schieneninfrastruktur; – Gewährleistung fairer intermodaler Wettbewerbsbedingungen. Jede dieser drei Säulen ist erforderlich, um die Qualität, Produktivität und Effizienz des Schienengüterverkehrs zu verbessern. Der volle Durchbruch kann jedoch erst durch die kumulative Wirkung aller Massnahmen erzielt werden, d.h. wenn freie, im Wettbewerb untereinander stehende Bahnunternehmen auf modernen Bahninfrastrukturen verkehren und Preise verrechnen, die in einem gesunden Verhältnis zum Strassentransport stehen. Angesichts des weit in die Zukunft reichenden verlagerungspolitischen Fahrplans – mit Etappen wie beispielsweise die Fertigstellung des Gotthard-Basistunnels im Jahr 2018, die europaweite bahntechnische Harmonisierung im Jahr 2020, der Bau der Neat-Zufahrtsstrecken und die korridorweite Implementierung der innovativen Bahntechnik frühestens im Jahr 2030 – muss die Verkehrsverlagerung notwendigerweise langfristig konzipiert und betrieben werden. Zweitens: Die schweizerische Verkehrsverlagerung muss sich detailliert mit der Verkehrspolitik unserer Nachbarstaaten auseinandersetzen. Für den internationalen Güterverkehr gilt ebenso wie für andere Wirtschaftszweige: Das schwächste Glied bestimmt die Performance der gesamten Wertschöpfungskette. Terminalengpässe, Infrastrukturdefizite, mangelnde Marktöffnung oder intermodale Bevorteilung der Strasse in einem unserer europäischen Nachbarländer können Auswirkungen auf die Verkehrsverlagerung in der Schweiz haben. Es gehört daher zu den grundlegenden Aufgaben unserer Verkehrspolitik, ihren Einfluss europaweit geltend zu machen.


Offene Märkte beschleunigen das Wachstum der Schiene

Früher stellten die einzelnen Bahnen die Lokomotiven und besorgten die Traktion; an der Grenze wurde umgespannt. Seit 2004 vergibt Hupac die Aufträge von der Quelle bis zum Ziel. Dadurch entfällt der Lokwechsel an der Grenze. Die Produktivität der Traktion kann nachhaltig verbessert werden; der administrative Aufwand wird reduziert, und es entsteht Spielraum für günstigere Preise. Auch die Qualität gewinnt, da die Verantwortung der Traktion bei nur einer Bahn liegt. Züge auf tausend Kilometer langen Strecken werden über eine einzige Schnittstelle koordiniert und kontrolliert. Bei Verkehrsunregelmässigkeiten werden die Kunden schneller und zuverlässiger informiert.Der Wettbewerb hat den Bahnen buchstäblich Beine gemacht. Ein Beispiel ist das Time-to-Market. Zu Zeiten des Bahnmonopols vergingen Monate und Jahre, bis eine neue internationale Zugverbindung zustande kam. Im liberalisierten Marktumfeld genügen wenige Wochen, um auf Marktbedürfnisse zu reagieren und neue Verbindungen auf den Markt zu bringen. In einem monopolistisch strukturierten Markt hätte der starke Verkehrszuwachs der vergangenen Jahre kaum in diesem Ausmass auf die Schiene geleitet werden können.


Bahnliberalisierung im Schneckentempo?

Die Marktöffnung stellt daher für den kombinierten Verkehr eine enorme Chance dar und muss entschieden vorangetrieben werden. Trotz formeller Liberalisierung des Schienengüterverkehrs liegt der Marktanteil der neuen privaten Bahnunternehmen im europäischen Durchschnitt jedoch noch immer unter 15%. Grund dafür sind die Marktdominanz der grossen Staatsbahnen und die hohe Regelungsdichte des Markteintritts. Protektionismus, Rückschritte und gewollte Behinderungen im Liberalisierungsprozess sind auf vielen Ebenen anzutreffen, so etwa:– die mangelnde bzw. unvollständige Trennung zwischen Infrastruktur und Betrieb in einigen Ländern, was zur Bevorteilung der Staatsbahn und zur Behinderung der neuen privaten Bahnen führt;– die vertikale Integration der Kombi-Operateure durch die Bahnen, was die freie Wahl der Bahnpartner behindert und somit die Entwicklung eines gesunden Marktgeschehens verlangsamt;– die De-facto-Kontrolle wichtiger infrastrukturrelevanter Einrichtungen und Dienstleistungen durch die Staatsbahnen (u.a. Terminals, Rangierfunktionen, Energieversorgung, Tankstellen);– die De-facto-Protektion der Staatsbahnen, z.B. durch mittel- bis unmittelbare Subventionen. Der zögerliche Abbau der Hindernisse an den innereuropäischen Grenzen droht mehr und mehr zur Wachstumsbremse für den Schienengüterverkehr zu werden. Noch immer können die Güterbahnen die europäischen Binnengrenzen nicht so problemlos überqueren wie der Strassenverkehr. Die Verkehrspolitik sollte daher die gegenseitige Anerkennung der Zulassungen von Lokomotiven und Güterwagen auf europäischer Ebene forcieren. Auch der seit langem geplante europäische Lokführerschein muss rasch kommen.


