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Preiserhebungen mit Scannerdaten für den Landesindex der Konsumentenpreise: Erste Teileinsätze

Als eines der ersten Statistikämter weltweit verwendet das Bundesamt für Statistik (BFS) neben den traditionell erhobenen Preisen neu auch Scannerdaten für die Berechnung des Landesindexes der Konsumentenpreise (LIK) und des Harmonisierten Verbraucherpreisindexes (HVPI). Damit nimmt das BFS international eine Pionierstellung bei der Modernisierung der Preiserhebung ein. Der folgende Artikel beleuchtet die Vorteile von Scannerdaten, ihr langfristiges Potenzial, die Schritte bis zur ersten Einführung und die zukünftige Weiterarbeit.
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Für den LIK sowie für den davon abgeleiteten HVPI erhebt das BFS seit Juli 2008 einen Teil der Preise mit Scannerdaten. Als Scannerdaten werden Datensammlungen bezeichnet, die beim Einlesen von Preisen an den Registrierkassen mit Barcodelesegerä-ten erzeugt werden. Dieses Verfahren entlastet einerseits das Kassierpersonal vom Eintippen von Preisen. Die zentral gesammelten Daten dienen den Detailhändlern aber auch zur Beobachtung von Verkaufsbewegungen mit vielfältigen Anwendungen, vom Auslösen von Nachbestellungen bis hin zum Marketing.Für das BFS ist die minimale Belastung der Datenlieferanten ein wichtiges strategisches Ziel. Eine Möglichkeit dazu bietet die Erhebung und Auswertung bestehender elektronischer Datensammlungen. Der in den Scannerdaten enthaltene Umfang an Informationen stellt darüber hinaus für die Messung der Preisentwicklung eine bisher unerreicht hochwertige Quelle dar. Deshalb hat das BFS 2006 ein Projekt zur Klärung und Erschliessung dieses Potenzials gestartet.


Vorteile von Scannerdaten

Die Grossverteiler in der Schweiz waren durchaus offen für Preiserhebungen mit Scannerdaten. Aufgrund der ersten Kontakte und Analysen wurden folgende Vorteile erkennbar:

– Quasi-Vollerhebung: Die erfassten Preisdaten ergeben bei einem Grossverteiler für den definierten Zeitraum pro Artikel praktisch eine Vollerhebung; jede einzelne Transaktion wird mit Verkaufsmenge und Preis erfasst.

– Optimierte Auswahl der berücksichtigten Artikel: Die miterfassten Mengen erlauben die Bestimmung des Umsatzes über eine Periode und daraus die präzise Auswahl der repräsentativsten Produkte für die Preiserhebung (gezielte Stichprobe der grössten Umsätze).

– Administrative Entlastung der Grossverteiler: Die Preismeldung beschränkt sich auf automatisierbare monatliche Auswertungen. Die Unterstützung der Preiserhebenden durch das Personal in den Verkaufsstellen und die manuelle Zusammenstellung von Preisen entfallen.

– Mittelfristige Senkung der Preiserhebungskosten: Scannerdaten können helfen, den Aufwand bei gleichzeitig steigender Qualität der Preisindizes zu senken.


Bestimmung der Methoden

Scannerdaten enthalten mehr Daten und Informationen, als mit den aktuellen Indexmethoden ausgewertet werden. Insbesondere sind aktuelle Mengen heute im Allgemeinen nicht gleichzeitig mit den aktuellen Preisen verfügbar. Dies führt zu verschiedenen Indexverzerrungen1 und zu den folgenden methodischen Einschränkungen:

– Der international vorherrschende Laspeyres-Index wird heute auch deshalb verwendet, weil aktuelle Mengen fehlen.

– Die Gewichtung des Warenkorbes erfolgt in der Schweiz mit der zwei Jahre zurückliegenden Haushaltbudgeterhebung.

– Die Aktualisierung von Subgewichtungen innerhalb einzelner Indexpositionen ist nur in wenigen Fällen möglich.

– Das geometrische Mittel in der Basisaggregation von einzelnen Preisen zu Indexpositionen kann Substitutionsbeziehungen zwischen ähnlichen Produkten nur approximieren.