Schienenwettbewerb im Alpentransit erhalten

Eine Pionierrolle im liberalisierten Marktumfeld hat ohne Zweifel SBB Cargo eingenommen. Als eine der ersten europäischen Bahnen setzte sie 2004 das Konzept der durchgehenden Traktion von der Quelle bis zum Ziel um und positionierte sich als international tätiges Bahnunternehmen auf der Nord-Süd-Achse. Im sich konsolidierenden europäischen Güterverkehr ist SBB Cargo nun auf Partnersuche. Mit wem auch immer SBB künftig zusammenarbeiten wird – wichtig ist vor allem, dass der Wettbewerb im Alpentransit erhalten bleibt. Der Gotthard ist heute der einzige Korridor in Europa, auf dem der Markt spielt. Verschiedene Bahnen – Staatsbahnen ebenso wie neue private Bahnunternehmen – stehen im Wettbewerb miteinander; keine von ihnen hat eine marktbeherrschende Stellung. Im Interesse der Verkehrsverlagerung muss im Alpentransit durch die Schweiz ein offener, funktionierender Markt erhalten bleiben. Ein Zusammengehen der SBB Cargo mit DB-BLS Cargo ist unter allen Umständen zu vermeiden, denn gemeinsam verfügen sie über einen Marktanteil von 95%. Dies würde das Ende des Wettbewerbs im Alpentransit bedeuten. Steigende Transportkosten, weniger innovative Angebote und eine schlechtere Serviceleistung wären die Folgen.


Trassenpreisreform: Diskriminierung des Güterverkehrs beseitigen

Die Trassenpreise sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Verlagerung der Güter auf die Bahn. Das heutige gewichtsbasierte Trassenpreissystem benachteiligt den Güterverkehr und erschwert damit die Erreichung der Verlagerungsziele. So ist für einen Intercity mit einem Gewicht von 500 Tonnen brutto für die Benutzung der Trasse auf der Strecke Basel–Chiasso ein Preis von 1450 Franken zu bezahlen, während auf der gleichen Strecke für einen Güterzug mit 1600 Tonnen brutto 4508 Franken zu entrichten sind. Die Benachteiligung des Güterverkehrs zeigt sich eindrücklich im Vergleich mit dem Ausland: Während die Trassenpreise für den Personenverkehr etwa im Mittel unserer Nachbarstaaten liegen, bezahlt der Güterverkehr rund das Dreifache des Tarifs der umliegenden Länder (siehe Grafik 2). Gleichzeitig haben Güterzüge die letzte Priorität im Netz, was zu hohen Kosten durch unproduktive Wartezeiten für Rollmaterial und Personal führt.Eine Reform des Trassenpreissystems ist daher mit grosser Priorität voranzutreiben. Im heutigen System beansprucht der Güterverkehr 20% der Trassen und trägt 30% an den Gesamtertrag von ca. 650 Mio. Franken (Stand 2005) bei, während der Personenverkehr 80% beansprucht und 70% der Erträge generiert. Der Personenverkehr wird also erheblich querfinanziert, was auch wettbewerbsrechtlich nicht unbedenklich ist. Der Markt braucht ein verursachergerechtes, markt- und anreizorientiertes sowie kapazitätsbasiertes Trassenpreissystem, das die tatsächliche Inanspruchnahme der Bahninfrastruktur berücksichtigt und durch Anreize die Ausnützung der vorhandenen Kapazitätsreserven optimiert.


Mut zu mehr Wettbewerb

Nur echter Wettbewerb auf der Schiene kann die Bahnen zu einer energischen Beseitigung der bestehenden Mängel veranlassen. Dies ist wiederum die Voraussetzung, um die Bahn gegenüber der Strasse attraktiver zu machen und die Grossinvestitionen in die Neat auszunützen. Weitere Schritte sind notwendig, um den Markt effektiv und nachhaltig zu öffnen. Durch die Rückweisung der Bahnreform 2 im Herbst 2005 wurden diese Schritte erheblich verzögert; sie stehen nun mit der Aufschnürung der Bahnreform 2 in Teilpakete erneut an. Ausgangspunkt ist die Umsetzung der EU-Richtlinien 2001/12–14 in nationales Recht. Zur Gewährleistung des unabhängigen Netzzugangs muss beispielsweise die Stellung des Rail-Regulators gestärkt werden. Bei Diskriminierungen ist heute eine dem Eidg. Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) unterstellte Schiedskommission und/oder die Wettbewerbskommission zuständig. Die Schiedskommission wird nur auf Klage einer Partei tätig. Die effektive Durchsetzung des Wettbewerbs bedarf jedoch eines Regulators, der verwaltungsunabhängig ist, weitgehende Kompetenzen hat und bei Wettbewerbsbehinderungen direkt von Amtes wegen eingreifen muss. Auch bei der Trassenvergabe sind weitere Schritte nötig, um dem Gebot einer effektiven Trennung zwischen Netz und Verkehr nachzukommen. Die Trasse Schweiz AG, welche seit 2006 die Trassenvergabe und die Überwachung einer diskriminierungsfreien Fahrplanerstellung ausübt, ist rechtlich eine Beteiligungsgesellschaft von SBB, BLS, SOB sowie des Verbands öffentlicher Verkehr (VöV) und somit formell unabhängig. Die vor- und nachgelagerten Aufgaben – wie Kapazitätsplanung, Fahrplangestaltung und Infrastrukturmanagement – liegen jedoch weiterhin in der Hand des Infrastrukturbetreibers. Die beste Lösung wäre die vollständige rechnerische, organisatorische und rechtliche Trennung von Netz und Betrieb. Diese ist zumindest mittelfristig im Auge zu behalten. Fest steht: Die Bahnkunden wünschen sich mehr Wettbewerb unter den Bahnen. Der intramodale Wettbewerb zwischen Eisenbahnunternehmen ist das bewährte Mittel, um höhere Produktivität und bessere Qualität im Eisenbahnverkehr zu erzielen und somit die Wettbewerbsfähigkeit der Schiene gegenüber anderen Verkehrsträgern zu stärken.


Hans-Jörg Bertschi

Präsident des Verwaltungsrats der Hupac AG, Chiasso


Zitiervorschlag: Bertschi, Hans-Jörg (2009). Mit Marktöffnung zur Transitverlagerung. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.