Diese Einschränkungen können auch mit den in den Scannerdaten vorhandenen Mengendaten nicht sofort und generell überwunden werden. Die neu verfügbaren Mengendaten ermöglichen aber zukünftige Verbesserungen. Diese Aufgabe ist jedoch in ihrem theoretischen Aspekt sehr anspruchsvoll und benötigt umfangreiche – also zeitintensive – Untersuchungen. Es könnten sich sichtbare Auswirkungen auf die Preisindizes ergeben. Ein grundlegender Methodenwechsel ohne internationalen Konsens und Standards ist bei der heutigen wirtschaftlichen Verflechtung nicht angebracht.In den wenigen Ländern, die bereits punktuell Scannerdaten zur Indexberechnung einsetzen, sind in einzelnen Fällen Probleme aufgetaucht, und die eingesetzte Methodik ist uneinheitlich. Aufgrund dieser internationalen Erfahrung und der offenen Fragen in der wissenschaftlichen Literatur zur Auswertung von Scannerdaten wurde sehr bald beschlossen, die Nutzung der Scannerdaten für den LIK mit den bewährten Methoden2 zu beginnen. Diese beschränkte Nutzung ermöglicht bereits die teilweise Realisierung aller vier oben genannten Vorteile, ohne dass unnötige Risiken eingegangen oder lange Vorstudien abgewartet werden müssen.Eine Einschränkung war in Bezug auf die inhaltliche Abdeckung nötig: Die Erhebung der Artikel aus dem Non-Food-Bereich ist aufgrund der dabei notwendigen komplexen Qualitätsanpassungen bei Sortimentswechseln ohne eingehende Befassung mit dem Produkt und seinen Eigenschaften nicht möglich. Dazu genügen die Angaben in den vertriebsorientierten Scannerdaten alleine nicht. In den ersten Etappen des Projektes Scannerdaten werden deshalb nur die Bereiche Food und Near-Food (im Wesentlichen Wasch- und Reinigungsmittel sowie Körperpflegeprodukte ) abgedeckt.


Entwicklung einer spezifischen Softwarelösung

In einem ersten Schritt wurde mit Hilfe eines Grossverteilers eine von Grund auf neue, internetbasierte Software entwickelt, welche sämtliche Aspekte des Preiserhebungsprozesses abdeckt. Dazu gehören zum Beispiel Werkzeuge für die Zuordnung der Artikel des Grossverteilers zum Warenkorb des LIK und die monatliche Überprüfung und Aktualisierung der für die Erhebung ausgewählten Artikel. Ergänzende Abfrage- und Auswertungsfunktionen unterstützen zudem die von Fachpersonen bei einem Artikelersatz durchzuführenden Qualitätsanpassungen. Diese können in den Bereichen «Food» und «Near-Food» aufgrund der Produktbezeichnungen vorgenommen werden.


Herausforderungen bei der praktischen Umsetzung

Alle Grossverteiler verwenden eigene, spezifische Sortimentsstrukturen. Diese sind von den für Konsumentenpreisindizes international standardisierten Ausgabenstrukturen («Warenkorb») verschieden. Für die Preiserhebung mit Scannerdaten müssen deshalb die Artikel bzw. Warengruppen der Grossverteiler zuerst der korrekten Erhebungsposition im LIK/HVPI zugeordnet werden. Dieser aufwendige Vorgang führt zur Zuordnung jeder Artikelnummer eines Grossverteilers zur passenden Erhebungsposition des Landesindexes der Konsumentenpreise. Da die Sortimentsstrukturen der Grossverteiler Veränderungen unterliegen, welche zudem oft erst kurzfristig bekannt werden, ist deren korrekter Nachvollzug anspruchsvoll und zeitkritisch. Diese Zuordnungsarbeit wird von Marktforschungsinstituten für ihre eigenen Zwecke ebenfalls durchgeführt. Für die weitere Fortsetzung des Projektes wird diese Synergie mit dem Einkauf der Zuordnungen genutzt.Besondere Lösungen erfordert auch die Berücksichtigung von temporären Mehrfachpackungen. Diese erhalten in der Regel eine andere Artikelnummer als der identische Einzelartikel. Die Scannerdatensoftware ermöglicht die Verknüpfung beider Artikelnummern und damit eine direkte Erhebung des durchschnittlichen Preises der gesamten Verkäufe eines Produktes.


Testerhebungen vor jeder Einführung

Vor den produktiven Einführungen von Scannerdaten im LIK und HVPI führt das BFS umfassende Testpreiserhebungen durch. In deren Rahmen werden archivierte Scannerdaten der Grossverteiler ausgewertet. Der Vergleich mit der traditionellen Preiserhebung derselben Periode führt für den ersten eingeführten Grossverteiler und die Jahre 2006–2007 zu den folgenden Analyseergebnissen:

– Der Scannerdatenindex weist eine höhere Qualität auf. Gleichzeitig bestätigt sich der mittelfristige Trend des traditionellen Indexes.

– Es zeigen sich bei den einzelnen Positionen und Warengruppen unterschiedliche Indexverläufe. Diese erklären sich durch die erweiterte zeitliche und räumliche Abdeckung der Preisdaten und vor allem durch die optimierte Artikelstichprobe (siehe Grafik 1).

– Für die Validität beider Erhebungstypen spricht, dass sich die Unterschiede zwischen den Teilindizes bei der Aggregation auf immer höhere Warengruppen sowie im Zeitverlauf weitgehend ausgleichen.Aufgrund dieser Bestätigung der erwarteten Vorteile der Scannerdaten konnten die ersten Scannerdaten-Preiserhebungen für die Bereiche Food und Near-Food für den ersten Grossverteiler im Juli 2008 produktiv gesetzt und die bisherigen Preiserhebungen in den Verkaufstellen ersetzt werden.

Fazit und Ausblick

Testerhebungen haben gezeigt, dass die hohe Qualität und Aktualität des LIK und des HVPI durch die Verwendung von Scannerdaten weiter gesteigert wird.Die Verbindung des neuen Erhebungsverfahrens mit bestehenden, bewährten Selektions- und Berechnungsmethoden ist weltweit einmalig und erlaubt eine rasche Ausdehnung der Erhebung von Scannerdaten für die Warenbereiche Food und Near-Food auf die meisten grossen Detailhändler der Schweiz. Im Jahr 2009 entwickelt das BFS ein eigenes Scannerdaten-Softwaremodul, auf dessen Basis ab Herbst 2009 weitere Testerhebungen stattfinden und ab Januar 2010 halbjährlich neue Grossverteiler integriert werden können (siehe Grafik 2). Daraus resultieren bereits in den kommenden Jahren erste Einsparungen.Ab 2011 sollen Verfahren zur Scannerdatenerhebung im Non-Food-Bereich entwickelt und die notwendigen Software-Erweiterungen vorgenommen werden, sodass ab 2013 auch für diese Erhebungen eine Umgebung eingesetzt werden kann.Langfristig sollen zudem alternative Erhebungs- und Berechnungsmethoden geprüft werden, die das beschriebene Verbesserungs- und Rationalisierungspotenzial von Scannerdaten weiter ausschöpfen können. Dazu wird das BFS auch den Kontakt zu Forschung und Universitäten sowie einen internationalen Konsens über die geeigneten Methoden suchen müssen.


Rolf Boesch

Leiter des Bereiches Entwicklung der Sektion Preise, Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg


Reto Müller

Projektleiter Scannerdaten, Sektion Preise, Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg


Marcel Paolino

Sektionschef, Sektion Preise, Bundesamt für Statistik BFS, Neuenburg


1 Siehe z.B. Boskin Report (1996).


2 Siehe Grundlagenbericht LIK (2006).


Kontakt

Reto Müller Tel.: 032 713 68 40 E-Mail: reto.mueller@bfs.admin.ch Rolf Boesch Tel.: 032 713 64 39 E-Mail: rolf.boesch@bfs.admin.ch Marcel Paolino Tel.: 032 713 66 95 E-Mail: marcel.paolino@bfs.admin.ch

Informationen im Internet und Literatur

Internet: www.lik.bfs.admin.ch; www.hvpi.bfs.admin.ch.

– Boskin, M.J.; Dulberger, E.R.; Griliches, Z.; Gordon, R.J.; Jorgensen, D.: Toward a More Accurate Measure of the Cost of Living. Final Report to the Senate Finance Committee from the Advisory Commission to Study the Consumer Price Index, 1996.

– Brachinger, H.W.; Schips, B.; Stier, W.: Expertise zur Relevanz des «Boskin-Reports» für den schweizerischen Landesindex der Konsumentenpreise, BFS, Neuenburg 1999.

– Bundesamt für Statistik: Landesindex der Konsumentenpreise: Methodische Grundlagen, BFS, Neuenburg, 2007

– ILO/IMF/OECD/UNECE/Eurostat/The World Bank: Consumer Price Index Manual: Theory and Practice, Genf, International Labour Office, 2004 (www.ilo.org/public/english/bureau/stat/guides/cpi/).

– Eurostat: Sammlung von HVPI-Referenzdokumenten (2/2001/B/5), 2001.

– Feenstra, Robert C., und Shapiro, Matthew D. (Hrsg.): Scanner Data and Price Indexes., NBER, 2002

– National Research Council, Schultze C. L.; Mackie C. (Hrsg.): At What Price? Conceptualizing and Measuring Cost-of-Living and Price Indexes, National Academic Press, Washington DC 2002.


Zitiervorschlag: Boesch, Rolf; Mueller, Reto; Paolino, Marcel (2009). Preiserhebungen mit Scannerdaten für den Landesindex der Konsumentenpreise: Erste Teileinsätze. Die Volkswirtschaft, 01. Januar.